-
Schmunzelnd hatte sie mich gemustert, als ich schließlich in den Salon trat, noch an der Fliege herum ziehend, die nicht ganz so wollte, wie ich. Ich fühlte mich unwohl in diesen Klamotten, dem steifen Anzug, diesem schrecklichen Kragen.
„Warten Sie, ich mache das", meinte sie, leise, die Stimme nicht mehr als ein Wispern, stand dicht vor mir und hob die Finger, welche leicht zitterten, wie ich überrascht feststellte.
Langsam löste sie den Knoten und band die Fliege neu, den Blick gesenkt, die Wangen leicht gerötet und wieder etwas zu schnell atmend. Meine Annahme, dass sie krank wurde, schien nicht unbegründet zu sein.
Seltsam dass mir ihre Berührungen nicht gänzlich unangenehm waren. Ja, eine gewisse Distanz herrschte, ich vermied es direkten Körperkontakt zu haben, aber doch genoss ich die Wärme ihres Körpers. Hintergedanken hatte ich keine. Woher auch?
Wie könnte ich ahnen, dass sie nicht krank wurde, sondern lediglich diese Gefühle auch zu erwidern schien?
Sie trat einen Schritt zurück, musterte mich, die Augenbrauen leicht zusammen gezogen und sich auf der Unterlippe herum kauend. „Ihre Haare", meinte sie und musterte das Chaos auf meinem Kopf.
Schneller als ich reagieren konnte hielt sie einen Kamm in der Hand und machte sich daran den Arbeitsstaub aus diesen zu entfernen und sie zu entwirren. Das Ziepen war unangenehm und ich konnte mir tatsächlich einige Schmerzlaute nicht verkneifen, während sie mich amüsiert musterte.
Zurecht gemacht wurde ich von ihr aus dem Zimmer geführt, sie hatte sich zwar bei mir eingehakt, jedoch eindeutig das Kommando übernommen, mich durch die langen Gänge führend.
Musik kam uns entgegen und ihre Absätze klapperten, als sie von dem weichen Teppichboden in den Gängen, auf den Parkettboden des großen Saales trat. „Madame, Sir", wurden wir von einem Bediensteten begrüßt, welchem sie nicht einmal einen Blick schenkte, sondern stattdessen mich anlächelte, beinahe beruhigend.
Wir gingen eine breite, marmorne Treppe hinab, gesäumt von hohen Statuen irgendwelcher halbnackter Männer und Frauen, in weiten Gewändern, mit totem Blick aus den weisen Augen. „Griechische Götter, der Käpten hält sich selbst für einen", erklärte sie, meinen skeptischen Blick bemerkend.
Die Blicke ruhten auf uns, was mir auffiel und Diane verspannte sich neben mir, ihren Arm nach wie vor bei mir eingehakt und galant, als würde der ganze Saal ihr gehören und alle hätten nur auf sie gewartet, die Treppe hinab schwebend.
Sie hatte den Kopf leicht gehoben, die Schultern nach Hinten, Brust raus und dieses falsche Lächeln auf den Lippen, das viele andere erwiderten, danach jedoch meist keine wirklich angenehme Miene zogen.
„Fräulein Diane", ich schritt neben ihr ohne etwas zu sagen, horchte auf, als sie meinte: „Das ist der Käpten", und musterte den Mann, welcher uns entgegen kam.
Er war runder geworden, der weiße Bart länger und die roten Wangen voller. Seine dunklen, kleinen Augen blitzten und ich erkannte, dass er bereits leicht angetrunken war. Der Anzug saß mehr oder weniger, schwarz, an den Ärmeln leicht ausgefranst und somit nicht neu. Die Kapitänsmütze hatte auch schon bessere Zeiten gesehen, leicht zerknittert, ein leicht gelblicher Fleck, beinahe unkenntlich für das Auge.
Und er stank, ich fand den Geruch unangenehm, wich beinahe zurück, hätte Diane sich nicht weiter auf ihn zu bewegte und mit einem gekünstelten Lachen dessen Handkuss quittiert. Sie spielte eine Rolle, war eine andere Person, wie es mir auffiel und beinahe einen Moment zu lange sah ich die Hand des Käptens an, wulstig, aufgequollen, rot und von Schweiß überzogen, welche er mir entgegen streckte.
Diane lachte noch immer, der Käpten aber hatte aufgehört und rasch ergriff ich dessen Hand, ihm in die Augen sehend und erkennend, dass dieser mich interessiert und fragend musterte.
„Und ihre Begleitung ist?", fragte er, nach wie vor meine Hand haltend, versuchte meinen festen Händeschlag zu imitieren und reagierte überrascht, als ich ihm die Hand entzog. Langsam, aber kräftig.
„Das ist Mr. ... Smith", meinte sie, nach wie vor umwerfend lächelnd, auch wenn ich es lieber gehabt hätte, wenn sie ihre Mundwinkel ein wenig entspannte und stattdessen wirklich lachte, wie sie es kurz zuvor getan hatte.
„Mr. Smith? Sie sind noch nicht lange hier", stellte er fest, musterte nun den Anzug, meine Statur und mir wurde bewusst, dass all die Männer um uns herum wesentlich schmächtiger waren, heller Haut hatten.
„Oh, er ist erst vor kurzem dazu gestiegen. Meinte er wäre auf Safari gewesen oder so etwas in der Art. Nicht wahr Mr. Smith?", verwirrt sah ich sie kurz an, als sie mich in die Seite stieß, für den Käpten nicht ersichtlich und ich schließlich nickte.
Erneut dieser fragende Blick, er musterte mich intensiver und Diane lenkte seine Aufmerksamkeit auf sie, indem sie ihn in ein Gespräch verwickelte, sich dabei leicht an mich lehnend, sie mit beiden Händen an meinem Arm festhalten.
„Sie haben sich ja dieses Mal mit der Dekoration übertroffen. Ganz unglaublich und erst dieser Kronleuchter...", meinte sie und schwärmte von der unglaublichen Einrichtung und der Dekoration.
Der Käpten schenkte ihr seine volle Aufmerksamkeit, hing an ihren Lippen und bemerkte nicht einmal, dass sie kein Wort so meinte, wie sie es sagte. In Ruhe sah ich mich um, nahm das leise Klirren der Kristalle an dem großen, goldenen Kronleuchter war, wenn diese zusammen stießen. Eine Band spielte angenehme Musik, einen einlullend, aber so, dass sich einige Paare dazu auf der großen Tanzfläche drehten.
Die Kleider bauschten sich auf, drehten sich um ihre Besitzer, reflektierten schimmernd das Licht. Fasziniert beobachtete ich dieses Farbenspiel, horchte auf das leise, zurück haltende Gelächter, nicht ehrlich, aufgesetzt, gespielt und nicht so, wie es auf dem unteren Deck war.
Alles war steifer, sauberer, feiner, aber auch kälter.
Und schließlich zog Diane mich weiter, ich begegnete einigen Blick von Frauen, diese blickten hinter hübschen Fächern hervor, aus säuberlich umschminkten Augen, mir zulächelnd, scheu, aber gestellt. Alles schien einstudiert, ein Theaterstück, ein Puppentheater, in welches ich geraten war und fasziniert die Puppen betrachtete.
„Sie beneiden mich", meinte Diane plötzlich als wir durch die Menge liefen, nicht drängten, es war nicht eng, viel Platz, sodass man niemandem zu nahe kommen musste. Verschiedenste Düfte, zu viele verschiedene, süße. Jeder hatte ein anderes Parfüm aufgelegt und dachte dass diese betörend war.
„Warum?", fragte ich nach und sie musste Lächeln, dieses mal aber nicht gestellt und öffnete mit einer eleganten Handbewegung ihren weißen Fächer, somit dieses Schmunzeln vor den anderen Leuten versteckend, sodass es nur für mich ersichtlich war.
„Ein solch hübscher Mann springt jedem ins Auge und ausgerechnet ich darf dich ausführen", sie musste beinahe laut lachen über diesen Witz und ich begriff das Wortspiel darin nicht. Dass normalerweise nur die Herren eine Dame ausführen konnten oder was an mir besonderes sein sollte, dass ich tatsächlich begehrenswert war.
Es kam mir nicht in den Sinn und sie musste deswegen dann doch losprusten, mich eilig weiter ziehend, als sie eben dafür empörte Blicke von einem älteren Paar erntete. Er ein Monokel im Auge, sie aufgedunsen und mit viel zu viel Rouge auf den Wangen, die blonden Haare zu übertrieben hochgesteckt.
„Meine liebe Diane", kam es mit hoher, etwas quietschiger Stimme und plötzlich stand eine ebenfalls etwas dickere, aber in ein viel zu enges Korsett gezwängte, ältere Dame vor uns.
Das Kleid welches sie trug war dunkellila, schimmerte und glänzte im Licht. Ihre bereits leicht grauen Haare hatte sie nach hinten gesteckt. Ihr Gesicht war hell, zu viel Make up auf der alten Haut und an den Ohren, so wie um den Hals große, weiße Perlen.
„Mrs. Johnson", kam es etwas gepresst über Dianes Lippen, diese lächelte, hatte die Mundwinkel wohl eher krampfthaft nach oben gezogen, auch wenn dies anscheinend nur mir auffiel. „Wie geht es Ihnen meine Liebe?", flötete die Frau weiter, ließ Diane jedoch nicht einmal ansatzweiße genug Zeit, als dass sie ihr hätte antworten können.
„Und wer ist denn dieser bezaubernde Gentlemen?"
Fragend sah sie mich an und mir wurde bewusst, dass sie wohl eine Antwort von mir erwartete. Diane öffnete bereits den Mund und doch kam ich ihr zuvor, hatte nicht realisiert, dass sie für mich hatte antworten wollen.
„Smith, Madame", stellte ich mich mit einer knappen Verbeugung vor, nahm ihre Hand nicht und gab auf diese von Alterflecken übersäte Haut einen Kuss. Ihr aber schien dies nichts auszumachen, sie errötete sogar leicht, öffnete ihren Fächer und wedelte sich hastig Luft zu. „Aber, aber...", fragend sah ich sie an, in die braunen Augen und hastig wandte sich die Frau ab, zog an ihre Seite eine junge Frau, in einem hellen blauen Kleid.
„Darf ich Ihnen meine Tochter Rebecca verstellen?"
Ich nickte und das Mädchen machte mit einem scheuen Lächeln einen Knicks. Sie hatte blondes Haar, wie Honig oder Weizen, so wie das Haar meiner Mutter gewesen war und doch braune Augen, so wie ihre Mutter.
Nach wie vor lächelte sie mich an, sah jedoch nach kurzer Zeit weg, meinem Blick nicht stand haltend. Ich verneigte mich knapp, sagte jedoch nichts, auch wenn beide Damen irgendwie erwartungsvoll wirkten. Stattdessen warf ich kurz Diane einen Blick zu, welche auch schon das Gespräch wieder an sich riss, mich ein Stückchen näher an sich ziehend, was ich zwar nicht nachvollziehen konnte, aber kommentarlos über mich ergehen ließ.
„Rebecca, dieses Kleid ist umwerfend, finden Sie nicht?", ich nickte lediglich, erneut das Mädchen oder eher deren Kleid musternd. Meiner Ansicht nach sah es unbequem aus, unpraktisch, wenn auch schön. Dianes weniger aufgebauschtes, schlichtes Kleid gefiel mir besser, nach wie vor.
Die Damen begannen sich scheinbar angeregt zu unterhalten, auch wenn keine wirklich interessiert an dem Gespräch war und sie einander nicht leiden konnten. Wieso sie dann miteinander sprachen, dass verstand ich nicht.
„... Ob Sie mit mir tanzen würden?", fragte Rebecca erneut und lächelte wieder schüchtern. Dass ich ihr erst beim Wiederholen ihrer Frage wirklich zugehört hatte oder eher registrierte, dass sie mit mir sprach, schien sie nicht wirklich zu stören. Mich hingegen verwirrte diese Frage und ich sah dann doch überrascht deren Mutter an, als sie ganz begeistert von diesem Vorschlag war: „Ja, das ist doch eine ganz entzückende Idee. Fräulein Diane kann sie sicherlich einen Moment entbehren."
„Ähm...", kam es über meine Lippen und ich war nach wie vor überfordert, nun beinahe froh um Dianes Nähe.
„Kommen sie mein Lieber, sie sind doch ganz sicherlich ein großartiger Tänzer, ein solch schöner Mann kann kein schlechter Tänzer sein", plapperte die Frau weiter, davon überzeugt, dass ich mit ihrer Tochter tanzen musste.
„Nein", entgegnete ich lediglich und das Mädchen, so wie ihre Mutter rissen etwas entsetzt die Augen auf. Ich realisierte in diesem Augenblick, dass dies wohl eher einer Beleidigung gleich gekommen war, ich wieder falsch reagiert hatte und doch rettete Diane die Situation, fand Worte, die ich ewig gesucht hätte.
„Mr. Smith mein das nicht böse. Er hat mir zuvor von seinen Fuß erzählt, diesen hat er sich am Vortag ganz schrecklich vertreten und der Doktor meinte, er bräuchte dringend Ruhe. Er war zutiefst enttäuscht, dass er auf dem heutigen Ball nicht tanzen darf", die Damen schienen überrascht, sahen Diane an, dann mich und ich nickte und lächelte etwas: „Ja, leider."
Dies schien sie endgültig zu besänftigen, mein Lächeln wurde strahlend erwidert und schließlich meinte Diane: „So, wir sollten nun aber langsam zu unserem Tisch, nicht dass sie dort auf uns warten."
„Oh, Sie haben vollkommen recht", rief die ältere Dame und auch ihre Tochter und sie zogen davon. „Wie ich diese Leute verabscheue", murmelte Diane neben mir, leise, sodass nur ich es hören konnte.
Wir liefen weiter, durch einen großen, aus hellem Stein gefertigten Bogen, durch den gut 10 Mann gleichzeitig gepasst hätten und in den angrenzenden, größeren Saal. Das Parkett glänzte in dem hellen Licht der Kerzen und zwei stattliche Kronleuchter hingen von der Decke, deren zahlreiche Kristalle leise klirrend aneinander schlugen, das Licht reflektierten und brachen.
Die Wände waren von goldenen Teppichen größten Teils verhängt, goldener Stuck zierte die ebenfalls weiße Decke, welche so blank poliert war, dass man sich darin spiegelte.
Eine kleine Bühne war ganz an der Seite aufgestellt, auf welcher sieben Männer saßen und auf verschiedensten, mir unbekannten Streichinstrumenten spielten. Ich hatte zwar schon eine alte, kaputt Geige gesehen, damals in der Schule, jedoch waren mir die größeren Instrumente nicht bekannt.
Sie spielten eine seichte, angenehme Musik, die im Hintergrund vor sich hinplätscherte und die Gespräche nicht störte. In diesem Saal waren noch mehr Leute als in dem vorigen, an runden Tischen sitzend, mit weißen Tischdecken darauf und vor sich teuer wirkendes Geschirr, dessen Schönheit und Wert jedoch nicht einmal beachtend.
Mich schreckte der Prunk ab, genau so dachte ich darüber nach, wie viel Essen man wohl alleine von diesem Geschirr bezahlen konnte. Diesen Leuten aber war genau dies nicht bewusst, sie ignorierten sogar die Kunstfertigkeit, mit welcher das Geschirr hergestellt worden war.
Diane führte mich durch den Saal, einige Leute begrüßend, andere umgehend und schien realisiert zu haben, dass ich nicht erpicht darauf war, mit vielen Menschen an einem Fleck zu sein.
In der Mitte des Saals, vor dem größten Tisch, beladen mit noch teurerem Geschirr, wenn ich das richtig einschätzen kann, hielten wir und dort saß auch der Käpten, welcher in ein Gespräch mit einer streng wirkenden, brünetten Dame vertieft war. Sie kam mir vertraut vor, ihr Blick streifte mich kurz, Diane versteifte sich und eben als ich bereits davon ausging, dass sie mich ignorieren würde, sah sie erneut, dieses Mal mit gerunzelte Stirn her.
„Mutter", erklang Dianes Stimme neben mir: „Das Kleid steht dir wirklich ganz ausgezeichnet." Es war braun, wie Matsch oder Dreck, so fand ich, sah aus wie ein unförmiger Sack, eine Kugel aus viel Tüll und Stoff. Also alles andere als schön.
„Mein Herz", meinte die Frau, erhob sich galant, mit der Hilfe des Käptens, der sie offensichtlich anschmachtete und kam um den Tisch herum zu uns. „Du hättest das grüne anziehen sollen, es ist deine Farbe, außerdem zeigt es nicht ganz so offensichtlich... worauf du aus bist", es klang abwertend, auch wenn ich nicht begriff, worauf sie anspielte.
Diane schnaubte und wieder traf ein musternder Blick ihrer Mutter mich, fragend, bis sich schließlich ihre Miene aufhellte und in Ungläubigkeit umschlug. „Das ist nicht...?", zischte sie entgeistert und sah ihre Tochter offensichtlich schockiert an.
„Wer?", fragte diese mit einem unschuldigen, aber verschlagenen Lächeln. Und die Frau vor uns ächzte wie unter einem Schlag auf.
„Dieser...", sie sah sich um und senkte die Stimme noch mehr, ein beinahe lautloses Flüstern: „... Matrose." Diane tat so, als verstünde sie nicht, zog mich an der alten Frau vorbei, jetzt erst wurde mir bewusst, dass sie ein bisschen etwas von einer Vogelscheuche hatte. Zerfurcht, eingefallen, alt und ausgestopft.
„Wir setzen uns dort hin Mr. Smith", ich hatte bereits wieder vergessen, dass sie mir diesen geläufigen Namen angedichtet hatte, sah sie kurz fragend an, als sie vor den Stühlen stehen blieb und reagierte doch, bevor sie mir mit einem Kopfnicken andeutete, den Stuhl für sie zurück zu ziehen.
Mit so viel mehr Eleganz als ihre Mutter es hatte, vielleicht einst besaß, ließ sie sich nieder, ich rückte den Stuhl zurecht und setzte mich neben sie, nach wie vor überwältigt die Umgebung und die Menschen musternd.
Dianes leises Kichern ließ mich aufschrecken und fragend sah ich sie an. „Sie würde es nie sagen, es wäre zu peinlich und geziemt sich ja auch nicht", versuchte sie sich zu erklären und blies sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Nach wie vor war ich verwirrt: „Dass du ein Matrose bist." Es war ein Raunen, sie hatte sich zu mir gebeugt, ich spürte ihren Atem an meinem Ohr, wie ihr Arm gegen meinen drückte und roch ihren dezenten Duft.
Ich nickte, begrüßte die dazu kommenden Leute und beteiligte mich nicht an den Gesprächen. Dianes musternde Blicke entgingen mir, da ich gänzlich mit dem Essen beschäftigt war, falls man diese Kunstwerke noch als Essen bezeichnen konnte.
Und wieder beachtete niemand dieses, sondern alle waren damit beschäftigt Konversation zu betreiben. Selbst Diane ließ sich in ein Gespräch mit dem Herrn neben ihr ein, auch wenn ihre Miene mir verriet, dass sie es nicht sonderlich mochte.
Sobald die meisten Teller geleert waren, viele der Damen blieben voll, auch Diane hatte fast nichts angerührt, erhob sich der Kapitän und machte mit einem Räuspern auf sich aufmerksam.
„Er sagt jedes Mal das Selbe"; sie hatte sich etwas zu mir gelehnt, flüsterte, während der Rest der Gesellschaft wie gebannt zu lauschen schien. Zumindest taten sie so, auch wenn alle eher gelangweilt, beinahe schon genervt wirkten.
„Meine Damen und Herren", flüsterte Diane und diese Worte wurden nur wenige Sekunden später auch von dem Käpten gesagt.
„Ich freue mich, dass sie sich alle hier eingefunden haben", erst ihre hohe Stimme, dann seine tiefe, wie ein schlechtes Echo. „Amüsieren sie sich, wir haben keine Kosten gescheut", sie lachte dabei leise und nicht unbedingt freundlich. Wütend blitzten mir die Augen ihrer Mutter entgegen, deren Blick ich etwas irritiert erwiderte und schließlich sie weg sah.
„Und ich wünsche ihnen einen wunderbaren Abend und eine angenehme Reise hier an Bord", Applaus brandete auf, Diane zog sich wieder zurück und tupfte sich mit ihrer Serviette die Mundwinkel ab, nicht klatschend.
Die Gespräche wurden wieder aufgenommen, Stuhlrücken war zu hören und die Tanzfläche füllte sich mit Paaren. Weiterhin wurde diese seichte Musik gespielt und ich vermisste irgendwie die Feste des unteren Decks, das ehrliche Lachen, die Herzlichkeit.
Ich wurde dank Dianes zahlreicher Ausreden davor bewart, mit einem der doch recht zahlreichen Damen tanzen zu müssen, die mich darum baten. Und der Abend zog sich doch noch beinahe endlos in die Länge, auch wenn es eigentlich nur anderthalb Stunden waren.
Schließlich und immer mehr irritiert durch die bohrenden Blicke von Dianes Mutter, verließen wir dieses Fest und ich folgte ihr zurück zu ihren Räumen. Der Anblick dieses Luxus und der Größer verschlug mir auch beim zweiten Mal noch die Sprache und rasch schälte ich mich aus dem Anzug.
Diane stand nach wie vor in dem großen Saal, sah mich starr an, die Lippen leicht geöffnet und wirkte... abwesend. Und ich war mal wieder überfordert, mehr als sonst, weil ich eben diesen Gesichtsausdruck so noch nie gesehen hatte.
Strong hatte einmal so ähnlich ausgesehen, als er Ginger ansah, zumindest ansatzweiße. „Sie sind ein sehr attraktiver Mann, Ethan", brachte sie heraus, löste sich aus ihrer Starre und kam langsam näher.
Ich schluckte, fühlte mich seltsam, erst recht ihren Blick und spürte trotzdem wie ein Schauder über meinen Körper lief und ich leicht erbebte. Meine Kehle wurde trocken und ich leckte mir über die Lippen, sah, wie ihr Blick an diesen beinahe kleben blieb.
„Sie sind auch sehr schön", brachte ich verunsichert heraus, wusste nicht, was ich in diesem Moment sagen, geschweige denn tun sollte.
Sie wurde rot und blieb dicht vor mir stehen, hob langsam eine Hand und strich mit ihren Fingern über meine rechte Schulter. Ich zuckte zusammen, es war einerseits unangenehm, ich schreckte vor ihrer Berührung zurück, andererseits verursachte diese ein angenehmes Kribbeln und ich hielt inne, sie begrüßend.
Es war anders als es mit Emily gewesen war, ich verstand eher, was vor sich ging und doch konnte man es nicht vergleichen. Emily liebte ich, würde dies wohl für immer tun, Diane hingegen hielt sich an mir fest, Tränen in den Augen, ihr Gesicht an meinem Hals verbergend, wie eine Ertrinkende.
Die Hitze wich nur langsam, meine Brust hob und senkte sich so viel langsamer als noch vor einigen Minuten. Diane lag halb auf mir, einen Arm auf meinem Bauch, ihren Kopf auf meiner Brust und ihre langen, nun offenen Haare kitzelten meine Haut. Sie atmete ruhig, erst dachte ich sie schliefe, rührte mich nicht, wusste nicht, was ich tun sollte, wie ich mich verhalten sollte.
„Ein Haus irgendwo am Meer, klein, einfach und ohne diese ganzen Verpflichtungen", ihre Finger strichen leicht über meine Brust, erzeugten eine Gänsehaut und doch zuckte ich eher zurück.
Ich wollte aufstehen, fand es unangenehm, der Schweiß, welcher sich zwischen unseren warmen Körpern bildete, ihre Nähe und doch brachte mich ihr Blick, aus den leicht geröteten Augen dazu inne zu halten.
„Lass mir noch etwas diesen Traum", ihr Lächeln tat weh und sie sah aus wie mein Vater, gebrochen, kaputt und so unglaublich traurig. Was für einen Traum meinte sie? Hatte sie doch geschlafen?
Sie strich mit ihren Fingern über meine Brust, ihr Gesicht an meinem Hals, ihr Körper an meinem und ich konnte nicht anders als ihr Handgelenk anzusehen, versuchte im Halbdunkeln zu erkennen, was sich dort, winzig klein, aber dunkler als der Rest ihrer Haut, von dieser abhob.
Und erst Stunden später, nachdem sie sanft meine Lippen geküsst hatte, die Augen schloss und schlief kamen mir wieder Gingers Worte in Erinnerung, dass jemand wie ich, niemals für jemanden wie sie gut genug war.
Die getrennten Decks, unerreichbar, nur manchmal konnte man durch Schlupflöcher von einem zum anderen und doch, in dieser so oberflächlichen Welt wollte ich nicht gefangen sein.
Sie hatte sich verabschiedet und das tat ich auch. Leicht hob ich ihren Kopf an, bettete diesen auf ein Kissen und deckte sie zu, leise aufstehend. Ich wollte sie nicht wecken, zog mich schnellst möglich und so weit es ging lautlos an.
Das Licht war aus, lediglich der helle Mond schien durch die Bullaugen ins Zimmer. Ich sah wie sie erneut lächelte, die Mundwinkel leicht zuckten, sie aber vehement die Augen geschlossen hielt.
„Lebe wohl", wisperte ich in den dunklen Raum, im Türrahmen inne haltend, sie noch einmal betrachtend, die glitzernden Spuren der Tränen auf ihren Wangen. Sie öffnete ihre Augen nicht, zu meinem Glück und so ging ich, hörte nicht, wie sie sich mit erstickter Stimme auch von mir verabschiedete.
Es war eine Brandwunde gewesen, eine Letter, deutlich zu erkennen und zu feingliedrig, als dass es eine zufällige Verletzung gewesen sein könnte. Eine sieben, bestehend aus verbrannter, ledriger, faltiger Haut, direkt über einer ihrer Pulsadern, am linken Arm.
So ist sie näher am Herzen
Zusammen mit Ginger und Strong verließ ich am folgenden Tag das Schiff, unseren spärlichen Lohn in den Taschen und betraten ein gänzlich anderes Land. Die Blicke des Käptens ließen mich unweigerlich etwas Schmunzeln, als dieser mich mehr als verwirrt ansah, den Mund halb offen und anscheinend fieberhaft überlegend, ob ich tatsächlich die Person sein könnte, die er am vorigen Abend für einen völlig anderen gehalten hatte.
Diane sah ich nicht mehr, weder an Bord, noch am Hafen, ich würde sie nie wieder sehen.
Es gibt Menschen, welche nur sehr kurz in unser Leben treten, einen aber prägen, etwas ändern, die du nie vergessen wirst. Egal ob sie grausam waren oder liebevoll, sie gehören nun zu dir, sind ein Teil deines Ganzen und vielleicht bist du ein Teil von ihnen geworden. Wer weiß das schon?
Ob Diane mich geprägt hatte? Ich weiß es um ehrlich zu sein nicht.
Vergessen würde ich sie nie, kann ihr Gesicht sogar noch von den hunderten, ebenfalls abgespeicherten Gesichtern unterscheiden. Noch ist sie in dem Strom nicht untergegangen.
Ich weiß nicht mehr wie ihre Stimme klang, nicht mehr wie sie gerochen hat, nur dieses Bild ist geblieben.
Sie hatte mir eine andere Welt gezeigt, wodurch mir erst auffiel, dass es diese überhaupt gab. Ich hatte mir keinerlei Gedanken davor gemacht, es mir nicht einmal vorgestellt, wobei meine Vorstellungsgabe sich auf das beschränkt, was ich sehe und höre, was ich noch nie wahrgenommen habe, kann ich mir nicht ausmalen.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top