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Mit der steigenden Sonne kehrte auch das Leben an Bord zurück, zumindest die Crew, abgesehen von White, war bereits wach und machte das Schiff zum Ablegen bereit.
Der Käpten schnarchte laut in seiner Kajüte und wurde von der Mannschaft erst geweckt, als alle Vorbereitungen getroffen und die Fracht sicher verstaut war. Über das Meer würde es gehen, in für mich unbekannte Gefilde.
Kaum dass White an Deck ging, legten wir ab, fuhren gemächlich aus dem Hafen hinaus und wurden trotz der einfahrenden Schiffe und Frachter nicht lange aufgehalten. Keine halbe Stunde später befanden wir uns auf offener See und der Wind zerrte an meinen, bereits von der Sonne und dem Meerwasser, ausgebleichten Haaren.
Der salzige Geruch des Meeres und das leichte Schwanken des Schiffes durch die Wellen, sind für mich seit je her sehr bedeutend, sie lösen bei mir Herzpochen aus, mein ganzer Körper fängt vor freudiger Erregung an zu zittern und doch bin ich so seltsam entspannt, einfach glücklich könnte man sagen.
Ein Aufbruch, ein neuer Beginn, eine Reise, deren Ausgang ungewiss ist, jedoch vor allem Freiheit, dieses Gefühl von absoluter Freiheit.
Der erste Tag war ruhig, wir kamen schnell voran, mit guten 15 Knoten in der Stunde, was für die Coeur ein beachtliches Tempo war. Bald schon war das beinahe endlose Land, der Kontinent, auf welchem ich aufgewachsen war, gänzlich am Horizont verschwunden und es blieb nichts, außerdem dem endlosen Meer unter uns und dem ewigen Horizont über unseren Köpfen.
Es war das erste Mal, dass ich so etwas sah. Wie bereits erwähnt, hatten wir uns zuvor immer an der Küste gehalten, jedoch jetzt war kein Land mehr in Sicht, nichts und ich kam mir so unbedeutend, so unglaublich klein vor, in dieser beinahe erschlagend großen Welt.
Die Schönheit zerriss mir das Herz, jedoch war ich nicht verloren, sondern beinahe den Tränen nahe, ein Teil von diesem großen Ganzen sein zu dürfen, es so sehen zu dürfen.
Ich weis nicht, ob es vielen Menschen so, ob es an meiner Krankheit liegt oder ich vielleicht einfach überemotional bin, jedoch werde oft regelrecht von Gefühlen erschlagen. Sie sind nach wie vor zuviel für mich, nicht greifbar, teilweise auch nicht nachvollziehbar.
Die Mannschaft war gut gelaunt, tags über wurde an Deck gearbeitet, nachts betranken sie sich und immer öfter zog es mich zum Ausguck, die endlose Weite betrachtend.
Der zweite Fleck, an welchem ich mich am liebsten aufhielt, war die Kombüse. Der Koch, ich nannte ihn Hatschi, da ihm immer die Augen von den vielen Zwiebeln tränten und rot unterlaufen waren, sowie das erste, was man beim Näherkommen hörte, sein lautes Niesen war.
Dies kam von dem vielen Pfeffer, er würzte die Speisen stark, sagte es sei gesund, fördere die Durchblutung und mache die Atemwege frei. Nie habe ich ihn hinterfragt, stand nur fasziniert da und beobachtete, wie er die Pfannen schwang und während dessen die kuriosesten Geschichten, über Seemonster und Meerjungfrauen, verlorene Schätze und verwunschene Orte erzählte.
Das zweite, was man vernahm, bevor man die Kombüse betrat, war ein Miauen, es kam nicht etwa von den zwei Katzen, welche auch an Bord waren und die Mäuse vom Schiff fern hielten, sondern meist von Hatschi selbst.
Die Mannschaft hatte sich bereits angewohnt mit einem Miauen zu antworten, Späße mit ihm zu machen und sein dröhnendes, tiefes Lachen, hallte über das ganze Schiff, während der Käpten nur fluchend über diesen Kindskopf hinter seinem Steuer stand und den Whiskey soff.
Hatschi war ein mir sehr sympathischer Mensch, er war nicht aufdringlich, nicht zu laut und eine angenehme Gesellschaft. Von Anfang an schien er realisiert zu haben, dass mit mir etwas nicht ganz stimmte.
Dass ich mich von anderen Leuten unterschied und er respektierte dies. Man könnte es ein gewisses Gespür nennen, Intuition oder Einfühlungsvermögen. Nie berührte er mich, so wie es die anderen oft taten, mich anrempelten oder mir auf die Schulter klopften, weswegen ich ein jedes Mal wie unter Schmerzen zusammen zuckte.
Er jedoch rührte mich nicht an, sprach meist in einem ruhigeren Tonfall mit mir, jedoch ebenfalls so herzlich, wie mit allen anderen. Ich fühlte mich nicht wie ein Ausgestoßener, sondern einfach wohl und konnte ihm bis spät in die Nacht beim Arbeiten zusehen.
Hatschi war dick und groß, sein weißes Hemd hatte auch schon bessere Zeiten gesehen und die Kochmütze saß meist schief auf seinen dunklen etwas lockigen Haaren, die sich über seinen Ohren kräuselten.
Er hatte einen Vollbart, rote Wangen und eine dicke Knollennase, die meist ebenfalls rot war, was von den hohen Temperaturen kam, welche in der Küche herrschten.
Er war braungebrannt, wodurch die Röte in seinem Gesicht eher einem Sonnenbrand glich. Die Augen klein in diesem so großen Gesicht, hatten ein ausgewaschenes Blau als Farbe. Sie waren noch nicht von Runzeln umgeben, weswegen ich auch annahm, dass er älter wirkte, als er wirklich war.
Eine Eigenschaft, die vielen Seefahrern zu Eigen war. Sie sahen alle älter aus.
Der zottelige, braune Bart verdeckte die Hälfte seines Gesichts und sein Mund verschwand unter diesem, glich, wann immer er ihn öffnete, einem schwarzen Schlund.
Unter der großen, meist mit zahlreichen Flecken bedeckten und bereits grauen Schürze, sie war wohl einmal weiß gewesen, aber das musste schon geraume Zeit her sein, wölbte sich sein doch recht großer Bauch.
Dieser wölbte den Stoff und was so prall, dass er beinahe aussah, als wäre er schwanger.
Ich könnte so noch Ewigkeiten weiter machen, Hatschi weiter beschreiben, da ich ihn beinahe in- und auswendig kannte. Er gehört zu den Menschen, die mich schwer beeindruckt hatten und die ich wohl niemals wieder vergessen werde.
Hatschi nahm das Leben und vor allem sich selbst, nicht ganz ernst.
„Weßte mien Jung", so begann eine jede Unterhaltung mit ihm, ein jeder Ratschlag, eine jede Geschichte, auf meinen fragenden Blick wartend, um fortzufahren.
„ Wir ham alle unsere Leidensgeschichten, eigentlich kann ich mit Recht behaupten, das hat jeder Seemann", er rührte während er sprach in einem der riesigen Röpfe, in welchem die Suppe kochte.
„ Der alte Hank", fuhr er fort. Hank war bereits ergraut, hatte einen eigensinnlichen Kinnbart, buschige Augenbrauen und eine solch heißere Stimme, dass es ich ein jedes Mal wunderte, dass er offensichtlich keinerlei Schmerzen hatte, wenn er sprach.
„ Er hat's sich mit den Banken verscherzt. War mal nen Reicher, bei den hohen Tieren mit dabei, aber zu intelligent und die Herrschaften über ihm mochten das nicht. Ham ihm alles weggenommen."
Es war spät in der Nacht gewesen und Hatschi stand immer noch hinter dem Herd, weil die Suppe nun einmal einen halben Tag ziehen musste, um ihr volles Aroma zu entfalten.
„Benjamin", war der nächste Name, den er nannte. Ben war rothaarig, hatte viele Sommersprossen und eine doch recht dunkle Haut, dafür dass er im Winter schneeweiß war, leider bekam er auch viel schneller Sonnebrand als alle anderen. Er war um die 28, aber froh, durch mich als Kücken abgelöst worden zu sein. Ben gehörte zu den Männern, welche einem Nächte lang über die verschiedensten Eroberungen erzählen konnten. Ob er nun übertrieb, log oder die Wahrheit sagte, das wusste ich nicht.
„Der Gute war mit ner wunderschönen Frau verheiratet, jedoch hat sie ihn nie geliebt. Hat em das Herz gebrochen", fuhr Hand fort, immer ließ er mir etwas Zeit nach einem Namen, vielleicht hatte er erkannt, dass ich automatisch sämtliche Eigenschaften der Person durchging.
Ob er das so wusste, bezweifle ich, er schien irgendwie zu merken, dass ich etwas mehr Zeit brauchte, als andere.
„ Und Paul", über Paul wusste ich nicht viel. Er war vielleicht auch 30, hatte oft ein grimmiges Gesicht, blondes Haar und sehr dunkle Augen. Er rauchte immer dieses eine Kraut, welches entsetzlich stank, in seiner Pfeife und wenn er einem Antwortete, dann in barschem Ton.
„ Er war ein uneheliches Kind eines Bürgermeisters, zu blöd, dass das alle wussten", Hatschi schien so ziemlich jede Leidensgeschichte an Deck zu kennen, jedoch konnte ich mir nicht vorstellen, dass er so wissbegierig war.
Viel eher war er eine solche Vertrauensperson, dass die Leute immer von sich aus ihm alles erzählten. Wenn ich die Veranlagung dazu gehabt hätte, viel zu sprechen, hätte ich dies eventuell auch getan.
„Aber der Käpten hat wohl eine der schlimmsten Sachen durchgemacht. Er hatte einen Traum, weiste? Wollte Dichter werden oder Schriftsteller, hat bis heute ganze Bücher voller Geschichten, Novellen und Gedichten und die sind wirklich gut. Sein Vater hat es ihm verboten. Er war mal gut situiert, hät die Fabrik seines alten Herrn übernehmen, die Frau heiraten sollen, die er ihm zugedacht hatte. Na ja, du kennst ja unsern Käpten, zumindest wenn er mal nüchtern ist, auch wenn das selten vorkommt. Er hat sich halt geweigert und jetzt isser hier.
Das Mädchen, das er ham wollte, wurde im Meer gefunden, er hat se gefunden", Hatschi schüttelte mitleidig und scheinbar zutiefst betroffen den Kopf. Sein Gesicht hatte diesen eigenartig bekümmerten und melancholischen Ausdruck angenommen.
„ Sein Vater hat ihm von zwei angeheuerten Kerlen die Finger so brechen lassen, dass er bis heute beim Schreiben schmerzen hat", und somit endete seine Erzählung und in der Küche war es kurz so still, dass ich mich nicht wagte, etwas zu sagen, auch nur laut Luft zu holen.
„ Hier siehst Jung, es geht nicht darum, was mit einem geschieht, sondern darum, was man daraus macht. Ein jeder Ereignis prägt einen, wenn man es zulässt, macht einen zu dem Menschen, der man ist. Der Käpten hats nie verkraftet, hängt seitdem an der Flasche und schon ein paar Mal musste ich ihn davon abhalten sich in die Wellen zu stürzen."
Hatschi sah abwesend aus einem der Bullaugen, als könnte er in der Finsternis etwas erkennen, abgesehen von dem Mond, den Sternen und dem Glitzern auf den Wellenkämmen.
Es war mehr als eindeutig, dass er ein Gespür für Menschen hatte und, auch wenn es albern klingt, dieser dicke, behaarte Mann, mit dem herzlichen Lachen, erinnerte mich an Emily.
Erst ab diesem Gespräch, falls man es so nennen konnte, da ich eigentlich geschwiegen hatte, wurde für mich das bis jetzt unverständlich Verhalten des Käpten greifbarer. Und er war zerstörter, als erst angenommen.
Seine Augen von einem solch erschlagenden Schmerz durchzogen, von einer Leere, die mich ein jedes Mal unweigerlich etwas zurück schrecken ließ. Zuvor war es mir schon immer schwer gefallen, ihn anzusehen, jedoch, mit dieser Geschichte im Hinterkopf, wurde zu einem beinahe unmöglichen Unterfangen.
Nach etwa einer Woche verschlechterte sich das Wetter drastisch, der Wind zog stärker an dem Schiff, er heulte lauter, einem Raubtier ähnlich und die Wellen wurden größer.
Die Besatzung war unruhig und selbst White schien beunruhigt, was an daran merkte, dass er noch mehr trank. Selbst Hatschi, der ansonsten ein vollkommen ausgeglichener Mensch war, wirkte angespannt.
Laut schallten Befehle über das Deck, gegen den Lärm der Naturgewalt anbrüllend. Jeder musste mit anpacken und ich sah deutlich die Angst in den Augen der Anwesenden, als die tief schwarze Wolkenwand sich vor uns auftürmte. Der Wind fauchte bereits und obwohl es erst Nachmittag war, wurde es von Minute zu Minute dunkler, als ob die Nacht bereits hereingebrochen sei.
Ich stand, unfähig mich zu rühren, den geschrienen Anweisungen der anderen nachzukommen, mitten auf Deck. Mein Herz hämmerte gegen meine Brust, mir war übel, es schnürte mir den Atem ab und das Blut rauschte in meinen Ohren.
Ein erster, gleißend heller Blitz erhellte die Dunkelheit und nur einen Herzschlag später ließ der ohrenbetäubende Donner das ganze Schiff erbeben.
Der Wind setzte aus, es war vollkommen ruhig, kein Blitz, kein Donner und ich hörte mein Herz so laut pochen, wie noch nie. Alles war verstummt, selbst die Mannschaft, als hätte jemand die Zeit angehalten.
Und dann fing es an.
In Sekundenschnelle hatte es uns überrollt, die Wellen schlugen hart gegen den Bauch des Kahns, wurde Berghoch und die Mannschaft arbeitete im Akordtempo, dem unabwendbaren Untergang entgegen. Die restliche Ware wurde befestigt, schlitternd rutschten sie über das Deck, sich an allem festhaltend, was nur greifbar war, wenn eine Welle das Deck überschwemmte und sich an der Hoffnung festkrallend, das White seine Coeur nicht wieder untergehen lassen würde.
Der Käpten stand grölend und jauchzend hinter dem Steuer, gegen das reißende Ungetüm von Gewitter anlachend, die nasse Zigarette noch zwischen den Zähnen.
Jemand packte mich, bevor ich fähig war mich zu rühren oder wehren, wurde ich auch schon, die wenigen Stufen hinab, unter Deck gezerrt und strauchelte Hatschi hinterher.
Nach wie vor hielt er mich am Handgelenk gepackt, meine Haut brannte an dieser Stelle unangenehm und Panik stieg in mir auf, durch den plötzlichen, heftigen und vor allem von mir nicht gewollten Körperkontakt ausgelöst.
Ich hatte komischerweise keine Angst mehr vor dem Gewitter, sondern nur davor, noch mehr angefasst zu werden, auch wenn es nur Hatschi war. „Bleib in der Nähe der Treppe und halt dich gefälligst fest Jung. Wollen keinen bei de Unwetter verliern", seine Worte wurden von dem Donner und dem heißeren Gelächter des Käpten untermalt.
Dumpf klang dessen Stimme durch die Decke, als er gegen das Gewitter anbrüllte: „ Na los, hol uns doch."
Und so hatte sich die so atemberaubend schöne See innerhalb kürzester Zeit in einen alles verzehrenden, schwarzen Schlund verwandelt. Das Schiff wurde, einem Spielzeug gleich, von den Wellen hin und her gestoßen, es ächzte und stöhnte unter dieser enormen Belastung, wie ein lebendes Wesen.
Das Heulen des Windes war beinahe schmerzhaft laut geworden, als hätte sich ein Rudel Wölfe um uns geschart, der Donner war ihr Markerschütterndes Knurren oder das Trampeln einer panisch rennenden Bisonherde.
Eine unangenehme Gänsehaut spannte sich über meinen ganzen Körper, ließ mich erzittern und die Rufe der Crew waren völlig verstummt. Neben dem lauten Lachen des Käpten war nur Hatschis leises Gemurmel zu hören.
Er hatte den Anhänger seiner Kette, ein Kreuz, mit beiden Händen umschlossen und bewegte die Lippen, ein Gebet nach dem anderen wispernd. Sie sollten mir wohl bekannt vorkommen, die Heiligkeiten, zu denen er, in auswendig gelernten Psalmen, sprach, aber das taten sie nicht.
Ich war und bin nicht gläubig, begriff aber in dieser Stunde, der alles erdrückenden Angst, dass die Menschen zu etwas beten mussten. Einem Licht in der Hoffnungslosigkeit. Auch ich hatte Angst, nicht aber um mein Leben oder vor dem Ungewissen, was auf einen wartete, sondern davor nicht zu finden, was ich suchte.
Mir wurde klar, dass nur Götter diese so große Welt hätten erschaffen können, vielleicht auch lenkten, aber ihnen unterordnen, das wollte ich nicht. Vielleicht waren sie auch einfach verschollen, verloren gegangen in der Zeit und dem Raum.
Meine Suche hatte erst begonnen, ich wusste damals nicht, wie lange sie doch sein würde und wäre es nicht eine Ironie des Schicksals gewesen, wenn sie jetzt schon geendet hätte?
„Hab keine Angst", das waren die ersten Worte, welche mir seit Stunden über die Lippen kamen und mit einer unverrückbaren Zuversicht, absoluter, kindlicher Sicherheit, sah ich Hatschi an, ein Lächeln auf den Lippen, welches falsch in dieser Situation wirkte, mir aber vollkommen richtig erschien.
Mehr Mals überflutete es das Deck, Wasser kam hinab in die engen Gänge und stand dort bereits Knöchelhoch. Mehrere Bullaugen waren zerbrochen und während das Gewitter tobte, herrschte hier unten, trotz der nun vielen Anwesenden, Grabesstille.
Hatschis Augen weiteten sich, al er meine Worte hörte, er hielt in seinem Gebet inne, den Mund noch leicht geöffnet. Sein ganzes Gesicht, ein jeder Muskel, war bis aufs Äußerste angespannt, die Pupillen stark geweitet, sodass seine Augen beinahe schwarz waren und er war unfähig zurück zu lächeln.
Die Fassungslosigkeit in seinem Gesicht spiegelte sich in denen der anderen Anwesenden wieder und doch realisierte ich eine Veränderung. Sie begannen ruhiger zu atmen und ihre Gesichtszüge entspannten sich, auf Hatschis Lippen bildete sich ein unsicheres Lächeln.
„Und ich dachte, dich müsste man beschützen", wisperte er. Fragend zog ich die Stirn kraus, wusste nicht was ich davon halten sollte.
Das Unwetter war so plötzlich vorbei, wie es angefangen hatte und die tief schwarzen Wolken wurden von einem Sternenklaren Himmel abgelöst. Abgesehen von den zerbrochenen Scheiben, hatte lediglich der Lack Schaden genommen. Auch wenn er zuvor in dicken Streifen abgeblättert war, nun war doch jetzt, nach dem Sturm, nicht mehr viel Lack übrig, der hätte abblättern können.
White hing, gänzlich durchnässt, aber mit einem zufriedenen Lächeln auf den Lippen, mit seinem Oberkörper auf dem Steuerrad. Irgendwie kam es mir so vor, als wäre er lebendiger, vielleicht war ich aber auch die einzige Person, die dies so empfand. Er sah aus, als wäre er aus einem langen Trau erwacht und doch würde dies nicht lange anhalten.
Eine Woche später legten wir in einem Hafen, in einem völlig fremden Land an. Die Menschen hier hatten eine natürliche Bräune, einige dunkles Haar und ihre Sprach hörte sich an wie ein eleganter Sing-Sang. Ich verstand kein Wort, jedoch schienen einige der Besatzung bereits öfter in diesem Land unterwegs gewesen zu sein und konnten sich Bruchstückhaft und mit schrecklichem Akzent verständigen.
Das Land war trocken, nur hie und da war trockenes Graß zu sehen, Nadelbäume säumten die Küste, Palmen und Weinstöcke, hoher Schilf und trockenes Gestrüpp säumten die Küste.
Die Häuser waren in hellen Erdtönen, Sonnengelb oder Rottönen gestrichen, bunt strömten Massen an Leuten über die Märkte, von welchen ich mich fern hielt.
Hatschi hatte mich einmal mitgenommen, um ihm beim Tragen zu helfen, da er einiges an Lebensmitteln besorgen musste. Bereits als wir durch die kleinen, im Schatten liegenden Gassen liefen, durch welches ein warmer, trockener Wind strich und mir leicht in den Augen brannte, hörte ich das Stimmengewirr zahlreicher Leute lauter werden, wie ein näherkommender Bienenschwarm.
Ein mulmiges, aber vor allem ungutes Gefühl nistete sich tief unten, bei meiner Magengegend, ein und je näher wir der Masse kamen, desto schlimmer wurde es.
Mein Atem beschleunigte sich deutlich, das Herz pochte gegen den Brustkorb und die Angst schnürte mir endgültig die Kehle zu, als wir aus den Gassen, auf einen, in hellem Sonnenlicht liegenden, Marktplatz kamen.
Ich hatte noch nie so viele Menschen auf einem Fleck gesehen, stolperte, in anschwellender Panik, Hatschi hinterher und realisierte erst, als sich die Menschenflut hinter mir schloss, dass ich gefangen war.
Gefangen von meiner Angst und den tausenden, verschiedenen Eindrücken, die alle gleichzeitig auf mich einprasselten.
Zwei Damen rechts von mir unterhielten sich so rasend schnell, dass ich nicht einmal einzelne Worte aus ihrem Kauderwelsch heraus hören konnte. Die eine hatte ein sehr starkes, viel zu süßes Parfüm aufgetragen, die andere wiederum roch nur dezent nach Blumen, Lavendel und Zitrone, jedoch wurde dieser Geruch beinahe vollkommen von dem starken Moschusgeruch einer Männerparfüms übertüncht.
Links von mir schrie ein Kind ohrenbetäubend laut, hoch und kreischend, die Mutter sprach beruhigend auf dieses ein, sie hatte eine recht tiefe Stimme für eine Frau und schaukelte es in ihren dünnen Armen hin und her.
Unter den Augen hatte sie tiefe Augenringe, sie wirkte übernächtigt, die braunen, glatten Haare hatte sie irgendwie zusammen gebunden, das Kind schrie weiter und streckte die kleinen Händchen nach ihrem Gesicht aus.
Es wollte Aufmerksamkeit, mehr nicht.
Erneut das laute Gelächter der Frauen, beide waren bereits leicht ergraut, hatten dicke Klunker an den Ohren, klappernde Absätze.
Ein Mann stieß mich an, kleiner als ich, breitschultrig, das Gesicht rot und zerknautscht, er roch nach abgestandenem Rauch und Schweiß. Die Wangen waren von kleinen Narben übersäht, Kratern ähnlich, er hatte einmal stark Akne gehabt. Aggressiv fuhr er mich an und lief weiter, eines seiner Augen war von einem, bereits beinahe vollkommen verblassten, Blauschimmer umgeben gewesen, einem Veilchen.
Vor mir lief ein anderer Herr, den Rücken durchgedrückt, wich den Leuten geschickt aus, wirkte sehr aufmerksam. Ein Kind stieß gegen mich, blond gelockt, lief weiter.
Der Herr schob sich an einer Frau mit Korb vorbei, sie war jung, rötliches Haar, volle Lippen, hatte Gemüse eingekauft, die Frauen trafen auf einen bekannten Herrn ihres Alters, das Baby schrie lauter, ein Marktschreier pries, den bereits schlechten und tropfenden Fisch in der Hand, seine Ware an.
Schweißgeruch, Körper, die an meinem waren, ich taumelte, die junge Dame mit dem Korb sprach mich an, eine steile Sorgenfalle zwischen den Augenbrauen. Grüne Augen, eine feine Narbe am Kinn, Stupsnase.
Mein Herz raste, ich hyperventillierte, mehrere Augenpaare ruhten auf mir, ein Herr hatte Krümel auf seinem braunen Hemd, der Lippenstift einer Frau war leicht verwischt, Rosenduft und plötzlich zog mich jemand mit sich.
Zwei Körper trugen den meinen und erst weit abseits der Menge, als der Lärm wieder verstummt war und meine Atmung sich wieder beruhigt hatte, erkannte ich Hatschi und einen anderen Mann vor mir.
Er hatte dunkle, olivene Haut, schwarzes, kurzes Haar, einen Drei-Tage-Bart und dunkelbraune Augen, die wie zwei Kohlen aussahen. Sein Lächeln war herzlich, die Zähnte wirkten weiß durch seine Hautfarbe und die mehrmals gebrochene Nase hing leicht schief in seinem Gesicht.
„ 'r steht unter Schock. 'at vielleischt etwas su viel Sonne ahbbekomme und dann die viele Leut'he", sagte er mit einer sonoren Stimme und in dem landestypischen Akzent zu Hatschi.
Dieser schüttelte lediglich den Kopf: „Wie geht's dir, Jung?"
Ich schüttelte ebenfalls den Kopf, löste meine Hände, die sich krampfhaft in meine Hose gekrallt hatten. Mein Herz raste nach wie vor, jedoch bekam ich wieder besser Luft und zwang mich zur Ruhe. Die Angst saß tief und bei Hatschi schien nun endgültig ein Licht aufzugehen, ihm wurde klar, was mich so belastet hatte.
„Weßte Chuck", begann er, wurde von diesem aber gleich verbessert: „ Jacque."
„Ay, Chucke. 's gibt Leut, die ham einfach vor andern Sachen angst, als mir und die meiste", das junge, beinahe vollkommen faltenfreie Gesicht von Jacque verzog sich fragend. Er musterte mich, wich aber meinem Blick aus, als ich zurück sah.
„Isch verstehe nischt...", sagte er, Hatschi aber überhörte seine Frage und sah mich prüfend an: „ Alles in Ordnung?"
Ich nickte, Jacque verzog missbilligend darüber, dass er ignoriert wurde, das Gesicht und Hatschi grinste zufrieden. Ich hatte diese Art Lächeln schon öfter gesehen, es ähnelte dem meiner Mutter, wirkte fürsorglich, so wie ein Vater sein Kind anlächeln sollte.
„Kannste Chuck", „Jacque", wurde er wieder berichtigt und verdrehte die Augen: „ mal mit zum Schiff nehmen. Henry bleibt hier, er bekommt seine Koje."
Erneut nickte ich lediglich und sah Hatschi hinterher, bis er in dem Labyrinth aus Gassen verschwunden war. Ungeduldig knackte Jacque mit seinen Fingerknöcheln, einen jeden Finger lang ziehend und verrenkend: „ Alors, könne wir?"
Er stapfte unentschlossen voraus und eine Weile hallten lediglich unsere Schritte durch die Gassen. Die Sonne sank wieder, der Himmel war nicht mehr so strahlend blau, sondern wirkte ausgewaschen. Es war angenehm kühl in den Häusergassen , der starke Wind des Meer zerrte an den Fassaden, von den meisten Häusern blätterte der Putz ab und je weiter wir uns dem Hafen näherten, desto kleiner wurden die Häuser und desto lauter das Gekreische der Möwen. White nannte sie Ratten der Lüfte und oft hörte man ihn wütend brüllen, wenn einer dieser Vögel ihm sein Brot klaute.
Wenn sie seinen Schnaps trinken würden, dann hätte er wohl eine neue Sportart für sich entdeckt: Möwenerlegen.
Irgendwann unterbrach Jacque das Schweigen, er hielt es nie sehr lange aus, nicht zu reden: „ Euer Khapitän, aht er immer noch diese Alkoholproblemé?", ich kam nicht einmal zum Antworten, da er mir nur einen kurzen Blick zuwarf und dann theatralisch das Gesicht verzog.
„Isch möschte eigentlich nur auf die Insel, auch wenn sie meine Leute dort nischt leiden können", sprach er weiter und fuhr sich mit den recht feingliedrigen Händen durch die Haare.
Er wirkte nicht so, als wäre er körperliche Arbeit gewohnt. Jacque war schmächtig, dünn, mit schmalen Schultern und doch sah man bei einer jeden Bewegung die Muskeln deutlich unter der Haut.
Jacque sprach viel, wie bereits erwähnt, er war ein lustiger Mensch, der gerne und viel lachte, kein Blatt vor den Mund nahm und sich selbst einen Traum erfüllen wollte.
„Isch ane es mir geschwore", sagte er, eine Zigarette zwischen den Lippen, als wir auf Deck standen und seine Heimat seit gut 5 Tagen hinter uns gelassen hatten.
„Isch werde eine jede Tag leben, als wäre es die Letzte", dabei sah er mich entschlossen an.
„Und wie Jack?", fragte ich nach, mich auf die Brüstung lehnend.
„Alors.... Jucke... das gefällt misch", meinte er feixend, antwortete mir jedoch vorerst nicht.
Die ersten Tage hatte er angenommen ich sei stumm und da Jacque ein schneller lerner war, aufmerksam und geschickt, passte er sich an mich an, so wenig Körperkontakt zu mir aufbauend, wie es ihm möglich war.
Jedoch, statt mich zu meiden, kam er sehr häufig zu mir, redete viel und als ich dann etwas fragte, ich hatte bis zu diesem Zeitpunkt nicht einmal realisiert, dass ich noch nie mit ihm gesprochen hatte, da wäre er vor Schreck beinahe über Bord gegangen.
„Mon dieu, isch dachte", rief er aus, sich, wie so oft, theatralisch an die Brust fassend.
Jacque war nicht einmal annähernd so schwach, wie es vielleicht auf den ersten Blick erschien. Er stemmte zwar nicht so viel wie manch andere, war dafür aber flink und wendig, rutschte nicht oft aus und hatte gelernt mit seiner Statur und einer gewissen Technik dasselbe Resultat zu erzielen, wie andere mit bloßer Muskelkraft.
Es erschien einem, als würde ihm jede Arbeit leicht fallen, er lachte, er scherzte, erkam so gut wie nie ins Schnaufen und erfüllte trotzdem die die Ansprüche zur Genüge.
„ Es ihst unglaublisch", meinte er, entspannt an die Reling gelehnt und gen Horizont zu der untergehenden, nun feuerroten Scheibe blickend. „ Man sieht es, wie du immer breiter wihrst, immer großer uhnd sich deine Muskeln formen", fragend sah ich ihn an.
„ Als isch disch kennen gelernt abe, warst du ein Jünge, doch von Tag su Tag verlierst du dies. Es ist seltsam und fasinierent", er hatte dieses selige Lächeln auf den Lippen.
Es war eigenartig, dies zu hören und zum ersten Mal, seit vielen Wochen, fragte ich mich, wie ich mich verändert hatte. Hatschi hatte es das eine oder andere Mal angedeutet, gemeint, dass ich zum Mann würde und die Erklärung für seine Aussage nun aus Jacques Mund zu hören, irritierte mich.
Mir wurde flau im Magen, Angst machte sich breit, auch wenn ich diese nicht benennen konnte, ich wollte nicht in einen Spiegel sehen.
Es heißt doch immer, dass der Sohn dem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten ist. Was war, wenn genau dies auf mich zutraf. Ich wollte nicht in sein Gesicht blicken, jedoch in ihres auch nicht. Was wenn der Schmerz zurück kam?
Es war ein Zwiespalt, etwas, wovor ich nicht wirklich weglaufen konnte, wie sollte ich es auch anstellen mir nicht mehr zu begegnen? Wo es Menschen gab, gab es auch Spiegel, Gläser und selbst in Teichen starrte ich mir entgegen.
Jacque plapperte weiter, von seinem Leben, seiner Familie, Trinkgelagen, Freunden und vor allem von Frauen. Wenn es nach ihm ging, hatte er bereits ganz Paris gehabt.
Abwesend sah ich gen Horizont, versuchte die Angst zu verstehen, mein hart hämmerndes Herz und den Grund dafür. Ich sah nur immer wieder sein Gesicht vor mir, diese dunklen Augen, welche mich kalt anblickten und in denen der letzte Lebensfunke zu erlischen drohte.
Er stellte all das dar, was ich nicht sein wollte, wovor ich mich fürchtete, Aussichtslosigkeit, sodass nichts bleibt.
Lange war ich wach, bis in die frühen Morgenstunden und beschloss, es nicht zu tun, beschloss mich zu meiden. Ich war zufrieden, so wie es war, was interessierte es mich, wie ich aussah?
Und doch, ich merkte es selbst, seitdem mich Jacque darauf aufmerksam gemacht hatte, dass mein Körper von Tag zu Tag stärker wurde, die Muskeln größer, sehniger, wie sich mein Bauch formte, die Oberschenkel, die Arme und, wenn ich mit den nun rauen Fingern, über mein Gesicht strich, war auch dieses kantiger geworden.
Die weichen Backen, wurden durch hohe Wangenknochen ersetzt, der dünne Flaum von wuchernden, harten Stoppeln, welche ich nicht mehr abrasierte. Mein Bart wurde länger, nicht so wie Hatschis und wesentlich heller.
„ Mon dieu", dies war einer von Jacques liebsten Ausrufen, man hörte ihn meist über das ganze Deck und wusste, dass ihm wieder irgendetwas nicht gefiel.
„ Ehrlisch, du wärst schön, fahst so schön wie misch", meinte er, an dem Tau ziehend und die Ladung sichernd. Er wirkte dabei, als würde ihn diese schwere Arbeit kein Stück anstrengen, während ich bereits nach Luft hechelte.
Ich verdrehte gespielt die Augen, ein Schmunzeln auf den trockenen, durch den Wind und das Salzwasser etwas rissigen Lippen. Gespielt empört boxte mir Jacque, dabei darauf achtend nicht meine Haut, sondern lediglich den Stoff meines Hemdes zu berühren, gegen meine Schulter.
„Du ahst deine Augen verdreht. Wird aus dir doch noch eine Mensch wo Emosionen seigt?", er wirkte ernsthaft verblüfft, jedoch auch irgendwie glücklich. Vor einer Woche noch wäre solch eine Geste bei mir vollkommen untypisch gewesen, ich war nicht besonders gut darin, mit anderen zu spaßen.
Über mich selbst erstaunt hielt ich kurz inne, ließ das Seil locker und Jacque fluchte laut, als er alleine an diesem ziehen musste und ein Stück nach vorne gezogen wurde. „Merde, ahlt es fest", schimpfte er mit mir.
Hastig griff ich nach dem Ende und half ihm wieder, es fest zu ziehen. „ Alors, wo war isch. Ach ja...", dabei zog er vielsagend die Augenbrauen hoch und musterte mein Gesicht.
„ Deine Gesischt, isch sehe es nischt, weil da so eine Gestrüpp ist", meinte er spöttisch und zog spielerisch an meinem Bart. „ Das müss ab, wir wollen ja, dass dü in die nächste Hafen eine Dame bekommst."
Er würde mich mehr prägen, als er es selbst jemals annehmen könnte, mehr als ich damals dachte und was ich jetzt erst begreife.
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