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Nervös setzte ich den schwarzen Edding auf die kalte, graue Oberfläche der Spinde und schrieb drauf los. Mit jedem dunklen Strich wurde mein Lächeln breiter, mit jedem Strich vergaß ich, was ich da überhaupt tat. Ich wusste, dass das, was ich da tat, Konsequenzen haben würde. Aber warum sollte mich das kümmern? Vielleicht hatte ich keinen Grund, dieses Verhalten an den Tag zu legen, doch auch niemand gab mir einen Grund, es nicht zu tun. Meine Freunde hielten es für cool, solche Sachen zu veranstalten. Ob mir das gefallen sollte, wusste ich noch nicht so recht. Aber was tat man nicht alles dafür, um in einer Gruppe akzeptiert zu werden?
Mittlerweile war ich fertig mit meinem Kunstwerk und knipste zum Abschluss ein Beweisfoto mit meinem Handy. Die Farbe des Permanentmarkers glänzte frisch und wurde vom durch das alte Fenster fallende Vollmondlicht angeleuchtet. Ich fragte mich allmählich, wie Jan dem Hausmeister unbemerkt die Schlüssel für das Schulgebäude abgeluchst hatte, doch schnell schob ich den Gedanken beiseite.
Nichts wie weg hier...
Wie vom Teufel persönlich gejagt flitzte ich über die hässlichen, grünen Marmorfliesen, rannte mit quietschenden Gummisohlen durch die Flure. Hoffentlich würde den Jungs meine Mutprobe gefallen, hoffentlich würden sie mich dann akzeptieren und in ihre Bande aufnehmen.
Endlich hatte ich den Ausgang erreicht. Mit voller Wucht warf ich mich gegen die Tür und vergaß leider, dass ich sie aufziehen musste.
"So ein Dreck...", knurrte ich und rieb mir die Schulter, ehe ich die schwere Tür öffnete und ins Freie trat. Meine Freunde standen bereits mit verschränkten Armen vor mir, nur darauf wartend, dass ich ihnen das Foto von meinem Kunstwerk zeigte.
"West. Der Schlüssel, dann das Bild." Jan sog scharf Luft ein und ließ sich von mir den Schlüsselbund des Hausmeisters überreichen, anschließend musste ich ihm das Handyfoto zeigen.
"Nicht schlecht", grinste er und zupfte an seinen schwarzen, kurzen Haaren herum. "Den Namen darunter hätte ich persönlich weggelassen, West, aber sonst ist das ganz schön gelungen."
Ein kleines Schmunzeln umfuhr meine blassen Lippen: "Dann hat es sich ja gelohnt."
"Natürlich hat es sich das. Du bist dabei." Er streckte mir seine Hand aus.
Lächelnd nahm ich sie entgegen, und mit einem kurzen Händedruck war es besiegelt; ich war in der Bande. Nun gehörte ich offiziell zu Jan und seinen Rebellen...
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"Celeste Lilyan West! Was ist in dich gefahren, wieso zum Teufel hast du das getan?" Zornig und beschämt sah meine Mutter mich an, nachdem sie den Telefonhörer weggelegt hatte.
Die Rektorin der Schule hatte vorhin angerufen: Da ich es mir nicht nehmen lassen konnte, mein Kunstwerk letzte Nacht zu signieren, war es für die alte Schnepfe wohl kein Problem gewesen, die Urheberin festzustellen. Und nun hatte sie schon seit heute Morgen mit meinen Eltern telefoniert, bis in die Nachmittagsstunden hinein. Heute war bereits der letzte Schultag, mein Zeugnis durfte ich mir dennoch nicht persönlich abholen - wahrscheinlich hatte die Frau Angst vor mir...
Nervös kaute ich auf den Nägeln herum und spielte an meinen hellbraunen Haarsträhnen, während ich mit meinen Eltern in der Küche saß und mir ein gewaltiges Donnerwetter anhören durfte.
"Wir reden mit dir!", rief mein Vater aufgebracht und schlug mit der Handkante auf den alten, weiß angestrichenen Holztisch.
Ich zuckte zusammen: "Was wollt ihr denn hören?! Es ist, wie es ist! Soll ich etwa leugnen, was ich getan habe?"
Mein Vater knurrte: "Sag uns einfach, wie man auf so einen Scheiß kommt! Wieso schmierst du mitten in der Nacht die Spinde der Schule voll?"
Eigentlich hätte ich ihnen gerne erklärt, dass das die Mutprobe für meine Bandenaufnahme gewesen war. Aber das hätten sie doch eh nicht verstanden, in der Erwachsenenwelt ging es bestimmt nicht mehr darum, zu eine coole Clique zu gehören...
"Lilyan, bitte gib uns endlich eine Antwort!", forderte meine Mutter mich energisch auf.
Wie sehr ich es doch hasste, meinen Zweitnamen zu hören zu bekommen... Was hatten meine Eltern bei dieser schrecklichen, exotischen Namensgebung eigentlich gedacht? Und wenn sie mir schon einen Zweitnamen auf den Ausweis klatschen mussten, wieso dann bitte Lilyan? Waren die anderen Namen nicht kreativ genug oder was?
"Celeste", korrigierte ich, "ich will meinen Rufnamen und meine Ruhe, verdammt, und sonst nichts!" Hastig sprang ich vom unbequemen Stuhl auf: "Ich packe jetzt meine Koffer für später."
"Weißt du was? Du bleibst hier!", schnauzte mein Vater mich an. "Frau Leitner hat im Übrigen schon am Telefon klipp und klar gemacht, was für Konsequenzen das nach sich zieht. Du fliegst. Aber nicht mit uns nach Amerika, sondern von der Schule!"
Einen Moment hielt ich inne und drehte mich fassungslos um: "Sie... Ich... Was?!"
"Du hast schon richtig gehört. Wenn du schon einen Tag vor den Sommerferien den Sittich machst, dann darfst du die ersten drei Wochen bei Tante Karina verbringen. Da kannst du garantiert besser nachdenken als in Amerika."
Meine Kinnlade rutschte augenblicklich eine Etage tiefer: Sie wollten mich ernsthaft zu meiner Tante nach Baden-Württemberg abschieben? Für ganze drei Wochen sollte ich mir meine nervtötenden Cousins antun und für ganze drei Wochen wie bestellt und nicht abgeholt herumsitzen?!
Mir fehlten die Worte...
"So, aber nun pack ruhig deinen Koffer. Es ist bereits alles abgeklärt, der Zug kommt heute Abend, eine halbe Stunde vor unserem Flug." Meine Mutter deutete mit dem Zeigefinger auf den Türrahmen, woraufhin ich völlig schockiert auf mein Zimmer ging und mich an den Schreibtisch setzte.
Irgendwie war ich gerade viel zu fertig, um einfach loszuheulen. Ich konnte sie ja einerseits verstehen, denn seit Jan hatte ich nur noch Mist gebaut. Hatte angefangen den Lehrern auf den Keks zu gehen, hatte angefangen mich zu prügeln, hatte mein vorher so gutes Leben auf den Kopf gestellt.
Ich holte mein von außen leuchtend orangefarbenes Handy hervor, klickte auf das WhatsApp-Logo, dann auf einen Chat.
'Jette ♡ - zuletzt online: 15:16 Uhr', prangte auf der oberen Leiste, und ein winziges Lächeln zeigte sich auf meinem traurigen Gesicht. Meine Freundin war noch vor ein paar Minuten online gewesen, und ich musste ihr einfach erzählen, was los war. Hoffentlich reagierte sie schnell...
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