Kapitel 5


Wir haben Pause. Mittagspause. Bald ist die Schule vorbei, zum Glück. Ich habe mir geschworen, bis zum Ende der Schule zu bleiben, obwohl es heute Morgen nicht so toll gewesen ist. Ansonsten ist der Unterricht ziemlich in Ordnung gewesen.

Ich stehe in der Schlange vor der Essensausgabe und warte. Kartoffelpüree mit Gulasch... lecker...

"Ich hasse das Mensaessen!" meckert das Mädchen hinter mir. "Das schmeckt immer wie Klopapier!" Ich sehe sie mir genauer an. Sie ist nicht in meiner Klasse, vielleicht ein Jahr älter als ich.

"Wie kannst du denn sagen dass es nach Klopapier schmeckt?" mische ich mich in ihre Unterhaltung ein. "Was?" Das Mädchen und ihre Freundinnen sehen mich verwirrt an. "Hast du Klopapier etwa schon mal gegessen, oder warum weißt du, das es so schmeckt."

"Was?" wiederholt sie sich. "Ich kann dir jedenfalls versichern, dass im Essen kein Klopapier drin ist!" rede ich weiter. Ich komme langsam richtig in Fahrt. Das Mädchen sagt einfach gar nichts. Stattdessen eine ihrer Freundinnen: "Hey, du bist doch die Zicke aus der Neunten, oder? Der mit ihm zusammen ist."

"Was?" sage ich jetzt. "Ja, stimmt, dass ist sie. Aber ich habe gehört, dass sie seine Ex ist! Besser so." stimmt auch das Mädchen zu. Langsam merke ich, dass ich den Mund zu weit aufgerissen habe. "Ja, kann sein, jedenfalls waren sie mal zusammen." erklärt wieder das andere Mädchen. Das Mädchen, was ich angefaucht habe, hat sich jetzt auch wieder gefangen. "Ach, du bist es! Wie heißt du nochmal?" es klingt ziemlich spöttisch.

"I-ich..."

"I-ich..."

"Oh, hat es dir die Sprache verschlagen?"

"Wir waren bei einem ganz anderen Thema!" erinnere ich die drei. "Na und?" Das Mädchen schubst mich. "Misch dich bei nächsten Mal nicht einfach so ein, klar?!"

Die drei drängeln sich vor mich. Na toll! Aber dieses Mal bin ich selber Schuld gewesen...

Als ich mein Essen bekommen habe, sehe ich mich im Raum um. Ich will mich neben den Jungen setzen, der auch im Unterricht neben mir sitzt! Ich sehe Marilyn, die wieder 2 kg Make-up im Gesicht hat. Sie starrt mir direkt in die Augen, ich sehe genauso intensiv zurück. Neben ihr ist noch ein Platz frei, auf der anderen Seite sitzen die weiteren Mädchen aus meiner Klasse. Ich laufe den Gang weiter entlang, halte weiter Ausschau nach dem Jungen. Ich will seinen Namen wissen... Ich bleibe abrupt, sodass mein Essen auf den Boden kullert. Na toll! Das Geschirr klappert laut und es wurde sofort ruhig in der Mensa. Auf einmal sehen ALLE nur MICH an! Wie ich das hasse. Ich hasse das!

Ich bücke mich langsam um das zerbrochene Geschirr aufzuheben, zwei Frauen aus der Küche eilen auf mich zu. Etwas unbeholfen hebe ich alles auf, spüre die Blicke in meinem Nacken. Ein paar Leute lachen sogar.

Das ist so unfair! Warum muss das alles immer mir passieren?!

Die eine Frau nimmt mir mein Tablet ab, wo das zerbrochene Geschirr drauf liegt, das Besteck und die jetzt schmutzige Serviette. Die andere Frau wischt den Boden.

"D-danke." bedanke ich mich bei den zwei Frauen. Meine Stimme ist brüchig. "Kein Problem, kann ja jedem Mal passieren." sagt die Frau mit dem Wischmopp lächelnd. Ich lächle gequält zurück. Leider darf nur jeder eine Portion haben, weshalb ich mich einfach an einen Tisch setze, ganz am Rand, während ich um mich herum das Getuschel mit anhören muss. Die ganze Schule hat das gesehen...

Ich versuche die Tränen zu unterdrücken.

Es hat einen Grund gegeben, weshalb ich so plötzlich stehen geblieben bin. In meinem Kopf hat es sozusagen "Klick" gemacht. Meine ganzen Träume von 'ihm', das ganze Gerede das ich einen Freund habe... Ist etwa der Junge mein Freund? Ist er deshalb so nett zu mir? Will ich deshalb in seiner Nähe sein?

Das würde jedenfalls Sinn ergeben...

Das Essen ist schon längst vorbei, wir haben noch 15 Minuten Pause und die meisten Leute sind schon draußen. Ein paar Mädchen sitzen noch in einer Ecke und reden.

"Okay, was ist los mit dir?" Ich schrecke zusammen und sehe hoch. Dort steht Marilyn und sieht mich leicht besorgt und leicht sauer an. Diese Kombination sieht ziemlich seltsam aus.

Ich schweige.

"Ich rede mit dir!" Sie schüttelt mich kurz durch. "Hör auf!" schreie ich sie an. Dann stehe ich auf. "Kannst du mich nicht einfach in Ruhe lassen? Ist das zu viel verlangt?!"

"Ich will dir doch nur helfen!" sagt sie.

"Helfen?!" wiederhole ich. "Du kannst mir nicht helfen!"

"Süße, ich weiß zwar nicht was mit dir los ist, aber..."

"Du sollst mich nicht Süße nennen!"

Sie seufzt tief. "Wir sind doch beste Freundinnen! Warum bist du jetzt so zu mir?" Ihre Stimme wird immer brüchiger. "Wir waren Freundinnen!" korrigiere ich sie. "Warum fährst du alle gegen die Wand?! Weißt du wie viele Freunde du verloren hast? Und was ist jetzt zwischen ihm und dir?"

"Wer ist verdammt noch mal 'er'?!" Diese Frage beschäftigt mich schon die ganze Zeit. Marilyn sieht mich entgeistert an. "Du weißt es wirklich nicht?"

Ist 'er' etwa sein Name? Nein, das kann gar nicht sein, schließlich heißt 'er' ja auch 'ihm' oder so. "Na..." Marilyn stockt. "Und heißt du jetzt Marilyn oder Mary?"

Das Mädchen findet keine Worte. Ich warte noch einen Moment, aber sie gibt mir keine Antwort. Ich laufe aus der Mensa hinaus.

Es hat angefangen zu regnen und die meisten Schüler sind wieder hineingegangen. Auch ich gehe jetzt wieder hinein. Ich laufe die Treppen hinauf, bis mir jemand den Weg versperrt. Naja, sie versperren mir nicht richtig den Weg, sondern stehen an Spinden und sehen mich eindringlich an, dass ich einfach stehen bleiben muss und sie ebenfalls anstarre. Wir sehen uns einfach nur an, ich will grade weiter gehen, da sagt ihr Anführer - Lloyd: "Was ist zwischen dir und Marilyn?"

Ich sehe in seine dunkelblauen Augen, die fast schwarz sind.

"I-ich... Was geht dich das an?" fauche ich. "Eine Menge." antwortet er kühl. Ist er etwa Marilyns Bruder? Nein, sie sehen sich überhaupt nicht ähnlich.

Ich überlege, ob ich einfach gehen soll, aber ich gebe mich doch nicht so leicht geschlagen! "Sie geht mir auf die Nerven." sage ich wahrheitsgemäß. Lloyd sieht mich einfach nur stumm an.

"Noch irgendwelche Fragen?" frage ich dann, ziemlich zickig. "Ja... Wo warst du?"

"Wie, wo warst du?"

"Warum bist du weggerannt?"

Was meint er bitteschön? "Kannst du nicht mal Klartext reden?!" zicke ich ihn an. "Anscheinend willst du nicht meine Fragen beantworten." schlussfolgert Lloyd. Ohne ein weiteres Wort gehe ich. Ich werde mich doch nicht vor ihm rechtfertigen!


Nach der Schule. Ich konnte immer noch nicht mit dem Jungen reden. Ist er wirklich 'er'? Mein Freund? Oder mein Ex-Freund?

Ich setze mich auf eine Bank und warte darauf, dass Andi kommt. Der Wind fährt mir durchs Haar, die Sonne strahlt am Himmel.

"Hey! Unser Gespräch war noch nicht zu Ende." Ich zucke erschrocken zusammen. Dort steht Lloyd, der sich jetzt neben mich setzt. Ich kann ihn einfach nur anstarren.

"I-ich ... ich weiß." sage ich. Lloyd lehnt sich nach hinten. "Also?"

"Ich hab auch ein paar Fragen an dich." erkläre ich. "Okay. Frag."

"Der Typ... also, neben dem ich sitze... also... wie heißt er?"

Lloyd sieht für einen kurzen Moment irritiert aus, dann antwortet er: "Cam."

'Cam...'

"Jetzt beantwortest du mir eine Frage!" verlangt Lloyd. "Warte, ich bin noch nicht fertig, ich..."

"Jetzt bin ich aber dran." unterbricht er mich.

"Okay, ich versuch's."

"Keine Sorge, es sind keine schwere..."

"Nur EINE Frage." unterbreche ich ihn jetzt.

"Okay, meinetwegen... also, was ist passiert?"

Das hat er mich heute schon mal gefragt. "Ich weiß es nicht!"

"Du musst es wissen! Okay... ich meine, das vor dem Unfall, als du einfach weggelaufen bist."

"Ich weiß es nicht!" wiederhole ich mich.

"Soll ich etwa noch präziser werden oder was?!" Lloyd klingt jetzt ziemlich sauer. "Du kannst so präzise sein wie du willst, ich kann dir die Frage nicht beantworten!"

"Oder WILLST du sie mir nicht beantworten?" vermutet er. "NEIN! ICH KANN SIE DIR NICHT BEANTWORTEN!" schreie ich. "Ich erinnere mich nicht." Ich weiß, Andi hat gesagt, ich soll es niemanden sagen, aber: "Ich erinnere mich an gar nichts. Das klingt jetzt bestimmt verrückt, aber es ist die Wahrheit. Ich... ich weiß nicht mal mehr, wie ich heiße!" Ich fange an, laut zu schluchzen, Tränen steigen mir in die Augen.

"Josie."

"Was?!" Warum sagt er das jetzt?!

"Du heißt Josie."

"I-ich." Ich heiß Josie?

"Ja... Ach, du kannst mir so viele Fragen stellen, wie du willst."

Lloyd glaubt mir...

"Danke. Ich... ich will wissen, wer 'er' ist?" Mir lässt das keine Ruhe. Alles dreht sich nur um ihn. Um 'er'...

"Er?" wiederholt Lloyd mit einem Grinsen. "Sie benutzen immer noch den Spitznamen?"

"Ja! Alle! Aber, ich weiß nicht, wer das ist." meine ich.

"Das brauchst du nicht zu wis..."

"Ist Cam 'er'?" unterbreche ich ihn. Diese Frage liegt mir schon die ganze Zeit auf die Zunge. "Wie kommst du darauf?"

"Naja... Also, 'er' soll mein Freund sein und... wenn ich in Cams Nähe bin, dann... er ist einfach so nett zu mir und so... Ich..." Ich sehe in Lloyds dunkelblaue Augen, die mich einfach nur anstarren.

Warum erzähle ich das alles Lloyd? Ich habe gehofft, das er mir helfen würde - von wegen! Sogar Marilyn hat mir mehr geholfen.

Ich stehe auf und gehe einfach. Andi soll endlich kommen! Sofort! Das kann doch nicht so lange dauern!

Dann sah ich ihn: 50 Meter weiter steht er und kettet ein Motorrad ab. Ich gehe hastig auf ihn zu, ich werde immer schneller, bis ich später schon laufe.

"Cam!" schreie ich und komme vor ihm zum Stehen. Cam sieht mich einfach nur stumm an. Heißt er jetzt etwa doch nicht Cam? Hat Lloyd mich angelogen? Aber warum denn?

"H-hallo." murmle ich unsicher. Der sieht mich immer noch stumm an, dann fragt er aus heiterem Himmel: "Was machst du hier?"

"Wie, was mach ich hier? Ich... stehe vor dir."

"Gut, dann geh."

"Was, aber warum denn? Cam... du heißt doch Cam... oder?" Er antwortet mir nicht. Was hat er denn? Ist er eifersüchtig geworden, weil ich mit Lloyd geredet habe? Ist er wirklich mein Freund?

Der Junge zieht sich seinen Motorradhelm an.

"Cam..." sage ich.

"Was?!" faucht er. "Also, wenn es wegen Lloyd ist..."

"Was hat denn Lloyd jetzt damit zu tun?!" unterbricht er mich. "Du bist nicht eifersüchtig?"

"Warum soll ich denn eifersüchtig sein? Mir ist es scheißegal was du und Lloyd macht." Cam steigt auf sein Motorrad. "Warte! Lloyd hat sich zu mir gesetzt. Ich habe nichts mit ihm zu tun!" Ich bin mir sicher, das Cam eifersüchtig ist.

"Schön für dich! Übrigens: Er steht schon da hinten, um dich abzuholen."

"Hm?" Ich drehe mich um, dort steht Lloyd, 20 Meter, den Blick auf mich gerichtet. Verdammt, er soll mich in Ruhe lassen!

Ich höre das Aufbrummen eines Motorrades und drehe mich hastig zu Cam um, doch der ist schon losgedüst. Na toll! Alles Lloyds Schuld! Er soll mich in Ruhe lassen!

"Was willst du?!" fauche ich ihn an, als ich ihn erreicht habe. Lloyd antwortet mir nicht. Er sieht mich einfach nur an. "Ich rede mit dir!"

Stille.

Wir beide sehen uns nur stumm an.

"Ich will dich jetzt gern küssen." bricht Lloyd die Stille. "Was?!" kreische ich.

Ein paar Vögel fliehen aus den Bäumen. "Ich hab nur gesagt, was ich will."

"Und warum hast du gezögert?"

"Weil ich wusste, dass du so reagieren würdest."

Ich verschränke die Arme vor der Brust.

Was soll ich bloß sagen?

"Tja, ich will dich nicht aber küssen."

Stille. Ich sehe in Lloyds Gesicht. Er sieht ziemlich verletzt aus.

Das macht alles gar keinen Sinn! War ich jetzt etwa... Nein, niemals würde ich mit Lloyd zusammen kommen! Mein vergangenes Ich hat das bestimmt auch nicht getan. Aber, war ich wirklich mal mit Cam zusammen? Hat Lloyd schon immer für mich geschwärmt und will es jetzt ausnutzten, um mit mir zusammen zu kommen? Tja, ich bin aber nicht dumm! Ich werde niemals mit einem fremden Menschen zusammen kommen!

"Ich muss jetzt gehen!" verabschiede ich mich und laufe an Lloyd vorbei. "Überleg es dir." Ich drehe mich zu ihm um. "Meine Entscheidung steht fest!" antworte ich. "Das du Cam liebst?" hackt Lloyd nach. Er hat den Rücken zu mir gedreht, steht einfach nur da... "Ich weiß nicht, ob es Liebe ist." sage ich und gehe endgültig.

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