Kapitel 4



"Das war eine einzige Katastrophe! Ich will nicht wieder zur Schule!" berichte ich Andi. "Du musst aber." sagt er tonlos.

Den Rest des Vormittag saß ich neben dem Typen, weit weg von Marilyn (oder Mary oder so). Die Leute haben hinter meinem Rücken über mich geredet, das hab ich gespürt. Ich will sowieso nichts mit ihnen zu tun haben... Trotzdem habe ich mich einsam und traurig gefühlt. Nach der sechsten Stunde hab ich mich krank gemeldet, Andi hat mich abgeholt und er ist seitdem ziemlich schlecht gelaunt.

Ich starre aus dem Fenster. Ich wusste gar nicht, dass die Schule so schlimm ist.

Ein paar Minuten später sitze ich in meinem Zimmer am Schreibtisch und mache meine Hausaufgaben ... naja, ich versuche es.

Wie geht noch mal Multiplikation? Wie gehen nochmal Wurzelrechnungen? Wie heißt der Mann nochmal, der Amerika entdeckt hat?

Zu gerne würde ich das jetzt Herrn Braun fragen, aber er musste ja 'so schnell wie möglich wieder zurück in die Praxis'.

Ich seufze tief. Ich sage den Lehrern einfach die Wahrheit, sie werden es schon verstehen. Ich lasse mich in die Hängematte fallen und starre in den wolkenbedeckten Himmel. Mir ist so langweilig! Würde bloß was Spannendes passieren...


"Sollen wir sie zur Party einladen?"

"Lieber nicht..."

"Doch, doch! Sie ist doch gar nicht so schlimm."

Würde ich mich je in der Klasse einbringen können? Ich wusste, dass sie über mich reden. Ich würde zu der Party gehen, egal ob sie mich einladen würden oder nicht. Ich würde es allen zeigen, wie toll ich war! Die Jungs werden mir zu Füßen liegen, jedes Mädchen würde mit mir befreundet sein. Sie würden schon sehen!


Wieder diese blöde Schule...

Ich starre wieder nur auf meine Schuhe und versuche den Unterricht zu verstehen. Wir haben grade Geschichte... Ich hasse Geschichte! Wen interessiert was König soundso gemacht hat?

"So, wer hat seine Hausaufgaben nicht gemacht?" fragt unsere strenge Lehrerin. Ich hasse sie so sehr wie Geschichte.

Alle Jungs melden sich... und ich. Jeder zählt seine Ausrede auf und die Lehrerin wollte grade mich dran nehmen, da reißt jemand die Tür auf - ohne zu Klopfen - und ein Junge in unserem Alter kommt ins Zimmer. Ein Neuer?

Ich schaue ihn neugierig an. Er hat schwarze, zerzauste Haare, dunkelfunkelne Augen und starrt düster durch die Gegend. Anscheinend ist er nicht so gut gelaunt...

"Warum bist du zu spät? Schließ doch wenigstens die Tür! Hast du wenigstens deine Hausaufgaben?" Der Junge setzt sich wortlos in die zweite Reihe, lehnt sich zurück und verschränkt die Arme vor der Brust. "Lloyd, ich rede mit dir!" faucht unsere Lehrerin.

Ist er doch kein Neuer? Gestern war er aber nicht da...

"Ich hab meine Hausaufgaben nicht, weil ich nicht da war..." faucht Lloyd zurück. "Das ist trotzdem keine Entschuldigung!" Unsere Lehrerin schreibt was in ihr blaues Buch und anschließend was ins Klassenbuch. "Gut, wer hat seine Hausaufgaben noch nicht?" fragt sie dann. Ich hebe langsam meinen Arm.

"So, du auch noch? Und warum, wenn ich fragen darf?"

"Ich hab sie nicht verstanden." gebe ich zu. Die Lehrerin funkelt noch zorniger, als sie es so schon war. Bevor sie was sagen konnte, erkläre ich: "Ich hab kein Geschichtsbuch, um das alles nachlesen zu können und auch kein Internet und ..."

"Das waren Grundwissenaufgaben! Die Antworten davon MUSST DU WISSEN!"

"A-aber, ich..."

"So, dann gehen wir es mal durch... Wie hieß der Mann, der Amerika entdeckt hat. Das MUSST du wissen!"

Ich starre auf den Boden.

"Sag mir die Antwort!" verlangt meine Lehrerin. Ich schweige. In der Klasse breitet sich ein lautes Gemurmel aus. In meinem Kopf rattert es. 'Los, erinnere dich! Wer hat Amerika entdeckt? Wer hat Amerika entdeckt? Wer hat Amerika ent...'

"Ich warte..." zischt meine Lehrerin. "I-ich..." Meine Stimme zittert. "Ich weiß es nicht." Tränen kullern leise meine Wangen entlang.

"Christoph Kolumbus natürlich!" schreit meine Lehrerin so laut, das ich zusammenzucke. Ich will hier weg!

Ich fange unkontrolliert an zu Schluchzen. Alle Augen richten sich auf mich...

Ich muss hier unbedingt weg! Hört auf, mich anzustarren. Irgendjemand muss doch was tun!

Mein Schluchzen wird immer lauter.

"Hey, du musst nicht weinen. Du kannst nichts dafür, das Geschi so scheiße ist!" Jemand legt vorsichtig den Arm um mich. Ich sehe nach rechts, wo der Junge neben mir sitzt. Er lächelt mich aufmuntern an. Ich lächle zurück.

"Hier spielt die Musik!" sagt auch unsere Lehrerin. Der Unterricht geht weiter, während ich mich langsam beruhige.

Ich sehe zum Jungen hinüber. Er hat mir aus der Patsche geholfen, das war wirklich nett von ihm.

"Danke." flüstere ich ihm zu.

"Hm? Kein Problem!" Er lächelt mich freundlich an. Dann sehen wir beide wieder nach vorne.

Ob ich mich mit ihm anfreunden kann? Er ist ja nicht so übel...

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