Tag 15/16 - Wildfreund
Rapunzel war schon immer ein eher rebellisches Kind gewesen. Sie blieb länger draußen, als ihre Eltern es ihr erlaubten, sie hing mit Leuten ab, die von sehr zwielichtiger Natur waren und ganz besonders gerne verließ sie die gewohnten Gebiete, um neues zu entdecken. So ist es auch kein Wunder, dass sie eines Tages, als sie weit außerhalb der Ortschaft, in der sie wohnte, einen alten Turm fand. Neugierig wie sie war suchte sie einen Eingang und als sie ihn fand tat sie alles, um diesen zu öffnen. Schließlich öffnete die Tür sich mit einem Ruck, sodass sie mit voller Wucht nach hinten geworfen wurde. Rapunzel rappelte sich auf, strich ihre Kleidung glatt und ging in den Turm hinein. Dass die Tür hinter ihr ins Schloss fiel und dann auf magische Weise verschwand, bemerkte Rapunzel nicht im geringsten. Stattdessen kletterte sie gespannt die Stufen hoch. Die Treppe ging scheinbar endlos nach oben und Rapunzel war ziemlich froh, als sie das Ende erreichte und vor einer kleinen Tür stand, die leicht angelehnt war. Mit einem kleinen Stups war die Tür offen und Rapunzel betrat den Raum. Dort stand ein großes luxuriöses Bett, ein großes Bücherregal und jede Menge Farbeimer. "Wow!", staunte Rapunzel.
"Schön, dass es dir gefällt." Erschrocken zuckte Rapunzel zusammen, als die Stimme plötzlich von hinter ihr erklang. "Ich wusste, dass du irgendwann zu mir finden würdest. Deine Eltern können dich nicht ewig bei euch im Dorf behalten und sie schulden mir noch immer einen Gefallen", aus dem Schatten trat eine schwarzhaarige Frau. "W-wer bist du?", fragte Rapunzel nervös und suchte nach Fluchtwegen. "Ich? Ich bin niemand, um den du dir Sorgen machen solltest. Nenn mich einfach Mutter." Rapunzel runzelte die Stirn, als sie feststellte, dass die Tür, durch die sie den Raum betreten hatte verschwunden war. "Entschuldige Schätzchen, aber ich werde dich hierbehalten. So schnell kommst du hier nicht mehr weg!", meinte die Zauberin vor ihr. Sie sah aus dem Fenster. "Oh... Ich muss los! Wir sehen uns Rapunzel!" Mit diesen Worten verschwand die Zauberin im Nichts.
Die Jahre vergingen und aus dem jungen Mädchen wurde langsam aber sicher eine wunderschöne Frau. Mit der Zeit hatte Rapunzel erkannt, dass es nur einen einzigen Weg aus dem Turm gab, aus dem Fenster sich abzuseilen. Leider hatte die Zauberin den Plan Rapunzels durchschaut und sorgte mit ihrer Magie dafür, dass Rapunzels Haare nur so lang wurden, dass sie einmal vom Fenster bis zum Boden reichten und nicht länger wurden. Sie ging sogar so weit, dass sie, jedes Mal, wenn sie Rapunzel besuchte, diese dazu zwang das Haar herunterzulassen und sie an den Haaren hoch und runterklettern zu lassen. Um ihrem ganzen Frust rauszulassen, begann sie mit der Zeit über ihr Leid zu singen.
Ihre Eltern hatten sie über all die Jahre aber nicht vergessen und erzählten jedem, der sie danach fragte die Geschichte über ihre verschwundene Tochter. So kam es, dass ein Fremder junger Mann zu ihren Eltern kam und von Rapunzels Schicksal hörte. Die Geschichte rührte ihn so sehr, dass er sofort aufbrach und sich auf die Suche nach ihr machte. Es dauerte ein bisschen, aber schließlich fand er den Turm, in dem Rapunzel war. Doch so sehr er es auch versuchte, er fand keinen Weg hinein. So schnell wollte er aber nicht aufgeben und deshalb beschloss er sich im Gebüsch auf die Lauer zu legen. Es dauerte ein paar Tage, aber schließlich tauchte die Zauberin wieder auf und rief: "Rapunzel, Lass dein Haar herunter!" Kurz darauf wurde ein geflochtener Zopf nach unten geworfen und die Zauberin kletterte daran hoch. Der Fremde, der das mitangesehen hatte, wartete bis die Zauberin wieder herab geklettert und im Wald verschwunden war, bevor er selber zum Turm ging und die Worte, die er vorhin gehört hatte, wiederholte.
Rapunzel zuckte zusammen, als eine unbekannte Stimme von unten die Worte rief, die sie nur von der Zauberin kannte. Trotzdem ließ ihre Neugier sie nicht in Ruhe und Rapunzel warf ein weiteres Mal ihren Zopf nach unten. Sie staunte nicht schlecht, als anstatt der Zauberin ein fremder Mann in ihrem Zimmer stand. Der Fremde, der sich ihr als Prinz vorstellte, versprach ihr, dass er einen Weg finden würde sie aus dem Turm hinaus zu bringen.
Über Wochen hinweg planten Rapunzel und der Prinz, wie sie sie aus dem Turm hinaus befördern könnten. Es wäre auch alles gut gegangen, wenn Rapunzel nicht eines Tages zu der Zauberin gesagt hätte, dass der Prinz um einiges leichter als sie sei. Denn als die Zauberin das hörte, schnitt sie Rapunzels Haare ab und brachte sie weit weg in eine Wüste. Der Prinz hatte von all dem nichts mitgekriegt und war wie die vergangenen Wochen auch, mal wieder zu Rapunzels Turm gekommen. Er rief die ausgemachten Worte und die Zauberin schmiss die Haare entgegen. Der Prinz kletterte hinauf, in freudiger Erwartung Rapunzel zu sehen, aber stattdessen blickte ihm ein anderes Gesicht entgegen. "Warte... Wer bist du überhaupt?", fragte er verwirrt. "Ich bin niemand, um den du dir Sorgen machen solltest", grinste die Zauberin fies. Schnell begann der Prinz wieder herunter zu klettern, aber als er auf halber Höhe war, schnitt die Zauberin die Haare ab und der Prinz stürzte in die Tiefe. Er hatte großes Glück, dass er mit einem verstauchten Fuß davon kam, aber trotzdem musste er den ganzen Weg zum nächsten Dorf humpeln. Er ließ seinen Fuß zwar verarzten, aber die Verletzung hielt ihn trotzdem nicht davon ab nach Rapunzel zu suchen.
Es dauerte einige Monate, aber schließlich war er in der Wüste, in der Rapunzel inzwischen lebte, angekommen. Sie trafen sich an einer Wasserstelle wieder, als der Prinz gerade Rast machte. Er erkannte Rapunzel nicht sofort, aber als sie direkt vor ihm vorbeilief war es um ihn geschehen. "Rapunzel? Bist du's?", fragte er ungläubig. Rapunzel nickte und wenige Augenblicke später lagen sie sich vor Glück weinend in den Armen. Sie ritten noch am selben Abend zurück in Richtung des Heimatdorfes von Rapunzel und als sie dieses erreichten mit der gesamten Familie zum Schloss des Prinzen. Dort wurde eine große Hochzeit gefeiert und die Beiden lebten glücklich bis an ihr Lebensende.
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