#24 Anton meine Meinung sagen [Teil 1]
Dienstag, 10. Oktober - 21:03 Uhr
Mit einem kritischen Blick betrachtete ich meine Pinnwand, die ich nun wieder an ihren Platz zurückgehängt hatte. Diesmal hing sie jedoch auf himmelblauen Hintergrund. Ich hatte alle Fotos von der Pinnwand genommen und sie in meinen Foto-Schuhkarton zu den anderen Erinnerungen gelegt. Mir gefiel der Anblick der leeren Pinnwand, mit der ich einen Neustart symbolisieren wollte. Ich beschloss von nun an meinen Fokus auf das zu richten, was vor mir liegt und mich nicht mehr in meiner Vergangenheit zu suhlen.
Ich stieg auf mein Bett und korrigierte die Position noch einmal nach. Wieder betrachtete ich die leere Pinnwand aus einigen Metern Entfernung und nickte zufrieden. Nun war ich mit dem Umdekorieren von meinem Zimmer fast fertig. Von meinem Nachtkästchen griff ich nach dem heute frisch entwickelten Foto von Sonntag, ein Selfie von Hannah und mir, der kleine See und drei kleine Enten im Hintergrund. Ich positionierte es in der Mitte der leeren Pinnwand und pinnte es mit einer Pinnadel dort fest.
Zum Neustart fehlte mir jetzt jedoch noch das Wichtigste: ein Abschluss mit meiner Vergangenheit.
Widerwillig griff ich nach meinem Handy. Ich setzte mich auf den weißen Teppich vor meinem Bett nieder, den Rücken an die Bettkante gelehnt. Es dauerte bestimmt eine ganze Minute ehe ich zögerlich mein Handy entsperrte, die Nachrichtenapp öffnete und auf Antons Chat klickte. Zum wiederholten Mal las ich seine Nachricht von Sonntag:
Tim, können wir uns treffen? Ich weiß, es ist sehr viel Zeit vergangen, aber ich denke, wir sollten reden... Bitte!
Schlagartig zog sich mein Magen zusammen. Ich hatte es die letzten Tage immer wieder aufgeschoben, auf diese Nachricht zu antworten, mit dem Wissen, dass ich nicht drum herum kam. Eine Aussprache war längst überfällig.
Ich erinnerte mich an den letzten Versuch einer Aussprache, bei der Anton mir erklären wollte, wieso er mich mit Sarah betrogen hatte. Doch dazu kam es nicht...
Die Erinnerung daran ließ eine kleine Träne aus meinem linken Auge und langsam über meine Wange laufen. Schnell wischte ich sie ab. Nein, ich werde keine weitere Träne an diesen Jungen verschwenden. Er sollte nicht in der Lage sein, solche Reaktionen in mir hervorzurufen. Ich musste endlich mit ihm und mit dem, was war abschließen. Obwohl ich mir nicht sicher war, ob ein Treffen mit Anton eine gute Idee war, wusste ich, dass ich mich ihm stellen musste.
Trotzdem sträubte sich jede Faser in meinem Körper dagegen, als ich die Nachricht in mein Handy tippte und auf 'Senden' drückte:
Freitag, 17:30 Uhr, Five Stars Cafè.
Wenn ich mich schon mit ihm traf, dann zu meinen Bedingungen. Im Five Stars hatte ich Hannah an meiner Seite, sollte ich sie brauchen. So musste ich mich ihm nicht komplett alleine stellen. So war ich ihm notfalls nicht komplett ausgeliefert, sollte es ebenso ausarten wie beim letzten Mal.
Der Nachrichtenton durchbrach kurze Zeit später die Stille in meinem Zimmer.
Bis Freitag! 🙂
Freitag, 13. Oktober - 17:23 Uhr
Direkt nach der Arbeit hatte ich mich auf den Weg ins Five Stars gemacht. Ich war kurz davor einen Umweg zu gehen und mich zu Hause noch einmal umzuziehen. Aber die Tage, an denen ich mich für Anton ins Zeug legte, waren vorbei. Dieses Treffen war eine lästige Notwendigkeit und als solche sollte ich sie auch betrachten. Legeres Bürooutfit war dafür mehr als ausreichend.
Ich erreichte das Five Stars wie erwartet viel zu früh. Zielstrebig ging ich an den Tresen.
"Hi du!", rief ich meiner Freundin über den Tresen weg zu, als ich mich kurz auf den Hocker fallen ließ.
"Tim!" Meine Freundin kam um den Tresen herum und nahm mich in den Arm. "Na? Wie geht es dir? Bist du nervös?"
Wir hatten bereits am Sonntag den Plan, sich mit Anton hier zu treffen, gemeinsam geschmiedet, weshalb sie bereits bestens informiert war.
Geräuschvoll sog ich die Luft durch die Nase ein und verzog mein Gesicht, die Lippen fest aufeinander gepresst. Ich nickte kaum merklich.
"Ich bin die ganze Zeit hier. Sollte sich Anton nicht zu benehmen wissen, kannst du mich jederzeit rufen, dann setz ich das Arschloch eigenhändig vor die Tür. Arschtritt inklusive!" Ermutigend lächelte sie mir zu und klopfte mir sanft gegen meinen Oberarm. Ich versuchte ihr Lächeln zu erwidern, aber es blieb bei dem Versuch. Seit ich vom Büro gestartet bin, spürte ich, wie meine innere Unruhe im Sekundentakt zunahm. Gerade fühlte es sich an, als würden all meine Organe unter dem Druck auf meiner Brust zittern und mein Atem meine Lunge nur bis zur Hälfte füllen.
"Denk an das Positive, in einer halben Stunde schließe ich ab, das heißt spätestens dann bist du ihn wieder los. Dann kannst du ihn für immer hinter dir lassen." Sie nickte mir wieder zu. "Und immer daran denken: Was würde der neue Tim machen? Du bist nicht mehr der Tim von früher. Er kann dich nicht mehr verletzen."
"Du hast recht! Schlimmer kanns eigentlich kaum werden."
Mitleidig sah mich Hannah an. In den letzten Monaten hatte ich diesen Blick regelmäßig zu Gesicht bekommen und er gefiel mir gar nicht. Ich wollte nicht bemitleidet werden, ich wollte wieder stark sein. Ich atmete tief durch.
"Wird schon schief gehen", lächelte ich und machte mich auf den Weg zum freien Tisch in der Ecke des Raumes.
Ich nahm auf der Eckbank Platz, den Blick auf die Eingangstür gerichtet. Es war kurz vor halb sechs. Nervös kaute ich auf meiner Unterlippe. Meine Finger waren eiskalt. Ich zog die Ärmel meines Pullovers über meine Hände und verschränkte meine Arme. Die Zeit zog sich ins Unerträgliche. Zugleich war ich froh um jede Minute, die mir noch blieb, mich auf dieses Treffen vorzubereiten.
Als die Tür schließlich aufging und Anton eintrat, blieb mein Herz einen Augenblick stehen nur um anschließend wie verrückt zu schlagen. Kalter Schweiß bildete sich auf meinen Handflächen und ich fühlte, wie mir in diesem Augenblick die Luft wegblieb. Sofort senkte ich den Blick auf den Stuhl vor mir. Ich atmete bewusst tief ein und kontrolliert wieder aus, während Anton langsam aber zielsicher auf meinen Tisch zu schritt.
"Hallo Tim!", ein breites, aber dennoch unsicheres Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus, als er vor dem Stuhl stehen blieb. "Darf ich?" Wie auf Stichwort zog sich mein Magen zusammen.
Ich nickte und er nahm mir gegenüber Platz. "Ich habe mich sehr gefreut, dass du diesem Treffen zugestimmt hast."
"Mh", brachte ich hervor.
Er zog seine Lederjacke aus und hängte sie über den Stuhl. Darunter trug er das T-Shirt, das ich letzten Sommer für ihn ausgesucht hatte. Ob das Absicht war? Ich denke nicht. Bestimmt konnte er sich noch nicht einmal daran erinnern, dass ich es war, der dieses T-Shirt für ihn ausgesucht hatte. Der Gedanke daran versetzte mir einen Stich und ich wandte den Blick ab.
Hannah tauchte neben unserem Tisch auf. "Was darfs sein?", aufmunternd lächelte sie mich an.
"Eine heiße Schokolade, bitte!"
Sie nickte mir zu und wartete ein zustimmendes Nicken meinerseits ab, bevor sie sich meinem Ex widmete. Mit einem eiskalten und drohenden Blick drehte sie sich zu ihm und schaute ihn einige Sekunden an, ehe sie ein falsches Lächeln aufsetzte und zwischen zusammengebissenen Zähnen ein "Und für dich?" hervorbrachte.
"Einen Espresso... schwarz", antwortete Anton sichtlich eingeschüchtert. "Danke!"
Meine Mundwinkel zuckten leicht. Dieser Moment bestätigte, dass es die richtige Entscheidung war, diesen Ort für unser Treffen gewählt zu haben.
"Ich bin gleich wieder da!", antwortete meine Freundin zuckersüß, was aber zugleich nach einer Warnung klang, die ganz klar an mein Gegenüber gerichtet war. Dann ließ sie uns wieder alleine.
Anton richtete sich wieder auf und schaute zuerst kurz auf mich, dann auf seine Hände, die er verschränkt auf dem Tisch abgelegt hatte. Die Stimmung war zum Zerreißen gespannt.
"Du fragst dich bestimmt, wieso ich mich nach all der Zeit bei dir gemeldet habe", begann er vorsichtig. Ich antwortete nicht. Stattdessen lehnte ich mich zurück, die Arme immer noch verschränkt und den Blick wieder auf die Tischkante gerichtet.
"Ähm... naja... die Sache... also wie wir damals auseinander gegangen sind...", er unterbrach seinen Satz und rutschte auf seinem Stuhl hin und her. "Seit wir uns an jenem Abend auf der Party wieder begegnet sind... und dann noch einmal letzte Woche im Baumarkt... muss ich immer wieder daran denken. Daran, wie ich mich dir gegenüber verhalten habe und... an dich."
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