#07 Enten im Park füttern


Sonntag, 08. Oktober - 14:03 Uhr

Die Herbstsonne schien durch das sich so langsam einfärbende Laub des Mischwaldes herab. Etwa 20 Minuten von mir Zuhause entfernt, befand sich ein kleines Biotop mit einem kleinen See, den etwa ein Dutzend Enten ihr Zuhause nannten.

Das Wetter zeigte sich heute noch einmal von seiner sommerlichen Seite, weshalb ich beschlossen habe, einen kleinen Spaziergang zu machen. Da ich mein Ziel, meine Liste abzuarbeiten, immer noch fest im Blick habe, nahm ich heute Punkt 7 in Angriff. Tatsächlich war dies einer derjenigen Punkte, den ich nicht darauf gesetzt habe, weil er eine Herausforderung für mich darstellte, sondern eher im Gegenteil. Ich habe früher öfters in Filmen gesehen, wie - meist ältere - Leute sich in den Park gesetzt und Enten gefüttert haben. Ich habe über solche Filmszenen meistens ausgelassen meinen Kopf geschüttelt, da ich dies sehr kitschig und klischeebehaftet, fast schon lächerlich empfand. Denn wer nimmt sich in der heutigen Zeit und vor allem bei dem heute vorherrschenden gesellschaftlichen Standard, bewusst Zeit dafür, sich einen ganzen Nachmittag in den Park zu setzen und nichts anderes zu leisten, als ein paar Enten zu füttern? Dennoch vermittelten solche Szenen dem Zuschauer das Gefühl von einer schönen, heilen Welt. Sie stellten in meinen Augen einen romantisierten Lebensstil dar, der nur selten in der Realität so zu beobachten war. Ich habe mich oft gefragt, ob es auch demjenigen, der auf dieser Parkbank sitzt, dasselbe Gefühl verleiht? Also beschloss ich es herauszufinden.

Bevor ich gestartet bin, habe ich mir deshalb eine Papiertüte geschnappt und etwas vom hart gewordenen Brot bei uns zu Hause eingepackt. Die Papiertüte in der Hand, Sonnenbrille auf der Nase und beide Kopfhörer in den Ohren, spazierte ich nun also den schmalen, naturbelassenen Weg durch den bewaldeten Teil des Biotops, bis ich die Lichtung erreichte, an der ein kleiner See zum Vorschein kam. Einige wenige Pärchen und Gruppen waren auf dem Weg, der einmal um den See herum führte, unterwegs. Ich suchte mir eine freie Parkbank, ließ mich darauf nieder und stellte die Papiertüte neben mir ab. Gemütlich, mit beiden Beinen abgespreizt, lehnte ich mich zurück und genoss die warmen Sonnenstrahlen auf meiner Haut. Mit geschlossenen Augen reckte ich mein Gesicht der Sonne entgegen. Eine Weile saß ich so da, bis ich mich daran erinnerte, dass Hannah heute ein Date hatte, nach dem sie sich bei mir melden und sich anschließend noch mit mir treffen wollte. Etwas ungelenk hob ich mein Becken an, um mein Handy aus meiner eng anliegenden Jeans herauszufischen.

Und tatsächlich, der Bildschirm leuchtete mir eine ungelesene Nachricht von Hannah entgegen. Ich klickte darauf: 'Hi Tim, bist du schon am See?' Ich tippte ein schnelles 'Ja!', setzte ein lächelndes Smiley-Emoji dahinter und hängte noch den Standort dran, damit meine Freundin mich auch sicher fand. Hannah war heute zum Mittagessen verabredet gewesen, wie sie Jay und mir am Freitag erzählt hatte. Ich war etwas überrascht, dass sie mir noch nichts davon erzählt hatte. Normalerweise sprechen wir immer sehr offen darüber, wenn uns jemand gefällt.

Auch war ich etwas verwundert, dass sie ihr Date vor Jay erwähnt hatte, da ich davon ausgegangen war, dass Hannah Jay toll fand und er sie ebenso. Aber sie hatte anscheinend bereits seit einigen Wochen diesen anderen Jungen online geschrieben. Also musste ich meiner Freundin wohl glauben, dass sie tatsächlich nichts von Jay wollte. Um ehrlich zu sein, schien mir auch Jay, nachdem Hannah dies angesprochen hatte, weder überrascht, noch enttäuscht oder eifersüchtig. Vielleicht war er aber auch nur gut darin, seine Enttäuschung zu verstecken. Ich kannte ihn noch zu wenig, um ihn diesbezüglich richtig einschätzen zu können. Trotzdem hat mir der gemeinsame Abend mit Jay am Freitag gut getan. Es war schön, jemanden außerhalb meines Freundeskreises - der zurzeit sowieso nur aus Hannah und mir bestand - zum Reden zu haben. Ich war Anfangs zwar noch sehr unsicher, ob ich Jay so viel von mir erzählen sollte, ob ich generell so viel von mir einem praktisch Fremden preisgeben kann, aber je mehr Zeit ich mit ihm verbracht habe, desto leichter fiel es mir, über mich zu sprechen. Und Jay hörte zu, ohne mich zu verurteilen. Es war lange her, dass ich mich so sicher fühlte, offen zu reden. Beim Gedanken daran huschte ein kleines Lächeln über meine Lippen.

Eine kleine Entenfamilie schwamm etwas entfernt von mir Richtung Ufer und bahnte sich vorsichtig durch das dichte Schilf einen Weg auf das Festland. Ich schnappte mir leise meine Papiertüte, um die Tiere nicht zu verschrecken und fischte ein paar Brotkrumen hervor. Ich warf sie etwa auf halbem Abstand zwischen mir und den Enten ins Gras und wartete gespannt ab. Es dauerte nicht lange, ehe der Enterich gewatschelt kam und sich die Krumen aus dem Gras pickte. Sein grünes Gefieder schimmerte im Sonnenlicht und neugierig lugte er in meine Richtung. Aus meiner Papiertüte holte ich weitere, etwas größere Brotstücke und warf sie erneut, auf halbem Abstand, in die Wiese. Ohne mich aus den Augen zu lassen, kam er näher und suchte nach dem Brot. Vorsichtig kamen schließlich auch die Ente und die drei Entenküken dazu, was mir ein erfreutes Lächeln entlockte. In regelmäßigen Abständen warf ich mein Brot aus, wodurch immer mehr Enten angelockt wurden. Nach einer Weile war eine ganze Entenschar um meine Parkbank versammelt. Tatsächlich brachte mir der Anblick der vielen Enten in meiner Nähe ein erfreuliches und warmes Gefühl. Es war mir in dem Moment unmöglich an etwas anderes, geschweige denn an etwas Negatives zu denken. Mit einem zufriedenen Schnattern fraßen sie ein Brotstück nach dem nächsten und schon bald war meine Papiertüte leer. Es dauerte ein paar Minuten, ehe es auch die kleinen Tierchen begriffen hatten. Zufrieden und mit vollem Magen bahnten sie sich schließlich wieder den Weg durch das Schilf und schwammen auf den See hinaus. Von der Parkbank aus beobachtete ich sie, wie sie immer weiter in die Mitte des Sees schwammen und schließlich aus meinem Blickfeld verschwanden.

Während ich zufrieden auf den See blickte, betrat ein dunkelblondes, schlankes Mädchen mein Blickfeld. Sie ging den Seerundweg entlang und schaute sich um. Mit einem Winken lockte ich ihre Aufmerksamkeit auf mich. Ihr Gesichtsausdruck hellte sich auf, als sie mich entdeckte und sie ging schnellen Schrittes auf meine Parkbank zu. Ich nahm mir inzwischen meine Kopfhörer ab und steckte sie in meine Tasche.

"Hi!", rief sie mir entgegen und umarmte mich zur Begrüßung. Dann nahm sie neben mir Platz.

"Na... wie geht's?", fragte sie mit einem Grinsen im Gesicht.

"Mir geht's ganz gut, hab heute schon ein paar Mäuler gestopft." Ich zeigte auf die leere Papiertüte.

"Oh nein! Dann bin ich zu spät dran? Du hättest ruhig auf mich warten können", schmollte Hannah. Aber dies hielt nur für ein paar wenige Sekunden an, dann kam ihr breites Grinsen wieder zurück.

"Das nächste Mal", antwortete ich ihr mit einem Lächeln. "Und, wie geht's dir? Hattest du ein schönes Date?"

"Mhm!", lächelte sie verträumt. Sie schob ihre Hände unter ihre Oberschenkel und begann, wie ein kleines Mädchen mit den Füßen zu baumeln.

Ich stupste ihr mit meinem Ellenbogen sanft in die Seite. "Komm schon, lass dir doch nicht alles aus der Nase ziehen! Erzähl!"

"Da gibt es eigentlich nicht so viel zu erzählen. Wir waren heute ja zum Essen verabredet. Er hat bereits vor dem Restaurant auf mich gewartet. Er hat mir dann wie ein echter Gentleman die Tür aufgehalten. Bei Essen haben wir uns super gut unterhalten und am Ende wollte er sogar die Rechnung übernehmen."

"Was du natürlich nicht zugelassen hast..."
Sie lacht auf. "Du kennst mich! Ich habe darauf bestanden, dass wir uns die Rechnung gerecht aufteilen. Aber er hat dann darauf bestanden, dass er mich dafür beim nächsten Mal auf ein Getränk einladen darf."
"Also seht ihr euch wieder?"

"Wie es aussieht", lächelte sie. "Er wollte mich danach sogar noch nach Hause bringen, aber da ich ihm gesagt habe, dass ich mit dir hier verabredet bin, hat er mich noch bis zum Anfang des Biotops gebracht. Dort haben wir noch bestimmt 20 Minuten miteinander geredet, weil wir uns nicht voneinander verabschieden konnten."

"Dann bist du selbst Schuld, dass du die Enten verpasst hast", neckte ich sie, aber anders als sonst, reagierte sie nicht darauf, sondern lächelte weiter vor sich hin, was mich zum Schmunzeln brachte. "Klingt für mich nach einem gelungenen Date."

"Ja, auf jeden Fall! Es gibt tatsächlich nichts, das ich bei Leopold beanstanden könnte."

"Außer vielleicht den Namen!", spaßte ich.

"Hey!" Hannah verpasste mir einen Klaps auf die Schulter. "Freust du dich etwa nicht für mich?"

"Klar freue ich mich für dich. Allerdings bin ich schon etwas beleidigt, dass ich von Herrn Leopold erst am Freitag erfahren habe, wobei du ihn schon... wie lange kennst?"

"Ich schreibe mit LEO seit etwa einem Monat. Aber da ich noch nicht wusste, in welche Richtung es sich entwickelt, wollte ich dir nicht zu früh von ihm erzählen."

"Und was ist mit Jay?"

Etwas verwirrt über den Themenwechsel, runzelte sie die Stirn. "Was soll mit Jay sein?"

"Na, ich dachte, du findest Jay... 'heiß'? Das waren doch deine Worte."
"Jay, ist auch heiß und total nett dazu. Aber wie ich dir bereits des Öfteren gesagt habe, ist er nur ein Freund."

Ich nickte. "Okay... schade! Er scheint echt ein cooler Typ zu sein. Ihr hättet gut zusammengepasst."
"Vielleicht. Aber ich habe jetzt ja Leo und außerdem steht Jay sowieso nicht auf mich."

"Woher willst du das wissen? Er hat erst am Freitag nach dir gefragt." Ich erinnerte mich an Freitagabend zurück.
Hannah lachte. "Was hat er denn gefragt?"

"Wie lange du noch arbeiten musst."

"Und deswegen soll er auf mich stehen?"
"Kann doch sein!" Ich starrte auf meine Füße, die Kreise in den Sand zeichneten.

"Dann müsste er eher auf dich stehen!"

Überrascht sah ich auf. "Was? Wie kommst du denn darauf?"

"Naja, er hat ja auch nach dir gefragt: Ob du nach der Party gut nach Hause gekommen bist. Ob wir Mal wieder Lust hätten, mit ihm feiern zu gehen, wenn es dir besser geht... Oh, und was ich dir ganz vergesse habe zu erzählen, am Freitag war Jay ebenfalls dabei, als unser Chef zu mir kam, um zu fragen, ob ich für Theo übernehmen könnte."

Fragend sah ich sie an.

"Als unser Chef mich gefragt hatte, ob ich für Theo einspringen könnte, meinte ich zu Jay, dass ich eigentlich um 18 Uhr mit dir verabredet wäre. Ich habe gedacht, vielleicht bietet er sich ja an, die Springerin für mich zu übernehmen. Aber Jay meinte, dass ich dich ja einfach schon Mal in die Pizzeria schicken könnte, dann würde er dir inzwischen Gesellschaft leisten, bis ich meine Schicht fertig habe."

"Und deswegen soll er..." Ein leichtes Kribbeln machte sich in mir breit, ohne dass ich wusste, wieso. So ganz verstand ich nicht, worauf sie hinaus wollte. Nur weil Jay angeboten hat, mir Gesellschaft zu leisten, heißt es doch noch lange nicht, dass Jay mich gut fand. Er wollte bestimmt einfach nur nett sein. "Okay, ich habe verstanden! Es ist anstrengend, wenn ich immer wieder versuche, dich mit Jay zu verkuppeln." Das wollte mir Hannah damit also zu verstehen geben. "Ich hör auf damit!"

"Deswegen habe ich das nicht gesagt. Gut, dass du begriffen hast, dass das mit Jay und mir nichts wird. Aber ich wollte damit eigentlich sagen, dass ich es echt etwas interessant finde, wie Jay sich am Freitag verhalten hat. Ich denke, Jay scheint dich wirklich zu mögen. Und außerdem hatte ich das Gefühl, dass ich euch, als ich nach Feierabend dazugestoßen bin, bei irgendwas gestört habe."

"Ach was! Wobei sollst du uns denn gestört haben?" Ich lehnte mich wieder auf die Bank zurück und schloss die Augen. Ich versuchte, die in mir aufsteigende Wärme zu ignorieren. "Lass uns jetzt noch etwas die Sonne genießen!" Ich spürte Hannahs Blick auf mir ruhen, bevor auch sie es sich auf der Parkbank gemütlich machte. Obwohl ich es zu unterdrücken versuchte, hallten Hannahs Worte in meinem Kopf nach. Ich versuchte die Gedanken daran bestimmt zur Seite zu schieben, das Kribbeln aber blieb. Zumindest so lange, bis ich den Nachrichtenton meines Handys hörte.

Ich zog es aus meiner Hosentasche und hielt es mir vor mein Gesicht, bevor ich meine Augen öffnete und gegen die Sonne blinzelte.

In weißen Buchstaben leuchtete mir der Absender der Nachricht entgegen.

Anton!

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