Tag 29 - Jemand, dem ich schon immer etwas sagen wollte, aber nie dazu kam
Hallo Papa,
Du liegst gerade im Krankenhaus. Ich weiß nicht genau weshalb. Irgendeine OP an deinen Wirbeln. Keine Ahnung. Mir ehrlich gesagt auch egal.
Du telefonierst gerade mit meiner Mutter. Nachdem du unbedingt mit mir sprechen wolltest und ich bestimmt 6 Mal sagen musste, dass ich aber nicht mit dir reden will, bin ich ins Bett gegangen, um dir diesen Brief zu widmen. Er ist zwar heute noch nicht dran, aber ich kann nicht mehr warten.
Ich hab noch gehört, dass du nicht verstehst, warum ich nicht mit dir reden will. Was? Das verstehst du nicht? Sag mal, stellst du dich so dumm oder bist du’s wirklich?! Ich hab so viele Gründe, warum ich nicht mit dir reden will. Soll ich mal anfangen?
Zu aller erst hast du damals, als ihr noch nicht geschieden wart, immer wieder gesagt, dass du uns verlässt, wenn ich mich weiterhin so benehme. Ich weiß nicht, was ich damals getan hab. Verdammt, ich war erst 3. Und dann bist du wirklich abgehauen. Das saß.
Dann hast du ewig lange keinen Kontakt haben wollen. Du hast mich ignoriert. Als hättest du kein Kind.
Irgendwann kamst du wieder an, da war ich 6 oder so. Hmm, ich kann mich nicht mehr daran erinnern, aber Mama hat erzählt, dass es sogar so weit kam, dass du hier wieder eingezogen bist und ihr wieder zusammen wart. Irgendwann warst du dann wieder weg, weil es zwischen euch einfach nicht funktioniert hat. Dann sollte ich mal ´ne Nacht bei dir sein. Ich hab die ganze Nacht geschrien, weil ich weg wollte. Versteh das jetzt nicht falsch, ich hab auch damals schon keine Probleme gehabt, woanders zu schlafen und dabei von meiner Mutter getrennt zu sein. Es lag an dir. Ich wollte nicht bei dir sein. Bei dir und deiner damaligen Schnalle.
Danach war der Kontakt dann wieder schlechter. Du hast dich einen Dreck um mich geschert.
Manchmal hast du angerufen. Ein Mal, daran erinner ich mich noch viel zu gut. Da war ich .. hmm .. 12? Da hast du dich nach meinem Zeugnis erkundigt. Weil es so gut war, hattest du mir versprochen, mit mir für 200 Euro shoppen zu fahren. Das war für mich damals eine ordentliche Summe. Naja, 200 Euro sind für mich immer noch viel Geld. Du hast den Tag immer wieder verschoben. Immer und immer wieder. Bis wir dann mal zusammen bei ´ner Kundin waren. Der hat meine Mutter dann die Geschichte erzählt und die hat dir die 200 Euro vom Lohn abgezogen und mir gegeben. Und das war 2 Jahre später. 2 verdammte Jahre später. Und dir tun 200 Euro weniger nun absolut gar nicht weh. Du hättest genügend Geld, um mit mir einmal shoppen zu gehen. Aber nicht für mich, ich weiß.
Dann, als ich 13 wurde, warst du wieder ganz heiß drauf, mich zu sehen. Naja, du konntest ja auch schon mit mir angeben. Ich ging ja schließlich auf’s Gymnasium. Worauf du natürlich ungemein stolz sein konntest, weil du ja extrem viel dafür getan hast. Nämlich gar nichts.
Und da, wo du bist, sind sofort Probleme. Ich weiß nicht, wie du das machst, aber du hast nie Geld gehabt. Du verdienst so verdammt viel, aber hast nie Geld. Du scheinst es mit vollen Händen auszugeben, sobald du etwas in der Hand hast. Aber das ist nicht alles. Du bezahlst keine Rechnungen. Du bezahlst nichts. Weder deine Arbeiter, die dadurch nach nur 3 Monaten aufgeben, noch die Miete. Eben gar nichts. Du hast auch meine Mutter nie bezahlt, als sie bei dir ausgeholfen hat. Weißt du, was für Geldprobleme wir dadurch hatten? Und meine Mutter war so dumm und ist immer wieder zu dir losgefahren, auch wenn sie kein Geld dafür gesehen hat. Du hast sie so lange überredet, hast ihr erzählt, du würdest erst nächste Woche Geld kriegen und sie würde dann sofort ihren Lohn bekommen. Hat sie aber bis heute nicht. Und in der Zeit hab ich’s kaum ausgehalten. Ich hab meinen ersten Alkohol getrunken, Wodka-Pfeffi- Mische, sehr zu empfehlen. Und danach hab ich oft getrunken, fast jedes Wochenende. Hab bemerkt, dass man auch schon mit 13 Bier kriegt, wenn man genügend Selbstbewusstsein heuchelt. Nur so konnte ich dich und die Geldprobleme vergessen, weißt du?
Und dann hast du wirklich den Vogel abgeschossen. Wirklich. Stephan hat dir alle mögliche Scheiße über mich erzählt, er wollte sich nur bei mir rächen, weil ich mich nicht noch einmal mit ihm eingelassen hab. Und du hast ihm Wort für Wort abgenommen. Sag mal, hast du echt geglaubt, dass ich morgens vor der Schule saufe? Dass ich mit jedem Kerl in der Umgebung gefickt hab? Und dafür Geld genommen hab? Tut mir leid, wenn du wirklich so blöd warst. Aber du kanntest mich schließlich eigentlich auch gar nicht. Und weil das mit mir ja nicht so weitergehen konnte, wolltest du mich auf ´n Internat auf der anderen Seite Deutschlands schicken. Ja, auf ein Internat. Bloß nicht zu dir. Sonst hättest du ja den Stress an der Backe. Du hast nicht einmal gefragt, ob die Dinge, die Stephan dir aufgetischt hatte, stimmten. Und das war dein Fehler. Seit dem bist du unten durch. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie viel ich in der Zeit geheult hab. Alle erzählten mir, dass du mich nicht einfach abschieben kannst, doch das kam bei mir nicht an. Ich hatte nur Angst. Ich hatte so viel Angst, dass ich mich lieber umbringen wollte, als auf dieses tolle Internat zu gehen. Ich dachte damals, ich würde dort niemals Freunde finden. Und meine Freunde hier bedeuteten mir alles. Und Mama. Ich wollte sie einfach nicht verlassen. Lieber sterben. Ich wusste auch schon wie. Ich wusste, was im meinem Abschiedsbrief gestanden hätte. War alles ziemlich gut geplant, dafür dass ich noch klein und dumm war.
Aber ich musste nicht weg. Ich durfte bleiben. Ich hab mein Leben seit dem mehr genossen als zuvor. Ich bin bei der Kirche gelandet. Habe gelernt, wie das ist, ohne Vater. Denn schon da bist du für mich nicht mehr mein Vater gewesen. Ich hab bei anderen gesehen, wie Väter sich kümmern, auch wenn die Eltern geschieden sind. Sogar wenn die Eltern sich hassen. Aber das tut ihr euch ja nicht. Alle Väter haben sich besser gekümmert als du. Und deshalb und wegen der Idee des Internats warst du für mich nur noch mein Erzeuger. Und die Bezeichnung passt am besten. Wirkt abwertend, distanziert und irgendwie ziemlich spöttisch.
Jetzt bin ich 18. Ich hab mein Abi. Und ich hab jeglichen Kontakt zu dir fallen gelassen. Du hast meine Handynummer nicht. Ich hab dich auf Facebook blockiert, hab eingestellt, dass du nicht mal auf mein Profil zugreifen kannst. Du hast meine E-Mail nicht. Und, wenn ich studiere, wirst du nicht mal meine Adresse haben. Aber jetzt stellst du fest, dass Kontakt zu mir doch ganz gut wäre? Bitte?! Jetzt?
Dir geht es schlecht. Du könntest sterben. Als ich das gehört hab, war ich schockiert. Versteh das jetzt nicht wieder falsch. Ich war schockiert, weil es mich nicht stört. Wirklich. Es wäre mir egal. Was lief falsch bei mir? Kannst du dir vorstellen, wie sehr du mir wehgetan haben musst, dass mir dein Tod egal wäre? Dann hab ich überlegt. Würde ich zu deiner Beerdigung gehen? Ich denke schon. Allerdings nicht, weil es sich gehört oder weil ich es will, Gott behüte, sondern nur, damit meine Mutter da nicht vollkommen zusammenbricht. Und weil sie mich dazu zwingen würde.
Aber dein Tod würde mir in Zukunft einige schwierige Fragen abnehmen. Ich weiß nämlich nicht, was ich machen soll, wenn ich mal schwanger werde. Was soll ich meinen Kindern erzählen? Dass ihr Opa das größte Arschloch ist, das mir jemals begegnet ist? Dass ihr Opa tot ist, obwohl ich genau weiß, dass er es nicht ist? Dass ihr Opa nichts von ihnen wissen will, obwohl er eigentlich nicht mal weiß, dass er Enkel hat? Aber ich würde dich auch dann bestimmt nicht wiedersehen wollen. Das würde dann nur um meine Kinder gehen. Ich will nämlich nicht so sein wie du.
Denn dank dir habe ich auch keinen großartigen Kontakt zu meinen Großeltern gehabt. Du fragst dich, was das mit dir zu tun hat? Nein, das fragst du dich nicht. Du bist überzeugt, dass du nichts dafür kannst. Jaja, klar. Du hast ihnen alles Schlechte über meine Mutter erzählt. Dass sie über 3.000 DM für ihre Tiere ausgegeben hätte. Dass somit kein Geld für Essen übrig wäre. Dass sie mit mir schlecht umginge. Mehr hab ich mir leider nicht gemerkt, aber es gab noch viel mehr, das weiß ich. Dadurch waren die Großeltern nicht mehr ganz so angetan von uns. Du hattest auch behauptet, wir könnten einfach mal so bei denen reinschneien, sie würden sich dann freuen. Nein, sie haben es gehasst, wenn man unangemeldet kam.
Und das sind alles Kleinigkeiten. Aber zusammen ergeben kleine Dinge auch ´nen ziemlich großen Haufen.
Oder auch, dass du niemals Unterhalt bezahlt hast. Warum nicht? Theoretisch hättest du locker genug Geld, um davon ein bisschen abzudrücken. Nur, weil das alles schwarz abläuft, zwingt dich das Jugendamt nicht dazu. Dein Argument, warum du keinen Unterhalt zahlst, hast du mal meiner Mutter an den Kopf geworfen, als ihr euch gestritten habt. „Solange du noch ein Tier auf dem Hof hast, bezahle ich nicht einen Cent Kindergeld.“ Läuft bei dir, wa? Ist dir eigentlich mal aufgefallen, dass das Geld für mich wäre? Dass es auch egal wäre, wenn wir so viel Kohle hätten, dass wir uns den Arsch damit abwischen könnten, du trotzdem noch Unterhalt zu zahlen hättest?
Und so kommt eines zum Anderen. Reicht dir das als Grund, warum ich nicht mit dir telefonieren will? Ich hoffe es. Denn mir reicht’s.
Ach ja, ich warne dich schon mal vor. Wenn ich ausgezogen bin, werde ich dir die Hölle heiß machen. Ich werde dich verklagen. Ich werde dich auf alles verklagen, worauf ich dich verklagen kann. Einfach nur, um dich zu belästigen. Um mich vielleicht etwas zu rächen. Und das kommt dann alles von mir. Damit hat Mama absolut gar nichts zu tun. Ihretwegen mach ich das erst, wenn ich von zuhause weg bin. Denn sie will das nicht. Ich hatte schon so viel Streit deswegen mit ihr. Eigentlich dreht sich jeder Streit um dich.
Dann wünsche ich dir viel Spaß mit deinen Kindern und Enkeln. Ja, den guten Witz hab ich nicht vergessen. Da knallst du nach deiner tollen Hochzeit meiner Mutter an Kopf, dass es „ja soo schön ist, Kinder und Enkel zu haben“, das könne sie sich ja gar nicht vorstellen. Oder auch, dass du für deine neue Familie hunderte von Euro zu Weihnachten ausgibst. Ich bekomm seit Jahren nicht mal ´ne Karte. Immerhin rufst du immer zu meinem Geburtstag an. Und erzählst mir dann, wie viel Geld du zu meinen Geschenken beigesteuert hast. Bloß dass auch das jedes Jahr aufs Neue eine Lüge ist. Denn du hast nur ein einziges Mal etwas dazugegeben. Das waren 20 Euro. Und danach nie wieder. Mir wurde es irgendwann egal. Ich kannte es ja nicht anders. Aber meine Mutter regte sich auf. Und immer wieder fing sie mit dem Thema an. Immer und immer wieder. Dafür hab ich dich dann noch mehr gehasst.
Aber eins hast du mich über die Jahre auf schmerzhafteste gelehrt: Ich werde niemals, wirklich niemals, meine eigenen Kinder so etwas durchleben lassen. Meine Kinder werden nicht ohne Vater groß. Niemals. Nicht weil ich es nicht schaffen würde, nein, das traue ich mir ohne Zögern oder Nachdenken zu, sondern weil es scheiße ohne Vater ist. Es ist verdammt scheiße. Sie sollen nie denken müssen, dass ihr Vater sie nicht liebt. Nie denken, dass ihr Vater derentwegen gegangen ist. Nie erleben, dass ihr Vater sich mit ihnen treffen will und es immer wieder verschiebt. Nie erleben, dass sich andere Väter kümmern und ihr eigener nicht. Und dass sie nicht wünschen, dass er tot ist.
Denn das habe ich oft getan.
Dein „Kind“, wie du mich immer genannt hast. Damit ich das nicht vergesse? Oder damit du es nicht vergisst?
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