9 - Adrien

Meine Samstage laufen immer gleich ab. Eigentlich will ich bis mittags schlafen, doch daraus wird nichts, weil Maman spätestens gegen 9:00 Uhr an meine Tür hämmert und mich lautstark aus meinen Träumen reißt. Wenn ich nicht innerhalb von fünf Minuten freiwillig aufstehe, kommt sie persönlich rein, um das Licht anzumachen und mir einen Vortrag über meine grenzenlose Faulheit zu halten.

Darauf kann ich gut und gerne verzichten, weswegen ich meist freiwillig aus den Federn steige, bevor meine Mutter einen Aufstand anzettelt. Ohne eine kalte Dusche und zwei bis drei Tassen Kaffee geht bei mir morgens gar nichts. Erst danach bin ich wach genug, um etwas zu frühstücken und mir vernünftige Klamotten anzuziehen.

Viel Zeit bleibt mir nicht dafür, denn zu meiner Samstagsroutine gehört auch, dass ich per Facetime mit Noel telefoniere. Da wir in verschiedenen Ländern leben, sind Videocalls oft unsere einzige Möglichkeit, von Angesicht zu Angesicht miteinander zu kommunizieren. Nachdem ich also meine morgendliche Dosis Kaffee und ein paar Croissants verdrückt habe, ziehe ich mich in mein Zimmer zurück für eine ausgiebige Runde Trashtalk mit meinem Cousin.

Genervt muss ich feststellen, dass Coco meine Frühstückspause genutzt hat, um sich in meinem Bett breitzumachen. Ich hasse es, wenn sie das tut, weil ihre Haare anschließend überall sind und ich sie nachts einatme, wenn ich schlafe. Ein Grund mehr, warum ich Mamans kleine Flohschleuder nicht leiden kann.

Kurzerhand schiebe ich den Mops ein Stück beiseite und taste unter der Bettdecke nach meinem Handy. Kaum habe ich es gefunden, meldet sich Noel auch schon. Ohne zu zögern nehme ich den Anruf an und Sekunden später erscheint das vertraute Gesicht meines Cousins auf dem Display.

„Salut, Steckdosenkopf", begrüßt er mich grinsend und erinnert mich daran, dass meine nassen Haare wie kleine, krause Antennen von meinem Kopf abstehen. „Na, alles fit im Schritt?"

„Bien sûr", antworte ich und vergewissere mich nochmal, dass Fenster und Türen geschlossen sind. Ich möchte vermeiden, dass Maman oder gar Mrs. Chambers Zeuginnen unserer niveaulosen Gespräche werden. „Und bei dir? Alles lose in der Hose?"

„Logisch!" Noel strahlt mich mit seinen weißen Zahnreihen an, wie eine Katze, die soeben einen besonders saftigen Vogel gefressen hat. Offensichtlich hat er mir einiges zu erzählen. „Bereit für ein paar schmutzige Details?"

Ach stimmt, ich vergaß, er hatte ja gestern Abend ein Date. Wie so oft. Auf einen Softporno à la Noel gleich nach dem Frühstück bin ich zwar nicht sonderlich scharf, aber er wird mir sowieso davon erzählen, ob ich will oder nicht. „Schieß los", sage ich deshalb, bereit, den Call jederzeit zu beenden, falls es mir zu intim wird. Mein Cousin treibt es erfahrungsgemäß gerne auf die Spitze.

Die nächste halbe Stunde verbringt er also damit, mir in aller Ausführlichkeit von seiner Verabredung zu erzählen. Zwischendurch muss ich ihn tatsächlich bremsen, weil es Dinge gibt, die ich mir einfach nicht bildlich vorstellen möchte. Noel lässt sich davon aber nicht beirren. Seine Gespielin, eine gewisse Isabelle, scheint ihn schwer begeistert zu haben, denn er kriegt sich vor lauter Schwärmerei gar nicht mehr ein.

„Ihre Figur war der Hammer", sagt er und lächelt selig. „Und ihr Hintern erst. Wie ein Apfel. Oder nein – mehr wie zwei perfekte Eiskugeln. Echt krass. Wenn du sie gesehen hättest, wüsstest du, was ich meine."

Okay, ich glaube, es reicht. Wenn Noel anfängt, solche bizarren Vergleiche raus zu kramen, weiß ich, dass es an der Zeit ist, die Reißleine zu ziehen. Sonst darf ich mir gleich noch anhören, was für schöne Melonen seine Isabelle doch hat. „C'est bon", sage ich, bevor er weiter in Erinnerungen schwelgen kann. „Ein Gentleman genießt und schweigt, schon vergessen?"

„Ach, der Spruch gilt doch nur für die, bei denen gar nichts läuft", behauptet er ungerührt und grinst breit. „So wie bei dir, du kleine Nonne. Oder gibt's da mittlerweile was Neues, wovon ich noch nichts weiß?"

Träge grinse ich zurück. Wenn ich in dieser Hinsicht etwas zu erzählen hätte, wüsste er es längst. Meine letzte Beziehung ist kaputtgegangen, nachdem ich mich von meinem Traum, Profifußballer zu werden, verabschieden musste. Seitdem ist nichts Nennenswertes mehr gelaufen. Mit meinem wollüstigen Cousin könnte ich ohnehin nicht mithalten.

Während der letzten Ferien habe ich in seinem Zimmer ein Adressbuch gefunden, in dem er die Namen unzähliger Mädchen mitsamt ihrer Kontaktdaten vermerkt hat. Bei manchen hat er sogar kurze Kommentare dazu geschrieben. Angaben darüber, wie oft er sie schon getroffen hat und vor allem wo. Ich erinnere mich an Einträge wie Clubtoilette, Wald oder Autobahnbrücke. Es braucht nicht viel Phantasie, um sich auszudenken, was an diesen Orten vor sich gegangen ist.

„Übrigens", sagt Noel plötzlich und sieht mich fragend an. „Wie war's eigentlich bei der Nachhilfe? Davon hast du mir noch gar nichts erzählt." Diesmal spart er sich einen frechen Kommentar, wofür ich ihm sehr dankbar bin.

„Scheiße war's", antworte ich achselzuckend. „Diese Grace geht gar nicht. Total arrogant, das Mädel. Wie sie mit Theo und mir geredet hat. Als könnten wir gerade mal bis Drei zählen." Schon beim Gedanken daran bekomme ich schlechte Laune.

„Merde", kommentiert Noel wenig geistreich, spricht mir aber dennoch aus der Seele. „Sieht sie wenigstens gut aus?"

Ich seufze. Kann er einmal mit dem Kopf denken statt mit dem Schwanz? „Na ja", sage ich nüchtern. „Man kann sie schon angucken. Aber ich steh nicht auf Weiber, die mit ihrem Mathebuch unterm Kopfkissen pennen."

Mein Cousin lacht lauthals. „Wieso nicht?", prustet er übers ganze Gesicht feixend. „Wäre doch fast so was wie ein Dreier."

Gegen meinen Willen muss ich auch grinsen, obwohl ich die Vorstellung eher zum Heulen finde. Noel sieht das offensichtlich anders. Er kommt aus dem Lachen gar nicht mehr heraus und ich lasse mich von ihm anstecken. Wir grölen so laut, dass Maman auf uns aufmerksam wird. Ihr Klopfen hören wir nicht, sodass sie plötzlich unangekündigt mitten im Zimmer steht.

„Na?", fragt sie und beäugt misstrauisch das Handy in meiner Hand. „Was ist denn so lustig? Darf man vielleicht mitlachen?"

Bloß nicht. Ich höre auf zu wiehern und räuspere mich energisch. „Ach, es ist gar nichts", sage ich abwinkend, während Noel ebenfalls verstummt. „Wir reden nur gerade über ..." Hilfesuchend schaue ich meinen Cousin an, weil mir spontan keine gute Ausrede einfallen will.

„... Schiffe versenken", vollendet er meinen Satz und ich würde ihn am liebsten schütteln. Wieso kann er nicht wenigstens meiner Mutter gegenüber ernst bleiben?

Maman runzelt misstrauisch die Stirn. „Soso", sagt sie wenig überzeugt. „Schiffe versenken. Das spielt man noch in eurem Alter?" Ihre perfekt geschminkten Augenbrauen wandern langsam ihre Stirn hinauf.

„Klar", antworte ich unschuldig. „Noel spielt es sogar regelmäßig. Ist doch so, oder?" Liebenswürdig lächle ich in meine Handykamera. Das hat er jetzt davon.

Zu meiner gelinden Überraschung schafft er es, keine Miene zu verziehen. „Adrien hat Recht", bestätigt er und winkt in Richtung meiner Mutter. „Salut, Tante Dani! Comment ça va?"

Maman beugt sich vor, um ihn besser sehen zu können. „Salut, Noel. Mir geht's gut, danke. Ich hoffe, dir auch? Wie läuft dein Musikkram?" Man sieht ihr an, dass sie es lieber hätte, wenn ihr Neffe sich einen richtigen Job suchen würde. Ich fürchte aber, darauf kann sie lange warten.

„Ich bin DJ", korrigiert Noel sie gelassen. „Momentan läuft's super! Ich verdiene richtig gutes Geld. Und es macht mir Spaß!" Seine Augen leuchten wie die eines Kindes. Er ist glücklich mit seinem Leben, auch wenn es einfach ist. Aber scheinbar hat er alles, was er braucht.

Maman lächelt verhalten. „Wenn du glücklich bist, bin ich es auch", sagt sie und wirft ihm eine Kusshand zu. „Grüß mir die Familie, ja? Ich muss jetzt los. Au revoir!" Sie ist schon halb zur Tür raus, als mir auffällt, dass sie etwas vergessen hat.

„Nimmst du Coco nicht mit?", frage ich irritiert und deute auf ihre treue Begleiterin, die nach wie vor neben mir liegt und leise schnarcht. Von der Spitze ihrer rosa Zunge tropft etwas Sabber auf meine Bettdecke.

„Nein, sie bleibt heute hier", entgegnet Maman kurz angebunden. „Du gehst bitte später mit ihr Gassi. Keine Diskussion." Mit diesen Worten rauscht sie aus dem Zimmer, ohne sich noch einmal umzudrehen.

Noel lacht schadenfroh. „Na dann, viel Spaß beim Mops ausführen", gackert er und grinst von einem Ohr zum anderen. „Ich glaube, wir sollten Schluss machen. Hab gleich noch 'ne Verabredung." Ach, sag bloß.

„Wie du meinst", brumme ich, während Coco sich auf den Rücken rollt und anfängt, ihre beachtliche Plauze zu lecken. „Dann wünsch ich dir viel Spaß, du Charmeur. Erzähl mir bitte nachher nicht, wie's war." Für heute ist mein Bedarf an Erotik definitiv gedeckt.

„Und ob ich das tun werde." Vergnügt zwinkert er mir zu. „À bientôt, Adri. Lass dich hier bald mal wieder blicken. Sonst komme ich zu dir, ich schwör's!"

„Lieber nicht", erwidere ich spöttisch. „Ich will mir ja nichts einfangen. Wer weiß, was du hier alles anschleppst?" Es tut mir leid, aber der musste sein. Sorry, Noel.

Mein Cousin kann zum Glück darüber lachen. „Das wirst du dann schon sehen", feixt er und winkt zum Abschied in die Kamera. „Also, bis dann. Beim nächsten Mal erwarte ich ein Update von dir und Grace." Zu seinem Glück beendet er das Gespräch, bevor ich etwas dazu sagen kann.

Dazu sag ich jetzt einfach mal nix :D


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