5

Lily und Jasper schlenderte durch das bunte Gedränge. Die Luft um sie herum schien zu surren, ja zu flimmern und schimmern vor lauter Lebendigkeit. Von Koffer und Gepäck befreit, war es ein Leichtes, sich zwischen Familien und Reisegruppen hindurch zu schlängeln und immer wieder einen Blick auf ausladende Zelte oder schillernde Persönlichkeiten der Zaubereigesellschaft zu werfen.

„Oh, nein", murmelte Jasper plötzlich und packte Lily am Ellenbogen. „Was ist?", gab sie zurück und drehte den Kopf. Jasper starrte auf eine kleine Traube von Menschen, die sich vor einem roten Zelt, sie waren immer noch im Lager der Bulgaren, zusammengefunden hatte. „Da sind ein paar Cousinen, weit entfernte Cousinen, Nichten, Vettern sonstige Verwandtschaft fünfzigsten Grades. Lass uns abhauen, Mée. Ich musste das schon gestern ertragen."

Lily runzelte die Stirn und stellte sich auf Zehenspitzen, um einen Blick auf die Menge zu erhaschen, obwohl Jasper sie bereits in die entgegengesetzte Richtung zerrte. Zwischen vielen anderen dunklen, braunen oder kupferroten Haarschöpfen stachen einige Flecken von silberreinem Blond hervor. Lily blieb abrupt stehen. „Sind das Veelas, Jasper?" Er gab es auf, an ihrem Unterarm zu ziehen und stöhnte. „Ja, ja das sind Veelas. Und sie bereiten mir Kopfschmerzen." Lily legte den Kopf schief. „Sie breiten dir Kopfschmerzen? Sicher? Ich dachte immer, diese Veelas seien außerordentlich liebreizende und betörende Wesen." Sie kniff ein Auge zusammen, Jasper rieb sich über die Schläfen.

„Die Veelas, die ich kennenlernen durfte, waren alles andere als das. Gewalttätig, brutal und zerstörerisch. Das würde sie besser beschreiben." Lily schüttelte den Kopf und holte Luft, um etwas zu erwidern, als sich plötzlich eine Hand auf ihre Schulter legte. „So redet Monsieur Claireveaux also über seine Verwandtschaft?" Sie und Jasper fuhren herum. „Wirklich interessant, wo er doch selbst ein Achtel Veelablut in sich trägt. Aber klar, für eine blonde Mähne hat es ja leider nicht mehr gereicht. Da fällt die Identifikation mit der Verwandtschaft verständlicherweise schwerer."

Die lastende Hand verschwand von Lilys Schulter, stattdessen wurde sie ihr jetzt entgegen gestreckt. „Alix Delacour. Freut mich, deine Bekanntschaft zu machen. Auch wenn Jasper, so wie ich ihn kenne, sie mir liebend gerne unterschlagen hätte." Einen Moment lang irrte Lilys Blick perplex hin und her, dann ergriff sie seine Hand und schüttelte sie. „Aimée. Freut mich."

Sie blinzelte, eines seiner Augen war von einem tiefen dunklen blau, das andere leuchtete in einem hellen grün. „Sag mal, kann es sein, dass ich dich kenne?", brach es dann plötzlich aus Lily hervor. Irgendetwas hatte Alixs Anblick in ihr ausgelöst und sie versuchte verzweifelt, herauszufinden was. Ihr Blick wanderte über sein ungekämmtes blondes Haar, dass ihm bis über die Schultern reichte, nur um wieder an seinen Augen hängen zu bleiben.

Alix kniff die Augen zusammen. „Ich wüsste nicht wann. Ich hab das letzte Jahr in Japan verbracht. Warst du schon mal in Japan?" Seine hellen Augenbrauen wanderten in die Höhe, sie waren beinahe weiß und nur deshalb zu sehen, weil sie sich gegen seine gebräunte Haut abhoben. Jasper räusperte sich. „Nein, ich glaube Mée war im letzten Jahr nicht in Japan", unterbrach er sie und zupfte wieder an ihrem Ärmel.

„Und davon ganz abgesehen, kann Mée", Lily verzog das Gesicht zu einer Grimasse und löste seine Hand von ihrem Ärmel, „ziemlich gut alleine antworten." Alix lachte und gab Jasper eine wahrscheinlich lieb gemeinte Kopfnuss. Er zog seinen Kopf weg und boxte ihm etwas stärker als es angebracht gewesen wäre gegen den Oberarm.

„Man sieht sich", sagte Alix und hob eine Hand. „Ich hoffe nicht", erwiderte Jasper halblaut und Lily verdrehte die Augen. Alix, dem das nicht entgangen war, grinste. „A bientôt, Aimée. Je serais content de te revoir."

Lily sah Alix noch ein paar Sekunden lang hinterher, wie er in Richtung der Menschentraube verschwand, bis er mit ihr verschmolz. „Was hat er gesagt, dieser Satz auf Französisch? Ist er Franzose?" Jasper kickte mit der Fußspitze nach einem Stein. „Nein, er hat ein paar französische Sätze auswendig gelernt, um andere damit zu beeindrucken", sagte er missmutig und ging mit schnellem Tempo weiter.

„Ah ja", bemerkte Lily wenig überzeugt und holte auf. „Lügen konntest du auch mal besser." Jasper vergrub die Hände in den Hosentaschen und selbst die grinsenden grünen Kobolde über ihren Köpfen konnten seine Stimmung nicht heben. Die irischen Maskottchen grölten die Nationalhymne und ließen Konfetti über ihre Köpfe segeln.

Ruckartig blieb Jasper stehen. „Natürlich ist Alix Franzose. Er hat einen grauenhaften Akzent." Lily räusperte sich. „Stimmt, absolut grauenhaft", bestätigte sie. Er rollte mit den Augen. „Es ist dir nicht aufgefallen", stellte er resigniert fest und raufte sich die Haare, sodass sie in einem chaotischen Haufen auf seinem Kopf liegen blieben. „Nein, das ist es wirklich nicht", gab Lily zerknirscht zu. „Aber warum, verdammt, ist es mir nicht aufgefallen?", fügte sie etwas leiser hinzu. Jasper zog die Schultern hoch, bis er feixend auf ihre Nasenspitze tippte.

„Er ist eben eine viertel Veela, vielleicht konntest du seinem Charme nicht widerstehen." Lily schlug ihm auf die Hand. „Ach halt doch den Rand, Holzkopf", wies sie ihn freundlich zurecht und lächelte.

Sie führten ihre Tour über das Gelände der Quidditchweltmeisterschaft fort, blieben an ein paar der zahlreichen Stände stehen und Lily ließ sich von Jasper bereitwillig alles über die neusten Technologien des Feuerblitzes erklären, über die Vor und die Nachteile sämtlicher Fanartikel und warum die Bulgaren heute Abend verlieren würden und er sich nicht entscheiden konnte, ob das ihn freuen sollte oder nicht.

Nachdem sie einige Minuten lang schweigend einem auf einem Besen fliegenden Kakadu dabei zugesehen hatten, wie er mit erstaunlichster Präzision in ein schmales Reagenzglas kackte und dabei die irische Hymne sang, begann Jasper wieder mit Alix.

Lily wusste, dass es um ihn ging, noch bevor er den Mund aufmachte. Sie ahnte es wegen der Art und Weise, wie er seinen Blick vorher suchend über die Menschenmenge gleiten ließ, sie ahnte es, als er mit der Fußspitze Spuren in den Kies malte. „Alix heißt noch nicht mal Alix. Eigentlich heißt er Aimeric. Und nur, weil er findet, dass das ein dummer Name ist, hat er ihn einfach geändert."

Jasper rümpfte die Nase, so als sei eine Namensänderung furchtbar anstößig. „Ich würde auch nicht gerne Aimeric heißen wollen", sagte Lily achselzuckend. „Ja, schon", erwiderte Jasper, doch dann hörte Lily ihm nur noch mit halben Ohr zu. Sie waren wieder in der Nähe der Portschlüsselfelder angelangt und für den Bruchteil einer Sekunde hatte sie geglaubt, Sevs Hakennase in der Menge aufblitzen zu sehen.

„Mée, hallo? Jemand zu Hause?" Jasper klopfte ihr auf den Hinterkopf. „Mmh", machte sie und stellte sich auf Zehenspitzen. Da, da war er wieder. „Ich habe gerade gesagt, dass meine Eltern-" „Du, Jasper. Warte mal eine Sekunde. Ich bin gleich wieder da." Lily biss sich auf die Unterlippe, als sie sein leicht säuerliches Gesicht bemerkte. „Tut mir leid", schob sie noch hinterher, drängte sich dann aber weiter in Richtung des schwarzen Umhanges.

Eben war er doch noch hier gewesen. Ganz eindeutig, die meisten waren bunt gekleidet, da fiel Sev auf. Lily schluckte. Je länger sie sich umsah, desto mehr schwarze Umhänge sprangen ihr ins Auge. Ziellos irrte sie umher, ein Zauberer schlug pikiert die Augen nieder, als sie ihn am Arm packte, weil sie dachte, es handle sich um Sev.

„Lily!"

Sevs schneidende Stimme war kaum mehr als ein Zischen. Hände legten sich eng wie ein Schraubstock um ihren Oberarm. Seine Finger bohrten sich in ihre Haut, als er sie hinter sich her zog, bis sie hinter dem Zelt eines Händlers zum Stehen kamen.

„Was hast du dir dabei gedacht, so plötzlich zu verschwinden?", fuhr er sie an und Lily wich zurück, sodass sie beinahe über einen Hering gestolpert wäre, der im Boden steckte. „Gar nichts habe ich mir gedacht, du warst plötzlich weg!", gab sie trotzig zurück. „Was war das überhaupt für eine geniale Idee, auf der Quidditchweltmeisterschaft zu laden?"

„Nicht meine", antwortete Sev trocken. „Und jetzt, wo wir uns wiedergefunden haben, nimm bitte meinen Arm, dann apparieren wir nach Hause." Lily schaffte es nicht, ein Schnauben zu unterdrücken. Nach Hause ins Spinner's End. Was für ein Witz. „Geht nicht", sagte sie nach dem vergeblichen Versuch, das Schnauben in einen Hustenanfall zu verwandeln.

„Ich habe meinen Koffer nicht dabei."

Sev sah sie mit zusammengekniffenen Augen an und auch wenn ihm von außen nichts anzumerken war, Lily hätte zehn Galleonen darauf verwettet, dass es in ihm brodelte. „Das bedeutet, er ist jetzt wo?" Sie holte tief Luft und verschränkte die Arme vor der Brust. „Bei Jasper. Sein Bruder ist mir über den Weg gelaufen und weil du plötzlich weg warst, bin ich mit ihm mit."

Sev atmete schnaubend aus, sein Blick hätte Menschen erdolchen können. „Ich war plötzlich weg, weil hier alles voller Menschen ist und ich uns ein weiteres Drama, so wie das vor den Ferien, ersparen wollte!", stieß er aus und ging einige Schritte auf und ab.

„Ein Drama nennst du das also?", entwich es Lily und dann war es auch schon zu spät, um sich auf die Zunge zu beißen und zu schweigen. „Das Drama vor den Ferien wäre nie notwendig gewesen! Und ich verstehe außerdem nicht, was so schlimm daran ist, wenn ich jetzt zum Zelt zurück gehe und wir uns hier in einer halben Stunde wiedersehen. Du schaffst dir deine Dramen gerne selbst!"

„Glaube nicht, dass mir diese Entscheidung leicht gefallen ist", sagte Sev leise. „Davon ganz abgesehen, hielt ich diese Diskussion bereits für beendet." „Weil ich diese Diskussion nie mit dir führen durfte!" Erbost trat Lily nach dem Hering und versenkte ihn im Boden.

Sie zitterte vor Wut und hätte in ihrem Zorn am liebsten auf ihn eingeschlagen. Es machte sie verrückt, wenn er einfach nur dort stand und keine Miene verzog. Es machte sie verrückt, wenn er ihre Einwände abtat, ohne auch nur einmal über sie nachzudenken. Es machte sie verrückt, wie schwer es ihm fiel, eigene Fehler einzugestehen.

„Ich denke, ich kann jetzt nicht ins Spinner's End zurück."

Lily bemerkte die Tragweite ihrer Worte erst, als sie sie ausgesprochen hatte. Als sie hörte, wie sie sich mit dem Stimmgemurmel der Menge vermischte, in ihm unterging und dennoch klar über ihren Köpfen in der Luft schwebte. Sev schwieg.

„Du hast richtig gehört", bestätigte Lily für den Fall, dass er ihr nicht zugehört hatte. „Das Spinner's End macht mich irre im Kopf. Ich bleibe hier."

Sie starrten einander einige Sekunden lang an, Sevs Gesicht war maskenhaft festgefroren. „Hier", wiederholte er schließlich, aber es war keine Frage gewesen. „Gut, wenn du das möchtest." Lily schluckte und senkte den Kopf zu einem Nicken. Sie wusste nicht, ob sie das in ein paar Stunden, wenn die Wut verraucht war, wieder bereuen würde, aber im Moment war ihr nichts lieber, als zu bleiben.

„Ich schreibe, wenn ich weiß, wann ich zurückkomme." Sev nickte knapp, seine Hand schloss sich um seinen Koffer. Sie schwiegen einen Augenblick lang, dann wurde sein Gesichtsausdruck weicher. „Schöne Ferien", sagte er, aber Lily wusste nicht, ob er das ernst oder ironisch gemeint hatte.

Ohne ihr die Zeit zu geben, etwas zu erwidern, drehte Sev sich auf der Stelle und disapparierte mit einem lauten Knall, der aber sofort von der Menschenmenge geschluckt wurde.

Langsam drehte Lily sich um, sie fühlte sich wie betäubt. Aus den Augenwinkeln nahm sie wahr, wie Jasper sich näherte. Er runzelte die Stirn, als er ihr gegenüber stand. „Du siehst blass aus", bemerkte er und Lily seufzte. „Streit mit meinem Vater. Habt ihr ein Sofa oder so auf dem ich schlafen kann?"

Jasper schenkte ihr ein verständnisvolles Lächeln. „Kommt mir bekannt vor." Er versenkte die Hände in den Taschen. „Wenn du Streit entgehen willst, ist eine Übernachtung unter dem Dach der Claireveaux zwar eine denkbar schlechte Option, aber Sofas haben wir genug." Lily grinste halbherzig und hängte sich bei ihm ein. „Danke, Jasper." „Rede keinen Unsinn. Ist doch klar", gab er zurück, aber Lily entging nicht, wie er rot wurde.


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