29
Die folgenden Tage zeigten Lily, dass sie mit ihrer Skepsis gegenüber dem Weihnachtsball ziemlich alleine dastand. Überall um sie herum wurde davon gesprochen, getuschelt und die wildesten Gerüchte über Pärchen und wer vorhatte, wen zu fragen, sprossen an jeder Ecke aus dem Boden. Noch schlimmer wurde es, als sogar McGonagall während Verwandlung davon anfing.
Spätestens jetzt hatte jeder begriffen, dass er die Sache ernst zu nehmen hatte. Lily saß neben Jasper und warf ihm ab und zu einen schrägen Blick von der Seite aus zu. Aber so sehr sie sich noch bemühte, in seinen Gedanken zu lesen, seine Mimik verriet nichts. Sie schnaubte verächtlich, als es zum Stundenende läutete.
Von wegen Jasper würde sie fragen, bisher ließ er sich ordentlich Zeit dafür. Madison dagegen hatte sich ihre Begleitung schon organisiert. Noch am selben Abend der ersten Aufgabe, sie war mitten in der Nacht in den Schlafsaal gewankt, mit geröteten Wangen und einem siegessicheren Grinsen auf den Lippen. Vielleicht sollte Lily Jasper einfach selber fragen.
Aber das war doof, schließlich war sie selbst gar nicht zum Ball zugelassen, sie konnte ihn schlecht fragen, ob er sie begleiten wollte. Und davon abgesehen, wie sollte sie ihn fragen. Wie fragte man so etwas? Ohne, dass man sich komplett bescheuert vorkam.
„Mr. Claireveaux, auf ein Wort?"
McGonagall riss Lily aus ihren Gedanken. Sie bemerkte, wie alle um sie herum schon ihre Taschen gepackt hatte. Jasper stand schon, nur Harry und Ron trödelten noch und räumten in der letzten Reihe ihre Bücher zusammen.
„Mit ein bisschen Beeilung, meine Herrschaften", forderte McGonagall sie auf und schnalzte ungeduldig mit der Zunge. „Und Mr. Potter, bedenken Sie bitte, dass sie mit Ihrer Begleitung innerhalb eines Eröffnungstanzes die Gesellschaft in die Ballnacht einführen werden."
Harrys Augen weiteten sich. „Ein Eröffnungstanz?", fragte er erschrocken und im Gegensatz zu Jasper sprach sein Gesichtsausdruck Bände. „Ein Eröffnungstanz, jawohl. Und nun flott, ich möchte ein Wort mit Mr. Claireveaux wechseln."
Lily drehte sich zu Jasper um. „Soll ich noch warten?", fragte sie, denn normalerweise machten sie sich nach Verwandlung immer zusammen auf den Weg. Jasper in Richtung der Gewächshäuser und Lily in Richtung des Klassenraums für Zauberkunst. Flitwick würde es ihr bestimmt verzeihen, wenn sie ein paar Minuten später kam.
Aber Jasper schüttelte nur den Kopf. „Schon gut, brauchst du nicht." Lily zog die Augenbrauen hoch, McGonagall schloss die Tür zwischen ihnen. „Gut, dann eben nicht", murmelte sie perplex und folgte Ron und Harry mit einigen Schritten Abstand die Treppe hinunter.
„Du schaust so, als hätte man dir Peeves als Date für den Weihnachtsball zugeteilt", meinte Laureen prompt, als Lily sich neben sie fallen ließ. Ginny holte entrüstet Luft. „Das wäre eine Ehre, kein Grund so ein Gesicht zu ziehen!", bekräftigte sie. „Peeves wäre immerhin ein amüsanter Begleiter."
Lily nickte müde und war froh, als Hillary dazu überging, einen von Peeves neusten Streichen zu erzählen und Laureen nicht mehr auf Lily eingehen konnte.
Irgendwie lief der gesamte Tag verquer. In Zauberkunst wollte ihr selbst ein einfacher Aufmunterungszauber nicht gelingen und nachdem sie ihren Zauberstab frustriert vor sich auf das Pult schleuderte, entfachte er eine Stichflamme, die Professor Flitwick enttäuscht seufzen ließ.
Beim Abendessen in der Großen Halle freute sie sich einfach nur noch darauf, sich bald in ihrem Bett verkriechen zu können und meinte schon, alles könnte nicht schlimmer kommen, als sie plötzlich sah, wie sich Rosalie ihren Weg auf sie zu bahnte.
„Kann ich mich kurz setzen?", fragte sie Dean Thomas, der neben Lily saß und sofort aufsprang. Rosalie schenkte ihm ein Lächeln, Dean errötete und Ginny verdrehte in seinem Rücken so heftig die Augen, dass es wehtun musste.
„Guten Abend, Aimée", sagte sie und Lily fragte sich, ob sie absichtlich mit einem so großen französischen Akzent redete. Sie schluckte diesen unterbewussten Groll, von dem sie nicht wusste, woher er gekommen war, herunter und lächelte.
„Ich 'offe ich störe nischt", fuhr Rosalie fort und strich sich eine lange karamellfarbene Haarsträhne aus dem Gesicht. Dean hinter ihr wirkte, als würde er am liebsten der ganzen Halle verkünden, wie wenig es ihn störte.
„Nein, überhaupt nicht", sagte Lily und konnte nicht komplett verhindern, dass sie ein wenig so klang, als hätte sie entsetzliche Zahnschmerzen.
„Sehr gut", sagte Rosalie erleichtert. „Ich habe eigentliesch zwei Fragen. Weißt du noch, letzten Winter, da 'aben wir uns über das Entwicklungsbad für die Fotos unter'alten. Ich 'atte ge'offt, du könntest mir vielleicht helfen. Ich 'abe kaum noch vom Zaubertrank und kenne die Geschäfte hier nicht, letztes Jahr 'atte ich den Eindruck, dass du dich gut auskennst. Und ich würde beim Weihnachtsball so gerne ein paar Fotos machen, die werden bestimmt toll aussehen."
Ihre Augen bekamen einen märchenhaft verschleierten Glanz. Lily nickte schnell. Solange es nur etwas Zaubertrank war. Sie würde Sev darum bitten können.
„Und meine zweite Frage", Rosalie hielt Zeige- und Mittelfinger in die Luft und rückte etwas näher an Lily heran, „da geht es auch um den Weihnachtsball. Ich 'abe mich gefragt ob Jasper dich vielleicht gefragt 'at." Sie druckste etwas herum, Lily beobachtete, wie Ginny aufmerksam ihre Ohren spitzte.
„Und, du weißt schon, ob ihr zusammen 'ingehen werdet." Sie blinzelte ein paar Mal. Selbst Rosalies Wimpern waren lang und karamellfarben. „Ich 'atte manchmal den Eindruck..." Sie sah Lily abwartend an. „Was?", gab sie schnell zurück und als Rosalie ihren Kopf schräg legte, wedelte sie abwehrend mit ihren Händen.
„Jasper und ich? Nein, nein, überhaupt nicht!"
Ginnys Körperhaltung ihr gegenüber versteifte sich. Rosalie atmete erleichtert aus. „Gut, ich wollte nämlich fragen, ob es ein Problem wäre, wenn, also falls er mich fragt, ob es in Ordnung für dich wäre, wenn ich zustimme."
Lily schüttelte zunächst den Kopf, bevor sie nickte. „Ja, doch, klar", sagte sie tonlos. „Warum sollte das ein Problem sein?" Die Worte hinterließen einen schalen Geschmack in ihrem Mund.
„Also darüber musst du dir keine Gedanken machen, ich kümmere mich um den Entwicklungstrank und Jasper", sie machte eine wegwerfende Handbewegung.
„Ich darf sowieso noch nicht zum Ball und das Tanzen und so", sie winkte ab. „Bist du dir sicher?", fragte Rosalie und legte ihre Stirn in Falten. Lily spürte, wie sie rot wurde. Dean Thomas schielte von der Seite zu ihr herüber und davon abgesehen beobachteten Ginny und Laureen sie ungeniert.
„Ja, ja, natürlich. Hundertprozent sicher", entgegnete Lily und um das Thema zu wechseln: „Ich denke, ich kann dir den Trank schon in ein paar Tagen bringen. Wie viel brauchst du denn? Reichen zwei kleine Phiolen des Konzentrats?"
Rosalie wirkte kurz, als würde sie sich mit Lilys Antwort nicht abfinden wollen, dann lenkte sie ein. „Ja, ich denke zwei Phiolen für eine hundertfache Verdünnung werden ausreichen. Vielen, vielen Dank, Aimée!" Sie umarmte sie und hauchte einen französischen Bisous auf Lilys Wange.
Lily seufzte leise. „Liebend gerne, ist doch keine Urssche." Rosalie sah sie zögern an. „Weißt du, du könntest ruhig sagen, wenn-" Lily warf ihr einen mehr als warnenden Blick zu. „Ich möchte nur nicht, dass-" Ginny schnaubte verhalten.
Rosalie sah sie leicht verstimmt an und schüttelte den Kopf. Die Haare, die ihr dabei in die Stirn fielen, strich sie direkt wieder zurück hinters Ohr. „Gut, ich 'abe verstanden", antwortete sie, „wirklich vielen Dank und noch einen guten Appetit."
„Ich wollte nicht unhöflich sein", murmelte Lily leise und funkelte Ginny böse an, aber das bekam Rosalie schon gar nicht mehr mit. Sie bewegte sich mit langen Schritten durch die Halle, als würde sie ihr gehören. Dean Thomas sah ihr aufmerksam hinterher. Erst nachdem Rosalie sich wieder neben Jasper gequetscht hatte und die beiden mit zusammengesteckten Köpfen eine Unterhaltung anfingen, kehrte Dean Thomas Blick an den Gryffindortisch zurück.
„Vorschlag, Lily", sagte Dean und grinste. „Was hältst du davon, wenn du Rosalie fragst, ob sie mit mir zum Ball gehen möchte? Dann ist Jasper wieder für dich frei und-"
Lily verdrehte die Augen und sorgte mit einem kleinen Zauberstabschlenker dafür, dass sich zwei von Dean Thomas sowieso viel zu langen Haarsträhnen mitten auf seiner Stirn zu einer Schleife banden. „Einen Teufel werde ich tun, Mr. Thomas", erwiderte sie und stocherte in ihrem Nachtisch herum, während sie genau spürte, wie zwei Augenpaare vom Slytherintisch auf ihr lasteten.
„Warum hast du das gemacht?", fragte Ginny, als sie sich auf den Weg in den Gemeinschaftsraum machten. „Dean Thomas Haare zusammen geknotet?", fragte Lily und legte einen Schritt zu. „Es sah doch witzig aus, wie er versucht hat, den Knoten wieder aufzumachen." Ginny holte auf. „Nein, du Idiotin. Warum du Rosalie nicht gesagt hast, sie soll ihre Hände da aus dem Spiel lassen."
Lily zog die Schultern hoch. „Aber du würdest doch gerne mit ihm hingehen?", bohrte Ginny nach. Lily verschränkte die Arme vor ihrer Brust.
„Weihnachtsball Weihnachtsball Weihnachtsball. Wenn das so weitergeht, habe ich bald überhaupt keine Lust mehr, auch nur einen großen Zeh dort hinein zu setzen. Ist es nicht möglich, mal über etwas anderes zu reden?", fragte sie.
Ginny lenkte ein. „Von mir aus", sie zuckte die Achseln. „Ich habe Kimmkorns Feder verhext bekommen", sagte sie und Lily atmete bei dem neuen Thema erleichtert aus.
„Es war nicht so einfach, es lag ein Schutzzauber drauf und ich hab das Gefühl, die Feder hat etwas an Farbe verloren. Aber dafür verblasst die Tinte nach ein paar Stunden und ich habe ein wunderbares Buch für Zauberkunst entdeckt." Sie klang beinahe euphorisch.
„Was denkst du, gibt es etwas Frustrierenderes, als einen ellenlangen Text zu verfassen, der dann hinterher einfach verschwindet?" Sie grinste spitzbübisch und sah Fred und George dabei plötzlich erschreckend ähnlich. „Natürlich wird der Spaß nur einmal funktionieren und dann wird sie sich eine neue Feder kaufen und wir können ihr Gesicht nicht dabei beobachten, wenn sie es bemerkt... Aber ich denke, das wird es mir trotzdem wert sein."
Sie standen vor dem Porträtloch der Fetten Dame. „Das nenne ich gute Arbeit", antwortete Lily anerkennend und wandte sich an die Fette Dame: „Quatsch." Die Fette Dame schwang beiseite und gab den Zugang zum Gemeinschaftsraum frei. „Wenn Sie das so sehen."
„Ihr gehört das letzte Zimmer im zweiten Stock rechts in den Drei Besen. Wir können einfach eine Eule losschicken, oder?", schlug Lily vor. „Wenn du möchtest, kann ich das direkt erledigen. Ich muss Rosalies Entwicklungstrank sowieso besorgen, dann kann ich gleich in der Eulerei vorbei gehen."
Ginny willigte ein und händigte Lily die Feder zusammen mit einem pathetisch reumütigen Entschuldigungsschreiben aus. „Dann schöpft sie keinen Verdacht", erklärte sie und Lily schickte den Zettel mit ab, obwohl sie Innern bezweifelte, dass Sätze wie ich bereue diese abgründig hässliche Tat aus der Tiefe meines Herzens Rita Kimmkorn ins Schwimmen bringen würden.
Auf dem Rückweg von der Eulerei klopfte sie an Sevs Tür.
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