28
Um Kimmkorn und den Fotografen nicht in die Arme zu laufen, machte Lily einen großen Bogen um den Schwarzen See, bevor sie einen Haken zum Krankenzelt schlug. Alix war verschwunden, dafür strömten Menschenmassen die Wiese. Die erste Turnierrunde war vorbei und Lily hatte Krum sowie Harrys Teilnahme verpasst.
Sobald sie die ersten Schülergruppen kreuzte, versuchte sie aus ihren Gesprächen herauszuhören, wie Harry sich geschlagen hatte. Aber aus dem französischen und bulgarischen Stimmengewirr drang zwar manchmal sein Name hervor, aber da hatten Lilys Sprachkenntnisse auch schon ihre Grenze erreicht.
Weil sie nicht wusste, wie sie Ginny, Hermine und Neville in dem Getümmel wiederfinden sollte und ob es nicht vielleicht schlauer war, direkt in den Gemeinschaftsraum zu gehen, stromerte sie etwas verloren um das Krankenzelt herum. Sie nahm sich vor, nach orangefarbenen Haarschöpfen Ausschau zu halten, denn wo sich ein Weasley befand, waren andere normalerweise auch nicht fern. Trotzdem erwischte Lily sich mehr als einmal dabei, wie sie auch bei erstaunlich hellblonden Haaren plötzlich auf Zehenspitzen stand.
„Lily!"
Sie fuhr herum, Ginny kam auf sie zu, im Schlepptau befanden sich Harry, Ron und Hermine. Ron und Harry sprachen miteinander, anscheinend hatten die Drachen dabei geholfen, ihr Kriegsbeil zu begraben. „Du hast Harry verpasst", beklagte Ginny sich vorwurfsvoll. „Wolltest du nicht wiederkommen?"
Lily spielte kurz mit dem Gedanken, ob sie ihr sagen sollte, dass sie sich bloß woanders hingesetzt hatte, entschied sich dann aber für die Wahrheit. Sie konnte nicht noch mehr Lügen in ihrem Leben gebrauchen.
„Ja, ich weiß, tut mir leid. Wie war es denn, wie ist es denn gelaufen, er sieht noch erstaunlich intakt aus", antwortete sie und hörte, wie Harry von hinten zu ihnen aufschloss. „Erstaunlich intakt? Habe ich da richtig gehört, was heißt hier erstaunlich?"
Lily verdrehte die Augen. „Ach ja stimmt, eigentlich machst du das ja jeden Tag, so gegen Drachen kämpfen", entgegnete sie und sah Harry zu einer Antwort ansetzen, als ihn plötzlich eine Hand mit langen Fingernägeln den Weg versperrte.
„Ein glorreicher Sieg für den jüngsten Champion, Harry Potter, ein exklusives Interview für den Tagespropheten vielleicht?"
Es war Rita Kimmkorn.
Lily ging hinter Ron in Deckung, aber zu spät, Rita Kimmkorn hatte sie gesehen. Binnen Sekunden galt ihr Blick nicht mehr Harry, sondern Lily stand im Fokus ihrer Aufmerksamkeit. Ihre Augen funkelten gefährlich und das Lächeln, das plötzlich auf ihren Lippen lag, erinnerte eher an ein Zähneblecken.
„Na wen haben wir denn hier. Amando, ich glaube, wir haben unseren kleinen Dieb gefunden, nicht wahr?" Fingernägel bohrten sich in ihren Oberarm. „Du hast etwas, das mir gehört", zischte Kimmkorn und der Druck ihrer Hand wurde stärker.
Lily überlegte panisch, wie sie aus der Situation wieder rauskommen sollte, als Harry sich zwischen sie schob. Mit einer Selbstsicherheit, die man nur ausstrahlen konnte, nachdem man gerade ein tobendes Drachenweibchen besiegt hatte, schob er sich zwischen sie und zwang Kimmkorn dazu, ihre Hand von Liys Arm zu lösen.
„Nein danke, ich verzichte auf ein Interview. Und an Ihrer Stelle würde ich machen, dass ich hier wegkomme. Hat Dumbledore Ihnen kein Hausverbot erteilt? Wenn Sie auch nur eine Minute länger meine Freunde belästigen, werde ich dafür sorgen, dass sie nie wieder einen Fuß auf das Gelände setzen!"
Kimmkorn taxierte Lily noch einen Augenblick lang und vielleicht hätte sie Harry ignoriert, wenn nicht in diesem Moment Dumbledore höchstpersönlich an der Seite von McGonagall in einigen Metern Entfernung an ihnen vorbei gelaufen wären.
„Das wird ein Nachspiel haben, mach dich darauf gefasst", fauchte sie, dann rauschte sie in entgegengesetzter Richtung davon. Amando, der verdatterter Fotograf, folgte ihr stolpernd.
Erleichtert ließ Lily die Luft aus ihren Lungen entweichen und atmete aus. Harry sah sie ungläubig an. „Du hast nicht wirklich Rita Kimmkorn bestohlen?", fragte er ungläubig. Lily zuckte mit den Schultern und griff in ihre Tasche. „Möglicherweise", gab sie zu.
„Ziel erreicht." Lily wechselte einen Blick mit Ginny. „Jetzt bist du dran, vielleicht klappt es ja und du kannst einen der Zauber, die du in der Bibliothek gefunden hast, auf die Feder anwenden." Ginny erweiderte ihr verschwörerisches Grinsen und nahm die Feder entgegen.
„Mit größter Freude."
Hermine, die die ganze Zeit über noch nichts gesagt hatte, schüttelte nur mit dem Kopf. „Das ist ein Spiel mit dem Feuer, ich glaube Kimmkorn ist echt nicht zu unterschätzen", meinte sie leise. Ron verdrehte die Augen. „Ach komm, mach dich mal locker, sie hat Hausverbot, bald werden wir von der gar nichts mehr hören." Hermine zuckte nur mit den Schultern.
„Genau, Hermine, verdirb uns nicht den Spaß!"
Die Weasley-Zwillinge kamen von hinten angelaufen und sprengten ihren kleinen Kreis. „Genau", sagte Fred, „wir haben zwar keinen blassen Schimmer, wovon ihr redet, aber Hermine, verdirb uns nicht den Spaß!"
Harry und Ron lachten, Hermine seufzte. „Schön, dass ihr euch wieder einig seid." Ginny schenkte Ron einen kritischen Blick über die Schulter hinweg, die Zwillinge überholten sie mit großen Schritten. „Das war ein Spaß! Hermine, wir lieben dich und deine positiven Seiten." Fred warf ihr überschwänglich einen Luftkuss zu, den sie mit einem „ihr habt sie nicht mehr alle" quittierte.
„Lily kommst du mit? Wir können Hilfe in der Küche vertragen, wenn du dabei bist, rücken sie immer mit den leckersten Sachen raus", wandte sich George an sie und klopfte Harry im Vorbeigehen auf die Schultern. „Denn Dank unserem Freund hier haben wir alle heute ordentlich etwas zu feiern!"
„Liebend gerne", antwortete Lily und beeilte sich, ihnen hinterher zu kommen. Sie ignorierte das ungute Gefühl, das sich schwer in ihrer Brust breit machte. Aber Hermine konnte kein Recht haben. Jetzt besaß Ginny die Feder, man konnte ihr nichts mehr beweisen und abgesehen davon kannte Kimmkorn nicht mal ihren Namen. Sie seufzte leise. Jetzt konnte sie definitiv ein paar Köstlichkeiten aus der Küche vertragen.
*
Harry teilte sich zusammen mit Viktor Krum den ersten Platz und hatte eine Show abgeliefert, mit der vorher niemand gerechnet hatte. Dementsprechend eskalierte der Gemeinschaftsraum.
Butterbierkorken knallten durch die Gegend, riesige bunte Banner mit Harrys Gesicht hingen von den Wänden und immer wieder finden die Weasley-Zwillinge aus dem Nichts an zu grölen und mit Feuerwhisky auf Harrys Erfolg anzustoßen. Noch dazu kam, dass irgendwer einige Durmstrangs eingeladen hatte, die in einer Ecke des Gemeinschaftsraumes ein Kartenspiel erklärten, bei dem sich Lily nicht sicher war, ob Sev es nicht als schwarzmagisches Objekt einkassiert hätte.
Wenn Lily das Prinzip aus der Ferne richtig verstanden hatte, ging es darum, über das Blatt in seiner Hand zu lügen, während sich jede einzelne Lüge unter immer größer werdenden Schmerzen in schwarzer Farbe auf die Haut am Rücken einbrannte. Sie beschloss, sich von dem Spiel fernzuhalten.
Die Weasley-Zwillinge stattdessen nutzen die Feier strategisch klug, um ihre neuste Erfindung zu präsentieren. Unter die Leckereien aus der Küche hatten sie Kanariencremeschnitten gemischt und so passierte es immer wieder, dass sich plötzlich ein ahnungsloser Schüler für einige Sekunden in einen quietschgelben Kanarienvogel verwandelte.
Lily saß mit Madison und Ginny zusammen vor dem Kamin, sie hatten sich die besten Plätze sichern können und sogar gegen einen Fünftklässler verteidigt.
„Leute, wisst ihr, was ich von einem Mädchen aus Ravenclaw gehört habe?", fragte Madison und wickelte sich eine Haarsträhne um den Finger, während sie aufmerksam die Bewegungen von einem der Freunde des Fünftklässlers beobachtete. Als er Madisons starrende Blicke bemerkte und aufsah, schaute Madison weg und lehnte sich zu Lily und Ginny vor, als wäre sie schon immer in ein intensives Gespräch verwickelt gewesen.
„Es wird ein Weihnachtsball stattfinden und erst Schüler ab dem vierten Jahrgang wird es erlaubt sein, dort hinzugehen." Sie seufzte theatralisch. „Natürlich nur, sofern sie nicht die Begleitung von jemandem aus den höheren Jahrgängen sind."
Lily sah, wie Ginny angesichts der Offensichtlichkeit von Madisons Kontaktaufnahme zu dem hübschen Fünftklässler, schon Schwierigkeiten bekam, ihr Lachen zurückzuhalten. „Ja das stimmt. Wirklich ärgerlich", sagte Lily, betont ernst. Ginny prustete leise in ihren Ellenbogen. Zum Glück saß sie mit dem Rücken zum Fünftklässler.
Madison schnaubte verärgert. „Du darfst dich überhaupt nicht beschweren", sagte sie streng. „Jasper wird dich morgen schon fragen und ihr werdet b-e-z-a-u-b-e-r-n-d zusammen aussehen und am Ende des Abends wird er auch vielleicht endlich mal die Eier haben dich zu küssen." Sie schnaubte ein zweites Mal, Lily schnappte empört nach Luft.
„Madison!"
Sie pustete sich eine ihrer schwarzen Korkenzieherlocken aus dem Gesicht. „Was hast du denn, keine Ahnung, ich glaube selbst Snape hat mitbekommen, dass er auf dich steht." Lily schluckte und spürte, wie ihre Wangen rot wurden. „Das stimmt doch gar nicht", antwortete sie zögern und hoffte wirklich inständig, dass es nicht stimmte. Zumindest das mit Sev.
„Ich dagegen", verfiel Madison zurück in ihre dramatische Sprechweise, „werde am Abend des Weihnachtsballs alleine in meinem Bett sitzen und wahrscheinlich um zehn Uhr schlafen gehen. Eine Schande ist das." Sie schüttelte den Kopf und blinzelte ein paar Mal unauffällig zurück zu dem Jungen.
Er sah wirklich nicht schlecht aus, vielleicht ein bisschen wie Alix, nur ohne diesen Ausdruck in seinem Verhalten, diesen Ausdruck von ... Lily wusste gar nicht richtig, wie sie es beschreiben sollte. Freiheit? Unabhängigkeit? Vielleicht. Madison stupste sie an.
„Irgendjemand noch ein Butterbier?" Lily verneinte, Ginny nickte. „Und du?", Madison wandte sich an den Typen. „Du schaust so fragend. Butterbier gefälligst?" Der Junge nickte. „Ja klar gerne, warte, ich komm mit und helfe dir tragen."
Lily konnte nicht anders, sie war beeindruckt und Madison für den Rest des Abends verschwunden.
„Sie ist wirklich unglaublich", sagte Lily zu Ginny, als sie beide auf dem Weg zu ihrem Schlafsaal kaum noch die Augen aufhalten konnten. „Warte nur ab, sie hat es richtig gemacht. Wenn wir Pech haben, wird sie die einzige sein, die auf den Weihnachtsball kommt", meinte Ginny.
„Obwohl, wenn Jasper es nicht auf die Reihe bekommt, dich zu fragen, dann werde ich ihn eins mit Georges Quidditch-Schlagholz über den Kopf ziehen. Aber wer soll mich fragen?"
„Wenn dich niemand fragt, sind sie einfach nur dämlich", antwortete Lily und verdrehte die Augen. „Und selbst wenn nicht, was ist überhaupt so toll an diesem Ball?" Ginny zog die Schultern hoch. „Keine Ahnung, die Schicksalsschwestern kommen."
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