15
Jasper saß bereits mit Hagrid und einer Tasse Tee in der Sonne, als Lily bei ihnen ankam. Hinter der Holzhütte tobten die inzwischen doch sehr groß gewordenen Welpen herum und der Verbotene Wald wirkte freundlich, fast einladend. Jaspers und Hagrids Gespräch verstummte, als Lily die vollgepackte Tasche neben sich auf den Boden fallen ließ und sich die Schulter rieb. Sie kam sich beinahe wie ein Eindringling vor, so angeregt hatten sich die beiden unterhalten.
„Na, kommst du um dir die Hundeliebe mit Fleischknochen zu erkaufen", frotzelte Jasper und grinste breit. Lily verdrehte die Augen. „Die lieben mich auch so", entgegnete sie und freute sich, als Mette ankam und ihr einen Schnauzenstupser verpasste. „Schau, Jasper!"
Mette umkreiste Lily einmal und nur mit einem halben Hechtsprung schaffte Lily es, die Tragetasche zu retten. „Schau, Mée", sagte Jasper und Hagrids Vollbart bebte unter seinem Lachen. „Unglaublich wie verfress'n die sind, da komm' die alle nach ihr'm Vater", sagte er beinahe etwas stolz und Fang, der unter dem Holztisch lag, hob kurz den Kopf.
Hagrid stand auf, nahm die Fleischreste aus Lilys Tragetasche und verschwand mit ihnen in seiner Hütte. Jasper trommelte mit seinen Fingern eine Melodie auf die Tischplatte.
„Alles klar ansonsten?", fragte Lily und zog an einem Holzspan, der sich gegen Himmel hob. „So ziemlich", antwortete Jasper und grinste schief. „Draco erholt sich langsam von seinem Dasein als Frettchen, hat aber einen Riesenschiss vor Moody." Lily lachte. „Das glaube ich gerne. Der Anblick war göttlich." Jasper nickte, sein Grinsen verblasste langsam.
„Ich hab außerdem ein bisschen mit Noah geredet." Lily setze sich aufrechter hin. „Und?", fragte sie vorsichtig. „Er macht mir immer noch ein paar Vorwürfe", setze Jasper stockend an, „verständlich, schätze ich." Sie gab ein zustimmendes Geräusch von sich.
„Ich hab ihm von den Narben und meinem Rücken und so erzählt. Und, dass Dad bald eine Gerichtsverhandlung deswegen hat. Das ihm das seine gesamte Karriere zunichte gemacht hat und er wahrscheinlich Unmengen an Geldstrafe zahlen muss und das alles, während er sich von Maman trennt und sie quasi das ganze Familienvermögen besitzt." Jasper schluckte.
„Dann hat er eine ganze Weile erstmal nichts mehr gesagt."
Sie schwiegen und hörten Hagrid leise in seiner Hütte herum pfeifen. Er traf kaum einen Ton, aber die Melodie klang fröhlich.
„Bei der Quidditchweltmeisterschaft", begann Lily vorsichtig. „Da hat Noah von der Rosalie-Sache gesprochen." Sie beobachtete aufmerksam Jaspers Gesicht, aber seine Miene blieb ausdruckslos. „Was meinte er damit?"
Er seufzte und legte den Kopf in den Nacken. „Das ist eine kompliziertere Geschichte", sagte er nur und schloss die Augen, um nicht gegen die Sonne blinzeln zu müssen. Lily biss sich auf die Unterlippe. „Keine Sorge, es ist in Ordnung, wenn du das nicht erzählen möchtest." Eine etwas längere Pause entstand. „Es ist nur... Ich habe das Foto und Rosalies Brief gefunden, als ich ein paar der Sachen gepackt habe."
Jasper seufzte wieder. „Wir haben uns in den Ferien fast jeden Tag geschrieben, in ihrer Familie herrscht auch ein ganz schönes Chaos." Lily schluckte ihr schlechtes Gewissen herunter. Eigentlich hätte sie diejenige sein sollen, die während der Ferien für ihn da war.
„Es tut mir leid, Jasper. Es war dir nicht fair gegenüber, vor den Ferien so abzuhauen und dich allein zu lassen."
Jasper schwieg einen Augenblick lang. „Nein, das war es nicht", gab er schließlich zu. „Aber das Problem ist, dass du mir die Gründe dafür nicht sagen willst, nicht wahr?" Er setzte sich wieder aufrecht hin. Ihre Blicke kreuzten sich, Lily versuchte, einen Anflug von Verbitterung in seinen grauen Sturmaugen zu entdecken und scheiterte. Der Ausdruck, der in seinen Augen lag, war fast verständnisvoll, aber irgendwie war das fast schlimmer.
„Es ist in Ordnung, wenn du das nicht erzählen möchtest. Ich denke es gibt Gründe dafür und inzwischen vertraue ich dir soweit, dass ich weiß, dass du mir davon erzählen würdest, wenn es wirklich wichtig wäre." Jasper lächelte offen, Lily wurde beinahe übel so hohe Wellen schlug ihr schlechtes Gewissen innerlich. „Natürlich würde ich das", sagte sie und ihre Stimme klang buttrig weich.
„Rosalie kommt übrigens", durchbrach Jasper nach einigen Minuten die Stille. Lily sah verdutzt auf. „Kommen? Wohin genau kommen?" „Na nach Hogwarts natürlich."
Sie runzelte verdutzt die Stirn. „Sie hat es mir im letzten Brief geschrieben. Wegen des Trimagischen Turniers, am dreißigsten Oktober. Eine Gruppe von Beauxbatons Schülern wurde ausgewählt und sie ist mit dabei."
„Oh, beeindruckend", sagte Lily und wusste nicht, warum ihre Stimme plötzlich so hohl klang. Jasper zuckte mit den Schultern. „Sie sagt sie hätte etwas Angst letztendlich richtig ausgewählt zu werden, aber so ist es auf jeden Fall mehr als genial, dass sie mitkommt."
„Klar", sagte Lily und war mehr als froh, als Hagrid wieder aus seiner Hütte trat und die Stille zwischen ihnen beendete, bevor sie allzu unangenehm werden konnte.
Die Fleischreste an die Meute an hungrigen Welpen zu verteilen war eine willkommene Ablenkung und sie lachten herzlich darüber, wie vor allem Kakao und Mette als Berserker über alle anderen hinweg sprangen und Unruhe stifteten.
Hagrid berichtete jetzt auch Lily von seinem jüngsten Erfolg, den er bei seinem letzen Hogsmeade-Besuch eingefahren hatte. Auch Litschi war bei einer kleinen Familie unter den Hut gekommen und während die ersten Schultage vergingen und langsam wieder die altbekannte Routine einkehrte, rückte auch der Tag näher, an dem sie die groß gewordenen Wollknäuele würden abgeben müssen.
„Nächste Woche hab ich vereinbart", teilte Hagrid ihnen mit, bevor sie sich wieder auf den Weg ins Schloss machten. „Sonst ist das auch mit'm Unterricht so heikel." Jasper nickte, wirkte aber ebenso bedröppelt wie Hagrid selbst. „Un' Mette bleibt natürlich so lang noch bei mir, bis wir jemanden gefunden hab'n."
„Danke, Hagrid", sagte Jasper und Lily nickte beipflichtend.
Nicht nur mit Claires Familie schien alles ins Lot zu kippen, auch ansonsten gewöhnte Lily sich wieder rasch an den normalen Alltag im Schloss. Sie verstand sich relativ gut mit Sev, bisher hatten sie sich kein weiteres Mal gestritten, sie verbrachte Abende und halbe Nächte mit Laureen, Hillary, Madison und Ginny auf ihren Betten sitzend und redend bis in die Morgenstunden. Sie berichteten von ihren Ferien, aßen Bertie Botts Bohnen in allen Geschmacksrichtungen und beschwerten sich über die anspruchsvollen neuen Kurse, die sie ab diesem Schuljahr belegten.
Ginny berichtete, dass Hermine den sogenannten B.ELFE.R Club gegründet hatte und dass Ron sich darüber lustig machte, Laureen wäre in der zweiten aufeinander folgenden Nacht, die sie redend im Schlafsaal verbrachten, vor lauter Müdigkeit beinahe vom Bett gekippt, wenn Hillary sie nicht geistesabwesend festgehalten hätte und Madison fragte Lily spitzbübisch, ob es denn Neuigkeiten von Jasper und ihr gäbe. Lily lehnte entrüstet ab und bewarf sie mit Kissen, als sie nicht aufhören wollte, zu lachen.
Nur mit Professor Moody konnte sie immer noch nicht richtig etwas anfangen. Die Frettchen-Geschichte hatte zwar für einen Lacher gesorgt, ihn Lily gegenüber aber nicht unbedingt sympathischer wirken lassen. Als sie Sev auf ihn angesprochen hatte, war von ihm nur eine ausweichende Antwort gekommen. Nicht, dass das Lily überrascht hätte, aber beruhigend war es dennoch nicht.
Ihre Vermutung, dass irgendetwas im Gange war, wurde im ausklingenden Spätsommer, der unbemerkt in den Herbst übergegangen war, nur noch gestärkt. Ohne den Wolfsbanntrank, den sie im letzen Jahr regelmäßig zusammen gebraut hatten, waren Lilys Treffen mit ihrem Vater seltener geworden, aber jetzt am Wochenende hatte sie beschlossen, ihm einen Besuch abzustatten.
Sie unterhielten sich über ein Buch, das Sev die vergangenen Tage gelesen hatte und als er es von einem der hohen Regalbretter holen wollte, rutschte sein Ärmel herunter und entblößte einen Teil des dunklen Mals.
„Sev", sagte Lily und starrte entsetzt auf die Hautstelle. Er hatte seinen Fehler bemerkt und ließ den dunklen Stoff wieder über seinen Unterarm fallen, jedoch zu spät. „Es hat seine Farbe verändert", stellte Lily nüchtern fest.
Sevs Lippen glichen einer einzigen farblosen Linie. Er legte das Buch auf den Tisch zwischen ihnen. Lily würdigte es keinen Blickes. „Vor dem Sommer war es blass, eher grau als schwarz." Sev senkte seinen Kopf zu der Andeutung eines Nickens.
„Du hast Recht", gab er schließlich zu. „Das dunkle Mal verändert sich. Seit ein paar Wochen stetig und mit zunehmender Geschwindigkeit." Seine Sätze klangen klar und abgehackt, Lily fiel es schwer zu erkennen, was er wirklich dachte.
„Und was hat das zu bedeuten? Hast du mit Dumbledore darüber geredet?", stellte sie nur zwei der tausend Fragen, die in ihr aufbrannten. „Im Moment beobachte ich nur. Dumbledore trifft Vorkehrungen." Lily schluckte. „Vorkehrungen?", fragte sie heiser.
„Das dunkle Mal ist keine gewöhnliche Tätowierung. Sie ist mit einem Zauber belegt, der die Anhänger des dunklen Lords mit ihm verbindet. Durch das Verschwinden des dunklen Lords, wurde das dunkle Mal zu einem bloßen Erkennungszeichen, seine magischen Funktionen sinnlos. Aber jetzt, das dunkler werden der Farbe..." Sev strich mit seinen langen schlanken Fingern über die Tischplatte, fuhr die Maserungen des Holzes entlang.
„Das heißt, dass er zu Kräften gelangt. Dass er wieder erstarkt", führte Lily seinen Gedankenzug zu einem Ende. Sev verharrte einen Augenblick bewegungslos, dann senkte er erneut seinen Kopf. „Vermutlich heißt es das." „Und was sagt Dumbledore? Was sind das für Vorkehrungen, die er trifft? Und was für eine Rolle spielst du in dem ganzen?"
Sevs Finger verschränkten sich ineinander und blieben ruhig vor seiner Brust liegen. „Dieses Gespräch ist beendet, Lily." „Sev!", beschwerte sie sich. „Ich habe das Recht zu erfahren, worum es hier geht und wenn du dich in Gefahr begibst, dann geht das auch mich-" „Schluss", unterbrach er sie. „Das genügt."
Lily biss die Zähne zusammen und verstummte. „Hier, ich leihe dir das Buch aus, wenn du möchtest. Kapitel einundzwanzig wird dir gefallen." Er schob das Buch zu ihr herüber. Sie starrte es einige Sekunden lang wütend an, dann packte sie es in ihre Tasche.
„Du bist nicht mehr alleine, Sev. Ich hoffe dir ist das klar", sagte Lily, als sie sich an der Tür gegenüber standen. „Und ich werde nicht zulassen, dass du dich in Gefahr begibst. Und wenn du es doch tust, dann stehe ich an deiner Seite", fügte sie leise hinzu. Sevs Miene verhärtete sich. „Ich weiß deine Aufrichtigkeit und deinen Mut zu schätzen", seine Lippen kräuselten sich. „Aber schlussendlich bist du ein noch nicht mal dreizehnjähriges Mädchen, dass nur mit etwas Glück den Unterricht der vierten Klasse besucht. Allein Dumbledore würde niemals zulassen, dass du dich einmischst."
„Das war kein Glück, sondern Können", entgegnete Lily trotzig. „Und während dieser Ferien habe ich dir geholfen." Sev neigte seinen Kopf zur Seite. „Und eine Scheune angezündet und um Haaresbreite eine Riesen Katastrophe verursacht." Lily schluckte ihre Wut herunter.
„Ich lasse dich trotzdem nicht allein."
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