10
„Und? Ist der Kamin von innen sauber?"
Vor lauter Schreck hätte Lily beinahe eine Münze verschluckt. Sie drehte sich zur Tür und fand Jasper gegen den Türrahmen lehnend. Er trug sein Schlafanzugsoberteil auf links und seine Haare sahen aus, als hätte ein Vogel darin gebrütet.
Es machte ein schmatzendes und zugleich metallisch klingendes Geräusch, als Lily die Münzen aus ihrem Mund in ihre Hand spuckte.
Jasper zog pikiert die Augenbrauen hoch. „Das ist nur ein kleines bisschen ekelhaft", stellte er naserümpfend fest. „Auch wenn ein Galleonen-von-sich-gebender Kamin natürlich Vorteile mit sich brächte."
„Tut mir leid", gab Lily zurück und ging zur Spüle um das Geld zu waschen. Jasper verharrte im Türrahmen. „Ich frag am besten gar nicht, hab ich Recht?", murmelte er in sich hinein. „Ist ja auch vollkommen normal am frühen Morgen in das Wohnzimmer zu kommen, das in der Wohnung liegt, in die man vorher eingebrochen ist, nur um dort zu sehen, wie jemand mit dem Mund voller Galleonen den Kopf aus dem Kamin zieht."
Lily meinte eine Spur Bitterkeit oder Resignation aus seinem Seufzen heraus zu hören und drehte sich zu ihm um.
„Du kannst ruhig fragen. Ist ja kein Geheimnis."
Die Worte fühlten sich seltsam schal in ihrem Mund an. Alles, was mit Sev zu tun hatte, war irgendwo ein Geheimnis. Lily beeilte sich weiterzusprechen. „Ich hab es mir erlaubt, etwas Flohpulver zu benutzen. Und den leider-kein-Galleonen-gebenden-Kamin." Jasper lächelte schief und die Verschränkung seiner Arme löste sich.
„Ich hab mit meinem Vater geredet, wegen einiger ... Vorkommnisse." Lily breitete die Galleonen auf einem Abtrockentuch neben dem Spülbecken aus und schüttelte die letzten Wassertropfen von ihren Fingerspitzen.
„Hier, der ganze Tagesprophet ist voll davon", sagte sie und reichte Jasper die zusammengerollte Zeitung. Lily sah, wie Jaspers Augen sich im Angesicht der Schlagzeilen weiteten und dann konzentriert über die Zeilen glitten.
„Todesser", sagte er leise. „Das ist übel." Zwischen seinen Augenbrauen tat sich eine kleine Falte auf. „Mein Vater hat immer gesagt, er würde uns wünschen, dass wir das dunkle Mal nie zu sehen bekommen." Lily presste die Lippen zusammen. Das Dunkle Mal war genau dasselbe Zeichen, das ihr Vater auf dem Unterarm eingebrannt trug.
„Noch hast du es ja nicht gesehen", sagte sie. Jasper nickte und ließ die Zeitung sinken. „Noch", erwiederte er und die Sorgenfalte vertiefte sich. „Es wird nicht wieder so weit kommen", sagte Lily schwammig und wusste selbst nicht so genau, ob sie ihren eigenen Worten Glauben schenken sollte.
„Wir müssen doch etwas dazu gelernt haben. Es kann nicht sein, dass es wieder genau dieselben schaffen, Schaden anrichten."
Jasper zog die Schultern hoch. „Es wäre ein Armutszeugnis. Aber schau dir an, was sie über das Ministerium schreiben. Das ist ein einziger Saftladen. Ich meine, wie viele Ministeriumsleute waren auf dem Gelände der Meisterschaft? Die haben die Karten doch alle zugeschoben bekommen, da müssten Dutzende gewesen sein. Und trotzdem so ein Chaos. Draco hat gesagt-" Lily verdrehte die Augen und schaffte es nicht rechtzeitig, es vor Jasper zu verbergen.
„Du kannst über Draco denken was du willst, aber sein Vater hat eindeutig ein Händchen dafür, Systeme nach ihren Schwachstellen zu untersuchen. Und dass der so oft im Ministerium unterwegs ist, obwohl er auch schön zu Hause bei seinen Pfauen und Hauselfen sitzen könnte, ist kein gutes Zeichen."
Lily prustete los. „Malfoy hat Pfauen zu Hause?" Jasper sah sie irritiert an, so als könne er nicht verstehen, was daran so ungewöhnlich oder gar lustig sein solle. „Ja, sie haben drei Pfauen, soweit ich weiß. Aber es sind magische Pfauen darauf trainiert ungebetenen Gästen die Augen auszuhacken." Lily blieb das Lachen im Hals stecken. „Wirklich?"
Jasper zuckte mit den Schultern und ließ sich auf einen der Barhocker an der Küche fallen. „Keine Ahnung, das hat sein Dad uns manchmal erzählt. Gibt eindeutig bessere Gutenachtgeschichten."
Sie schwiegen einen Augenblick lang und starrten auf die Titelseite des Tagespropheten, der zwischen ihnen ausgebreitet lag. „Ich glaube Maman wollte nie, dass ich bei Draco übernachte. Und im Gegensatz zu meinem Vater scheint sie meistens recht angetan davon, dass ich nicht mehr so viel wie früher mit ihm zu tun habe." Lily antwortete nicht, denn sie ging davon aus, dass Jasper schon ahnte, was sie über derartige Gutenachtgeschichten dachte.
Sev hatte ihr früh das Lesen beigebracht. Vielleicht war es sogar mit das erste gewesen, was er ihr gelehrt hatte. Lesen. Dann hatte sie sich ihre Gutenachtgeschichten selbst vorgelesen. Sich selbst und den eingelegten Feuersalamandern aus dem Vorratsschrank. Manchmal hatten die Salamander durch die trübe Flüssigkeit hindurch den Anschein erweckt, ihr wirklich zuzuhören.
„Dabei hätte Dad es schlimmer finden müssen."
Jasper runzelte die Stirn, so als wäre ihm erst jetzt etwas eingefallen. „Warum?", fragte Lily und setzte sich ihm gegenüber auf einen zweiten Barhocker. „Seine Schwester ist gestorben. Sie haben sie umgebracht." Jasper kratzte sich an der Nase. „Nicht die Malfoys", beeilte er sich zu sagen, als er ihren erschrockenen Blick wahrnahm. „Aber die Todesser eben. Man hat nicht genau herausgefunden wer es war."
„Luna Loovegood, die ist in deinem Jahrgang", sagte Jasper plötzlich. „Die kennst du, oder?" Lily verdrehte die Augen. „Ja, die kenne ich tatsächlich, Jasper. Sie hat mir sogar schon einmal angeboten, ihre Radieschen-Ohrringe auszuleihen." Er blinzelte verdutzt, so als müsste er einmal kurz überprüfen, ob Lily auch wirklich keine Radieschen-Ohrringe trug.
„Aber tut mir leid, ich wollte dich nicht aus dem Konzept bringen."
Jasper schüttelte den Kopf. „Hast du nicht. Jedenfalls-", er holte tief Luft, „-jedenfalls war die Schwester meines Vaters mit ihrer Mutter befreundet. Und der Mann von Lunas Mutter-" „Also Lunas Vater-", ergänzte Lily fachmännisch. „Ja, genau, Lunas Vater. Er besaß jedenfalls Druckmaschinen. Die haben seine Frau und die Schwester meines Vaters genutzt, um Flyer zu drucken und kurze kritische Kommentare. Lunas Mutter haben sie nicht gekriegt, aber Tante Elizabeth schon."
„Das ist heftig, Jasper", sagte Lily nach einem kurzen Moment der Stille, den nur das leise Schnarchen aus dem Schlafzimmer in regelmäßigen Abständen durchbrach.
Er schüttelte den Kopf. „Nicht wirklich. Eigentlich gibt es in jeder Familie mindestens einen Cousin dritten Grades, der den letzten Krieg nicht überlebt hat. Aber ich habe Tante Elizabeth nie kennengelernt, daher-" Seine Stimme verlor sich und Lily schluckte.
Sie hatte niemanden, der im letzten Krieg umgekommen war. Oder vielleicht hatte sie schon jemanden und sie wusste es bloß nicht. Die ständige Unwissenheit war zum Kotzen.
„Aber davon mal abgesehen", Jasper stand auf und schlug mit der Zeitung ein paar Mal gegen die Tischkante, „kann Dad sich jetzt freuen. Eigentlich hätte sich die Untersuchungskommission wegen-", er warf ihr einen schrägen Blick zu, „-der Sache mit den Pflanzen aus Güterklasse C in seinem Labor, bald abschließend beraten müssen. Ich glaube er hatte sogar schon einen Gerichtstermin. Aber jetzt haben die im Ministerium ganz andere Probleme."
Lily zog die Nase kraus. „Wahrscheinlich", sagte sie und sah Jasper mit zuckenden Mundwinkeln dabei zu, wie er vor der gläsernen Verkleidung der Küchenarmaturen versuchte, das Chaos auf seinem Kopf zu bändigen. „Immerhin gut geschlafen hast du", bemerkte Lily mit einem Grinsen.
Jasper gab ein undefinierbares Geräusch von sich und rieb sich Schlaf aus den Augen. „Frag mal Noah, der schläft immer noch." Lily nickte nur und beschloss für sich zu behalten, dass Noah gestern Nacht dafür um einiges später eingeschlafen war.
Nachdem Jasper sich die Haare gerichtet hatte, machte er sich daran, in der Küche herum zu fuhrwerken. „Bist du mit Waffeln zum Frühstück einverstanden? Wir müssten auch noch einen Jahresvorrat an Ahornsirup im Kämmerchen haben."
Lily reckte anerkennend die Daumen in die Luft. „Warum fragst du noch. Ahornsirup ist ein schlagendes Argument."
Gerade als Jasper dabei war, ihr zu erläutern, warum manche Ahornbäume in Kanada wirklich anfingen zu schlagen und damit als Verwandte der Peitschenden Weide galten, öffnete sich die Schlafzimmertür und Noah schlurfte in die Küche.
Wortlos ging er an Jasper und Lily zum Wasserhahn und trank über das Spülbecken gebeugt eine Minute, bis ihm das Wasser das Kinn herab tropfte.
„Dafür gibt es so was wie Gläser", sagte Jasper in einem Anflug aus Verzweiflung und merkte erst als es zu spät war, dass vom Rührlöffel Waffelteig auf die Fliesen tropfte. „Also wirklich, ich weiß nicht, was mit euch los ist. Den einen finde ich mit Galleonen im Mund und der andere ..." Er deutete vage in Noahs Richtung und wandte sich kopfschüttelnd wieder seinem Teig zu.
„Ich hatte eben Durst", sagte Noah und setzte zu einem breiten Grinsen an, als er die Ausgabe des Tagespropheten auf dem Tisch liegen sah. „Noch ein bisschen feierlicher zum WM-Ende hätte es gar nicht sein kö-", begann er, bevor sich sein Blick verdunkelte.
Er las schneller als Jasper und schien den Artikel nur noch zu überfliegen. „Merlinsbart, das ist schrecklich! Hast du Maman und Dad schon Bescheid gesagt, Jasper?"
Alles, was an guter Stimmung in der Luft gelegen hatte, verpuffte binnen weniger Sekunden.
„Nein, hab ich nicht", sagte Jasper trocken.
„Dann bist du ein ziemlicher Idiot."
Über die plötzliche Schärfe von Noahs Tonfall zog Lily überrascht den Kopf ein. „Hier drin steht was von vermissten Kindern, was meinst du, nach wem die suchen?"
„Nach uns jedenfalls nicht", entgegnete Jasper frostig und alles, was Noah an hitziger Aufregung verströmte, machte er durch Kühle wieder wett.
„Wir haben fein säuberlich unser Zelt geräumt, da wäre es absolut dämlich zu glauben, Todesser hätten uns verschleppt. Außerdem steht da drin, dass die Aufregung erst nach dem Spiel begann, wir waren aber schon viel früher nicht mehr da."
Noah sah aus, als würde er etwas entgegnen wollen, aber Jasper kam ihm zuvor. „Also bezeichne mich nicht als Idioten sondern denke vorher selbst mal nach. Ihr Ravenclaws habt die Weisheit nicht gepachtet."
Er atmete angestrengt aus und Noah und Jasper funkelten sich einen Moment lang böse an. „Und wenn Maman und Dad das nicht bemerkt haben sollten, dann haben sie es sich jetzt verdient, sich Sorgen zu machen. Hast du etwa vergessen, was die beiden sich das ganze letzte Jahr für einen Mist geleistet haben? Sie haben dich belogen, die ganze Zeit. Ist dir das klar, Noah?"
Jasper griff sich den Tagespropheten, riss ihn mittendurch und ließ die Fetzen in den Mülleiner rieseln.
„Mag sein, dass du Recht hast", sagte Noah, als sein Bruder ihn wieder ansah. „Aber du hast mich genauso lange angelogen, Jas."
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