Kapitel 9.
Evelyns Blick flackert unsicher in meine Richtung, als der Regisseur die Szene zum dritten Mal unterbricht.
„Eine Minute Pause damit wir uns alle sammeln können!", ruft er, bevor er sein Handy zückt und den Raum verlässt.
Meine Fassungslosigkeit spiegelt sich auf Evelyns Gesicht. Sie und ich waren die Szene zuvor zusammen mit Harry durchgegangen.
Noah und Amy treffen das erste Mal in seiner Bar aufeinander, und während Noah es gewohnt ist, eine gewisse Wirkung auf Frauen zu haben, ist es in diesem Fall Amy, die einen Eindruck bei ihm hinterlässt, denn sie ist schlagfertig und lässt ihn schließlich mitten in einem Flirtversuch stehen. Zumindest ist das die Buchvariante meiner Protagonistin. Und ich brauche nicht noch einen zwanzigsten Blick ins Drehbuch, um mir sicher sein zu können, dass eben diese Variante für den Film übernommen worden war.
Der Regisseur, Max, sieht das allerdings anders. Nachdem er die Szene das zweite Mal unterbrochen hatte, hatte er ihr erklärt, dass Amy nicht auf Noahs Flirtversuche eingehen würde, weil sie zu unsicher und schüchtern sei. Deswegen würde sie ihn am Ende auch einfach stehen lassen.
Ich hatte von meinem Kaffeebecher aufgeblickt, der Einwand hatte mir im Hals gesteckt, doch da war es schon weitergegangen und ich hatte dabei zusehen müssen, wie Evelyn auf eine seltsame Art und Weise schüchtern und schlagfertig auf einmal hatte spielen wollen.
Ich überfliege die betreffende Seite im Drehbuch erneut, auch wenn es erst ein paar Minuten her ist, dass ich sie gelesen habe und nach wie vor meine Hand dafür ins Feuer legen würde, dass sich Film-Amy und Buch-Amy nicht in dem einen wichtigen Punkt unterscheiden. So langsam fange ich an, an meinem Verstand zu zweifeln. Es wäre mir aufgefallen, hätten sie genau das geändert, denn die spätere Chemie zwischen den beiden ist praktisch abhängig von dieser Anfangsdynamik.
Evelyns Gesicht ist düster, als sie zu mir kommt.
„Bin ich jetzt bescheuert?", sie wirft ihrerseits einen Blick ins Drehbuch. „Da stehts doch. Genauso wie du es erklärt hast und wie es im Buch steht."
„Gab es vielleicht eine Änderung?" wirft Harry ein und vergräbt die Hände tief in den Hosentaschen. Er sieht aus als wolle er es seiner Rolle gleichtun und zum Kettenraucher werden.
Ich schüttle den Kopf. „Hätte man mit mir absprechen müssen. Es ist hier niemandem möglich, auf eigene Faust und ohne meine Absegnung, etwas zu ändern. Was meinst du, warum mir mein Job so unangenehm ist?"
Seufzend rutsche ich von meinem Stuhl und rolle das Drehbuch zusammen. „Ich werd mit ihm reden."
Wie erhofft finde ich Max an unserer Kaffeestation, wo er sich seinen Pappbecher auffüllt. Er blickt zwar auf, als ich den Raum betrete, reagiert sonst aber nicht auf mich. Bereits bei unserer ersten Begegnung - Katherine hatte uns beim Dinner miteinander bekannt gemacht -, hatte er sehr reserviert, beinahe kühl, gewirkt. Ich hatte jedoch gedacht, dass es schlichtweg seine Persönlichkeit ist. Ausgehend von seiner subtilen Ignoranz mir gegenüber, die er schon den ganzen Vormittag gezeigt hat, bin ich mir dessen aber mittlerweile unsicher.
„Gab es eine Änderung am Drehbuch, von der ich noch nichts weiß?", frage ich frei heraus und lehne mich gegen einen der leeren Tische. Max dreht sich nicht zu mir um, sondern rührt unbeirrt in seinem Becher herum.
„Wird es noch geben. Hab's gerade angeordnet. Wir machen Amy ein bisschen femininer."
Beinah entfährt mir ein Schnauben. „Wenn ich das gerade richtig gedeutet habe, machen Sie sie vor allem schüchtern und unsicher. Das hat nichts mit Femininität zu tun."
„Hör zu", nun dreht er sich doch um und der Blick, mit dem er mich bedenkt, ist eindeutig. Der belehrende Unterton in seiner Stimme tut sein Übriges. „Du schreibst deine Bücher. Ich mach meine Filme. Wie viele Bücher hast du schon geschrieben? Eins, oder nicht? Das hier ist nicht mein erster Film, wir können also beide davon ausgehen, dass ich ein bisschen mehr Ahnung davon habe."
Ich bin fassungslos. So einfach und simpel ist das. Für den Bruchteil einer Sekunde verliere ich die Kontrolle über mein Gesicht und kann nicht anders, als ihn entgeistert anzustarren, als er an mir vorbei zur Tür geht.
„Mag sein, dass deine Version bei den Buchweibern Anklang gefunden hat. Und mag sein, dass es dir wichtig ist, deine eigenen Unsicherheiten in deinen Figuren zu bewältigen. Das wird aber nicht die Version sein, die die Kinos füllt."
Er lässt mich in meiner Wut stehen und besitzt sogar die Dreistigkeit, die Tür hinter sich zu schließen. Die damit einhergehende Aussage ist eindeutig: Ich bin vom Set ausgeschlossen.
Ich erwache erst aus meiner Schockstarre, als die Tür wieder geöffnet wird und einer der Statisten reinkommt, um sich eine Flasche Wasser zu holen. Er lächelt mich an und ich versuche, diese Geste zu erwidern. Mit steifen Schritten gehe ich zurück zum Set. Alex redet auf Evelyn ein und mir genügen die Wortfetzen, die ich mitbekomme, als ich mir meine Tasche über die Schulter und meinen halbvollen Kaffeebecher in den nächsten Mülleimer werfe, um vor Wut zu schnauben. Ich bemerke im Augenwinkel, dass Harry mir einen Blick zuwirft, doch ich verlasse das Set, ohne ihn anzusehen.
Als ich auf den Parkplatz heraustrete, bleibe ich einen Moment orientierungslos stehen, denn Jacks Audi ist nicht der einzige seiner Art. Schließlich entdecke ich ihn aber im hinteren Teil des Parkplatzes. Er schaut mich erstaunt an, als ich die Tür öffne und mich neben ihn auf den Beifahrersitz fallen lasse.
„Ist nicht erst in einer Stunde Mittagspause?", fragt er und pausiert, was er sich soeben noch auf seinem IPad angesehen hat.
„Ich hatte heute Lust auf ein frühes Mittagessen. Wissen sie zufällig, wo man hier in der Nähe einen ordentlichen Burger herbekommt?"
Jack und ich haben uns mit Burgern und Pommes eingedeckt und verbringen meine frühe Mittagspause miteinander auf dem Parkplatz des Filmstudios, bis ich mich mit den Resten meines Essens auf die Rückbank zurückziehe. Laura hatte mir geschrieben und gefragt, ob ich heute Zeit hätte zu facetimen, und ich weiß, dass sie seit zehn Minuten Mittagspause hat. Jack nutzt meine Abwesenheit neben sich, um seine Serie weiterzuschauen.
Das Gesicht meiner liebsten Freundin und der Umstand, dass sie, die vernünftigere von uns beiden, einen großen Salat vor sich stehen hat, lassen meine Wut ein Stück weit verrauchen.
Ich lasse sie erzählen – die Arbeit; die Handwerker, die ihre Wohnung in Schutt und Asche legen und der hübsche neue Nachbar –, und bin ganz froh, mich für den Moment mit ganz alltäglichen, beinah banalen Dingen beschäftigen zu können.
„Was ist mit dir? Wie lief dein Tag bisher?", fragt sie schließlich und ich verdrehe die Augen.
„Ich hatte gehofft, wir könnten dieses Thema außen vor lassen."
„So schlimm?"
Ich nicke und bin gewillt, schwere Geschütze aufzufahren, um das Thema zu wechseln.
„Ich habe übrigens beschlossen, deinem Rat zu folgen", sage ich also, statt auf meine Tagesstimmung einzugehen, und beiße von dem Donut ab, den ich mir zum Nachtisch mitgenommen habe. „Ich gehe nächste Woche mit Harry Billard spielen. Wir haben einen freien Abend zusammen."
Eine Sekunde lang sieht es so aus, als hätte das Karottenstück in Lauras Hals eine falsche Abzweigung genommen, doch sie fängt sich schnell wieder. „Du weißt, dass das eher ein Scherz sein sollte?"
„Und du weißt, dass ich das auch niemals als echten Ratschlag empfunden habe? Das war ein Witz, du Leichtgläubige!"
Sie verdreht die Augen, bevor sie mich über das kleine Display mustert. Ich kenne diesen Blick.
„Was?"
„Naja, falls du dich daran erinnerst, es ist noch nicht so lang her, dass du beim Gedanken an London in Panik ausgebrochen bist und mit uns über die oberflächliche Filmwelt gelästert hast."
Ich verziehe das Gesicht und fühle mich plötzlich wie in einer Unterhaltung, die ich mit meiner Mutter führen würde. Nicht mit einer Freundin.
„So ist das nicht. Diese Geschichte hier ist immer noch beängstigend und diese Promiwelt unverändert oberflächlich, aber er ist nicht so. Tatsächlich war er bisher sehr nett zu mir und er guckt mich nicht an, als hätte ich den Verstand verloren, wenn ich über mein Unvermögen zu Schreiben rede. Wir verstehen uns einfach gut."
„Ihr versteht euch einfach gut."
„Gosh, Laura. Bitte", ich werfe einen Seitenblick auf Jack, doch der ist völlig in seine Serie vertieft. „Das hier ist keine kitschige Fanfiktion, in der er und sie sich innerhalb von zwei Stunden unsterblich ineinander verlieben und heiraten, 2,5 Kinder kriegen und sich einen Hund kaufen."
„Ich mein ja nur", sie zuckt scheinbar unbeteiligt die Schultern. Das Bild verwackelt, als sie zu ihrem Smoothie greift. „Du bist jetzt immerhin lang genug Single, dass man meinen könnte, dass da gewisse Bedürfnisse entstehen."
Ich kann nicht anders, als laut zu stöhnen.
„Willst du mir gleich auch noch erklären, wie das mit den Kondomen funktioniert? Keine Sorge, ich hab es bisher ganz gut geschafft, meine körperlichen Bedürfnisse befriedigen zu lassen."
„Ja. Ich hab die Fotos von dir und diesem Kerl auf einschlägigen Onlineportalen gesehen. Wir alle haben das. Aber das mein ich gar nicht."
Anstatt ihr zu antworten trinke ich so langsam wie möglich aus meinem Colabecher, in der Hoffnung, sie würde sich dazu genötigt fühlen, das Thema zu wechseln. Natürlich ist dem nicht so. Sie sieht mich unverwandt prüfend an und zwingt mich so, zu reden.
„Ich hab dahingehend keine Bedürfnisse."
„Pain demands to be felt."
Ich möchte sie gerade dafür rügen, dass Schmerz sicherlich nicht das gleiche wie Zuneigung ist und dass es überdies wahnsinnig unfair ist, mit John Green-Zitaten zu argumentieren, als es behutsam neben meinem Kopf klopft. Als ich die Scheibe herunterlasse, streckt Harry seinen Kopf ins Auto und fast beglückwünsche ich ihn für sein wahnsinnig gutes Timing.
„Mir ist langweilig", sagt er schlicht und blickt sich im Inneren des Wagens um. Jack grüßt ihn mit einem Kopfnicken.
„Ähm, ja, und ich telefoniere gerade", gebe ich etwas unwirsch zurück und deute auf das Handy in meiner Hand. Laura grinst so breit, dass sie damit eigentlich mein Display sprengen müsste.
Harry folgt meinem Fingerzeig und winkt ihr zu. „Hi, ich bin Harry."
„Laura. Und du hast Alex jetzt wieder ganz für dich, ich muss nämlich weiterarbeiten!"
„Aber..." setze ich an, doch sie wirft mir bereits einen Luftkuss zu. Dann ist die Verbindung unterbrochen.
Ehe ich Harry sagen kann, dass ich gleich wieder ins Studio komme, hat er bereits die Tür geöffnet.
„Rutsch rüber", sagt er, wartet aber erst gar nicht auf meine Reaktion, sondern quetscht sich einfach neben mich und schließt die Tür hinter sich.
„Du und Max", eröffnet er das Gespräch ohne Umschweife und greift nach den Resten meiner Pommes.
Ich verdrehe die Augen. „Max und ich."
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