Kapitel 7.
„Ich möchte einfach, dass du dir alles anguckst. Die Szenen, die Kostüme, die Proben. Dieser Film soll die Atmosphäre des Buchs auffangen, und dafür bist du nun mal die Expertin. Wenn dir etwas nicht gefällt, werden wir es ändern. Sei also ruhig kritisch. Du kannst jederzeit Anmerkungen machen, das Team ist darauf gebrieft, dass du im Zweifelsfall das letzte Wort hast."
Katherine rührt einen Schluck Milch in ihren Tee und verschließt den Pappbecher mit einem Plastikdeckel. Sie hat mir noch einmal die wichtigsten Orte der Produktion gezeigt: die Räume, an denen heute die ersten Szenen geprobt und gedreht werden sollen, die Aufenthaltsräume, das Catering und jetzt, nachdem wir uns beide mit Koffein eingedeckt haben, möchte sie mir die Garderoben zeigen, damit ich einen ersten Blick auf die Darsteller in character werfen kann.
Bisher habe ich nicht viel gesagt außer „Ah" und „Oh" und „Okay", und mich beschleicht die Befürchtung, dass sich das bis zum Abend auch nicht ändern wird. Ich weiß nicht, ob diese grundlegende Aufregung, die mich vor meiner Ankunft am Set dazu gebracht hat, Jack zu bitten, noch einmal um den Block zu fahren, jemals weniger werden wird.
Diese ganze Umgebung hat etwas an sich, dass ich mir sehr klein vorkomme, und obwohl alle wahnsinnig nett zu mir sind, fühle ich mich unwohl zwischen all den Menschen, die zielstrebig ihrer Aufgabe nachgehen, genau wissen was ihr Job ist und mir immer wieder flüchtig zunicken, während ich so ein bisschen in der Luft hänge.
Als erstes Klopfen wir an Evelyns Garderobe. Ich habe kaum den Raum betreten, als sie sich schon zu mir umdreht und mich erwartungsvoll ansieht.
„Und?"
Ich erkenne es. Die kurzen Jeansshorts, das lockere schwarze Shirt mit dem Rückenausschnitt, der übertriebene Scheitel, so dass ihr die braunen Haare auf der einen Seite tiefer ins Gesicht fallen, die Flip-Flops, die meine Protagonistin immer in der Handtasche hat, um nach einer durchzechten Nacht bequem nach Hause laufen zu können...
„Wird sie High Heels haben?", frage ich und bin überrascht davon, wie gerührt meine eigene Stimme klingt.
Evelyn hält mir grinsend ein paar schwarze High Heels entgegen. „Man hat mir gesagt, die seien ab heute mein wichtigstes Accessoire."
Katherine zupft einen Fussel von Evelyns Schulter, während ich nach den richtigen Worten suche. Ich hätte nicht gedacht, dass es derart real wirken würde. Es sind meine Gedanken und meine Worte, die hier gerade, im wahrsten Sinne des Wortes, zum Leben erweckt werden. Vor einem Jahr hatte ich auf dem Boden von Lauras Schlafzimmer gesessen, über den Korrekturfahnen meiner Lektorin gebrütet und all das hier war nicht mehr, als eine Idee in meinem Kopf, die ihren Weg zwischen einen Buchdeckel fast geschafft hatte.
„Ich hab keine Ahnung, was ich sagen soll", bricht es schließlich aus mir heraus und ich zucke die Schultern. „Du siehst aus, wie die Figur aus meinem Kopf."
Evelyn grinst breit. „Ich hab ein paar der Klamotten gesehen, Alex. Du wirst ausflippen. Das wird so cool!"
Bevor Evelyn und ich uns festquatschen können, drängt mich Katherine weiter, damit ich mir Harry ansehen kann. Als wir die Tür zu seiner Umkleide öffnen steht er gerade vor dem bodentiefen Spiegel und zupft an einem seiner Hosenbeine.
„Die Hose sitzt ein bisschen komisch, aber das sieht man hinter der Schürze nicht", sagt er, bevor er sich zu uns umdreht.
Katherine nickt skeptisch, scheint sich jedoch mit Einwänden zurückzuhalten.
„Nervt dich die Hose?", frage ich, und versuche, ihn nicht ganz so offensichtlich zu mustern, wie ich es gern täte.
Er zieht den Bund der schwarzen Jeans zurecht und zuckt die Schultern. „Sie ist wahnsinnig unbequem, weil sie mindestens eine Nummer zu klein ist."
Ich wende meinen Blick zu Katherine. „Es ist eine einfache schwarze Jeans, kriegen wir da auf die Schnelle irgendwo Ersatz für?"
Sie nickt eifrig. „Ist quasi schon unterwegs!"
Und einfach so, als wüsste ich, was ich ohne sie tun sollte, verlässt sie die Umkleide. Ich hoffe für sie, dass sie irgendwo in der Nähe einen privaten Fundus an schwarzen Jeans hat und gleich wieder da ist, ansonsten müsste ich den Rest des Tages zwischen den Umkleiden und dem Catering hin und her pendeln.
Harry breitet die Arme aus. „Und? Was sagst du?"
Die Hose ist tatsächlich zu eng. Auf den zweiten Blick sieht man es trotz der dunkelblauen Kellnerschürze, die er um die Hüfte gebunden hat. Ich trete näher an ihn heran und zeige auf seine Haare.
„Darf ich?"
„Bitte", sagt er, leiser als sonst, denn ich stehe so dicht vor ihm, dass sein Atem mein Gesicht streift. Er sieht mich unverwandt an, auch wenn mein Blick auf seine Haare gerichtet ist. Ich kann seinen Blick als feines Prickeln auf meinem Gesicht spüren und ich würde lügen, würde ich behaupten, dass mich diese Nähe und die Offenheit seines Blickes nicht mein Konzept kosten würde. Um das auszugleichen versuche, mich noch mehr auf seine Frisur zu fokussieren.
„Noah fährt sich während seiner Schicht ständig durch die Haare", murmle ich, und lasse meine Finger durch Harrys Haare fahren. Mir ist dunkel bewusst, wie viele Menschen mit mir tauschen wollen würden. „Zum einen eine nervige Gewohnheit, zum anderen weiß er aber auch, dass die Frauen ein bisschen drauf stehen, wenn er so verwegen aussieht."
Ich bringe das, was ein Stylist vorher vermutlich in mühseliger Arbeit sortiert hat, mit jedem Strich meiner Finger weiter durcheinander. Erst als ich aufhöre und meine Hände sinken lasse, wird mir klar, wie intensiv der Blick ist, mit dem Harry mich ansieht und dass ich soeben eine kleine Ewigkeit damit verbracht habe, mit meinen Fingern durch sein Haar zu streichen. Eine intimere Geste habe ich vielleicht noch nie mit jemandem geteilt, der mir praktisch fremd ist.
„Wenn dein Stylist nochmal meint, er müsse dir eine ordentliche Frisur machen", sage ich, und meine Stimme klingt plötzlich sehr heiser. „Dann halt ihn bitte davon ab. Noah hat keine durchgestylte Frisur."
„Ist vermerkt", sagt er, wieder viel zu leise, wieder so, dass ich ihn eben nur verstehen kann, weil ich so dicht vor ihm stehe. Seine Mundwinkel zucken, als müsste er ein Lächeln unterdrücken oder einen Satz zurückhalten.
„Es ist ziemlich gruselig", gebe ich zu, ohne mich von ihm zu entfernen, und habe mich seiner Redelautstärke angepasst. „Ich sehe gerade dabei zu, wie meine Gedanken Wirklichkeit werden."
Er kann es nicht mehr unterdrücken und lächelt. „Hör mal zum ersten Mal deinen eigenen Song im Radio. Ich wollte den Rest des Tages schreien."
Die Tür geht auf und Katherine steht viel zu unvermittelt im Raum. Sollte sie es seltsam finden, dass Harry und ich so nah beieinanderstehen, so lässt sie es sich nicht anmerken.
„Hier", sie reicht Harry ein schwarzes Bündel. „Die sollten passen."
„Ich hab, ähm", ich stolpere einen Schritt von Harry weg und greife jetzt mir in die Haare. „Seine Haare. Die waren zu gemacht. Es muss ein bisschen mehr undone aussehen."
Katherine nickt. „Ich geb es an die Maske weiter. Sie wollen jetzt die erste Szene einmal proben. Wir können zusammen rüber gehen."
Als ich Stunden später den Kopf gegen die Fensterscheibe in Jacks Wagen lehne, bin ich immer noch gleichermaßen sprach- und fassungslos.
„Geht es dir gut, Alexandra?", fragt Jack, als wir von der Einfahrt des Filmstudios auf die Straße biegen. Die Art, wie er meinen Namen sagt, hat etwas väterliches, ganz so, als würde er befürchten, dass er mich gleich vom Auto in mein Zimmer tragen müsste, weil ich eingeschlafen bin.
„Alles okay", antworte ich und setze mich aufrecht hin. Tatsächlich wäre es gar nicht so unrealistisch, dass ich einfach hier einschlafe. Mittlerweile ist es weit nach zweiundzwanzig Uhr und ich bin somit seit etwa achtzehn Stunden auf den Beinen. „Dieser Tag war einfach nur..."
Ich lasse den Satz in der Luft hängen, denn ich habe keine Ahnung, wie ich ihn beenden soll. Mein Blick fällt auf den Kaffeebecher, der offensichtlich seit heute Morgen in der Halterung am Armaturenbrett klemmt. „Hat der Kaffee geschmeckt?"
Die Idee war mir am Morgen gekommen, als ich mir an der Hotelbar einen Kaffee zum Mitnehmen bestellt hatte. Ich wusste nicht, ob Jack einen Kaffee haben wollte oder ob er sich vielleicht schon einen auf dem Weg zum Hotel geholt hatte – ich wusste ja nicht mal, wie seine Arbeitszeiten aussahen -, aber ich hatte es für eine nette Geste gehalten. Im Zweifelsfall hätte ich einfach beide Kaffee getrunken.
Jack lächelt. „Sehr. Aber verrate bitte niemandem, dass ich es nicht so mit dem Aufräumen habe."
Beim Hotel angekommen hangle ich meine Tasche umständlich aus dem Fußraum und will den Wagen gerade verlassen, als sich Jack mit der flachen Hand auf die Stirn schlägt.
„Jetzt hätte ich es beinahe vergessen! Ich soll ihnen von Mister Styles ausrichten, dass sie sich heute Abend gern wieder, wie hat der es ausgedrückt? Am bekannten Ort treffen können, oder so ähnlich", er zuckt die Schultern und verzieht fast entschuldigend das Gesicht.
Ich nicke und wünsche Jack eine gute Nacht als ich aussteige. Harry und ich hatten seit dem kleinen Moment in seiner Umkleide keine ruhige Minute mehr miteinander gehabt und, in Retroperspektive, nachdem mir bewusst geworden war, dass ich wie ein verwirrtes Fangirl in seinen Haaren herumgefummelt hatte, war ich um diesen Umstand ganz froh gewesen. Jetzt kann ich allerdings nicht leugnen, dass es mich auf die Dachterrasse statt in mein Zimmer zieht.
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