Kapitel 6.
„Bitte sag mir nochmal, wie es soweit kommen konnte", sage ich leise und reibe mir über die Augen um die Müdigkeit, die in ihnen brennt, zu vertreiben. Meine beste Freundin Laura und ich gehören wohl zu einer sehr kleinen Gruppe Menschen, die vor der Morgendämmerung bereits wach und fähig sind, miteinander zu telefonieren. Nur haben wir unterschiedliche Beweggründe dafür.
Die Verbindung zwischen ihr und mir knistert an meinem Ohr, als sich Laura räuspert.
„Okay. Ein einziges Mal noch. Du hast dir mit der Schreiberei ziemlich den Arsch aufgerissen. Du hast ein Manuskript geschrieben und es den richtigen Leuten gezeigt. Du hast ein Buch veröffentlicht. Dieses Buch ist wahnsinnig erfolgreich. Man hat dich angerufen und nach London eingeladen, um bei der Verfilmung deines Buches mitzuwirken. Es ist also eigentlich gar nicht so schwer zu verstehen."
Ich brumme.
„Gar nicht so schwer. Klar. Es ist irre, Laura. Gerade wenn ich denke, ich hätte mich an irgendwas gewöhnt, kommen zwanzig neue Dinge, die mich komplett umhauen. Gestern saß ich mit fucking Harry Styles in diesem unglaublichen Hotelzimmer und habe Kaffee getrunken. In meinem Bad gibt es eine Regendusche und eine freistehende Badewanne!"
Meine Stimme ist zum Ende hin immer höher geworden. Während ich mich reinsteigere, scheint sich meine beste Freundin auf meine Kosten zu amüsieren.
„Ich wette es gibt 'ne Menge Menschen, die mit dir tauschen wollen würden. Und du wolltest schon immer eine Regendusche haben."
„Das ist nicht der Punkt!", gebe ich entnervt zurück. „Ich bin nur... gosh, ich will einfach mit euch in der Kneipe sitzen, Billard spielen und mir keine Gedanken machen müssen, ob ich jemandem im Weg stehe, das Falsche sage, mache oder denke."
„Dann gehst du jetzt eben mit Harry in einen Pub und spielst mit ihm Billard, oder so. Du hattest noch nie was für Heldenverehrung übrig und wir rennen dir schon nicht weg."
Eine Pause entsteht, in der ich mit dem Saum meines Hoodies beschäftigt bin und versuche, das Heimweh zu verdrängen. Aus ihrem Mund klingt das alles so einfach. Wie ein großes, fantastisches Abenteuer. Aber vielleicht bin ich nicht die Frau für Abenteuer. Vielleicht hatte ich das mal geglaubt, doch jetzt, wo ich mittendrin stecke, bin ich mir dessen nicht mehr sicher. Ich weiß, würde ich jetzt reden, würde ich gnadenlos anfangen zu heulen.
„Du bist in London und du liebst London. Genieß es einfach. Und mach dir keine Sorgen wegen des Jobs, niemand kennt dieses Buch besser als du. Wenn sie jemand beraten kann, dann du."
„Okay", murmle ich. „Ich muss auflegen und mich unter diese Regendusche stellen. Heute ist der erste richtige Tag."
„Wir haben dich alle lieb, ja? Meld dich, wenn was ist."
Als ich das Handy sinken lasse, kommt es mir wahnsinnig still im Zimmer vor. Andersrum ist es noch vor sechs Uhr in der Früh. Ich weiß wahrscheinlich selbst nicht, mit welchen Geräuschen ich um diese Uhrzeit gerechnet habe. Im gleichen Moment klingelt plötzlich das Telefon auf meinem Nachttisch und ich fahre so heftig zusammen, dass mir das Handy aus der Hand fällt und mit einem dumpfen Geräusch auf dem Teppich vor dem Bett aufkommt.
Ich fluche leise, bevor ich zögerlich nach dem Telefonhörer greife.
„Ja bitte?"
„Guten Morgen Miss Connor, es ist zehn vor sechs, sie haben darum gebeten, um diese Uhrzeit geweckt zu werden."
Habe ich. Ich erinnere mich dunkel, gestern an der Rezeption nach einem möglichen Weckservice gefragt zu haben.
„Okay, ähm, danke. Und guten Morgen?!", sage ich zögernd in den Hörer.
„Darf ich Ihnen bereits ein Frühstück anbieten oder haben Sie sonst einen Wunsch?"
Ich überlege kurz. Um diese Uhrzeit steht mir eigentlich noch nicht der Sinn, nach einem Frühstück.
„Ähm, könnte ich vielleicht einen Milchkaffee bekommen? Einen sehr großen? Und vielleicht etwas Obst?"
„Ich schicke Ihnen sofort jemanden rauf!"
Die Aussicht, dass ich gleich einen Hotelmitarbeiter würde empfangen müssen, ist genug Motivation für mich, um das Bett endgültig zu verlassen. Ich fische nach dem Handy und schlendere ins Bad, bloß um festzustellen, dass ich genauso müde aussehe, wie ich mich fühle.
Ich fasse einen Teil meiner Haare am Hinterkopf zusammen und befestige sie dort mit einer Spange, bevor ich mir kaltes Wasser ins Gesicht schaufle und es mit einem der viel zu weichen Handtücher trocken tupfe. Meine Wangen haben ein bisschen Farbe abbekommen, trotzdem sehe ich noch immer so aus, als würde ich dieses Schlafdefizit seit meiner Geburt mit mir herumtragen.
Es klopft sachte an der Tür, gefolgt von einem leisen „Roomservice!". Ich habe kaum die Tür geöffnet, als mir der Hotelmitarbeiter schon das Tablett mit dem Kaffee und der Obstplatte ins Wohnzimmer trägt, mir Kaffee einschenkt und das Chaos, das mit mir Einzug gehalten hat, professionell übersieht.
„Haben Sie sonst noch einen Wunsch?"
Ich schüttle den Kopf. „Nein, es ist alles perfekt. Vielen Dank!"
Er deutet eine Verbeugung an – eine Angewohnheit, die ich schon bei dem Flugbegleiter wahnsinnig übertrieben fand – und lässt mich allein.
Der Kaffee duftet herrlich und da ich vermeiden möchte, dass er kalt wird, beschließe ich, Jessica schon jetzt anzurufen, statt damit bis nach der Dusche zu warten. Sie gehört, genau wie Laura und ich, zu den Menschen, die mit dem ersten frühen Weckerklingeln in den Arbeitsmodus schalten.
Wie erwartet steigt sie nach einer knappen Begrüßung sofort voll ein. Wir gehen am Telefon den Plan durch, den mir Katherine gestern gegeben hat, sie lässt sich die Telefonnummern der wichtigsten Crewmitglieder, die auf der letzten Seite vermerkt sind, von mir geben und befragt mich zu jedem Detail der bisherigen Geschehnisse.
„Was ist mit Evelyn French? Passt sie?"
„Perfekt. Sie sieht fast eins zu eins aus wie Amy. Und sie hat die gleiche Attitude wie sie."
„Und dieses Popsternchen?"
„Harry", verbessere ich sie und trinke schnell einen Schluck aus meiner Tasse, bevor ich weiterrede. „Er ist großartig. Scheiß auf meine Zweifel."
Sie murmelt etwas, das wie eine Zustimmung klingt und ich höre, wie sie Papiere hin und her schiebt. Ich habe ihren Schreibtisch, sowohl den bei ihr zuhause als auch den in der Agentur, niemals ordentlich erlebt. Wie sie es schafft, trotzdem derart strukturiert und gut vorbereitet zu sein, ist mir seit Beginn unserer Zusammenarbeit ein Rätsel.
„Ah, folgendes", nimmt sie das Gespräch wieder auf. „Eine Buchhandlung hat mich kontaktiert. Sie würden gern eine Lesung und eine Art Meet and Greet abhalten. Ganz wenig Presse, dafür ein Haufen Leser, die Fragen stellen und sich Autogramme abholen dürfen. Wenn du da Bock drauf hast, könnte ich das für übermorgen klar machen."
„Bist du dann schon hier?"
„Ich fürchte nicht. Wahrscheinlich schaff ich es doch erst zum Wochenende. Alternativ dazu könnte ich den Donnerstag in einer Woche festmachen, laut Plan hast du da aber einen irren Tag mit ganz viel Presse."
Ich lege den Kopf schief. Eigentlich ist es mir tausend Mal lieber, Jessica an meiner Seite zu haben, wenn es um solche Termine geht. Nicht zuletzt, weil sie mir auf die Finger haut, sobald meine Antworten zu sehr abschweifen. Andersrum, mir einen solchen Termin auf einen Tag zu legen, der sowieso schon wahnsinnig voll ist, grenzt an vollkommene Dummheit.
„Nehmen wir diesen Donnerstag. Vielleicht ist das spontan genug, dass nur drei Leute kommen."
„Alex, als du das letzte Mal allein auf einem Event warst, hast du den Fotografen den Stinkefinger gezeigt und dich dabei ablichten lassen, wie du einem Kerl die Zunge in den Hals gesteckt hast", gibt sie trocken zu bedenken.
Ich weiß, dass es kein Vorwurf ist. Sie kennt mich mittlerweile eben, mit allen Schwächen.
„Schuldig im Sinne der Anklage", murmle ich. „Einer meiner Glanzmomente. Ich verspreche dir, ich werde nicht ausfallend und lasse die britischen Jungs in Ruhe, Deal?"
„Vielleicht ist es sogar ganz gut, dass wir das Event so früh legen. Wahrscheinlich rennst du noch rum wie ein Reh im Scheinwerferlicht. Dann bist du immer angenehm zurückhaltend."
„Rehe rennen nicht im Scheinwerferlicht. Sie stehen."
Ich lache leise in mich hinein und leere meine Kaffeetasse. Es sind diese kleinen Schlagabtäusche, die mir besonders fehlen, wenn Jessica nicht mit mir reist. In der ganzen Zeit ist sie zu einer Art großen Schwester geworden, die versteht, wie ich ticke und die deswegen auch genau weiß, wie sie mich anpacken muss. Sie nicht an meiner Seite zu haben trägt sicherlich zu meiner Unsicherheit bei.
„Wenn du nichts mehr auf der Agenda hast, würde ich jetzt Schluss machen, Jess. Mein Kaffee ist leer und ich sollte mich so langsam mal fertig machen, wenn ich vor Drehbeginn noch etwas Arbeit geschafft kriegen will."
„Aber du hast doch eine Stylistin?"
„Ja, für den Pressetermin gestern, aber doch nicht..."
Jessica fällt mir ins Wort, bevor ich mal wieder unter Beweis stellen kann, wie wenig ich diese Welt verstehe, in der ich mich gerade bewege.
„Schätzchen, du hast eine Stylistin, die dir jeden Morgen den Arsch pudert. Und wenn du mitten in der Nacht wie eine in die Jahre gekommene Hafenprostituierte geschminkt werden möchtest, dann wird sie dir diesen Wunsch mit einem Lächeln erfüllen."
„Ich lege jetzt auf, Jess. Bevor du noch ausfallender wirst und meine Muse verschreckst. Außerdem bin ich eine erwachsene Frau. Ich glaub, Anziehen und Haare kämmen krieg ich gerade so noch allein hin."
„Jaja, schon okay. Ich gebe dir Bescheid wegen der Lesung. Wenn ich alles unter Dach und Fach habe, schicke ich dir alle Infos per Mail. Sollte sich noch was ergeben, ruf ich dich an."
Bevor ich noch etwas sagen kann ist sie es, die auflegt. Ich nehme ihr ihre Art allerdings nicht übel, im Gegenteil. Ihr ruppiges Gemüt fehlt mir als Fixpunkt in diesem Chaos und ich sehne mich nach dem Moment, in dem sie in London landet und all das hier mit einem Wimpernschlag erobert.
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