Kapitel 3.
Es fühlt sich an, wie ein Filmeffekt. Ich bin eingefroren, während um mich herum alles unbeirrt weiterläuft. Ich habe sogar das Gefühl, als wäre alles ein bisschen lauter, ein bisschen greller aufgedreht worden, während ich nur dastehen und mich wundern kann. Ich glaube, dass mein Mund ein Stück weit offen steht, ganz so, als würde es das Stopp!, das meine Gedanken beherrscht, doch noch über meine Lippen schaffen. Das hier ist Wahnsinn. Purer, absoluter Wahnsinn. Und ich bin wie das Reh, das zufällig vor einen Scheinwerfer gestolpert ist und absolut keine Ahnung hat, wie man mit dieser Situation umgehen sollte.
Zeitverzögert und wie mechanisch nehme ich den mir dargebotenen Kaffeebecher und beobachte, wie niemand anderes als Harry Styles mein Hotelzimmer betritt. Ja, richtig. Dieser Harry Styles. Er sagt etwas. Ich sehe, dass sich seine Lippen bewegen, doch die Worte dringen nicht durch das Rauschen, das meinen Kopf vollkommen ausfüllt. Irgendwo, am Rande meines Bewusstseins, ist mir klar, wie allumfassend bescheuert ich aussehen muss, doch diese leise Ahnung reicht nicht aus, um ein Pokerface zustande zu bringen.
Ich hebe die Hand, die keinen Kaffeebecher hält, presse irgendwie ein „Entschuldige mich" hervor, gehe ins Bad und werfe die Tür ins Schloss.
Meine Beine fühlen sich seltsam steif an.
Zitternd verlässt der Atem, der zuvor in meinen Lungen gestockt ist, meinen Körper. Ein Blick in den Spiegel sagt mir, dass ich, selbst für meine Verhältnisse, wahnsinnig blass bin. Das wirre Haar, die müden, und gleichzeitig viel zu überrascht aussehenden Augen, und die Stressflecken, die sich an meinem Hals gebildet haben, vervollständigen ein Bild von mir, das vieles über mich aussagt. Aber sicherlich nicht von Kompetenz spricht. Mit einer Hand halte ich noch immer den Kaffeebecher, den Harry mir vollkommen selbstverständlich hingehalten hat.
Ja, richtig. Dieser Harry Styles.
Ich stelle ihn auf einem der Regale ab und drehe den Wasserhahn auf. Das eiskalte Wasser, das ich über meine Handgelenke laufen lasse, macht mich wenigstens ein bisschen klarer, sorgt aber auch nicht dafür, dass mir wohler wird. Es ist nicht zwangsläufig Harry Styles, der meine Reaktion hervorgerufen hat. Es ist die Gesamtsituation. Er ist bloß der Tropfen, der ein viel zu großes Fass zum Überlaufen gebracht hat. Er ist derjenige, der in meiner Welt gar nicht existieren sollte, als hätte ich einmal falsch geblinzelt und unserer beider Realitäten wären ohne Vorsatz, einfach so, ineinander gefallen.
Als ich das Bad wieder verlasse steht er an die Flurwand gelehnt da und lächelt eine Spur unsicher.
„Alles okay?"
Ich lache auf. Es ist eine unbeabsichtigte Reaktion und klingt unangenehm schrill in meinen Ohren.
„Ich weiß nicht. Ich hab gestern Abend noch Wein für sechs Euro getrunken, als mich meine Freunde verabschiedet haben, und kam mir dabei wahnsinnig dekadent vor. Heute habe ich einen Fahrer und ein Hotelzimmer, in dem der Mülleimer im Bad vermutlich teurer sind als mein gesamter Besitz. Ich soll hier Menschen beraten, obwohl ich die Hälfte der Zeit gar nicht weiß, was ich eigentlich tue. Ernsthaft, ich hab heute Morgen nichtmal zwei zusammenpassende Socken gefunden. Und als Spitze des Eisbergs sehe ich aus, als hätte ich während des Flugs einmal zu oft den Kopf aus dem Fenster gehalten", sage ich und lasse die Schultern sinken, als hätte mich dieser Monolog meine verbleibende Kraft gekostet.
Harrys Züge entspannen sich, als er realisiert, dass meine Reaktion nichts mit ihm zu tun hat.
„Wie wär's, wenn du dich erstmal auf die Couch setzt, deinen Kaffee trinkst und, naja, ankommst?"
Ich nicke und folge ihm in das Wohnzimmer. Erst als wir uns gegenüber voneinander auf die große Couch setzen wird mir bewusst, dass auch er einen Kaffeebecher in der Hand hält.
„Ich bin übrigens Alexandra. Alex. Für gewöhnlich hab ich bessere Manieren, wirklich. Ich bin gerade einfach überfordert."
„Harry", schmunzelt er und deutet auf den Kaffeebecher in meiner Hand. „Keine Sorge, da wir uns noch nicht kennen hab ich mir die 'Salz statt Zucker'-Nummer aufgespart."
Sorgsam führe ich den warmen Becher an die Lippen und nehme einen Schluck. In dem Moment, in dem ich den Geschmack zuordnen kann, hellt sich mein Gesicht auf.
„Vanilla Latte! Woher wusstest du das?"
Harrys Schmunzeln breitet sich zu einem Grinsen aus.
„Ich habe mir zu Recherchezwecken deinen Instagramaccount angeschaut und, ganz ehrlich, ich kenne niemanden, der dieses Zeug derart anpreist. Sie sollten dir einen Werbevertrag anbieten."
„Er ist eben lecker!", verteidige ich mich, kann aber nicht verhindern, dass meine Mundwinkel verdächtig zucken. Es ist nicht das erste Mal, dass mich jemand mit meiner Obsession für dieses süße Zeug aufzieht.
„Danke. Für den Kaffee."
„Um ehrlich zu sein bin ich ein bisschen egoistisch. Ich wollte dich kennenlernen, bevor wir in großer Runde zusammenkommen."
Ich schürze die Lippen. „Tja, hättest du mir ein bisschen mehr Zeit gelassen, wäre ich vielleicht etwas, nun ja, eloquenter. Und hätte nicht ausgesehen wie ein Wrack."
„Tust du nicht", versichert er mir. „Und falls dir das wirklich Sorgen macht: bevor Sie uns ins Studio fahren, werden wir sowieso alle nochmal hergerichtet."
Bevor er weiterreden kann, lege ich den Kopf in den Nacken, schließe die Augen und stoße geräuschvoll Luft aus. Sie schicken also jemanden, der mir ein vernünftiges Gesicht malt und meine Haare entwirrt. Dinge, die ich seit sechsundzwanzig Jahren selbst mache. Naja, so ungefähr.
Es ist absurd. Dieses Wort wiederholt sich in meinem Kopf in einer Endlosschleife. So wahnsinnig absurd, dass ich das Gefühl habe, dass ich eigentlich in ein fürchterliches Lachen ausbrechen müsste, um der Situation Tribut zu zollen.
„Es tut mir leid", höre ich Harry sagen. „Ich wollte dich nicht überfallen."
Ich reiße die Augen wieder auf.
„Oh Gott, nein. Ehrlich gesagt bin ich dir dankbar, denn alleine hätte ich mich hier verrückt gemacht. Und irgendwie fühlt sich alles weniger beängstigend an, wenn man wenigstens schonmal jemanden kennt", gebe ich zu und trinke noch einen Schluck von dem Kaffee.
Sein Gesicht fasziniert mich. Ich kann jede Emotion glasklar daraus ablesen, bemerke selbst die kleinsten Veränderungen seiner Mimik und habe das Gefühl, mich nicht daran satt sehen zu können, weil er mir mit jeder verstreichenden Sekunde eine neue Facette von sich zeigt. Ich stelle ihn mir als Protagonisten meines Buches, als Noah, vor. Wie er hinter einer Bar steht, Getränke mixt und dabei mit den Gästen an der Theke scherzt. Wie er gegen eine Mauer gelehnt eine Zigarette raucht und seinen Blick ungeniert über die Frauen in seiner Umgebung gleiten lässt.
Ohne es steuern zu können, lächle ich. „Du bist perfekt."
Die Worte verlassen meinen Mund, ohne, dass ich sie hätte überdenken können, und als sie schließlich raus sind, würde ich mir am liebsten die Hand vor den Mund schlagen, ganz so, als würden sie dadurch wieder ungesagt werden. Meine Wangen werden heiß.
„Als Noah! Für die Rolle, mein ich. Oh Gott!", schiebe ich hinterher.
„Ich versteh schon", selbst dieses leise Lachen passt zu der Rolle, die er spielen soll. „Ich hab mir das Hörbuch angehört, als mir die Rolle angeboten wurde. Es ist sehr schön. Und furchtbar traurig."
Es schmeichelt mir, dass er mein Buch gehört hat, schließlich hätte er es auch bei dem Drehbuch belassen können.
Plötzlich wird es einfach, mit ihm zu reden. Als hätten wir uns warmgelaufen und würden nun ganz geschmeidig weitergehen können, im gleichen Tempo, auf Augenhöhe.
Wir plaudern über das Buch, über die anstehenden Dreharbeiten, darüber, dass er schon so oft in diesem Hotel gewohnt hat und sich trotzdem immer wieder in den Gängen verläuft und dass ich mir unbedingt die Dachterrasse ansehen muss.
Als es wieder an der Tür klopft, hat sich eine seltsame Ruhe über mich gelegt. Ich bin nun nicht mehr fremd oder allein und wenn ich später am Filmstudio ankommen werde, würde ich wenigstens ein Gesicht in der Menge kennen.
Die junge Frau vor meiner Tür stellt sich als Allison vor. Als sie Harry sieht, verdreht sie gespielt genervt die Augen und deutet hinter sich in den Gang.
„Junger Mann, ab aufs eigene Zimmer. Jason sucht dich schon."
„Schon unterwegs", ruft Harry. In der Tür dreht er sich noch einmal zu mir um. „Wir sehen uns später. Wenn du magst, veranlasse ich, dass wir gemeinsam zum Studio fahren."
Ich nicke und wende mich dann Allison zu. Sie klatscht in die Hände, bevor sie eine Kleiderstange an mir vorbei ins Zimmer zieht.
„Also, putzen wir dich heraus!"
Als ich eine Stunde später in der Lobby stehe und auf Harry warte, fühle ich mich nicht mehr wie Unrat, der nur versehentlich in diesem Hotel gelandet ist. Allison hat mich zurückhaltend geschminkt, lediglich der Lidstrich ist auffällig genug, um meine Augen zu betonen. Meine rotbraunen Haare liegen in Wellen auf meinem Rücken und die Kombination aus schwarzem Jumpsuit und weinroten High Heels hätte ich mir genauso im Laden ausgesucht. Ohne viel Herumzuexperimentieren hatte sie meinen Geschmack getroffen und dafür gesorgt, dass ich ein Stück meines Selbstbewusstseins zurückerlangt hatte.
Als sich die Fahrstuhltüren öffnen und Harry in die Lobby tritt, mache ich zwei Schritte auf ihn zu. Er hebt die Augenbrauen ein Stück an und mustert mich für einen Moment. Wäre es nach mir gegangen, wäre das hier unsere erste Begegnung gewesen.
„Hey", sagt er, als hätten wir uns nicht erst vor einer Stunde voneinander verabschiedet und legt eine Hand auf meinen Rücken. „Du siehst sehr gut aus."
„Danke", sage ich leise und lasse mich von ihm zu einem der Seitenausgänge dirigieren, an dem uns Jack bereits erwartet.
Er lächelt und begrüßt Harry und mich höflich, zwinkert mir jedoch in einem unbeobachteten Moment zu, ganz so, als hätten wir ein Geheimnis.
„Bereit für das Abenteuer?", fragt er leise, als er mir die hintere Tür aufhält.
Ich nicke, obwohl meine Hände schweißnass sind. Jetzt wäre es sowieso zu spät für einen Rückzieher.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top