Kapitel 28.
„Ich hab dir erstmal alles Lebensnotwendige besorgt. Toilettenpapier, Seife, Nudeln..."
„Kaffee?"
Laura grinst. „Du hast zwei Pakete in der Küche stehen. Hab dir auch eine neue French Press gekauft, deine alte hat den Umzug nicht überlebt."
Bevor sie weitersprechen kann, klopft es auf meiner Seite an der Tür. Ich lasse mein Handy gegen die Kaffeetasse gelehnt auf dem Tisch stehen und rufe Laura ein „Sorry" zu, während ich das Hotelzimmer durchquere, um die Tür zu öffnen.
Einer der Hotelmitarbeiter lächelt mir höflich entgegen, neben ihm steht eine Kleiderstange, vollbehangen mit diversen Wäschesäcken.
„Oh fuck", ich greife mir an die Stirn. „Sorry, also, für den Ausdruck. Ich hab die Sache mit dem Wäscheservice ganz vergessen."
Etwas peinlich berührt trete ich zur Seite, damit er die Klamotten an mir vorbei in ein völlig chaotisches Zimmer schieben kann.
„Stellen Sie einfach alles neben die Couch, das passt schon so", rufe ich ihm nach und lächle als er zurück kommt noch einmal, wie ich hoffe, gleichermaßen dankbar wie entschuldigend. „Vielen Dank für Ihre Umstände."
Als ich mich wieder vor der Couch auf den Boden sinken lasse erwische ich Laura dabei, wie sie den Kleiderständer, den sie nur minimal am linken Bildrand erahnen kann, aufmerksam mustert.
„Ist es das, was ich vermute?"
Ich seufze und nicke. „Jap. Ich hab die Wäsche waschen lassen."
Jetzt seufzt Laura. Wäsche waschen ist seit Ewigkeiten mein Abreiseritual. Weil ich es nicht ausstehen kann, mit einem Haufen getragener Wäsche zuhause anzukommen, habe ich irgendwann begonnen, mir für die letzten Tage eines Aufenthalts nur noch das absolut notwendigste rauszulegen und den Rest einmal durchwaschen zu lassen, so dass ich 95% meines Koffers bei meiner Rückkehr einfach in den Schrank würde hängen können.
„Wann fliegst du?"
„In fünf Tagen."
„Und..."
Ich schüttle den Kopf, denn Harry weiß nichts davon. Wir haben nicht mehr über meine Abreise gesprochen, auch wenn ich glaube, dass ihm klar ist, dass mein Aufenthalt in London so sehr wie noch nie vor einem Ende steht. Er spricht es nicht an und immer, wenn ich versuche, etwas dazu zu sagen, bildet sich ein Kloß in meinem Hals, der mir die Luft abschnürt.
„Aber..."
„Ja, ich weiß", unterbreche ich sie, weil ich eine ziemlich gute Vorstellung davon habe, was sie sagen will. Es ist nicht so, als würden mir diese Dinge gerade nicht permanent durch den Kopf gehen und als hätte sich deswegen bei mir nicht schon vor Tagen eine leichte Übelkeit breit gemacht.
„Es ist unfassbar unfair von mir, ihm nichts zu sagen. Und kindisch. Und eigentlich könnten wir das alles in einem ruhigen Gespräch klären, aber ich fahr es gerade so richtig vor die Wand. Hab ich, glaube ich, schon mal erwähnt. Ich weiß das alles, Laura. Ich versau es gerade. So richtig. Und es wird mit jedem Mal, wo ich nichts sage, schlimmer."
Ich wische mir mit einer schnellen Bewegung über die Augen, um das verräterische Brennen zu verscheuchen, schließlich hatte ich mich selbst in diese Lage gebracht und wirklich nicht das Recht, meine Trauer zu zelebrieren. Weil Laura nichts mehr sagt, sehe ich nach draußen.
London ist seit Tagen schon windig und ungemütlich. Der Tag, an dem mich Harry ins Museum mitgenommen hatte, ist der letzte Sonnentag gewesen. Seitdem herrscht ein einheitliches Grau, egal zu welcher Zeit ich aus dem Fenster schaue. Selbst der Nachthimmel scheint einen Grauschleier zu tragen. Das Wetter schlägt mir zusätzlich aufs Gemüt und damit scheine ich nicht allein zu sein: auch Harry hatte in den letzten Tagen unverhältnismäßig wortkarg und gedankenverloren gewirkt.
„Soll ich dich vom Flughafen abholen?"
Ich schüttle den Kopf und wende meinen Blick nur langsam von der Aussicht ab.
„Nein. Ist schon okay, ich glaub, Jess hat mir sowieso schon ein Zugticket gebucht."
Laura nickt. Dann schweigen wir wieder.
Nachdem wir aufgelegt haben, bleibe ich einfach starr in meiner Position sitzen und richte meinen Blick wieder gen Fensterfront. Eigentlich könnte ich all die frisch gewaschenen Sachen schon mal in meinen Koffer räumen. Ich könnte von der ausgeleierten Jogginghose in eine Jeans wechseln, um das später nicht mehr tun zu müssen. Oder ich könnte wenigstens etwas frühstücken, um das Loch in meinem Bauch zu füllen. Doch stattdessen bleibe ich bloß sitzen. Ich bin unfähig mich zu rühren, genauso wie ich unfähig bin, meinen Kopf vom Denken abzubringen.
Ich versuche, ihn mir vorzustellen. In meiner Heimatstadt, in den Straßen, durch die ich Tag für Tag gegangen bin und wieder gehen würde. Ihn, Harry Styles, in der Stadt, deren einzige Berühmtheiten einige Reichskanzler und Industrielle sind.
Ich kann ihn auf meinem Balkon sehen, im ersten Licht des Tages, in seinen grauen Sweatpants und den weißen T-Shirts, eine Kaffeetasse in der Hand. Wie wir in meinem Bett herumlungern und uns nicht dazu aufraffen können, es zu verlassen. Wie ich ihn meinen Freunden vorstelle, und dass es nicht einen einzigen Moment der Unbehaglichkeit geben würde, denn Harry ist nicht der Typ Mensch, der es anderen schwer macht, ihn zu mögen. Meine Freunde würden ihn mit Herzlichkeit und peinlichen Geschichten über mich überschütten. Wir würden die paar Straßen von der Bar bis zu meiner Wohnung laufen, und weil es in meiner Heimatstadt noch nie so etwas wie echte Paparazzi gegeben hat, würden wir Händchen halten, lachen und uns - wie jedes andere Paar - auf offener Straße küssen.
Meine Gedanken beginnen zu schlingern, sie kommen ins Trudeln, denn während ich mir all das in jeder Farbe ausmalen kann, stockt mir bei dem Gedanken an die Kehrseite der Atem.
Ich würde zu ihm fliegen, wo immer er gerade sein würde. Es wäre laut und aufregend und immerzu heimlich, um seiner und meiner Willen. Es würde so vollgepackt sein mit Menschen und Eindrücken und all dem, was ihn für gewöhnlich umgibt, und ich - ich bin zu klein. Ich würde untergehen, verschwinden, unsichtbar werden.
Ich bin zu klein für seine Welt, so wie er mir plötzlich zu groß für meine vorkommt. Viel zu groß. Ich würde ihm nicht gerecht werden können.
Drei Stunden später sitze ich in der Produktionsfirma, lasse mir von einem der Verantwortlichen ein paar der zuletzt gedrehten Szenen zeigen und versuche, das Dröhnen in meinem Schädel ganz weit weg zu schieben. Der Kaffee in meiner Tasse ist längst kalt, ich dränge mich jedoch trotzdem dazu, ihn herunterzuwürgen, darauf hoffend, dass sich ein Gefühl der Wachheit einstellt. Außerdem bleibt mir so ein Alibi, mit dem ich meine Hände beschäftigt halte. Die Euphorie, mit der ich sonst immer durch die Szenen sehe oder am Set dabei bin, scheint komplett verflogen. Ich betrachte das Schauspiel und das Setting technisch: sitzen die Haare, stimmen die Kostüme, werden Sätze so gesagt, dass sie die Stimmung des Buches einfangen. Ich kann am Ende nicht sagen, welche Szenen ich da eigentlich gesehen habe, denn ich nehme die Szenen ab, ohne sie wirklich wahrzunehmen.
Als wir fertig sind wandere ich, die Kaffeetasse noch immer umklammert, zwei Räume weiter, um den weiteren Verlaufsplan zu besprechen. Nach meiner Abreise würden lediglich noch eine Handvoll Außendrehs stattfinden, die wir aber bereits so dezidiert durchgegangen sind, dass meine Anwesenheit nicht mehr notwendig sein würde. Ich nicke den vorgestellten Zeitplan ab, ohne mehr als ein paar Schlagworte mitzukriegen.
Man erklärt mir viel zur Postproduktion, zu allen kommenden Schritten bis hin zur großen Premiere, zu der ich dann wieder eingeladen bin, und gibt mir das Ganze dann nochmal in schriftlicher Form.
„Wir haben Ihrer Agentin ebenfalls ein Exemplar gemailt und werden uns später noch einmal mit ihr bezüglich des Social Media Konzepts zusammensetzen. Sollten sich trotz allem noch Fragen auftun, sind wir hier alle für Sie da."
Ich nicke, schüttle die mir dargebotenen Hände und versuche es mit meinem professionellsten Lächeln.
Erst als sich die Tür hinter mir schließt wird mir klar, dass ich nun nichts mehr zu tun habe. Nicht mehr wirklich wenigstens.
Ich könnte weiterhin am Set bleiben und die letzten Dreharbeiten verfolgen, aber in letzter Zeit war ich dort eher schmückendes Beiwerk als eine Unterstützung. Ich könnte Harry suchen, doch allein bei dem Gedanken daran wird mir wieder ganz flau im Magen. Ich bin ihm seit unserem Museumsausflug bestmöglich aus dem Weg gegangen und hatte selbst in den Momenten, in denen wir nebeneinandersaßen, die wir in meinem oder seinem Hotelzimmer verbracht hatten, versucht, emotional wenigstens einen Schritt von ihm zurückzutreten. Natürlich war es ihm aufgefallen, aber ich hatte mich nie erklärt.
Da ich auch keine Lust habe, Jessica über den Weg zu laufen, die hier vermutlich auch irgendwo herumschleicht, beschließe ich, einfach wieder zurück ins Hotel zu fahren. Dort würde ich mich zumindest in mein Zimmer einsperren und weiterhin feige jeder Konfrontation aus dem Weg gehen können.
Noch auf dem Hotelparkplatz beschließe ich jedoch, mich nur kurz frisch zu machen und dann wieder raus zu gehen. Ich würde mir irgendwo ein spätes Mittagessen kaufen und einfach durch die Stadt laufen. Den Kopf frei kriegen. Hauptsache nicht festsitzen; hauptsache zumindest ein bisschen fliehen können. Der Tag im Museum hatte mir gutgetan und hatte mich abgelenkt, vielleicht würde mich London auch ablenken, wenn ich es allein durchstreife.
Mein Plan wird durchkreuzt, als ich in den Flur zu meinem Zimmer einbiege. Harry lehnt an meiner Zimmertür, die Hände in den Taschen seines Kapuzenpullis vergraben und den Blick gesenkt. Erst als er meine langsamen Schritte vernimmt, hebt er den Blick. Er lächelt nicht.
Resigniert, schießt es mir durch den Kopf, bevor mir die Erkenntnis eiskalt in den Bauch rutscht. Harry war in den letzten Tagen nicht schweigsam oder nachdenklich. Er war resigniert. Und jetzt, da er da so vor meiner Hotelzimmertür steht und eindeutig auf mich wartet, wirkt es fast so, als wäre er vor seinen eigenen Gedanken kapituliert.
Als ich vor ihm zum Stehen komme und keine Anstalten mache, meine Schlüsselkarte aus der Tasche zu ziehen, räuspert er sich leise.
„Können wir bitte endlich reden?"
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