Kapitel 20.
Harry und ich existieren in unserem ganz eigenen Kosmos, der alles andere zu verdrängen scheint. Ich nehme die Paparazzi nicht wahr, biete Max mit einer mir untypischen Gelassenheit, ja fast Freundlichkeit, die Stirn und lasse mich durch Jessicas schlechte Laune und die gebellten Kommentare aus ihrer Richtung nicht aus der Ruhe bringen.
Stattdessen erwische ich mich dabei, wie ich Harry durch den Raum hinweg anstarre und mir auf die Lippe beißen muss, um nicht in das breiteste Lächeln der Welt auszubrechen. Ich erwische ihn dabei, wie er immer wieder Momente findet, mir nah zu sein. Wann immer es geht steht er so dicht bei mir, dass ich bloß meinen kleinen Finger abspreizen müsste, um seine Hand zu berühren. Er holt sich auffallend oft meinen Ratschlag zu einer Szene oder einer Stelle im Skript und selbst wenn ich im Gespräch mit anderen bin, entdecke ich ihn stets irgendwo lächelnd im Hintergrund.
Wir schwänzen unter fadenscheinigen Ausflüchten die Mittagspause, die wir bisher immer mindestens mit Evelyn verbracht haben. Ich gebe vor, einen Anruf tätigen zu müssen, für den ich Ruhe brauche und als ich schnell noch eine Flasche Wasser aus einem der Kästen ziehe, höre ich Harry etwas über beginnende Kopfschmerzen murmeln. Ich lasse ihm ein einen Moment, um sich auf den Weg zu seiner Umkleide zu machen, dann folge ich ihm unauffällig.
Wir finden uns auf der kleinen Couch in seiner Umkleide wieder, die Beine ineinander verschlungen und mehr liegend als sitzend. Harry spielt mit meinen Fingern, während ich im Angesicht der Nähe zu ihm gleichermaßen zu Stein erstarrt und vollkommen weich bin.
„Was glaubst du, was die anderen denken?", frage ich leise und beobachte seinen Zeigefinger dabei, wie er die Kontur meiner Lebenslinie nachfährt.
„Lass sie doch denken", erwidert er und zieht mich ein bisschen näher an sich heran. Unsere Finger verknüpfen sich miteinander.
„Was willst du heute Abend essen?"
„Hm", ich lege den Kopf schief und rücke nur einen Millimeter von ihm ab, um ihn betrachten zu können. Er hat sie Augen geschlossen und ich weiß nicht, ob ich jemals ein solch entspanntes und gleichermaßen zufriedenes Gesicht gesehen habe. Das Lächeln auf seinem Gesicht wirkt ganz natürlich, als sei es einfach da, weil es in sein Gesicht gehört.
„Da wir gerade die Mittagspause verpassen, möchte ich heute Abend vermutlich alles essen. In doppelter Ausführung."
Harry grinst dieses Grinsen, das vielleicht bekannter ist als der Rest von ihm und das mich, eigentlich seit unserer ersten Begegnung, immer wieder zuverlässig ansteckt. Mit einem letzten Blick auf sein Gesicht schmiege ich mich zurück in seine Arme und seufze. Der Uhr über der Tür zufolge haben wir noch fünf Minuten, bevor die Mittagspause vorbei ist und wir zurück ans Set müssen, und ich bin gewillt, jede davon auszukosten.
Am Abend sitze ich allein in Jacks Wagen und versuche, mir meine Aufregung nicht anmerken zu lassen. Harry hatte noch etwas nachdrehen müssen, und da ich eigentlich schon eine ganze Weile aufgabenlos umhergeschlichen bin habe ich beschlossen, schon einmal vorzufahren. Nicht, dass ich ihm nicht gern dabei zusah, wenn er spielte, doch vielleicht wäre es unserem Alibi zuträglich. Wir hatten nicht darüber gesprochen, aber es schien selbstverständlich, dass wir nicht turtelnd über das Set liefen. Als Evelyn mich auf die Schlagzeilen angesprochen hatte, hatte ich nur die Augen verdreht und irgendetwas darüber gesagt, dass sie doch wüsste wie die Presse sei. Ausgehend von dem Zweifel in ihrem Gesicht hatte sie mir kein Wort abgekauft.
„Ich schreib dir, sobald ich hier loskomme", hatte Harry leise gesagt, als wir uns zum Abschied umarmt hatten und kaum hatte ich angeschnallt neben Jack gesessen, hatte ich mein Handy aus meiner Tasche genommen und halte es seitdem in der Hand, um Harrys Nachricht auf keinen Fall zu verpassen.
„Du siehst entspannt aus. Hattest du einen guten Tag?" Jack wirft mir einen Blick zu, bevor er sich wieder auf den Verkehr konzentriert.
Ich lächle. „Ja, heute war es angenehm. Entspannt. Und irgendwie gut", antworte ich und komme mir ein bisschen debil vor, weil ich eigentlich bloß seine Worte wiederhole.
Die restliche Fahrt über schweigen wir und ich bin ganz froh darum, denn ich habe nicht das Gefühl, mich auf ein Gespräch konzentrieren zu können. Mein Blick flackert zwischen dem Ausblick vor dem Beifahrerfenster und dem Display meines Handys hin und her. Obwohl ich weiß, dass es bei einer eingehenden Nachricht vibrieren würde, entsperre ich es auf der Fahrt vom Set zum Hotel doch unzählige Male, nur um meine Nervosität noch ein bisschen zu steigern. Meine Haut prickelt, meine Handflächen sind feucht und dieser Zustand verschlimmert sich noch, als ich schließlich allein in meinem Hotelzimmer stehe und nichts mit mir anzufangen weiß.
„Gott Alex", sage ich schließlich laut zu mir selbst, trete meine Schuhe in eine Ecke des Raumes und stemme die Hände in die Hüfte. „Es ist bloß Harry".
Im nächsten Moment breche ich fast in zynisches Gelächter aus. Bloß Harry, ist klar. Als ob es das einfacher machen würde.
Ich beschließe, wenigstens kurz unter die Dusche zu springen und mich frisch zu machen, denn auch, wenn wir uns nur in seinem Hotelzimmer treffen, er mich schon unzählige Male ungeschönt nach Drehschluss gesehen hat und das vielleicht nicht als offizielles Date durchgeht, muss ich doch nicht wie jemand aussehen und riechen, der den ganzen Tag an einem stickigen Filmset verbracht hat. Außerdem ist es immer noch eine bessere Beschäftigung, als nervös umher zu laufen, alle zwei Sekunden auf mein Handy zu schauen und mich immer wieder zu fragen, was ich da eigentlich tue.
Das warme Wasser spült wenigstens einen Teil meiner Nervosität davon. Eingewickelt in ein Handtuch beginne ich damit, mein Make-up aufzufrischen. Als ich fast fertig bin vibriert mein Handy endlich.
„21 Uhr? Fahre gerade los. H."
21 Uhr würde mir noch eine halbe Stunde Zeit geben. Genug, um mich in einen vorzeigbaren Zustand zu versetzen und nicht genug, um zu oft in Panik auszubrechen. Ich antworte mit einem kurzen „Perfekt" und kriege seine Antwort postwendend.
„Ich freu mich."
Diesmal unterdrücke ich das Lächeln nicht. Im Gegenteil. Ich lasse es zu, bis meine Wangen anfangen zu schmerzen und ich das Gefühl bekomme, als müsste ich sogleich in ein infantiles Kichern ausbrechen. Harry freut sich auf mich. Und ich freue mich auf Harry.
Um fünf vor neun stehe ich im dunklen Flur meines Hotelzimmers und trete von einem Fuß auf den anderen. Noch drei Minuten, dann gehe ich los, sage ich zu mir selbst. Und weil mir drei Minuten wie eine Ewigkeit vorkommen, kürze ich sie keine zwei Sekunden später auf zwei Minuten herunter. Eigentlich wäre es an der Zeit, mich selbst daran zu erinnern, dass ich eine erwachsene Frau bin und dass ich nicht derart nervös sein müsste, doch ich bin unfähig, Herrin meiner eigenen Gedanken zu werden. Schließlich pfeife ich auf meinen eigenen Zeitplan, reiße die Hotelzimmertür auf und mache mich auf dem Weg zu Harrys Zimmer.
Er öffnet fast im gleichen Moment, in dem ich sacht gegen seine Tür klopfe. Statt jedoch gewohnt breit zu lächeln legt er den Kopf schief und betrachtet mich einen Moment lang skeptisch.
„Oh nein", sagt er schließlich, zu meiner Erleichterung mit deinem deutlichen Schmunzeln um die Mundwinkel herum. „So geht niemand zu einem entspannten Abend mit viel Essen und einem Haufen Filmen."
Er deutet auf die schmal geschnittene Jeans, die Boots und das taillierte Shirt, dann greift er nach meiner Hand. „Das müssen wir ändern!"
Er lässt mich im Flur stehen, verschwindet in den Tiefen seines Hotelzimmers und steht wenige Augenblicke später mit einem Stapel Kleidung vor mir.
„Anziehen. Keine Widerrede."
Und bevor ich auch nur zu etwaigen Widerworten ansetzen kann, hat er mich schon ins Badezimmer geschoben und die Tür hinter mir geschlossen.
Ich halte eine einfache, graue Trainingshose und einen weißen Kapuzenpullover in den Händen, beides so simpel, dass ich sie nicht in Harrys Kleiderschrank erwartet hätte. Die Kleidung riecht nach ihm und kaum habe ich mein Outfit gewechselt bin ich mir sicher, dass ich niemals mehr etwas anderes tragen will, auch wenn die Hosenbeine viel zu lang sind und ich ein bisschen im Stoff versinke.
Als ich zu ihm ins Zimmer trete grinst er und reckt einen Daumen nach oben.
„Viel besser."
Ich weiß nicht, wo er die Sachen herhat, doch auf der Couch liegt ein wahres Sammelsurium an Decken und Kissen. Das Licht ist gedimmt, der Fernseher an der Wand ist bereits eingeschaltet, doch noch läuft im Hintergrund leise Musik. Auf dem kleinen Tisch stehen Pizzakartons, aber auch kleine, noch verschlossene Take-away Behälter.
„Wie hast du...?", beginne ich, stocke jedoch als mir bewusstwird, dass er nicht mehr am anderen Ende des Raumes, sondern direkt vor mir steht. Er brummt. Er brummt oft und jedes Mal habe ich das Gefühl, als würde mir bei diesem Laut ein warmer Schauer über den Rücken wandern.
„Es hat den ein oder anderen Vorteil, Harry Styles zu sein."
Ganz automatisch finden meine Hände seine und noch automatischer überwinden wir diese wenigen Zentimeter zwischen uns.
Und genau das fasst vielleicht die Verrücktheit dieser Londonreise akkurat zusammen. In einem Moment mache ich mich noch verrück wegen der Frage, ob ich meine Haare offen tragen oder sie zurückstecken soll, und im nächsten Moment trage ich Harry Styles' Kleidung, während mein Kopf an seiner Brust lehnt und er seine Hände in meinen offenen Haaren vergräbt. In einem Moment noch habe ich keine Ahnung, was hier eigentlich passiert, wohin mein Leben gerade verläuft und im nächsten Moment habe ich das Gefühl, am genau richtigen Ort zu sein
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