Kapitel 16.

Als ich Harry am Abend die Tür öffne, trägt er ein dunkles Hemd mit einem, für seine Verhältnisse, zurückhaltenden Paisleymuster, eine schwarze Jeans und Boots aus einem dunklen, matten Leder. Er riecht wie jemand, der sein Parfum eben erst aufgefrischt hat und seine Haare liegen auf eine Art und Weise, die definitiv nicht von einem Drehtag herrührt. Er hat sich auf eine zurückhaltende Art herausgeputzt.

Ich habe mein Haar, ohne hinzusehen, mit einer Spange hochgesteckt und weiß, dass es mir vom Hinterkopf absteht. Dazu trage ich einen Schlafanzug, der bezeugt, dass ich mir im Winter vor zwei Jahren mein von Natur aus dunkelrotes Haar kastanienbraun gefärbt habe. Ich rieche gut, weil ich erst vor wenigen Minuten aus der Badewanne gestiegen bin, aber das ist an dieser Stelle auch das einzige an mir, was halbwegs vorzeigbar wäre. Ich stehe wie vom Donner gerührt in der Tür und starre Harry an, als hätte ich ihn noch nie zuvor gesehen.

Jessica hatte mir vor etwa einer Stunde geschrieben, dass sie vielleicht – wenn sie es schaffen würde – am Abend noch auf ein Glas Wein vorbeischauen würde, damit wir uns auch mal wieder außerhalb des Setalltags sahen. Hätte ich nicht sie hinter der Tür erwartet, hätte ich auf das Klopfen niemals reagiert.

„Ist das dein übliches Dateoutfit, oder hast du dir für mich etwas Besonderes überlegt?"

Harry lässt seinen Blick wiederholt über mein Antlitz schweifen und es ist ihm anzusehen, wie sehr ihn dieser Anblick amüsiert. Vermutlich hätte nur noch eine Gesichtsmaske gefehlt, um ihn in schallendes Lachen ausbrechen und mich im Boden versinken zu lassen.

„Ich dachte, das war ein Scherz," sage ich trocken und würde mir tatsächlich diese Gesichtsmaske wünschen, denn dann würde Harry wenigstens nicht sehen, wie tiefrot ich anlaufen kann.

„Ich scherze nicht, wenn es um Dates geht."

Ich möchte ihm sagen, dass er das Wort Date nicht so betonen soll, dass es so klingt, als würde mehr dahinterstecken, aber das scheint keine der Situationen, in denen er empfänglich für meine Einwände ist.

„Na gut", seufze ich. „Gib mir zehn Minuten, okay?"

Er folgt mir ins Wohnzimmer und sieht mir dabei zu, wie ich Kleidung aus meinem Koffer ziehe und kurz drei Jacken betrachte, die ich auf eine Kleiderstange gehangen habe. Es sind die einzigen Kleidungsstücke auf dieser Stange, die mir gehören. Der Rest gehört zu den Sachen, die Allison bei meiner Ankunft ins Zimmer geschoben hat und von denen ich beschlossen habe, sie nur zu offiziellen Anlässen zu tragen. Ich kann mich nicht recht auf eine Jacke festlegen, so dass ich diese Entscheidung auf später vertage.

„Ich bin kurz...", sage ich und deute mit dem Arm voller Kleidung zu der geöffneten Badezimmertür.

Harry nickt und streckt sich auf der Couch aus.

Nachdem mich Harry in meinem Wohlfühlschlafanzug gesehen hat, der zu etwa 99% aus babyblauem Frottee besteht, sollte jedes andere Kleidungsstück eine Verbesserung darstellen. Doch während ich meine Beine in meine dunkle Jeans schiebe, komme ich nicht umhin mich zu fragen, ob das hier wirklich das passende Outfit für ein Date mit Harry Styles ist. Nicht, dass sein Status bisher eine große Rolle für mich gespielt hätte.

Aber ich ahne, welche Art Frau er normalerweise datet.

Und diese Art Frau würde sicher eines der Kleider auf Allisons Kleiderstange wählen. Diese Art Frau war sicherlich auch hin und wieder müde, doch dank regelmäßiger Gesichtsbehandlungen würde man auch im ungeschminkten Zustand keine Notiz davon nehmen. Sie hatte keine sichtbaren Poren, trockene Haarspitzen oder eine Beinrasur, die älter als zwei Tage ist. Eigentlich ahne ich gar nicht, welche Frauen Harry normalerweise datet. Ich weiß es. Musikerinnen. Models. Und sicherlich keine 0815-Frau aus einer beliebigen deutschen Großstadt.

Ich halte kurz inne, bevor ich mir das schlichte, weiße Shirt über den Kopf ziehe und nenne mich selbst einen Dummkopf. Es ist keine fünf Minuten her, dass ich Harry für die Verwendung des Wortes Dates rügen wollte – und jetzt führe ich mich selbst auf wie ein überdrehter Teenager, der nur einen halben Nervenzusammenbruch davon entfernt ist, einem Strauß Margeriten für ein „Er mag mich, er mich nicht"-Spiel sämtliche Blüten auszurupfen.

Mit geübten Fingern rette ich die Reste meines Make-ups und lege roten Lippenstift auf, von dem ich nur hoffen kann, dass er einige Bier überleben wird. Ich schlüpfe in ein Paar schwarzer High Heels, die ich vor ein paar Tagen hier im Bad ausgezogen und dann niemals weggeräumt habe und stecke den vorderen Saum meines Shirts in den Hosenbund, um dem ganzen wenigstens etwas Form zu geben.

Als ich das Bad verlasse mustert mich Harry und nickt anerkennend.

„Genauso hatte ich mir dein Dateoutfit vorgestellt."

„Ist es okay so?", rutscht es mir raus. Er lächelt.

„Das ist ein sehr gutes Dateoutfit."

Er steht von der Couch auf, geht zur Kleiderstange und nimmt zielsicher meinen dunkelgrünen Longblazer vom Bügel, in den er mir hineinhilft. Ich muss angesichts seiner Wahl grinsen, denn ich hätte mich vermutlich für die gleiche Jacke entschieden, einfach weil sie meine liebste ist.

Harry kommt Jack zuvor, indem er mir die Autotür aufhält und sie behutsam hinter mir schließt, als ich eingestiegen bin. Jack lässt es sich nicht nehmen, mir ein Kompliment für mein Erscheinungsbild zu machen und als sich Harry neben mich auf die Rückbank fallen lässt, zwinkert er mir verschwörerisch durch den Rückspiegel zu.

Harry nennt ihm eine Adresse und wendet sich dann zu mir. „Es bleibt doch noch bei Bier und Billard?"

Ich nicke. „Klar. Wenn du es verkraften kannst, von mir wieder und wieder besiegt zu werden."

Er lacht, geht jedoch nicht auf meine Bemerkung ein. Stattdessen blickt er für einen Moment aus dem Fenster, als würde er sich vergewissern wollen, dass im Gegensatz zu heute Morgen keine Paparazzi vor dem Hotel lauern.

„Wow", er fährt sich durch die Haare, was seiner Frisur nicht im Geringsten schadet.
„Ich glaube, das ist das normalste Date, was ich seit Ewigkeiten hatte."

„Du meinst, abgesehen davon, dass wir einen Fahrer haben und du dieses Date mit einer sehr bekannten Autorin verbringst?"

„Abgesehen davon, ja."

Jetzt, wo er weiß, dass nur Jack diesem Moment beiwohnt und wir nicht im Visier von Kameras stehen, greift er nach meiner Hand und verschränkt meine Finger mit seinen. Ich wehre mich nicht, habe aber augenblicklich das Gefühl, mich weitaus weniger konzentrieren zu können als zuvor. Ich betrachte unsere Hände für einen Moment, dann blicke ich auf.

„Harry?"

„Alex?"

Ich lächle. Auch das ist irgendwie Gewohnheit geworden.

„Können wir es nicht 'Date' nennen? Das klingt so ernst."

„Ich könnte es Rendezvous nennen."

„Oh ja", ich lache und verdrehe die Augen. „Das klingt gleich viel entspannter."

„Wenn es dich beruhigt, können wir gern so tun, als wäre das hier kein Date", sagt er schlicht und seine Worte beinhalten, wogegen ich mich sträube: egal wie ich es drehe und wende. Das hier ist ein Date. Eine Rose bleibt eine Rose, ein Date bleibt ein Date


Doch tatsächlich ist es entspannt. Oder sehr viel entspannter, als ich befürchtet habe.
Im Pub angekommen, lässt mich Harry für einen Moment allein, stellt sich an die Bar, spricht kurz mit einem Barkeeper und kommt mit einem breiten Grinsen und zwei Pints zu mir. Einer der Billardtische im hinteren Bereich wird von einem 'Reserviert'-Kärtchen freigehalten. Harry hält wie selbstverständlich darauf zu und stellt das Bier auf den kleinen Stehtisch direkt daneben.

Es ist ein absolut ordinärer, fast ein bisschen zu bodenständiger Pub. An der Theke sitzen die gleichen Trinker, wie an allen Theken dieser Erde. Das Publikum an den Tischen ist so divers, dass man Bücher darüber schreiben könnte. Unweit von uns sitzt eine Gruppe älterer Damen und spielt Karten, an dem einzigen anderen Billardtisch zieht sich eine Gruppe Studenten gegenseitig auf. Es riecht nach Alkohol, Frittierfett und längst vergangenem Zigarettenqualm. Dieser Ort ist der letzte, an dem ich Harry Styles erwarten würde. Und er ist perfekt.

Einer der Barkeeper bringt uns Kugeln und Queues. Harry krempelt sich langsam und sorgfältig die Ärmel seines Hemdes hoch, bevor er nach einem der Queues greift. Ich weiß nicht, ob er sich dessen bewusst ist, aber ich kann nicht umhin, ihn anzustarren. Nur mit Mühe und Not kann ich mich schließlich von seinem Anblick losreißen und beginne, meinen Queue viel zu heftig mit dem Stück Kreide zu bearbeiten.

Ich bemerke die scheinbar zufälligen Berührungen und die Blicke, die sehr viel intensiver sind als die, die er mir am Set zuwirft – und ich genieße beides. Kein Zurückweichen, keine Ausflüchte. Das hier ist nicht das Dach, wo ich den Moment zerstöre, indem ich ablenke oder ihm ausweiche. Wir spielen dieses Spiel beide, und wir sind beide wahnsinnig gut darin.
Er hat eine Art von Humor, trocken und bisschen spöttisch, jedoch ohne jemals gewisse Grenzen zu überschreiten und ich kann gar nicht mitzählen, wie oft ich laut loslache und den Kopf in den Nacken werfe oder einen vielversprechenden Zug verhaue, weil ich im letzten Moment lospruste. Als ein Song von James Bay durch das Geschwätz der anderen Gäste dringt, singe ich leise mit und wippe leicht hin und her.

„Also", sagt er, und blickt mich über seinen Queue hinweg an. „Du magst James Bay, hast eine Schwäche für Frotteeschlafanzüge und trinkst wirklich zu viel Kaffee. Was noch?"

„Hm...", ich lege den Kopf schief und beobachte, wie er mit spielerischer Leichtigkeit eine Kugel einlocht. „Ich hasse den Geruch von warmer Milch. Ich habe eine absurde Schwäche für richtig flache Popmusik. Und ich kann wahnsinnig gut kochen und backen. Was ist mir dir?"

„Ich liebe Schildkröten", sagt er, und setzt zum nächsten Zug an. „Ich rede manchmal im Schlaf. Und ich spiele offensichtlich sehr viel besser Billard als du."

Mein Blick flackert über den Tisch. Ich brauche nur eine Sekunde, um den Fehler zu bemerken: während ich noch drei Kugeln dort liegen habe sind seine alle weg. Inklusive der schwarzen.

„Es war mir ein Vergnügen", sagt er und deutet einen Knicks an.
„Du hast beschissen!" entfährt es mir entgeistert.
„Ich bin einfach besser!"

Als ich versuche, ihm gegen die Brust zu boxen, legt er blitzschnell einen Arm um mich und küsst, einfach so, mitten im Pub, ohne mich vorzuwarnen, meinen Scheitel.

„Ist schon okay. Wir finden alle irgendwann unseren Meister."

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