Kapitel 15.

„Ist nur ein Vorschlag", sage ich und zucke vorsorglich die Schultern, so als sei es gar nicht so wichtig, ob dieser Vorschlag nun Anklang finden würde oder nicht. Doch Katherines Blick ist offen und aufmerksam, weswegen ich fortfahre.
„Schon klar, dass wir nicht wie im Buch die ganze Zeit zwischen den verschiedenen Zeitachsen springen können, das wäre verwirrend. Aber wir könnten eine Gegenüberstellung einfließen lassen, kleine Momente von Amy damals und von Amy heute", ich bin mir nicht sicher, ob ich mich präzise genug ausdrücke, doch Katherine nickt. Ihre Augen verengen sich und sie lässt einen Moment Zeit mit ihrer Antwort.

„Du meinst kleinere Filmsequenzen, die letzten Endes für sich stehen. Amy, die sich mit zwanzig schminkt und für einen Abend im Club fertig macht, Schnitt, dann Amy mit fünfundzwanzig, während sie durchs Fernsehprogramm zappt und die Anrufe auf ihrem Handy ignoriert?"

Ich nicke eifrig. „Genau. Ich dachte, das wäre vielleicht ein schöner Effekt und würde die Differenz zwischen dem damals und dem heute nochmal verdeutlichen."

„Ich werd es absprechen. Mich hast du überzeugt!"

Sie entfernt sich, um etwas mit einem der Produktionsassistenten zu besprechen und ich nutze die Gelegenheit, um einen kurzen Blick auf mein Handy zu werfen. Laura hatte mir heute Morgen geschrieben, dass ich sie in ihrer Mittagspause kurz anrufen soll, sie hätte Neuigkeiten, aber bisher ist keine Nachricht eingegangen, dass sie aus dem Büro raus ist.

„Du hast die hier alle ganz schön im Griff!", Jess zieht einen Stuhl neben meinen und lässt sich darauf nieder. In der letzten Stunde hat sie einen Haufen Telefonate geführt und ich habe nur hin und wieder einen Blick auf ihren Hinterkopf oder ihre wild gestikulierenden Hände werfen können.

Ich erwidere ein Brummen, halb Zustimmung, halb Zweifel, denn die Erinnerungen, wie ich mich im Pausenraum oder in Jacks Auto versteckt hatte, bloß um einer Konfrontation mit Max aus dem Weg zu gehen oder die vielen Male, in denen ich wie ein kleines Mäuschen geredet habe, um bloß niemandem auf die Füße zu treten, sind noch viel zu präsent.

„Weiß nicht. Ich hab den Rat bekommen, das Ganze hier ein bisschen mehr zu genießen. Und das versuche ich jetzt, indem ich so tue, als wäre es völlig selbstverständlich, dass ich an einem Filmset herumlaufe."

Ich spüre den Blick meiner Agentin auf mir, doch ich blicke stur geradeaus und gebe vor, dass mich die Umbauarbeiten am Set wahnsinnig interessieren. Jess lässt sich dadurch natürlich nicht aus dem Konzept bringen, aber ich möchte ihren neunmalklugen Blick gerade nicht sehen.

„Was läuft da zwischen dir und diesem Popsternchen?", fragt sie schließlich.

„Harry."

Sie hat es sich angewöhnt, von ihm nur als das Popsternchen zu reden, wenn er nicht anwesend ist und ich habe mir angewöhnt, sie jedes Mal zu verbessern.

„Also gut, was läuft da zwischen dir und Harry?"

Ich widerstehe dem Drang zu seufzen und theatralisch mit den Augen rollen und sehe Jess stattdessen ernst an.

„Da läuft gar nichts. Er war der erste, den ich hier kennengelernt hab und wir haben uns ein bisschen angefreundet, das wars."

„Es ist sehr süß, dass du so denkst, aber er schaut dich so oft an, dass es mich wundert, dass er nicht ständig irgendwo gegen läuft. Und, falls es dir noch nicht aufgefallen ist, er berührt dich viel zu oft, als dass nur freundschaftliches Interesse dahinterstecken kann."

Der schwache Teil in mir, derjenige, der sich schon längst geschlagen gegeben hat und sich Harrys Annäherungsversuchen nicht mehr entziehen möchte, jubiliert bei Jessicas Worten. Ganz automatisch spulen sich diese vielen kleinen Momente vor meinem inneren Auge ab – Harry, der mich zu jeder Begrüßung und bei jedem Abschied in eine Umarmung zieht; Harry, der die Hand auf meinen Rücken oder auf meinen Arm legt, wenn wir irgendwo zusammen stehen und Harry, dessen Blick seltsamerweise immer dann auf mich gerichtet ist, wenn ich mich in einem Raum nach ihm umsehe.

Der andere Teil, man würde ihn wohl Vernunft nennen, sagt stattdessen laut: „Ich glaube, so ist er einfach. Das ist seine Art, mit Frauen umzugehen. Er ist einfach sehr charmant und flirtet gern."

Eine Weile sagen weder Jess noch ich etwas. Ich schiele wieder auf mein Handy, doch noch immer hat sich Laura nicht gemeldet. Die Umbauarbeiten sind fast fertig, was bedeutet, dass es gleich weitergehen wird. Max beobachtet den Aufbau mit Argusaugen, hat es bisher aber geschafft, nicht in unsere Richtung zu sehen.

„Naja", sagt Jess schließlich und ihre Stimme hat diesen kleinen Hauch von Geschäftsmäßigkeit. „Es wäre sicherlich nicht die schlechteste Werbung, wenn ihr beiden so weitermacht."

„JESSICA!"
Meine Stimme ist viel zu laut. Und viel zu ungehalten. Max wirft mir einen bösen Blick zu, den ich trotzig erwidere, bevor ich meine Agentin mit einem ähnlichen Blick bedenke. „Das kann nicht dein Ernst sein."

Sie hebt abwehrend die Hände.
„War ja nur eine Idee. Natürlich wäre die Kombi zwischen ihm und Evelyn noch besser, aber die redet ja in einer Tour von ihrem Freund. Übrigens", sie deutet auf das Handy in meiner Hand. „Da will jemand was von dir."

Lauras simples „Ruf an!" blinkt mir auf dem Handydisplay entgegen. Ich entschuldige mich bei Jessica und verlasse das Set. Mittlerweile, auch wenn ich mir das niemals zugetraut hätte, kenne ich die wichtigsten Wege im Studio. Wenn man vom Set aus nach rechts geht kommt man zu unserem Aufenthaltsraum und schließlich zum Catering. Hinter dem Catering liegt der Parkplatz. Linksherum gelangt man zu den Umkleiden. Statt einen dieser Wege einzuschlagen, nehme ich den Flur direkt vor Kopf. Ich habe keine Ahnung, wessen Büros sich hinter den jeweiligen Türen verbergen, aber durch die Tür am Ende des Ganges kommt man auf einen kleinen Innenhof, der vor allem für kurze Raucherpausen genutzt wird.

Ich habe Glück, denn ich bin scheinbar allein hier draußen. Während das Handy in meiner Hand tutet, setze ich mich auf eine der Bänke und strecke die Beine aus. Laura braucht eine Weile, bis sie schließlich abnimmt.

„Hey, sorry, ich hab gerade was zu essen bestellt."

„Lass mich raten, es ist gesund und nahrhaft und wird dafür sorgen, dass du mindestens 100 Jahre alt wirst."

Ich kann ihr Grinsen durch die Leitung hören. „So ist es. Ich erzähl dir schnell, worum es geht, bis mein Essen kommt", es raschelt auf ihrer Seite, dann höre ich sie wieder richtig. „Du erinnerst dich doch bestimmt an die alte Wohnung meiner Schwester? Die mit der offenen Küche und dem schönen Balkon?"

Ich nicke und schiebe ein zustimmendes „Jep" hinterher. Ich ahne, worauf dieses Gespräch hinauslaufen wird.

„Diese Wohnung ist jetzt wieder frei. Und da ich wusste, dass du sie damals sehr mochtest und weil ich den Vermieter kenne, habe ich in deinem Namen mal Interesse bekundet. Wenn du möchtest, kannst du die Wohnung haben. Ich könnte vor Ort alles für dich regeln und dafür sorgen, dass deine Sachen schon mal dorthin gebracht werden."

Es stimmt. Ich war damals furchtbar neidisch auf Lauras Schwester, denn genau so hatte ich mir immer meine Wohnung vorgestellt. Das Problem ist nur, dass das schon eine ganze Weile her ist und ich zwar gesagt hatte, dass ich eine Wohnung bräuchte, mich aber eigentlich nicht in einer sah. Ich hatte mich arrangiert mit den Hotelzimmern, den Gästezimmern bei Freunden und den Airbnbs in der eigenen Stadt. Vielleicht wäre das vor einer Woche sogar noch anders gewesen, vielleicht hätte ich mich darüber gefreut. Doch jetzt. Ich hatte mich noch nie weiter von meinem Leben entfernt gefühlt als jetzt. Und, um ehrlich zu sein, es fühlte sich nicht verkehrt an.

„Alex?"

„Ja sorry", ich streiche mir einige Haarsträhnen aus der Stirn und verziehe das Gesicht, weil mir dieses Gespräch gerade überhaupt nicht passt. „Ich weiß nur nicht..."

Laura seufzt. Tief und irgendwie so, als würde ich so reagieren, wie sie es vorhergesehen hat.

„Schon gut, schon gut", sage ich schnell. „Ich weiß, ich habe gesagt, du kannst dich umschauen und ich weiß auch, dass das nicht ewig so funktionieren wird, aber ich seh mich im Moment nicht in einer eigenen Wohnung. Ich seh mich gerade überhaupt nirgendwo so richtig. Kann ich nicht einfach noch ein bisschen länger eine Nomadin bleiben?"

„Pass auf, wir haben dieses Gespräch bestimmt schon zwanzig Mal geführt. Es ist okay, dass du Angst vor dem letzten Schritt hast, aber du musst ihn irgendwann gehen. Und wenn du diesen Schritt nicht hier machen willst, sondern sonst wo, dann ist das auch okay. Aber geh ihn endlich. Schließ dieses Kapitel ab und komm zur Ruhe."

Jetzt bin ich es, die seufzt. „Okay. Bis wann musst du wegen der Wohnung Bescheid wissen?"

„Sie wollen sie Ende nächster Woche offiziell ausschreiben. Bis dahin brauch ich ein Ja oder Nein."

Ich hänge kilometertief in meinen eigenen Gedanken als wir uns voneinander verabschieden und ich das Handy neben mich auf die Bank lege. Laura hat etwas aufgewühlt, das ich sehr tief und sehr erfolgreich vergraben hatte. Nicht, weil es weh tut, sondern einfach, weil es einen Abschied markieren würde. Und ich war noch nie gut darin, Dinge oder Menschen loszulassen.

„Du hast keine Wohnung?"

Harry setzt sich neben mich. Nah neben mich. Ich weiß nicht, wie er es immer wieder schafft, mich zu finden und wahrscheinlich sollte ich gar nicht so genau darüber nachdenken, dass wir uns in diesem Tumult immer wieder aufeinander zu bewegen.

Sein Blick ist ernst und irgendwie mitfühlend, auch wenn er natürlich keine Ahnung hat, warum ich gerade keinen dauerhaften Wohnsitz habe.

Ich nicke und lege den Kopf in den Nacken.
„Es ist ziemlich unhöflich, die Telefonate anderer Leute zu belauschen", sage ich, weil mir nichts Besseres einfällt. Meine Stimme ist vielleicht ein bisschen dünner als sonst.

Er legt mir eine Hand auf den Arm und fährt mit seinem Daumen sacht die Strecke zwischen zwei Muttermalen nach. Augenblicklich fokussiert sich mein Empfinden auf die Stelle, an der seine Hand liegt.

„Willst du drüber reden?"

„Nein", ich lasse zu, dass er mit einem Arm meine Schultern umfasst und lehne meinen Kopf an ihn. „Nicht hier. Nicht jetzt. Und eigentlich sowieso nie."

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