Kapitel 14.
Ich erkenne Jessica an ihrem Klopfen: kurz, zackig, und immer suggerierend, dass Hektik angemessen wäre, selbst dann, wenn man noch massig Zeit hat.
Meine Mutter hat auf genau diese Art und Weise früher immer an meine Zimmertür geklopft und es hat jedes Mal dafür gesorgt, dass ich mit dem aufhörte, was ich gerade tat und meine Lebensentscheidungen des letzten Jahres rekapitulierte, immer auf der Suche nach dem einen Fehler, den sie mir jetzt würde vorhalten können.
Sie sieht fantastisch aus, denn sie gehört zu diesen Menschen, die in ein Flugzeug steigen und ihre Frisur, ihr Make-up, ihre Kleidung, einfach alles bleibt genauso, wie es sein sollte. Es würde auch niemand anderes derart fit und energisch aussehen, nachdem er eine geschlagene Woche gearbeitet und sich ganz nebenbei um ein krankes Kind und einen kranken Mann gekümmert hat. Doch Jessica schafft all diese Dinge mit Leichtigkeit.
Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie Superkräfte hat und es gibt zu viele Situationen, in denen ich sie genau dafür beneide.
Nach einer festen Umarmung drückt sie mir einen Coffee to go aus der Hotelbar in die Hand und fängt augenblicklich an, mich auf den neusten Stand zu bringen. Bis wir in der Lobby angekommen sind und ich sie stehenlasse, um einen zweiten Kaffee für Jack zu organisieren, hat sie mir bereits sämtliche Buchreviews, Zeitungsartikel und sonstige Kritiken der letzten Tage heruntergerattert und freudestrahlend verkündet, dass mein Buch dank der Filmpromo wieder verstärkt gekauft wird und somit wieder vor einem Einstieg in die oberen Ränge der Bestsellerliste steht.
Als ich mit dem zweiten Kaffee zurückkomme, redet sie nahtlos weiter. Ich komme kaum hinterher mit all den Informationen, die sie von sich gibt und als sie plötzlich über weitere Promoveranstaltungen, zusätzlich zu denen, die sowieso für den Film angedacht sind, redet, stoppe ich sie, indem ich ihr eine Hand auf die Schulter lege und kurz vor der Tür zum Parkplatz stehen bleibe.
„Jess, ernsthaft. Ich hatte bisher zu wenig Kaffee, um so viele Informationen auf einmal zu verarbeiten. Bitte hol Luft, trink einen Schluck Kaffee und erzähl mir zur Abwechslung, wie es Anna und David geht und ob die Grippe überstanden ist. Sonst platzt mir bei all den Informationen der Kopf."
Jess folgt meiner Anweisung. Sie nimmt einen großen Schluck Kaffee, atmet tief durch und lächelt dann. „Ich bin ein furchtbares Arbeitstier, oder?"
Ich erspare uns beiden eine Diskussion darüber, wer in dieser Hinsicht die Schlimmere von uns beiden ist, indem ich die Tür ins Freie aufstoße und zielstrebig auf Jacks Wagen zugehe. Er lehnt an der Beifahrertür und macht zwei Schritte in unsere Richtung, als er mich erblickt.
„Schwarz, drei Stücke Zucker und einen wunderschönen guten Morgen!", sage ich, als er den Kaffeebecher entgegennimmt und deute mit der frei gewordenen Hand auf Jessica. „Meine Agentin, Jessica Langritz."
Jack nickt ihr zu und öffnet eine der Beifahrertüren, damit Jessica in den Wagen steigen kann. Auf der anderen Seite öffnet er die Tür für mich. Ich sitze kaum, als ich Jess' prüfenden Blick auf mir spüre.
„Was?"
„Nichts, nichts", sagt sie, ändert aber nicht die Art, mit der sie mich betrachtet. „Ich bin nur erstaunt darüber, dass ich dich kaum eine Woche allein gelassen hab und du klingst plötzlich wie eine Britin. Ernsthaft. Der Akzent ist furchtbar."
Als wir vom Parkplatz fahren, will Jessica ihren Monolog gerade wieder aufnehmen, als plötzlich viel zu viele Kameras gleichzeitig klicken und Jack das Lenkrad einmal scharf nach links einschlagen muss, damit er einem jungen Mann nicht über die Füße fährt. Trotz des Deckels schwappt mir ein Schluck Kaffee über die Finger, doch ich bin viel zu perplex, um es zu bemerken. Neben mir zieht Jessica scharf die Luft ein und Jack flucht leise.
„Was zur Hölle ist das denn?", rutscht es mir heraus, als wir die Menschentraube soweit passiert haben, dass Jack beschleunigen kann. Einige der Fotografen folgen uns tatsächlich bis zur nächsten Straßenecke, doch als wir auf die Hauptverkehrsstraße einbiegen, sind wir sie los.
„Das", beginnt Jack und reicht mir einige Taschentücher nach hinten, damit ich mir den Kaffee von der Hand wischen kann. „Sind Paparazzi. Und scheinbar haben sie Harry gefunden."
Plötzlich fügen sich mehrere kleine Puzzleteile zusammen: die Tatsache, dass das Team in verschiedenen Hotels unterkommt. Dass Harry überhaupt in einem Hotel unterkommt, obwohl er hier in London eine Immobilie besitzt. Dass wir immer über den Parkplatz, der von außen nur durch ein kleines Tor einsehbar ist, nach draußen gelangen, statt durch den Haupteingang. Scheinbar hat er zumindest versucht, sich ein kleines Stück Ruhe und Privatsphäre zu verschaffen.
Ich kann nicht verhindern, dass ich mir dumm vorkomme, immerhin habe ich ihn die ganzen letzten Tage damit vollgequatscht, wie sehr es mich belastet eine Person zu sein, die hier und da mal in der Öffentlichkeit steht, während meine Presseerfahrung rein gar nichts mit dem zu tun hat, was sich dort eben vor unserem Hotel abgespielt hat.
„Alex?"
Jessica wedelt mit ihrer Hand vor meinem Gesicht herum. Ich schrecke auf und schüttle den Kopf, um wieder im Hier und Jetzt anzukommen.
„Ich fragte, wie es mit diesem komischen Regisseur läuft, mit dem du Probleme hattest."
„Mit dem alle Probleme haben", korrigiere ich sie und versuche, beim Gedanken an Max nicht sofort schlechte Laune zu bekommen. „Also, zumindest alle außer Katherine. Die respektiert er. Wir anderen, das gewöhnliche Fußvolk, muss sein divenhaftes Getue den ganzen Tag ertragen."
Es hat sich nicht gebessert. Ich hatte gehofft, dass es einfach nur seine Wut darüber war, dass Katherine mir den Rücken gestärkt hatte, statt sich auf seine Seite zu schlagen, und dass diese Wut schon irgendwann verrauchen würde. Diese Hoffnung hatte sich jedoch schnell zerschlagen.
„Und was sagt Katherine dazu, dass er ein Arschloch ist?"
Jack biegt auf den Parkplatz des Filmstudios. Wir sind ein bisschen zu früh dran, aber so bekomme ich die Gelegenheit, Jessica herumzuführen und mit ihr, erneut, aber diesmal in Ruhe, den Plan für die nächsten Tage durchzugehen.
„Ich hab sie nicht explizit drauf angesprochen. Ich will nicht für jeden Scheiß wie ein kleines Kind zu ihr rennen. Im Moment hoffen wir alle, dass er sich bald wieder einkriegt. Und falls er das nicht tut, wollen wir ihn abfüllen, ihm seine schmutzigen Geheimnisse entlocken und ihn dann damit erpressen."
Jessica verdreht die Augen angesichts unseres nicht besonders ausgereiften Plans, doch sie hält sich mit Kommentaren zurück.
„Es ist auch nicht so schlimm, wie es vielleicht klingt", ich schnalle mich ab, als der Wagen zum Stehen kommt. Jack und ich tauschen ein Lächeln über den Rückspiegel, bevor ich die Tür öffne, um auszusteigen. Jessica steigt ebenfalls aus und schaut sich auf dem Parkplatz um. „Es nervt uns ganz einfach nur. Und jetzt komm, ich zeige dir den Ort, an dem magische Dinge passieren."
Mein Rundgang endet an dem Flur, der uns direkt in den kleinen Pausenraum mit der Kaffeestation führt. Evelyn ist irgendwann zu uns gestoßen und hat sich seitdem angeregt mit Jessica unterhalten. Als wir den Pausenraum betreten, fällt mein Blick als erstes auf Harry, der sich schwarzen Kaffee in einen Pappbecher füllt.
Er lässt den Kaffee stehen und kommt zu uns, legt mir eine Hand auf die Schulter und drückt leicht zu, während er Jessica anstrahlt und ihr die andere Hand hinhält, um sie zu begrüßen. Er hat das „Schön, Sie kennenzulernen" kaum ausgesprochen, als Jessicas Blick in den hinteren Bereich des Raumes wandert.
„Ist er das?"
Ich weiß nicht, wie sie das macht, aber es ist nicht das erste Mal, dass sie eine Person zielsicher nur anhand meiner Beschreibung seiner Persönlichkeit erkannt hat. Ich nicke und möchte im gleichen Moment den Pausenraum verlassen.
Jessica geht zielstrebig auf Max zu. Als Evelyn und Harry Anstalten machen, ihr zu folgen, greife ich beide am Arm und schüttle stumm den Kopf, um sie zurückzuhalten. Max richtet seinen Blick auf Jessica, als diese nur noch zwei oder drei Schritte von ihm entfernt ist. Ohne ihn zu fragen, ob der Platz an seinem Tisch noch frei ist, setzt sie sich zu ihm. Ich weiß, dass sie ihr viel zu liebliches Lächeln im Gesicht hat und ich weiß auch, was darunter lauert.
„Was...", beginnt Harry, doch wieder schüttle ich nur stumm den Kopf.
„Sie sind Max, richtig?", Jessicas Stimme ist eisig. Für einen winzig kleinen Moment muss ich anerkennen, dass Max nicht sofort unter ihr einknickt, sondern die Augenbrauen anhebt und ihrem Blick standhält.
„Und Sie sind?"
„Jessica Langritz, ich bin die Agentin von Miss Connor. Wissen Sie, Max, Miss Connor und ich standen während meiner Abwesenheit in engem Kontakt und mir ist so einiges zu Ohren gekommen", sie beugt sich ein Stück nach vorne, als wolle sie sicher gehen, dass Max auch jedes Wort versteht. „Lassen Sie es mich so sagen, Max. Jungs wie Sie verspeise ich zum Frühstück. Wenn Sie dafür sorgen möchten, dass ich Ihnen dieses ganze Projekt hier einfriere, dann machen Sie so weiter wie bisher."
„Kann Sie das?", raunt Harry mir leise zu. Ich zucke die Schultern. Ich bin mir nicht sicher, welchen Einfluss Jessica auf die Dinge hier hat, ich weiß aber, dass sie im Zweifelsfall alles kann.
„Ob sie kann oder nicht, sie würde vor dem Versuch nicht zurückschrecken", gebe ich daher genauso leise zurück.
Max ist blasser als noch vor einigen Augenblicken, nur an seinem Hals haben sich einzelne, rote Flecken gebildet. Sein Gesichtsausdruck hat sich nicht verändert, ich könnte jedoch schwören, einen Funken Unsicherheit in seinem Blick zu erkennen.
„Sollte Ihnen jedoch etwas an Ihrer Beteiligung an diesem Projekt liegen würde ich vorschlagen, dass wir alle ein bisschen netter und offener zueinander sind."
Zu meiner Überraschung nickt Max, wenn auch sehr langsam und auffallend perplex.
„Das war großartig!", stößt Evelyn atemlos hervor. Das Grinsen in ihrem Gesicht ist breit und voller Anerkennung und ich kann nicht verhindern, dass sich ein ähnliches Grinsen auf meine Lippen stiehlt.
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