Kapitel 13.
Harry hat Kerzen auf dem Tisch verteilt, an dem wir schon die letzten Abende verbracht haben. Es sind die gleichen, die auch auf den Tischen in der der Hotelbar stehen und ich frage mich kurz, ob er an der Rezeption nach Kerzen gefragt oder sie einfach hat mitgehen lassen, denn heute ist er derjenige, der Bier geholt hat. Er reicht mir eine der Flaschen und ich kann nicht umhin, diese Mühe anzuerkennen. Es ist eine kleine Geste, und doch rührt es mich auf seltsame Art und Weise.
„Ich dachte, ich hebe unsere Dachdates mal aufs nächste Level", sagt er, und deutet auf die Kerzen. „Außerdem ist ein bisschen Licht nicht verkehrt, wenn ich versuchen möchte, meine Notizen zu entziffern." Harry lacht und ich kann die Worte, die unter meiner Zunge brennen, nicht mehr aufhalten.
„Harry?"
„Alex?"
Ich straffe die Schultern und nehme zwei große Schlucke aus meiner Bierflasche. Harrys Blick wird eine Spur ernster und ich möchte mich dafür rügen, eine solche Nummer aus ein paar Worten zu machen. Schließlich wird das hier keine echte Beichte, lediglich ein Thema, welches mit unangenehm ist.
„Keine Ahnung, inwieweit es überhaupt relevant ist", beginne ich und weiß plötzlich nicht mehr wohin mit meinen Händen. Ich greife nach einer der Kerzen und drehe sie vorsichtig zwischen den Fingern, darauf bedacht, dass das Teelicht in dem Glas nicht erlischt.
„Aber ich habe einen etwas, sagen wir, einschlägigen Ruf in den deutschen Medien. Ich glaube, nur deswegen nehmen sie überhaupt so richtig Notiz von mir als Autorin", ich lache trocken. „Nein, ich bin mir dessen sogar sicher. Es gibt ein paar Bilder auf denen ich vielleicht, vielleicht auch nicht, mit verschiedenen Menschen knutsche. Und du weißt, was Medien daraus machen können."
Er nickt und öffnet den Mund, um etwas zu sagen, doch ich lasse ihn nicht zu Wort kommen.
„Ich bin nicht in festen Händen und bin viel rumgekommen und, oh Gott, egal, wie ich das ausdrücke, es klingt seltsam. Auf jeden Fall bin ich nicht annähernd so... locker, wie mich die Medien darstellen. Ich war einfach nur eine Zeit lang sehr unbedarft und irgendwann auch trotzig. Ich hab mich nicht versteckt. Keine Ahnung, warum ich so ein Ding daraus mache, aber ich sag's dir lieber so, als dass du über einen kruden Onlineartikel stolperst oder so."
Das Kerzenlicht bricht sich in seinen Augen als er schmunzelt und sich langsam mit der Zunge über die Unterlippe fährt. Ich trinke direkt noch einen Schluck, nur um sicher zu gehen, dass meine Nerven nicht mit mir durchgehen.
„Wenn wir dann also an dem Punkt sind, uns gegenseitig Dinge zu beichten", beginnt er und lehnt sich mit den Unterarmen auf den Tisch, um die Distanz zwischen uns zu verringern. „Auch mich hat man schon mit anderen Menschen abgelichtet. Und, bitte halt mich nun nicht für leichtfertig, aber vielleicht hatte ich mit der ein oder anderen Person sogar nicht jugendfreien Kontakt."
Harry versucht ernst zu bleiben, doch das Zucken seiner Mundwinkel verrät, dass er sich einen Spaß mit mir erlaubt und mich angesichts meiner Offenbarung, die eigentlich nie eine war, ein bisschen aufzieht. Ich beschließe, darüber hinwegzusehen und mitzuspielen. Ich spiegle seine Haltung, komme ihm meinerseits ein paar Zentimeter entgegen und muss mich tatsächlich zusammenreißen, um bei der plötzlichen Nähe nicht auf falsche Gedanken zu kommen.
Es ist verblüffend, was ein paar Kerzen ausrichten können.
„Du möchtest mir also sagen, dass ich nicht die erste Frau bin, die du versuchst mit Kerzenlicht und Bier zu beeindrucken?"
Ich möchte, dass er sein kleines Amüsement weiterspinnt, erwarte eine weiteren, halbernst gemeinten Kommentar, der vielleicht noch einmal ein bisschen auf meine Kosten geht. Doch der Schalk in seinem Blick verliert sich. Statt zu witzeln, wird er fast ein bisschen zu ernst, während er meinem Blick unverwandt begegnet.
„Wie wäre es, wenn ich dir sage, dass du gerade die einzige Frau bist, die ich mit Kerzen und Bier beeindrucken will?"
Ich lehne mich ruckartig zurück. Bringe Abstand zwischen uns. Unterbreche den Blickkontakt. Versuche, Luft in meine Lungen zu ziehen, die in den vergangenen Sekunden viel zu warm und fest geworden ist. Ich möchte sagen, dass ich da dieses Päckchen mit mir herumtrage und dass mir genau dieses Päckchen ständig im Weg rumliegt. Ich möchte erklären, dass mein Image in der Presse sicherlich das kleinste Übel ist. Ich möchte ihn einen Idioten nennen und möchte, dass er seine eigene Aussage relativiert, indem er sie um einen Witz ergänzt. Als nichts davon passiert und die Luft zwischen uns nicht zur Ruhe kommt, schüttle ich den Kopf.
„Du spinnst. Und wir sollten arbeiten."
Er verharrt einen Moment in der Schwebe und löst den Blick nicht von mir, ganz so, als würde er die Tür aufhalten wollen, von der ich mich eben abgewendet habe. Noch könnte ich einlenken und wieder in dieses Spiel einsteigen. Wir würden diese Blicke austauschen, die direkt unter der Haut kribbeln und der Gedanke, wohin all das führen könnte, pustet vielleicht endgültig jeden guten Vorsatz aus meinen Synapsen. Wir haben eine viel zu gute Chemie für die wenigen Tage, die vergangen sind, seit er mit einer Vanilla Latte vor meiner Hotelzimmertür gestanden hat.
Schließlich setzt er sich doch gerade hin und für einen Moment bin ich nicht sicher, ob er mir meine kleine Flucht vielleicht übelnimmt. Doch dann deutet er auf die Gitarre und lächelt sein Harrylächeln.
„Stört es dich beim Schreiben, wenn ich ein bisschen spiele?"
Ich schüttle den Kopf und ziehe mein Notebook näher heran. Tatsächlich könnte ich mir keine bessere Untermalung meiner Schreibversuche vorstellen.
Harry hat eine Angewohnheit, die ich von mir selbst kenne. Wenn ich wirklich schreibe, wenn ich drinstecke, in welcher Geschichte auch immer, und ich stoße auf eine Schwierigkeit, auf einen Punkt, der mich hemmt, raufe ich mir unbewusst das Haar von links nach rechts. Nach einer guten, intensiven Schreibsession sehe ich für gewöhnlich aus, als wäre ich durch einen Sturm gelaufen.
Wenn Harry in einer vermeintlichen Sackgasse steckt, macht er sein Haar zuerst unordentlich, um es dann mit einigen Fingerstrichen wieder zu ordnen. Diese Bewegungen sind unbewusst und ich weiß, würde ich ihn darauf ansprechen, würde er erstaunt auf seine Finger blicken und sich darüber wundern, dass ihm dieser Tick noch nicht aufgefallen ist.
Es hält die Finger in Bewegung und kompensiert die aufkommende Unsicherheit und die Unbeweglichkeit, in die einen eine solche Sackgasse zwingt.
Vielleicht sind seine Hände sein schönstes Attribut. Seine Finger sind langgliedrig und fast schon zu fein für die schweren Ringe, die er trägt. Ihre Bewegungen sind sanft und weich und ganz darauf ausgelegt, etwas Schönes zu erschaffen.
Ich folge seinen Händen, während die eine den Gitarrenhals umfasst und die andere nach den Saiten greift. Und ich folge seinen Fingern, wenn er von der Gitarre ablässt, seinen Stift aufnimmt und etwas in seinem Notizbuch notiert.
Erst hat er nur gespielt, immer wieder unterbrochen von kleinen Pausen, in denen er etwas aufgeschrieben hat. Und dann hat er schließlich angefangen, die Melodien mit einem leisen Summen zu begleiten. Ab diesem Moment wäre es mir sowieso nicht mehr möglich gewesen, auch nur einen einzigen Satz zu tippen.
Das Geräusch meiner Finger auf der Tastatur hätte sich unmelodisch über seine Stimme gelegt und ich bin viel zu schnell viel zu verloren in diesem Moment, in dem er ganz bei sich selbst ist. Ich bin mir sicher, dass ich Seiten füllen könnte mit seinen kleinen Angewohnheiten und der Art, wie er den Mund im Angesicht mancher Töne verzieht.
Als er mich plötzlich direkt ansieht, komme ich mir so wahnsinnig ertappt vor, dass ich tatsächlich glaube, rot zu werden.
„Wie kommst du voran?", fragt er und ich vernehme deutlich den kleinen, ironischen Unterton in seiner Stimme. Zu meiner Enttäuschung stellt er die Gitarre zur Seite.
Ich blicke auf den Laptopmonitor, auf die drei oder vier Sätze, die ich sowieso niemals verwenden werde, und schürze die Lippen. „Hatte schon schlechtere Tage, denke ich."
„Was blockiert dich gerade?"
Ich klappe das Notebook zu und greife stattdessen zu der Bierflasche, um sie, statt einer der Kerzen, langsam in meinen Händen zu drehen.
„Alles, irgendwie", sage ich und schaue zum ersten Mal an diesem Abend bewusst nicht ihn, sondern die Themse an. „Mein Kopf platzt noch bei allem, was gerade passiert. Ich hab damit nicht gerechnet, weißt du. Ich hab's nicht für möglich gehalten. Ich bin überfordert und verunsichert und so verdammt müde."
„Darf ich dir einen Rat geben?"
„Wenn du mir jetzt Yoga oder Meditation vorschlägst, kann ich nicht versprechen, dass ich dir deine Gitarre nicht über den Schädel ziehe."
„Nein, nein", er lacht so dunkel, dass es fast ein Brummen ist. „Ich wollte eigentlich sagen, dass du nicht so viel denken solltest. Es hat seinen Grund, warum du hier bist, warum dieses Buch so erfolgreich ist und warum all diese Dinge passieren. Und diese Dinge passieren, mit oder ohne dich. Du kannst es also weiterhin zerdenken und verpassen, oder du genießt es einfach ein bisschen."
Eine Weile sagt keiner von uns ein Wort. Ich bilde mir ein, das Wasser der Themse bis hier herauf zu hören, so still ist diese Nacht. Schließlich seufze ich ergeben.
„Das ist ziemlich unfair, das ist dir klar?"
Harry zieht eine Augenbraue in die Höhe.
Ich schüttle den Kopf und versuche, das Gefühl zu verdrängen, dass ich auf eine bittersüße Art gegen ihn verloren habe, ohne dass wir jemals in einem Wettkampf gegeneinander gestanden hätten.
„Ich bin die Ältere von uns beiden. Eigentlich sollte ich die weisen Ratschläge verteilen."
Und da ist er, der Zirkelschluss des Abends. Der Moment, in dem sein Blick wieder tief wird und ich mich nicht mehr wehre, weil ich weiß, dass es keinen Sinn hätte. Wir sind wieder am Anfang, in diesem Moment, den ich früher am Abend unterbrochen habe und den ich jetzt aushalte, eben weil ich gegen ihn verloren habe. Seine Lippen verziehen sich und ich kann meinen Blick nicht von ihnen lösen.
„Falls ich irgendwann Mal einen Rat bezüglich meiner Anti-Aging-Pflege brauche, ruf ich dich an, okay?", erwidert er, lacht, und beweist, dass ich vielleicht ein paar Dinge kann, aber ich schaffe es nicht, ihn zu durchschauen.
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