Das Rennen
Die Sonne hing hoch am Himmel und schickte ihre gleißenden Strahlen auf den heißen Asphalt der Rennstrecke. Es war ein jener Sommertage in Berlin, an dem der blaue Himmel keinen einzigen Fleck aus Wolken zuließ und die Hitze sich in jeder Ritze und Pore sammelte. Die Luft flimmerte vor Hitze, und selbst die Zuschauer auf den gut gefüllten Tribünen wirkten träge und erschöpft, während sie in der schwülen Luft auf das anstehende Rennen warteten. Für Lily Hartmann jedoch gab es kein Zögern, keine Müdigkeit, keinen Raum für Schwäche. Sie war fokussiert – oder versuchte es zumindest.
Lily lehnte sich gegen die Motorhaube ihres Autos und schloss für einen Moment die Augen, um das aufkommende Flattern in ihrem Magen zu unterdrücken. Die Aufregung, die sie früher vor jedem Rennen empfunden hatte, war einer zunehmenden Anspannung gewichen. Dies war nicht irgendein Rennen; es war ein Rennen, das sie sich nicht leisten konnte zu verlieren. Nicht dieses Mal. Sie wusste, dass ihre Karriere am seidenen Faden hing. Die Sponsoren waren knapp, das Geld noch knapper. Sie hatte alles auf diese eine Karte gesetzt.
Ein tiefer Atemzug half ihr, die Nervosität ein wenig zu bändigen, aber nicht gänzlich. Sie öffnete die Augen und musterte die Konkurrenz. Ron Müller stand ein paar Wagen weiter, sein Rücken war gerade, sein Kopf leicht geneigt, während er mit einem breiten Grinsen mit seinem Team sprach. Er wirkte entspannt, selbstbewusst – ein Bild von jemandem, der genau weiß, dass er der Beste ist.
Rons Auto war eine makellose Maschine. Ein blitzender, chromfarbener Bolide, der in der Sonne funkelte. Die Farbe war eigens für ihn gemischt worden – eine Mischung aus Silber und Grau, die perfekt seinen Status als unangefochtenen Champion der Rennszene widerspiegelte. Niemand konnte abstreiten, dass Ron ein hervorragender Fahrer war, aber es waren seine ständige Arroganz und sein offener Sexismus, die Lily zur Weißglut trieben.
„Nun, wenn das nicht unsere kleine Lily ist," erklang plötzlich eine vertraut verächtliche Stimme. Ron hatte sich von seinem Team gelöst und kam nun lässig auf sie zu. Seine Augen funkelten amüsiert, als er den Helm unter seinem Arm drehte. „Bist du sicher, dass du das durchziehen willst? Ich meine, wir könnten dir auch ein nettes Plätzchen in der Boxengasse besorgen. Dann kannst du zusehen, wie die Männer das erledigen."
Lily spürte, wie sich ihre Hände zu Fäusten ballten, ihre Fingernägel sich in ihre Handflächen bohrten. Sie zwang sich, ruhig zu bleiben, auch wenn in ihr alles danach schrie, ihm eine passende Antwort zu geben. Ron hatte diese Wirkung auf sie – er wusste, wie er ihre Unsicherheiten herauskitzeln konnte, wie er an ihrem Selbstbewusstsein nagen konnte. Er tat es nicht, weil er sie als Konkurrentin ernst nahm, sondern weil er es amüsant fand, sie zu demütigen.
„Hör zu, Ron," sagte sie schließlich mit einer Stimme, die kälter war als die Miene, die sie aufzusetzen versuchte. „Ich habe keine Zeit für deinen Unsinn. Wenn du wirklich so gut bist, wie du behauptest, dann lass das Rennen für sich sprechen."
Ron lachte, ein tiefer, abfälliger Laut, der durch die heiße Luft schnitt. „Oh, das werde ich, Lily, das werde ich. Aber vergiss nicht – es gibt Dinge, die Frauen einfach nicht begreifen. Das hier ist eine Männerwelt. Du spielst hier nur mit."
Er ließ sie stehen, sein Lachen immer noch in der Luft hängend, und gesellte sich wieder zu seinem Team. Lily biss die Zähne zusammen und zwang sich, nicht hinzusehen, wie sie mit ihm scherzten und lachten. Sie wusste, dass sie sich nicht ablenken lassen durfte, aber Rons Worte hinterließen immer einen bitteren Nachgeschmack.
In Wahrheit war Ron nicht nur ein Konkurrent – er war ihr Erzfeind. Sie hatte ihn von Anfang an gehasst, seit ihrem allerersten Rennen, bei dem er ihr absichtlich den Weg abgeschnitten hatte und sie beinahe von der Strecke gedrängt hätte. Damals hatte sie es noch für einen Unfall gehalten, eine Art „Willkommen im Club". Doch je öfter sie gegen ihn antrat, desto mehr erkannte sie, dass seine Angriffe gezielt waren. Ron glaubte nicht, dass Frauen etwas im Motorsport verloren hatten, und er scheute sich nicht, das laut und deutlich zu zeigen.
Lily strich sich durch das blonde Haar, das sie zu einem festen Zopf gebunden hatte, und atmete tief ein. Ihre Gedanken wanderten zu Em, ihrer besten Freundin und Managerin. Emily „Em" Schuster war die Einzige, die von all dem Druck wusste, der auf Lilys Schultern lastete. Sie hatte in den letzten Wochen unermüdlich gearbeitet, um Sponsoren an Land zu ziehen und Lily die finanziellen Mittel zu sichern, die sie dringend brauchte. Doch trotz aller Bemühungen war die Lage düster.
„Du bist viel zu gut für diesen Scheiß, Lily," hatte Em letzte Nacht gesagt, als sie bis spät in die Nacht über Möglichkeiten nachgedacht hatten, wie sie diese Saison überstehen konnten. „Du hast Talent, du hast das Herz dafür. Aber du brauchst mehr Unterstützung, jemanden, der an dich glaubt."
Lily hatte nur still genickt. Sie hatte kein Wort darüber verloren, wie verzweifelt sie wirklich war. Em wusste es auch so.
Nun, wenige Minuten vor dem Start, konnte Lily nicht anders, als an all die Sponsoren zu denken, die sie in letzter Zeit verloren hatte. Einer nach dem anderen war abgesprungen, nicht weil sie schlecht gefahren war, sondern weil sie das Risiko, auf eine Frau zu setzen, nicht mehr eingehen wollten. „Wir brauchen Ergebnisse, Lily," hatten sie gesagt. „Wir brauchen Sicherheit." Und in ihren Augen bedeutete Sicherheit, auf jemanden wie Ron zu setzen, der bereits bewiesen hatte, dass er gewinnen konnte.
„Hey, bist du bereit?" Ems Stimme riss Lily aus ihren Gedanken. Sie war in ihrer typischen Art und Weise hereingeschneit, wie ein frischer Windstoß in der stickigen Boxengasse. Em trug ein T-Shirt mit Lilys Rennnummer und hatte ein Tablet unter dem Arm geklemmt, während ihr Gesicht von einer Mischung aus Entschlossenheit und Sorge geprägt war.
„So bereit, wie ich es sein kann," antwortete Lily und versuchte ein Lächeln. Es gelang ihr nicht ganz, doch Em erwiderte es trotzdem.
„Vergiss diesen Arsch," sagte Em und warf einen giftigen Blick in Rons Richtung. „Du hast das drauf, mehr als er. Du hast nur nie die Chance bekommen, es zu beweisen. Heute ist dein Tag."
Lily nickte stumm. Sie wollte daran glauben, wirklich, aber tief in ihrem Inneren nistete sich ein dunkler Schatten der Angst ein. Was, wenn sie es nicht schaffte? Was, wenn heute der Tag war, an dem alles zusammenbrach? Sie war es leid, die ständige Kämpferin zu sein, die immer wieder aufstehen musste, nur um ein weiteres Mal niedergeschlagen zu werden.
Die Startaufstellung begann sich zu formieren. Es war Zeit. Lily zog ihre Handschuhe an und setzte den Helm auf. Sie spürte, wie die Welt um sie herum leiser wurde, wie die Stimmen der Menge und das Brummen der Motoren in den Hintergrund traten. Die Strecke vor ihr schien sich zu verengen, der Asphalt unter den glühenden Reifen schien zu pulsieren, als könnte er ihren Herzschlag widerspiegeln.
Ron stand drei Plätze vor ihr. Sie konnte sein Auto sehen, den glänzenden Silberstreifen, der sich über die Motorhaube zog. Er war immer noch ihr größter Rivale, aber heute war er mehr als das – er war das Symbol all dessen, was sie überwinden musste, um zu beweisen, dass sie hierhergehörte.
Der Startschuss fiel, und wie auf ein geheimes Kommando hin drückten alle Fahrer das Gaspedal durch. Der Lärm der Motoren explodierte in ihren Ohren, die Vibrationen zogen durch ihren Körper, während ihr Auto nach vorne schoss. Lily konzentrierte sich, ließ ihre Augen über die Strecke wandern, während sie die Geschwindigkeit aufnahm. Es war ein Gefühl, das sie sonst liebte – das Adrenalin, die Geschwindigkeit, das totale Verschmelzen mit der Maschine. Doch heute lag eine andere Schwere über allem.
Ron führte das Feld an, dicht gefolgt von drei weiteren Fahrern, die genauso aggressiv auf ihn drängten. Lily hielt sich zunächst zurück, ließ das Auto gleiten, fand ihren Rhythmus, während die ersten Kurven auf sie zukamen. Ihr Auto war nicht das beste auf der Strecke, aber sie wusste, wie sie das Beste daraus herausholen konnte. Sie verstand ihr Fahrzeug, kannte jede Macke und jeden Vorteil.
In der dritten Kurve sah sie ihre Chance. Einer der Fahrer vor ihr driftete ein wenig zu weit nach außen, und Lily nutzte die Lücke sofort. Sie zog an ihm vorbei, ihre Hände fest am Lenkrad, der Blick fokussiert auf die Straße vor ihr und spürte, wie ein Funken Hoffnung in ihr aufblitzte. Sie lag nun auf Platz vier, aber das war nicht genug. Sie wusste, dass sie mehr riskieren musste, wenn sie eine Chance haben wollte, Ron einzuholen. Sie trat noch tiefer aufs Gas, ließ den Motor aufheulen und fühlte, wie das Adrenalin in ihren Adern pulsierte.
Die nächsten Runden waren ein wilder Tanz aus Geschwindigkeit und Präzision. Lily kannte diese Strecke in- und auswendig; sie wusste genau, wann sie beschleunigen und wann sie bremsen musste. Doch so sehr sie sich auch anstrengte, so perfekt ihre Linien auch waren, Ron hielt seinen Vorsprung. Es war, als hätte er einen unsichtbaren Schutzschild um sich, der sie davon abhielt, näher an ihn heranzukommen.
Ihre Anspannung wuchs mit jeder Runde, als sie die Positionsanzeige an der Strecke passierte und sah, dass sie immer noch auf Platz vier lag. Der Fahrer vor ihr war zäh und blockte sie geschickt ab, wann immer sie versuchte, eine Lücke zu finden. Die Zeit verstrich, und mit ihr schwand ihre Chance auf einen Podiumsplatz.
„Komm schon, Lily! Du schaffst das!" hörte sie plötzlich Ems Stimme in ihrem Ohr über das Funkgerät. Es war ein weiterer Versuch von Em, sie zu motivieren, doch Lily konnte das Zittern in ihrer eigenen Stimme nicht unterdrücken, als sie antwortete.
„Ich versuche es, Em, aber er... er lässt mich einfach nicht vorbei!" Ihre Finger krampften sich um das Lenkrad, während sie den Fahrer vor sich anstarrte. Er machte keine Fehler, ließ ihr keinen Raum zum Überholen. Ron war bereits weit vor ihnen, und mit jedem Kilometer, den sie zurücklegten, schien der Abstand größer zu werden.
In einer besonders scharfen Kurve setzte Lily alles auf eine Karte. Sie beschleunigte früh und setzte zum Überholen an, doch der Fahrer vor ihr zog mit einem plötzlichen Schlenker genau vor ihr hinein, blockierte ihre Linie und zwang sie, zurückzuziehen. Es war ein riskantes Manöver, das sie hätte in die Mauer schicken können, und für einen Moment brach ihr Herz vor Schreck, als ihr Wagen ins Schlingern geriet. Sie fing ihn gerade noch ab, konnte den Platz jedoch nicht gutmachen.
Der Frust nagte an ihr. Sie war schneller, das wusste sie, aber ohne eine klare Überholmöglichkeit war es sinnlos. Ron führte das Rennen immer noch an, sein silbernes Auto glänzte im Sonnenlicht, als er die Geraden hinunterjagte. Sie konnte sich vorstellen, wie selbstgefällig er grinste, während er immer weiter davonfuhr. Dieser Gedanke versetzte ihr einen Stich.
Doch dann, in einer plötzlichen Wendung des Schicksals, öffnete sich eine kleine Lücke. Der Fahrer vor ihr zog leicht nach außen, wohl um seinen Wagen in die Kurve zu zwingen, und Lily erkannte die Möglichkeit. Ohne zu zögern, trat sie aufs Gas und schoss in die freie Bahn hinein. Ihr Herz raste, als sie den Wagen zentimetergenau durch die Lücke manövrierte und auf die Innenseite der Kurve drängte. Es war ein riskantes Manöver, eines, das sie nicht oft versuchte, doch diesmal gelang es.
Sie schoss an ihm vorbei, hörte den Protest seines Motors hinter sich, doch es war zu spät. Sie hatte sich den dritten Platz geschnappt. Ein flüchtiger Triumph durchzog sie, ein Funken der Hoffnung, dass sie vielleicht doch noch eine Chance hatte. Doch Ron war immer noch weit vor ihr.
„Sehr gut, Lily! Jetzt hol dir diesen Mistkerl!" Em jubelte durch das Funkgerät, ihre Ermutigung war lauter, als es normalerweise der Fall war. Lily wusste, dass Em nicht nur die Rivalität, sondern auch die Chance witterte, die sich hier bot. Doch vor ihr war noch Felix. Ein starker Teamkollege und Freund von Ron. Eine Position die er gänzlich zu nutzen wusste.
Sie konzentrierte sich voll auf ihn, ließ die anderen Fahrer hinter sich zurückfallen. Es war nur noch er, der vor ihr lag. Das silberne Auto schien fast unerreichbar, als es durch die Kurven flog, doch Lily gab nicht auf. Sie drängte ihr eigenes Fahrzeug bis an die Grenzen, ignorierte das aufkommende Gefühl von Unsicherheit, das sich in ihren Gedanken einnisten wollte.
Eine letzte Runde. Alles oder nichts. Lily wusste, dass sie etwas Riskantes tun musste, um Ron wenigstens näher zu kommen. Doch sie wusste auch, dass Felix immer einen Trick auf Lager hatte, um seine Position zu sichern. Die Strecke war inzwischen übersät mit den Spuren von Gummiabrieb, und der Geruch von verbranntem Treibstoff hing schwer in der Luft.
„Ron ist ein arroganter Mistkerl, aber du bist besser. Lass dir das nicht nehmen," dröhnte Ems Stimme im Funk. Sie wusste, dass Lily genau das brauchte – eine Erinnerung daran, dass sie es drauf hatte.
Felix war nur noch eine Kurve vor ihr, als sie plötzlich ihre Chance sah. Er ging die letzte scharfe Linkskurve etwas zu schnell an, wohl in dem Glauben, dass sie zu weit zurück war, um ihm gefährlich zu werden. Für einen flüchtigen Moment driftete sein Auto leicht nach außen, und Lily reagierte instinktiv.
Mit einem letzten Stoß trat sie das Gaspedal durch und schoss nach innen, direkt an seine Seite. Es war ein kühnes Manöver, eines, das ihre ganze Erfahrung und Geschicklichkeit forderte. Sie spürte, wie ihr Herz in ihrer Brust hämmerte, als sie neben ihm auf die Gerade kam. Beide Autos rasten nebeneinander auf das Ziel zu, und für einen Moment schien es, als würde es ein Kopf-an-Kopf-Rennen werden.
Doch auch Felix war ein erfahrener Fahrer, und er war nicht bereit, seinen Platz so einfach aufzugeben. Mit einer schnellen Bewegung drängte er sein Auto in die Seitenlinie, als wolle er Lily aus dem Weg drängen. Sie konnte sehen, wie er an die Grenze seiner eigenen Fähigkeiten ging, während er versuchte, seinen Vorsprung zu verteidigen. Ihr Herz raste noch schneller, als sie sich auf das Endmanöver konzentrierte.
„Jetzt, Lily! Du kannst das!" rief Em durch das Funkgerät, ihre Stimme klang angespannt und voller Hoffnung. Lily wusste, dass es kein Zurück mehr gab. Entweder würde sie diesen Platz holen oder alles verlieren.
In einem letzten verzweifelten Versuch griff Lily tief in ihre Reserven. Sie drängte ihr Auto weiter nach vorne, nutzte jede Lücke, jede kleine Schwachstelle in Felix Fahrweise. Der Wind brauste an ihr vorbei, als sie mit der maximalen Geschwindigkeit durch die letzte Kurve raste. Ihre Reifen kreischten, der Motor heulte auf, und der Lärm der Menge vermischte sich mit dem Geräusch ihres eigenen Motors.
Die Ziellinie näherte sich schnell. Lily wusste, dass sie jede Millisekunde nutzen musste. Sie setzte alles auf eine Karte, ließ ihren Wagen auf den letzten Metern auf eine rasante Geschwindigkeit beschleunigen. Ihre Augen verengten sich auf die Ziellinie, während sie versuchte, den letzten Vorteil zu erlangen.
Mit einem letzten Ruck überquerte sie die Ziellinie – und dann war es vorbei. Der Motor kam zum Stillstand, und der Lärm der Menge trat in den Hintergrund. Lily konnte es kaum glauben, als sie realisierte, dass sie es geschafft hatte. Sie hatte es Felix auf der letzten Strecke richtig schwer gemacht und war auf Platz zwei ins Ziel gekommen. Der erste Platz war Ron vorbehalten geblieben, aber sie hatte sich immerhin den zweiten Platz gesichert.
„Verdammtes Glück," murmelte Felix, als er sie in der Boxengasse passierte, sein Gesicht verhärtet vor Unmut. „Denk nicht, dass du mich das nächste Mal wieder so einfach überholst."
Lily wollte ihm etwas entgegnen, doch sie war zu erschöpft, um sich weiter mit ihm auseinanderzusetzen. Stattdessen wischte sie sich den Schweiß von der Stirn und konzentrierte sich darauf, das Rennauto abzustellen. Em stürzte auf sie zu, ihr Gesicht leuchtete vor Freude und Erleichterung.
„Du hast es großartig gemacht, Lily! Platz zwei ist ein riesiger Erfolg!" Em umarmte sie, und Lily konnte nicht anders, als sich für einen Moment einfach fallen zu lassen. Der Druck und die Angst der letzten Wochen schienen ein wenig zu verschwinden, wenn auch nur für einen kurzen Augenblick.
Doch als sie sich umblickte, wurde der Moment des Triumphes von der Realität eingeholt. Die Boxengasse war voller Menschen, die sich in den Sieg oder die Niederlage der Fahrer einmischten. Die Sponsoren, die Zuschauer, und die anderen Rennfahrer standen bereits in Gruppen zusammen und diskutierten die Ergebnisse.
Die Freude über ihren Platz zwei war schnell von der bitteren Realität eingeholt worden. Lily wusste, dass Platz zwei zwar eine Leistung war, die man anerkennen konnte, aber für die Finanzen ihres Teams und ihre Karriere bedeutete es nur einen kleinen Erfolg. Der große Gewinn war nach wie vor schwer fassbar, besonders ohne die Unterstützung der großen Sponsoren, die sie so dringend benötigte.
Em hielt Lily fest an ihrer Seite, während sie durch die Menge manövrierte. „Das war eine großartige Leistung. Wir haben das Beste gegeben, was wir konnten. Aber wir müssen uns jetzt um die Sponsoren kümmern. Wenn wir nicht schnell etwas finden, wird es nächste Saison noch schwieriger."
Lily nickte, obwohl sie wusste, dass das leichter gesagt als getan war. Ihre Gedanken wanderten zurück zu Ron und seinen spöttischen Kommentaren. Sie war frustriert, weil er einmal mehr das Gefühl vermittelt hatte, dass sie nicht wirklich dazugehören konnte. Doch auch das war nichts Neues. Die ständige Feindseligkeit und das Unverständnis waren fast eine ständige Begleitung in ihrem Rennfahrerleben geworden.
„Ich werde mit dem Team sprechen und sehen, was wir als nächstes tun können," sagte sie schließlich, ihre Stimme klang entschlossener, als sie sich fühlte. „Aber ich glaube nicht, dass ich heute noch etwas erreichen kann. Ich brauche eine Pause."
Der Tag zog sich noch eine Weile hin, während die Rennstrecke abgebaut wurde und die letzten Gespräche und Feierlichkeiten ihren Lauf nahmen. Lily und Em packten ihre Sachen zusammen, schleppten ihre Ausrüstung in den kleinen Transporter und versuchten, einen Moment der Ruhe zu finden.
Doch der Tag hatte noch eine letzte Überraschung für Lily auf Lager. Als sie schließlich den Transporter bestiegen und sich auf den Heimweg machten wollten, kam ein älterer Mann auf sie zu. Er trug einen Anzug und hatte einen strengen Gesichtsausdruck, den sie sofort als den eines Managers oder eines Sponsoren erkannte.
„Frau Hartmann," begann der Mann, seine Stimme war geschäftsmäßig und kühl. „Wir müssen uns dringend unterhalten. Ich habe einige Angebote für Sie, aber wir sollten das noch heute klären."
Lily fühlte, wie sich eine Welle von Hoffnung und Erschöpfung in ihr vermischte. „Was für Angebote?"
„Lassen Sie uns einfach drinnen reden. Es gibt Dinge, die wir persönlich besprechen müssen." Der Mann deutete auf einen nahegelegenen Raum, und Lily folgte ihm zusammen mit Em, obwohl sie sich unsicher war, was sie erwarten sollte.
Als sie sich in dem kleinen Raum niederließen, der spärlich mit Möbeln ausgestattet war, begann der Mann zu sprechen. „Wir haben einige Investoren, die interessiert sind, aber es gibt Bedingungen. Sie müssen bestimmte Anforderungen erfüllen, um weiterhin finanzielle Unterstützung zu erhalten."
Lily wusste, dass dies ein weiterer Test für sie war. Die Bedingungen würden wahrscheinlich schwierig sein, aber sie war bereit, alles zu tun, um ihre Karriere fortzusetzen. Die Welt des Rennsports war hart, und sie musste härter kämpfen, um sich ihren Platz zu sichern.
„Ich verstehe," sagte Lily schließlich und ließ sich in den Stuhl sinken. „Was sind die Bedingungen?"
Der Mann begann, eine Reihe von Anforderungen und Bedingungen aufzulisten, die Lily kaum wahrnehmen konnte. Alles, was sie hörte, war das Rauschen der Verzweiflung in ihrem Kopf. Doch sie wusste, dass sie nicht aufgeben durfte. Sie hatte bereits zu viel geopfert, um jetzt aufzugeben.
Als der Mann seine Ausführungen beendet hatte, stand Lily auf und schüttelte ihm die Hand. „Ich werde sehen, was ich tun kann. Wir werden uns bald wiedersehen."
Während sie den Raum verließ, spürte Lily die Last der kommenden Herausforderungen auf ihren Schultern. Doch in ihrem Herzen brannte ein Funke der Entschlossenheit. Sie wusste, dass der Weg vor ihr schwierig sein würde, aber sie war bereit, ihn zu gehen.
Mit einem letzten Blick auf die Rennstrecke, die nun verlassen und leer war, machte sie sich zusammen mit Em auf den Weg nach Hause. Der Abend brach an, und die Nacht über der Stadt schien für einen Moment Ruhe und Klarheit zu bringen. Lily wusste, dass die kommende Zeit hart werden würde, aber sie war bereit, die Herausforderungen anzunehmen.
Denn eines wusste sie ganz genau: Sie würde nicht aufgeben. Nicht jetzt und nicht jemals.
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