Kapitel 5
Gegenwart, Peter
Peter hielt den Atem an und presste sich gegen die weiße Wand. Auf der anderen Seite hörte er die leisen Stimmen. Er biss sich auf die Unterlippe und kniff die Augen zusammen.
"Ja, jetzt rennt ihr, was? Jetzt habt ihr Angst." Ein verzerrtes Lachen schallte durch die leer gefegten Gänge. Ein Schuss löste sich. Das Echo des Schusses und des schmerzerfüllten Schreies, der folgte, brannte sich in Peters Kopf ein.
"Bitte bleibt jetzt ganz ruhig", warnte sein Lehrer. Der Junge riss den Kopf hoch und starrte ihn ängstlich an, um ihn herum wurde es vollkommen ruhig. Niemand wagte es, sich zu bewegen. Sein Lehrer hatte längst einen Notruf getätigt, das Handy hielt er in der Hand und es sah aus, als würde er die Tür filmen. Peter wunderte sich aufrichtig, warum. Solche Attentäter konnten doch eigentlich immer zweifelsfrei auch ohne Beweismaterial identifiziert werden - entweder weil sie sich einfach selbst erschossen, nachdem sie ihre schrecklichen Taten beendet hatten, oder weil sie sich mit der Aktion brüsteten.
Gebannt starrte der Junge zur Tür.
"Wollt ihr nicht aufmachen? Miss Fulham hat mir aufgemacht." Die Stimme kam Peter eindeutig zu bekannt vor. Er war nicht gänzlich überrascht, aber in den Gesichtern einiger Mitschüler stand durchaus der Schock.
Was meinte er mit 'Miss Fulham hatte die Tür aufgemacht'? Das hatte sie sicher nicht freiwillig getan, aber er hatte die Schüsse ja gehört, und der Verrückte hatte bestimmt nicht einfach so in die Luft geschossen.
Es knarzte und quietschte, als er sich gegen die Tür warf. Immer und immer wieder warf er sich dagegen, bis das feine Holz splitterte. Es war zu dünn und hielt der Kraft, die ihm entgegengebracht wurde, nicht stand. Peter zog die Beine dicht an den Körper ran, er zitterte. Um ihn herum sahen die Schüler entsetzt zu der brechenden Tür, die schließlich auseinanderbarst.
Mit einem finsteren Gesichtsausdruck, der Peter einen Schauder den Rücken hinabjagte, trat Matt in den Klassenraum ein. Der Blick des rothaarigen Jungen war auf das glänzende, schwarze Gewehr in Matts Hand gerichtet. Sein Herz hämmerte gegen seine Brust, panisch sog er die Luft ein, in dem Glauben, jeder Atemzug könnte sein letzter sein.
Langsam schritt Matt durch den stillen Klassenraum, das Gewehr stets im Anschlag. Peters Augen folgten ihm. Sein Schritt war schwer und er blickte herablassend auf die am Boden kauernden Schüler hinab. Sie versteckten sich unter den Tischen, aber es waren offensichtliche Verstecke. Matt konnte jeden einzelnen von ihnen sehen, und er betrachtete sie alle ganz genau, als würde er diejenigen, die er töten wollte, ausmustern.
Jess, die sich das lange schwarze Haar raufte, presste sich gegen ihre Sitznachbarin, versuchte, sich kleinzumachen. Sie starrte hinauf zu Matt, der nun neben ihr inne hielt. Peter betete im Stillen für sie, doch seine Gebete wurden nicht erhöht. In Sekundenschnelle zischte eine Kugel aus dem Lauf des Gewehrs, geradewegs durch Jess' Kopf. Das schwarze Haar wirbelte auf, ihr Körper kippte nach vorn. Die Lippen waren zu einem stummen Schrei geformt, der sie nie verlassen würde.
Es fühlte sich an, als würde die Zeit stehenbleiben, wenn auch nur für einen kurzen Augenblick. Er vergaß, zu atmen, zu denken. Er konnte nur die Leiche in Miriams Armen anstarren.
Panisch schrie das Mädchen auf, sie hob die Hände und stieß den reglosen Körper von sich, dessen Augen anklagend noch immer auf Matt gerichtet waren.
Ein eisiger Blick des dunkelhaarigen Jungen brachte Miriam zum Schweigen, mit bebenden Lippen und mit Tränen gefüllten Augen erwiderte sie seinen Blick.
"Matt, bitte, du musst das nicht tun." Peters Kopf fuhr herum, erschrocken starrte er seinen Lehrer an, der versuchte, an Matts Mitgefühl und Verstand zu appelieren. Glaubte er wirklich, das half? Es lag so viel daran, einen Menschen umzubringen. Wenn man dazu in der Lage war, jemanden einfach so zu töten, ohne eine Regung zu zeigen, würde man sich wohl kaum davon überzeugen lassen, es nicht zu tun.
Doch zu Peters Überraschung trat Matt zurück, er näherte sich der Tür. Die Ausdruckslosigkeit in seinem Blick stahl ihm erneut den Atem. Wie konnte es einen so kalt lassen, einen Menschen zu ermorden?
Mit langen Schritten ging Matt zur Tür. Einen Moment lang glaubte Peter, er würde sie alleine lassen, als hätte er sie nicht schon genug traumatisiert, doch als einer seiner Mitschüler, Sean, aufsprang und sich auf Matt stürzte, fing sich die Welt erneut in einer Zeitschleife.
Wie in Zeitlupe grub sich die Kugel durch das Fleisch, der nächste Körper sank zu Boden, wo er ohne eine weitere Regung liegenblieb.
Faszinierend, was eine einzige, winzige Kugel ausmachen konnte.
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