5. Dezember
„Guten Morgen Dori", wecke ich meinen kleinen Kater, der es sich auf meinem Bauch gemütlich gemacht hat.
„Weißt du, welcher Tag heute ist?", erkundige ich mich sanft und fange an, seine Ohren zu kraulen, während ich ausgiebig gähne.
Müde blinzelt Dori mich an und sieht nicht so aus, als habe er vor heute noch auf meine Frage zu reagieren.
„Heute ist der zweite Advent", erkläre ich ihm und hauche ein sanftes Küsschen auf seinen Kopf, bevor ich aufstehe und Dori auf meinem Bett absetze.
„Du kannst wenigstens so tun, als wärst du ein bisschen begeistert", sage ich vorwurfsvoll, während ich in eine lockere Jogginghose schlüpfe und mich auf den Weg ins Wohnzimmer mache.
Es ist schwierig motiviert zu bleiben, wenn niemand sonst in meinem Leben die Begeisterung mit mir teilt, die ich versuche beizubehalten.
Ich fülle die drei Futternäpfe für meine Katzen auf, bevor ich mir selbst Müsli zum Frühstück mache und zuschaue, wie meine drei Schätzchen sich über ihr Essen hermachen. Auf richtig kochen habe ich keine Lust, vielleicht mache ich zum Mittagessen wieder das ordentliches. Wobei kochen nur für mich alleine auch immer ziemlich ernüchternd ist. Es ist nicht dasselbe, wie wenn man für seine Freunde kocht. Es macht keinen Spaß und das Essen schmeckt nur halb so gut.
Eigentlich war ich nie eine Person, die so denkt. Ich habe es immer genossen, Zeit alleine mit meinen Katzen zu verbringen, ausgiebig nur für mich selbst zu kochen und den Abend mit einem guten Buch auf dem Sofa zu verbringen.
Seit einer Weile sehe ich das anders. Die Einsamkeit ist nicht mehr wohltuend und entspannend, sondern lässt mich verloren und hilflos fühlen.
Heute ist der zweite Advent, gehen mir meine eigenen Worte von eben durch den Kopf. Der zweite Advent und ich habe immer noch kein bisschen dekoriert.
Es ist nicht mal so, dass ich die Ausrede hätte, keine Zeit dafür gehabt zu haben. Ich hatte einfach nur keine Lust darauf. Für wen sollte ich auch dekorieren?
Meine Freunde aus dem Tanzstudio kommen nie zu Besuch und für mich selbst die Weihnachtsdeko aus dem Keller zu holen ist zu viel Aufwand.
Ich habe noch nicht einmal einen Adventskranz, auf dem ich zwei Kerzen anzünden könnte.
Kurzerhand stelle ich zwei Teelichter auf den Tisch und zünden sie an, starre ein paar Sekunden in die Flamme, bevor ich sie wieder auspuste.
Wie bescheuert.
Als würden zwei Kerzen etwas daran ändern können, dass meine Adventszeit dieses Jahr ins Wasser gefallen ist. Und Weihnachten gleich hinterher.
Auch ein aufwendiges Adventsessen wird daran nichts ändern, es wird mir eher noch mehr vor Augen führen, wie alleine ich bin.
Denn Einsamkeit mag vielleicht schön sein, solange man sie selbst wählt. Nicht, wenn man keine andere Option hat.
Wütend nehme ich meine Müslischale in die eine, die zwei kaum abgebrannten Teelichter in die andere Hand und bringe alles in die Küche. Dann kehre ich ins Wohnzimmer zurück, lasse mich auf die Couch fallen und drehe demonstrativ den Rücken zur Küche, damit ich die Erinnerung an meine Einsamkeit vielleicht ein Stückchen besser ausblenden kann.
Das Buch, das neben dem Sofa auf einem kleinen Tischchen liegt, schafft es nicht lange, mich zu unterhalten, und ich bin froh als Doongie mir Gesellschaft leistet und mich beim lesen unterbricht.
„Vermisst du ihn auch?", erkundige ich mich leise und erhalte ein vorwurfsvolles Miauen als Antwort.
Natürlich nicht, wie komme ich denn auf sowas? Keine meiner Katzen mochte ihn und er mochte meinen Katzen nicht. Eigentlich hätte das ein eindeutiges Indiz dafür sein sollen, dass er nicht die Richtige Sorte Mensch für mich ist. Meine Katzen sind einfach schlauer als ich.
Mein Blick fällt auf die Zeitung auf dem Sofa neben mir.
Soonie hat es sich auf ihr gemütlich gemacht und döst vor sich hin, Doongie liegt auf meinem Schoß und von Dori ist weit und breit nichts zu sehen, wer weiß wo der kleine Streuner sich wieder rumtreibt.
Vielleicht besucht er den Zeitungsjungen, mit dem er sich ganz offensichtlich wunderbar versteht.
Bei dem Gedanken an ihn breitet sich unwillkürlich ein Lächeln auf meinen Lippen aus und ich schüttle den Kopf, um es wieder los zu werden. Sogar einem Fremden vertraut Dori auf Anhieb. Wenn das nichts über meine exzellente Fähigkeit ihm Freunde finden aussagt. Vielleicht sollte ich das in Zukunft meinen Katzen überlassen.
Oder ich freunde mich mit dem Zeitungsboy an. Den hat Dori zumindest bereits für gut befunden.
Wobei, gestern hat der Junge auf mich den Eindruck hinterlassen, als habe er ziemliche Angst vor mir. Seine Nachricht auf dem Plätchenpaket hat sein Verhalten zwar erklärt, aber trotzdem ist unsere Hintergrundgeschichte womöglich nicht die beste Voraussetzung für eine Freundschaft.
Schade eigentlich, er hat nett gewirkt.
Obwohl-
Nein.
Keine gute Idee.
„Habt ihr Filmempfehlungen meine Lieben?", erkundige ich mich bei meinen beiden Katzen und schalte den Fernseher an. Testen wir eine neue Methode, um mich von meinen Gedanken abzulenken.
Ich entscheide den Film, da niemand anders in diesem Raum sich äußern zu wollen scheint, und meine Wahl hätte schlimmer nicht sein können.
Ein romantisch kitschiger Weihnachtsfilm mit so ziemlich jedem schlechten Klischee und einem finalen Kuss unter einem Mistelzweig. Was ein Scheiß.
Bei bestem Willen kann ich mir nicht erklären, wann und wieso ich angefangen habe zu weinen. Ich weine nie bei Filmen. Generell weine ich äußerst selten, aber ich stelle überrascht fest, dass es seltsam gut tut, die Tränen einfach laufen zu lassen.
Dori, der sich nach ungefähr der Hälfte des Films zu uns gesellt hat, schaut mich besorgt an und Soonie kuschelt sich seitlich an mich. Umzingelt von meinen Katzen lässt sich das hier aushalten.
Wer braucht schon Menschen in dieser blöden Welt? Ich jedenfalls nicht.
Und scheiß auf den Jungen, an den ich nicht mehr denken will. Ich brauche ihn nicht. Ich komme wunderbar alleine klar.
Okay, vielleicht jetzt noch nicht. Aber ich werde es.
Trotzig stehe ich auf, setze Doongie neben den anderen beiden auf dem Sofa ab und gehe in die Küche. Neben der Spüle steht immer noch meine Müslischale neben den beiden Teelichtern. Ich spüle die Schüssel schnell ab und stelle sie zum trocknen auf das Abtropfgitter, bevor ich zwei Teelichtgläser aus dem Schrank hole und die kleinen Kerzen wieder anzünde.
Sehr wohl kann ich Advent mit mir selbst feiern. Und Weihnachten ist auch kein Problem. Das wäre doch gelacht.
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