Stunde 11


Langsam hatte er es wirklich satt. Er wurde niedergeschlagen, verhaftet, fiel von einer Brücke, hechtete Berge hinauf, musste Blut aus der Kleidung waschen, verfolgte einen Detektiv, der seine Tarnung auffliegen ließ, hatte schon zwei Leichen an einem Tag gesehen, sein flüchtender Begleiter wurde angeschossen und nun war er einen Berg heruntergerollt.
Mühselig rappelte sich Kaito auf. Er war gefühlt fünf Minuten nur gerollt und schließlich irgendwann mit voller Wucht gegen einen Baum geprallt. Zwischendurch hatte er versucht seinen Sturz zu stoppen, doch das hätte besser gleich bleiben lassen können. Als er einmal nach einem Ast hatte greifen wollen, schlug dieser ihm ins Gesicht und hinterließ dort deutliche Kratzer. Ebenso hatte er an seinen Händen, Knien und Armen blutige Wunden, die höllisch brannten. Auf seinem Weg nach unten hatten ihn mehrere scharfe Steine erwischt. Hoffentlich ging es Shin'ichi besser als ihm.
Shin'ichi!
Siedend heiß fiel ihm seine Schusswunde wieder ein. Ruckartig richtete er sich ganz auf und wollte schon loslaufen, als ihm auffiel, dass er nicht die leiseste Ahnung hatte wo der Detektiv überhaupt steckte. Panik überfiel ihn. Schon machte er den Mund los, um seinen Namen zu rufen, doch dann erinnerte er sich an den Irren, der hier mit einer Waffe im Wald umherlief und anscheinend wollte, dass die beiden das Zeitliche segneten.
Auf eine Begegnung mit dem Kerl konnte Kaito im Moment jedoch gut drauf verzichten. Und Shin'ichi ging es bestimmt genauso.
Langsam ging Kaito erst einmal etwas weiter bergauf. Jeder Schritt brannte, da die Kleidung an seine aufgerissenen Knie scheuerte. Aber nicht nur seine Knie schmerzten. Sein ganzer Körper schien zerschunden und verwundet zu sein. Von der Sorge um den Detektiv mal ganz abgesehen.
Warte...
Der Sorge um den Detektiv? Stimmt, er machte sich Sorgen um ihn, dass hatte er früher auch schon getan. Aber momentan beschlich ihn ebenfalls eine schon fast krankhafte Angst um ihn. Bei seinem letzten Cup hatte der Detektiv auch ein paar Blessuren davontragen müssen, denn dort kam es zu einem Mordfall, wo der Täter ebenfalls Bomben platziert hatte und Kaito KID eigentlich einen Diamanten aus dem Gebäude hatte stehlen wollen. Auch da hatte er schon eine leichte Panik um den Detektiv gehabt. Auch wenn es nur Schrammen gewesen waren. Trotzdem machte er sich mehr Sorgen als zuvor. Nur wieso?
Grübelnd über seine verwirrenden Gefühle und der steigenden Angst in sich, da er noch nichts von Shin'ichi erblicken konnte, irrte er weiter durch den Wald, die Schmerzen so gut es ging ignorierend.
„Shin'ichi?", flüsterte Kaito in die Dunkelheit hinein. „Hörst du mich?"
Keine Antwort. Er lief weiter und wiederholte es immer wieder, bis er schließlich eine Antwort bekam.
Seine Frage wurde mit einem gequälten Stöhnen beantwortet. Ein Stein fiel ihm vom Herzen.
Sofort lief er, auch mit brennenden Knien, auf die Quelle des Lautes zu und fand Shin'ichi neben einem Baum liegend. Aus seiner Schulter quoll Blut und auch er hatte aufgerissene Kleidung und an manchen Stellen ebenfalls blutige Wunden.
„Hey, Shin'ichi", sagte Kaito und kniete sich, die Zähne zusammenbeißend, vor ihm hin. „Kannst du mich hören?"
Er bekam keine Antwort, doch die Gestalt vor ihm regte sich, stützte sich mit seinen Armen am Boden ab und versuchte sich hochzustemmen. Dann hob der Detektiv langsam und anscheinend mit Schmerzen den Kopf.
„Also... ich glaube... deine Verkleidung... die kannst du dir jetzt schenken...", keuchte der Detektiv, während Kaito ihm half, sich hinzusetzten, damit er sich gegen den Baum lehnen konnte. „Damit... siehst du jetzt... nur noch... gruselig... aus..."
Kaito seufzte schwer.
„Wie kannst du jetzt so was sagen?", fragte Kaito leicht anklagend ihn. „So was ist doch eher mein Part."
Shin'ichi lachte leicht, doch das Lachen verwandelte sich in einen schlimmen Hustenanfall. Nachdem dieser sich wieder gelegt hatte, schaute Kaito ihn ernst an.
„Wir müssen wieder zurück zur Hütte und unsere Wunden versorgen", meinte dieser dann und Shin'ichi stimmte müde nickend zu.
„Schaffst du es, aufzustehen?", wollte Kaito wissen und streckte ihm eine Hand entgegen.
„Ich denke", sagte Shin'ichi und machte schon Anstalten, Kaitos Hand zu ergreifen, als er stoppte. „Wo hast du diese Schrammen her?"
„Ist beim Sturz passiert. Ist aber halb so schlimm", log Kaito schnell. Im Moment sollte sich Shin'ichi mehr Gedanken um sich selbst machen als um Kaitos Hand.
Trotzdem ergriff der Detektiv sie nicht, sondern zog sich am Baum hoch. Dabei biss er sich fest auf die Lippe. Anscheinend machte ihm sein angeschossenes Bein zu schaffen.
„Stütz dich auf mich", meinte Kaito und bot ihm seinen Arm an.
„Solange du mich nicht wieder fallen lässt", warf Shin'ichi ein.
„Keine Sorge", sagte Kaito. Diesmal lass ich dich bestimmt nicht los, fügte er in Gedanken hinzu.


„Dann mal los", meinte Kaito und riss Shin'ichis Hosenbein von unten bis zu seiner Einschussstelle auf. Er griff nach seiner Taschenlampe und begutachtete die Wunde. Dann verfinsterte sich seine Miene. „Das sieht nicht gut aus, Tantei-kun. Die Kugel scheint tief drin zu stecken. Wir müssen dich in ein Krankenhaus bringen, die muss raus. Fürs Erste werde ich sie dir so gut es geht verbinden."
Shin'ichi war auf dem Weg zu Hütte, die sie nach gefühlt einer halben Ewigkeit wiedergefunden hatten, immer blasser geworden und hatte viel Blut verloren. Seine Wunden mussten sofort versorgt werden.
Kaito kramte in seiner Tasche und zog einen Erste-Hilfe-Koffer darauf hervor. Dort drin befanden sich Pflaster, Tinkturen zum Reinigen von Wunden, Verbände, Mullbinden und eine Schere.
Er zog eine der Tinkturen heraus und öffnete sie. Ein beißender Geruch erfüllte die Hütte.
„Zähne zusammenbeißen, Tantei-kun, das wird unangenehm werden", sagte Kaito nur und sah Shin'ichis Nicken. Dann träufelte er etwas von der Tinktur auf die Wunde, damit sie sich hoffentlich nicht entzünden würde. Shin'ichi verkrampfte sich unweigerlich und unterdrückte gekonnt einen Schmerzensschrei. Dabei klammerte er sich so fest an den Stuhl, der neben ihm stand, dass seine Fingerknöchel weiß wurden und Kaito schon beinahe Angst um den klapprigen Stuhl haben könnte, da dieser aussah als würde er bald in alle Teile zerfallen und Shin'ichi machte es nun durch seine Klammerei bestimmt nicht besser. Satt sich jedoch um den Stuhl zu kümmern, biss er sich auf die Lippe, da es ihm selber wehtat, Shin'ichi diese Tinktur draufträufeln zu müssen. Er wusste, wie unangenehm das bei einer kleinen Menge war, doch bei dem Detektiv musste er wesentlich mehr draufträufeln.
Nachdem er die Tinktur verschlossen hatte, legte er eine Mullbinde auf die Schusswunde und verband diese gut. Die kleineren Wunden waren schnell behandelt, doch Kaitos aufgeschlitzte Hände brannten und er hatte beide Ärmel von Shin'ichis Hemd abreißen müssen, sonst wäre er nicht an die Wunden rangekommen.
„So, fertig", sagte der Meisterdieb und ließ sich auf den Boden fallen.
„Danke", sagte Shin'ichi und lächelte den Kaito dankend an. Er hatte wieder etwas Farbe bekommen und seine Stimme war auch nicht mehr so schlimm wie vorhin, als Kaito ihn gefunden hatte.
„Kein Problem", meinte dieser dann.
„Dann lass mich nun dir helfen", sagte der Detektiv. Kaito wirkte überrascht. Bis auf seine Hände hatte er seine Wunden komplett vergessen, doch nun schienen sie doppelt so stark zu brennen wie am Anfang.
„Du kannst ruhig sitzen bleiben, du musst dein Bein schonen", wehrte Kaito ab. Das war ihm zu suspekt. Shin'ichi könnte sein Gesicht sehen...
„Keine Widerrede", sagte der Detektiv bestimmend, was Kaito überraschte. „Du hast mir geholfen und das nicht nur einmal. Jetzt bin ich dran."
Abwesend nickte Kaito und Shin'ichi stand vom Stuhl auf, ehe er sich zu Kaito auf den Boden setzte.

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