𝐀𝐜𝐡𝐭𝐳𝐞𝐡𝐧

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„In der Weihnachtsbäckerei ...." „... gibt es manche Meckerei."
„Du musst einfach einspringen", die Stimme ihrer Schwester hatte den allzu vertrauten Tonfall ihrer Mutter angenommen, wenn sie etwas tun sollte, wovon sie wussten, dass Chrissie es hassen würde, „du bist ihre Tante und meine Schwester." Der unangenehme Mix aus Tadel- und Nörgelei ging ihr sofort unter die Haut, weckte unangenehme Kindheitserinnerungen und ließ sie in Sekundenschnelle wieder neun Jahre alt werden. „Wenn ich in solchen Situationen nicht auf dich zählen kann, dann hast du wohl nie gelernt was Familie heißt."
Christina seufzte. Sie kannte ihre Schwester gut genug um zu wissen, dass das nicht hundertprozentig ernst gemeint war - sie neigte einfach zur Melodramatik - aber ebenso wie ihre Mutter war sie die Königin des schlechten Gewissens. „Ich bitte dich doch so selten um etwas, ich brauche dich dieses Mal wirklich." Sie korrigierte sich. Kaiserin des schlechten Gewissens, mit der Fähigkeit das Wort „selten" situationsabhängig immer neu auszulegen.
Dennoch wollte sie Agnes nicht verärgern. Also suchte sie ihre Handtasche, schlüpfte in ihre schwarzen Stiefel und griff nach

ihrem Haustürschlüssel. „Ich kann das nicht einfach ignorieren. Wenn die Geschäftsführerin den Termin ansetzt, kann ich den nicht einfach verschieben. Ich weiß, du kannst das nicht verstehen, als Künstlerin hast du dich mit so etwas ja kaum herumzuschlagen." Augenverdrehend sah Chrissie ein letztes Mal in den Spiegel, strich ihre glatten, schwarzen Haare zurück und lächelte sich selbst zu. Ihr Lächeln war schief. So schief wie die Beziehung zu ihrer Familie, seit sie ihr Studium abgebrochen und stattdessen eine Galerie gemietet hatte.
Währenddessen jammerte ihre Schwester über sich selbst und ihre Arbeit, während sie eigentlich damit angab, wie erfolgreich sie in ihrem Job war. Und jetzt müsse sie auch noch am Abend vor der Heiligen Nacht zu einem Meeting - das in Wirklichkeit vermutlich nichts anderes als ein fettes Essen in einem ausgezeichneten Restaurant mit fünf Sternen war - das sei ja so ungerecht.
Chrissie trug nur noch hin und wieder ein Summen zur Konversation bei, während sie das Smartphone zwischen Wange und Schulter geklemmt hielt, die Tür verschloss und durch die wirbelnden Schneeflocken zu ihrem Auto rannte.
Sie ließ den Wagen an, noch bevor sie sich anschnallte und hoffte auf ein zügiges Anspringen der Sitzheizung. Wann war es nur so verdammt kalt geworden?

„Es schneit so krass Agnes, ich muss mich aufs Fahren konzentrieren. Wir sehen uns ja gleich." Sie war kaum zwischen den nicht enden wollenden Monolog ihrer Schwester gekommen, hoffte aber auf fünf ruhige Minuten bevor sie sich mit der Höllenbarbie und dem Satansbraten auseinandersetzen müsste, aka ihre Nichte und ihr Neffe.
Nur zu gern hätte sie eine bessere Beziehung zu den Kindern ihrer Schwester gehabt und würde sie liebevoll Krümmel oder Mäuschen nennen, so wie es ihr Freund Michi mit seinen Neffen tat. Aber die beiden - Scarlett Pia Iphigenie und Titus Ole Samson - waren Miniaturen ihrer Schwester und Mutter. Missbilligend. Arrogant. Anstrengend. Furchtbar anstrengend. So furchtbar anstrengend.
Chrissie saß schließlich noch einige Minuten in ihrem warmen Wagen und genoss die Wärme in ihrem Rücken. Niemals wieder würde sie einen Wagen ohne Sitzheizung kaufen. Sie lächelte. Es waren die Kleinigkeiten, die einen als Erwachsenen glücklich machten.
Gedankenverloren starrte sie auf den perfekt getrimmten Rasen, die weiß getünchten Mauern und die blauen Fensterläden des Heims ihrer Schwester. Das Haus hätte prima irgendwo in Skandinavien stehen können. Irgendwo zwischen Dünen, in Sichtweite des Meeres. Nicht mitten in der Stadt, flankiert von neumodischen,

kubistischen Klötzen. Letztere würden soviel besser zu ihrer Schwester passen. Kühl, auffällig, ungemütlich. Warum es ausgerechnet dieses Haus geworden war, würde ihr immer ein Rätsel bleiben.
Seufzend machte sie den Wagen aus und stellte sich der Kälte. Den eisigen Schnee spürte sie hingegen kaum.
Ein letztes Mal atmete sie bewusst tief ein, straffte dann ihren schmerzenden Rücken und klingelte.
„Na endlich." Agnes hauchte ihr mit ihren tiefrot geschminkten Lippen zwei Küsse auf die Wangen und war schon aus der Tür hinaus, noch bevor Chrissie das Haus überhaupt betreten hatte. „Die Kinder sind im Wohnzimmer, sie dürfen noch genau zehn Minuten fernsehen, dann haben sie ihre Medienzeit aufgebraucht - das gilt auch für Smartphones, Laptops und alles andere mit Stecker oder Batterie." Sie spannte einen riesigen Schirm auf und lief zielstrebig in Richtung der Auffahrt, in der ein viel zu dickes, viel zu teures Auto stand. „Die Grünkernpattie-Dinkelburger sind im Kühlschrank, du musst sie nur abbacken." Das stechende Klackern ihrer Heels untermalte ihre Verabschiedung wie eine bizarre Musik. „Ich bin um Mitternacht zurück. Spätestens um Zwei."
Halbherzig winkte Christina ihrer Schwester, die elegant in ihren Mercedes glitt und sie schon nicht mehr ansah. Seufzend drehte sie

sich um, schloss die Tür, straffte erneut den Rücken - denn sie wusste, dass die kleinen Monster Angst riechen konnten - und stapfte ins Wohnzimmer, wo sie sich in den einzigen, weichen, weißen Sessel fallen ließ. Ihre Nichte Scarlett und ihr Neffe Titus - die bereits erwähnten Höllenbarbie und Satansbraten - saßen mit Engelsmienen auf dem Sofa und starrten auf den Bildschirm.
Die Ruhe vor dem Sturm.
Und der Sturm würde kommen. Er kam immer. Ob die beiden mit Brennpastenbehältern hantierten und dabei die guten Polster ihrer Ticktackoma mit Brandflecken versahen oder das Fell von Onkel Erwins Chow-Chow mit Bastelscheren bearbeiteten ... sie korrigierte sich nach längerem Überlegen selbst. Die beiden waren kein Sturm, die waren ein Tsunami, ein Hurrikan. Irgendwas Zerstörerisches, aber im Kern super Gesundes. Mit Grünkerngeschmack.
Christina spürte die skeptischen Blicke der beiden über ihren Körper wandern. Sie verweilten auf ihren Piercings, glitten mehrfach neugierig über die Tattowierungen an ihren Armen und die modischen Risse in ihrer Jeans. „Bist du hingefallen, Tante Chrissie?" Scarlett zog ihre Nase kraus. Ein Abbild ihrer Oma. Ganz klar.

„Also gut." Sie würde die Gemeinheiten der Kinder einfach ignorieren. Ein gutes Training für den morgigen Heiligabend, wenn die Königinnen und Könige der Gehässigkeiten bei ihrer Mutter zusammen kommen würden, um die Geburt des Herrn zu feiern. Oder sich gegenseitig zu übertrumpfen. Aber wer wusste das schon genau, wozu dieser Tag da war.
Seufzend stand sie auf und schaltete den Fernseher aus. „Was wollt ihr jetzt machen?"
Chrissie holte tief Luft und machte sich auf das Schlimmste gefasst. Die beiden sahen einander an und als Titus zaghaft nickte, räusperte sich Scarlett. „Wir würden gern Kekse backen. Mit Zucker. Und weißem Mehl?" Ihre großen, blauen Augen sahen unter ihren sich wild kringelnden blonden Locken unschuldig hervor.
Der Satansbraten stieß ihr seinen Ellenbogen in die Seite. Scarlett bedachte ihren kleinen Bruder mit einem mörderischen Blick. „Deine Hose ist echt chic und ... ähm ... du bist gar nicht zu alt um so was zu tragen." Zufrieden sah die Höllenbarbie zu Titus, der die Augen verdrehte. Für einen Sechsjährigen hatte er wirklich mehr drauf als seine drei Jahre ältere Schwester.
Christina überlegte, welch ausgeklügelter Plan wohl dahinter stecken mochte. Die beiden baten nie, wenn sie etwas wollten, sie befahlen oder schrien und sie waren schon gar nicht nett. Ihr

Gedankenkarussell kreiste in einer unangenehmen Geschwindigkeit, blinkte und dudelte Wham was das Zeug hielt. Was konnten sie wohl vorhaben? Und wer oder was würde in welchem Umfang zu Schaden kommen?
Außer, dass ihre Schwester Zucker und Weißmehl aus ihrem Leben verbannt hatte und sie somit ihren Zorn provozieren würde, konnte lediglich die Küche abfackeln oder eins der Kinder würde versuchen sie im Teig zu ertränken. Mixer, Besteck, ein Backofen - alles potenzielle Waffen und Katastrophernverursachungsbeihilfeinstrumente.
„Ich kann nicht backen." Christina sah die beiden verzweifelt an, sie konnte tatsächlich nicht backen und sie wollte vor allen Dingen nicht backen, nachdem sich ein viel zu lebhaftes Bild von ihr mit dem Kopf in eine Schüssel getaucht, wild mit Armen und Beinen rudernd vor ihr inneres Auge geschoben hatte.
Eine kleinere Version ihrer Schwester starrte sie an, die Missbilligung war fast greifbar im Raum. Dann flog ihr Blick zu den bunten Rezeptbüchern, die in der offenen, hellen und völlig cleanen Küche völlig deplatziert wirkten, aber ordentlich aufgereiht im Schrank standen. „Aber du kannst lesen, ja?"
Christina nickte und unterdrückte ein Stöhnen.

„Wir haben die Zutaten nicht im Haus und ich kann nicht mal eben einkaufen fahren und euch alleine lassen." Triumphierend sah sie die Kinder an. Jetzt war das Thema aber durch und sie konnten irgendwas anderes machen. Ein Brettspiel spielen oder mit dem Kopf gegen die Wand rennen oder so.
Scarlett stand von der Couch auf und lief zur Schrankwand, aus der sie ein Tablett nahm. Christina meinte sie etwas murmeln gehört zu haben, was verdächtig klang, als ob sie das Alter Christinas mehrere Jahre nach oben korrigierte. Wirklich schmeichelhaft.
Das kleine Biest reichte ihr das Tablett. Eine App war geöffnet. „Orang Utan - Schneller als du - Lebensmittel in 10 Minuten geliefert".
Sie seufzte ergeben. Nun gut. Schnell packte sie Butter, Mehl, Milch, Eier und Zucker in den Warenkorb, bevor sie es sich anders überlegen konnte.
„Welche Plätzchen backen wir denn?"
Das Strahlen auf den Gesichtern der beiden Kinder war so echt und unfassbar niedlich, dass sie beinah vergaß, wen sie vor sich hatte. Scarlett war aufgesprungen und in die Küche gerannt. Geschickt hangelte sie nach einer Kiste mit Rezepten, die fast verdeckt hinter den Hochglanzkochbüchern stand.

Titus lief bedächtig hinterher und sah ihr dabei zu, wie sie die einzelnen Blätter durchsah. „Wo ist das Rezept geblieben? Wo nur, wo?", ihr Murmeln wurde von Minute zu Minute gereizter.
„Welches denn? Lass mich dir suchen helfen." Behutsam nahm Christina ihrer Nichte die Box ab, weil sie Angst hatte, dass diese sie in ihrer Wut zerfetzen würde. Erschrocken über die Tränennassen Augen, stellte sie die Kiste dann auf die Anrichte.
„Das Rezept von den Plätzchen, die wir so lieben." Scarlett sah sie wütend an. „Wer hat das Rezept?"
„Verschleppt", warf Titus wenig hilfreich ein.
„Versteckt meinst du." Scarlett wischte sich mit dem Ärmel über die Augen. „Bestimmt hat Mama das Rezept weg getan. Sie mag Oma Waltraud nicht."
Christina hätte zu gern widersprochen und gesagt, dass Agnes ihre Schwiegermutter liebte oder wenigstens respektierte, aber sie legte Wert darauf Kinder nicht zu belügen.
„Ich hab's nicht." Erneut unterdrückte Christina ein Stöhnen. Titus war heute aber besonders hilfreich. „Tante Chrissie, kennst du das vielleicht?

„Ich hab's auch nicht." Eli lächelte sanft. Sie sah in die traurigen Gesichter. „Aber wir können es packen." Sie klang jetzt zuversichtlicher, als sie sich fühlte. Wann hatte sie das letzte Mal irgendetwas gebacken? Selbst etwas aus einer bunten Packung? Michi bug sonst immer. Sie war aber ein toller Sous Chef und reichte ganz hilfreich alles mögliche an, wenn sie nicht grad versuchte vom
Teig zu naschen.
„Also einfach frei nach Schnauze backen kommt nicht infrage, aber ich kann ein ähnliches Rezept sicher googeln. Was waren das denn für Plätzen? Vanillekipferl? Zimtsterne?"
Ihre Nichte musterte sie mit krauser Stirn, man konnte ihr ansehen, dass sie zwischen einem Wutanfall und dem Wunsch nach Plätzchen schwankte.
„Waltrauds Weihnachtszaubersterne."
Eli lächelte. Ok. Das würde ein Problem werden.
„Ok ihr zwei, das wird das Internet leider nicht hergeben."
Titus riss seine Augen überrascht weit auf. „Das Internet weiß alles, sagt meine Klassenlehrerin. Und es vergisst nichts." Staunend

überlegte Eli, in welcher Klasse Titus jetzt war. Sie war fast sicher, dass er erst grad eingeschult worden war.
„Ja, nun. Oma Waltraud hat dem Internet das Geheimrezept niemals verraten." Wider erwarten kauften die beiden ihr die Erklärung ab. Weder hatte sie damit gerechnet, noch wusste sie so richtig etwas damit anzufangen, dass die beiden noch nichts in Brand gesteckt, niemanden gequält und nichts zerstört hatten. Vielleicht waren sie doch nur Kinder. „Überlegt einmal, wonach die Plätzchen geschmeckt haben. Wir kriegen das schon raus."
„Brauchen wir nicht Schokolade?", fragte Titus.
„Ja!", Scarletts Augen leuchteten. „Zucker, Nüsse," zählte sie auf,
„und dieses gelbe und orangene Gummizeug. Das ist ganz doll süß." „Succade." Christina klopfte sich selbst auf die Schultern.
Widerliches Zeugs. Aber nun gut.
„Und ein bisschen Zimt?" Titus lächelte seine Schwester an. „Das stimmt."
Christina fügte den Rest dem Warenkorb hinzu und bestellte die Zutaten. Falls das wirklich klappte, musste sie die App unbedingt

auch laden - so etwas kam ihrer chaotischen Art sehr entgegen.
Keine Schoki im Haus? Zehn Minuten und jemand brachte sie, wodurch das schlimmste würde verhindert werden können. Kein Wein? Zehn Minuten Geduld. Das war meistens drin. Auch an ganz miesen Tagen.
Sie räumten die Rezeptbox zurück und während die Kinder Rührschüsseln, Mixer und Backbleche suchten, googelte Christina mit wachsender Verzweiflung nach Plätzchenrezepten mit den spezifischeren Zutaten.
Als sie etwas Vielversprechendes gefunden hatte - Weihnachtsstollenplätzchen - klingelte es an der Tür. Juchzend rannten die Kinder los, warteten aber vor der verschlossenen Tür, bis ihre Tante ankam.
Christina konnte es nicht fassen und sprach sich selber Mut zu. Sie war hier weder im falschen Film, noch heckten die beiden etwas aus. Sie wollten bestimmt lediglich Zucker und Weißmehl, was sie ihnen wirklich nicht verübelte.
Der Fahrer von Orang-Utan stellte die Papiertüten auf die Schwelle und trat dann mehr als anderthalb Meter zurück. Christina öffnete die Tür, spähte in die Tasche und nickte dem in eine orangene Uniform gekleideten Mann dankbar zu. Mittlerweile schneite es so stark, dass sie ihn kaum sehen konnte.

Kurz überkam sie ein schlechtes Gewissen, weil sie den Mann bei dem Unwetter rausgejagt hatte. Dann fiel ihr ein, dass sie ordentlich Trinkgeld mit überwiesen hatte und das schlechte Gewissen ließ ein kleines bisschen nach.
Zurück in der Küche reihten sie die Zutaten auf. Jetzt gab es kein Zurück mehr. Christina straffte die Schultern und sah Titus dabei zu, wie er einen kleinen Hocker holte. Als er sah, wie seine Tante ihn beobachtete, zuckte er gleichgültig mit den Schultern. „Ich bin halt zu klein."
„Also gut." Zu klein. Christina fand ihn reichlich groß für sein Alter, aber was wusste sie schon. Sie nahm sich vor Titus häufiger zu loben. Sein Selbstbildnis war vermutlich dank Agnes... angeknackst oder völlig verquer.
„Laut Rezept sollen wir zunächst Butter, Mehl und Milch verrühren," las Christina vor und legte das Smartphone anschließend beiseite.
Sofort stellte Scarlett die Rührschüssel auf die Waage und sah ihre Tante fragend an. Gemeinsam wogen sie die Zutaten ab und fügten alles zusammen.

„Können wir nicht zwischendurch einmal probieren?" Titus sah die beiden mit großen Augen so flehentlich an, das sie gleichzeitig loslachten. Schüchtern sah Scarlett zu Christina. Spaß hatten sie normalerweise nicht zusammen. Das war nicht nur seltsam, sondern auch schön. Irgendwie. Nur mit Mühe verhinderte Christina, dass sie über die Köpfe der Kinder streichelte.
Christina nahm sich drei Teelöffel und jeder von ihnen schleckte ein wenig Teig. „Mmh." Titus rieb sich den Bauch. „Das ist köstlich."
„Titus, eine letzte Zutat fehlt noch. Willst du das nicht machen?" Bevor Christina Scarlett davon abhalten konnte, hatte sie Titus die Schachtel mit den Eiern gereicht.
„Wirklich?" Titus war so aufgeregt, dass Christina es nicht über das Herz brachte ihm die Schachtel wieder abzunehmen.
„Achtung, jetzt kommt das Ei." Er ließ das Ei über den Schüsselrand kullern. Es landete glücklicherweise unversehrt auf dem Teigfladen.
Scarlett grinste. „Du musst das am Rand kaputt machen und dann reinflutschen lassen. Guck so." Sie schlug das Ei gekonnt am Schüsselrand auf und fügte es dem Teig hinzu. Christina war ehrlich überrascht. „Woher kannst du das denn?" Wenn sie ehrlich war, kriegte sie das selten hin und immer wieder landeten Schalenteile

mit in etwaigen Gerichten. Deshalb durfte sie Zuhause nur noch anreichen.
„Oma Waltraud hat es mir gezeigt. Mama verbietet es aber, weil sie nicht möchte, dass wir rohe Eier anfassen oder Dreck machen." Die Resignation war deutlich heraus zu hören. Noch nie hatte Christina darüber nachgedacht, dass die Kinder vielleicht nur so unhöflich, frech und nun ja, verhaltensoriginell waren, weil sie permanent der Lieblosigkeit ihrer Schwester ausgesetzt waren.
Während Christina ihren Gedanken nachhing, hörte sie nur einen erschrockenen Ruf nach Achtsamkeit, der jedoch zu spät kam.
„Upsi, vorbei." Titus grinste und sprang von seinem Hocker, um ein Küchentuch zu holen. „Darf ich es nochmal probieren?"
Christina nickte. Er sah viel zu niedlich aus, wie er mit roten Wangen vor der Küchentheke stand, Mehl in den Haaren und mit leuchtenden Augen.
Als endlich alle Eier ihren Weg in den Teig gefunden hatten, räumte Christina die Zutaten zurück in die Papiertüte. Ihre Schwester hätte dafür sowieso keine Verwendung.

„Bitte mal zur Seite treten!" Scarlett schubste ihre Tante sanft zwei Schritte weiter. „Ja! Wir brauchen doch Platz zum Kneten." Lachend kippten die Kinder den Teig auf die Arbeitsfläche und begannen ihn platt zu drücken.
„Stop! Sind eure Hände gewaschen?" Doch es war zu spät. Mit großer Hingabe klopften und drückten die beiden den Teig so flach, dass sie ihn mit Gläsern ausstechen konnten. Christina nahm sich vor den beiden Plätzchenausstecher zu schenken. Wie konnte Agnes noch nie mit den Kids gebacken haben? Sie schüttelte kurz den Kopf über die beiden Schweinchen und redete sich dann ein, dass die Hitze des Backofens auch die schlimmsten Bakterien vernichten würde.
„Verteilt die ausgestochenen Plätzchen auf den Blechen", forderte Christina und die kleinen Kinderhände kratzten die anschließend nicht mehr so runden Teigfladen von der Arbeitsfläche.
Wie gebannt standen die beiden anschließend vor dem Backofen und beobachteten die Plätzchen beim Backen. Als sie selbst nach einer Viertelstunde noch immer auf das Glas starrten - Christina war nicht böse drum, denn sie konnte sie den Ursprungszustand der Küche nahezu wiederherstellen - überlegte sie kurz, ob die Kinder Angst hatten, dass die Plätzchen verschwanden, sobald sie die Augen abwandten. Sie mussten wirklich wirklich Sehnsucht nach

weißem Mehl und Zucker haben. Dann fielen ihr die Grünkernpattie- Dinkelburger wieder ein und sie verspürte Verständnis.
„Wie wäre es, wenn ihr euch waschen geht? Eure Mutter bekommt einen Anfall, wenn sie sieht wie ihr kleinen Schweinchen ausseht." Titus und Scarlett sahen sich an. „Nur, wenn du mitkommst." Christina grinste. „Habt ihr Angst ich verputze die ganzen Kekse alleine?"
Als sie den musternden Blick Scarletts wahrnahm, der kurz ihre Hüften scannte - da war sie wieder, das Abbild ihrer Mutter und Großmutter - sagte sie nichts mehr und scheuchte die beiden die Treppe hinauf.
Christina folgte ihnen natürlich und half Titus anschließend sich das Mehl, die Schokolade und kleine Teigbröckchen aus Haaren und hinter den Ohren wegzuwaschen. „Wolltest du das für schlechte Zeiten aufheben?" Sie grinste den kleinen Knilch an. Wie kleine Jungs das anstellten an den unmöglichsten Stellan dreckig zu werden, würde sie wohl nie herausfinden. „Danke, Tante Chrissie. Du bist gar nicht so nutzlos, wie Mama immer sagt." Christina schluckte. „Danke." Titus' Umarmung linderte den Schmerz über die Worte ihrer Schwstwr etwas ab. Nur mit Mühe unterdrückte sie die Tränen, dabei hatte sie doch gewusst, dass ihre karrieregeile Schwester nicht viel von ihr hielt.

„Tante Christina!" Scarletts gellender Schrei riss Christina aus ihren dunklen Gedanken und beendete die Umarmung abrupt. Sie sprang auf und rannte die Treppe hinunter.
„Verbrannt! Alle sind verbrannt", weinte Scarlett und auch Titus stimmte augenblicklich mit ein. Unter den wirklich herzzerreißenden Schluchzern der beiden holte Christina die Bleche heraus. „Manche sind vielleicht etwas knuspriger als andere." Sie grinste die Kinder an. „Kommt schon, hört auf zu weinen und probiert mal."
Schniefend setzten die beiden sich an die Theke und pusteten auf die Kekse.
„Und? Schmecken sie wie Waltrauds Weihnachtszaubersterne?" Eli sah die beiden mit rotbäckigen Kinder gespannt an.
Die beiden Rotzlöffel wechselten einen Blick und verneinten gleichzeitig mit schüttelnden Köpfen. Christina lachte.
„Dann ist das einfach unsere eigene Kreation. Scarletts und Titus' Weihnachtszauberplätzchen."
Scarlett nahm einen weiteren Bissen und sah Titus an, der das Gesicht verzog.

„Ach weißt du, Tante Christie, wir nennen sie Christinas Christmaskatastrophe." Grinsend schob sie sich einen weiteren verbrannten Keks zwischen die Lippen.
Christina grinste zurück. So nett war sie noch nie von den beiden beleidigt worden. Das musste dieser Geist der Weihnacht sein, von dem alle sprachen...

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Ich wünsche euch allen eine entspannte Vorweihnachtszeit und hoffe ihr kommt gesund und zufrieden ins neue Jahr.
Alles Liebe
Eure Kate

——
© SarKatSyn

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