✭ 21. Dezember ✭
Weihnachtseinkäufe
Mit einem hohen Piepton reißt mein Wecker mich aus dem Schlaf. Ich öffne die Augen, greife nach meinem Handy und sehe auf das Display, das 7.00 Uhr anzeigte. Moment, ist heute nicht Samstag? Da habe ich doch frei...
Ich muss vergessen haben, meinen Wecker auszuschalten.
Plötzlich fällt es mir wieder ein. Wie von der Tarantel gestochen springe ich aus dem Bett und mache mich sofort auf den Weg ins Badezimmer, um mich zu duschen. Ich habe mit Lena verabredet, dass wir heute gemeinsam auf den Weihnachtsmarkt gehen und Geschenke kaufen. Schon wenige Minuten später stehe ich vor meinem Kleiderschrank und überlege, was ich anziehen soll. Auf jeden Fall etwas Warmes, vielleicht schneit es sogar. Grinsend ziehe ich einen Strickpulli mit Rentieren unter dem restlichen Stapel hervor. Es ist schön, eine beste Freundin zu haben, bei der ich so verrückt sein darf, wie ich es eben bin, auch wenn sie inzwischen mehrere hundert Kilometer entfernt in Berlin wohnt.
Schnell schlüpfe ich in den Pulli und eine Jeans, bevor ich mir in der Küche ein Frühstück mache. Viel esse ich nicht, dazu bin ich zu aufgeregt. Außerdem gibt es in der Stadt ja auch Lebkuchen und alle möglichen weihnachtlichen Süßigkeiten. Eine Thermoskanne mit heißem Tee mache ich mir aber trotzdem. Als ich den Tisch abgeräumt und die Teller in die Spülmaschine gestellt habe, werfe ich einen Blick auf die Uhr und mir fällt auf, dass ich noch etwa vierzig Minuten Zeit habe, bevor ich meine beste Freundin von Bahnhof abholen muss. Wie immer habe ich mir meinen Wecker natürlich viel zu früh gestellt, schließlich kann man nie wissen, ob nicht noch etwas dazwischen kommt, was bei mir nicht gerade unwahrscheinlich ist. Also gehe ich unruhig auf und ab, bis mir einfällt, dass ich doch schon einmal alles vorbereiten könnte, damit ich heute Nachmittag, wenn wir beide zu mir nach Hause gehen, nicht zuerst noch den Tisch decken muss.
Endlich ist es dann soweit und ich mache mich auf den Weg zur Haltestelle. In weniger als einer halben Stunde werde ich sie wiedersehen. Denke ich.
Aber kaum habe ich die Tür hinter mir geschlossen, fällt mir ein, dass ich mein Portemonnaie vergessen habe. Typisch. Obwohl ich mich danach beeile, sehe ich meinen Bus nur noch von hinten. Während ich auf den nächsten warte, rufe ich Lena an, die noch im Zug sitzt, und erzähle ihr, dass ich später komme. Sie lacht nur, schließlich kennt sie mich auch schon lange genug. Das bedeutet so gut wie immer. Wir waren lange Nachbarn und unsere Eltern sind es immernoch. Wir gehören bei der jeweils anderen fast schon zur Familie. Und schon immer war ich die, der am meisten solche Dinge passiert sind. Ungeduldig sehe ich auf den Sekundenzeiger, der sich nahezu im Schneckentempo fortbewegt. Es scheint Ewigkeiten zu dauern, bis der nächste Bus kommt. Ewigkeiten, in denen ich nur auf die kleinen Wölkchen sehe, die sich in der Luft bilden, wenn ich ausatme und mich wieder einmal für meine Dummheit verfluche. Denn seien wir ehrlich: Wem sonst würde das passieren?
Endlich hat das Warten ein Ende. Ich ziehe meine Monatskarte hervor und zeige sie dem Fahrer. Immerhin habe ich die nicht vergessen. Während der Busfahrt beobachte ich die anderen Fahrgäste, die allerdings eher weniger sind - wer steht auch schon ohne Grund an einen Samstag so früh auf wie ich? Es grenzt ja beinahe an ein Wunder, dass es schon hell ist. Schließlich sind wir am Hauptbahnhof angekommen und ich will mein Handy aus der Tasche ziehen um noch einmal nachzusehen, wo ich hin muss. Dazu komme ich aber nicht, denn in diesem Moment sehe ich schon das bekannte Gesicht, das ich so sehr vermisst habe. Schnell laufen wir aufeinander zu und schließen uns in die Arme.
»Schön, dich zu sehen«, sage ich und sie erwidert den Gruß. Aber noch schöner ist, dass sie über Weihnachten hier in der Stadt bleiben wird. So werden all die Feiern gleich erträglicher. Das ist eine der wenigen Gelegenheiten im Jahr, zu denen wir uns noch treffen, schließlich dauert die Fahrt trotz allem noch über vier Stunden. Aber wir sind uns einig, dass es das wert ist. Solche Freunde findet man im Leben nicht mehrmals, das muss man auch nicht. Denn so wie es ist, ist es auch schön genug.
Auf dem Weg zu den ersten Marktständen erzählen wir uns gegenseitig, was uns alles passiert ist, seit wir uns das letzte Mal gesehen haben. Nichts tiefgründiges, nur ein paar interessante Erlebnisse. Lustige Begegnungen und so, ihr wisst schon.
Auf einmal zeigt Lena auf einen Stand mit Rauschgoldengeln. Es ist, als hätte sie meine Gedanken gelesen. Die Geschenkesuche geht ja leichter als gedacht - unsere Mütter lieben diesen glänzenden Weihnachtsschmuck. Neben weihnachtlichen Dekorationen und allen möglichen Sorten Plätzchen habe ich bald auch eine Kette mit einem hübschen Stein für meine jüngere Schwester und Handschuhe für meinen Bruder gefunden - mit dem Logo seines Lieblingsvereins darauf - weil er sein letztes Paar verloren hat. Das liegt eindeutig in der Familie.
Nur etwas für Lena zu finden erweist sich als Herausforderung, was vielleicht daran liegt, dass sie neben mir steht und jeden einzelnen meiner Gedanken errät. »Schau nur, wie niedlich!«, kommentiert sie eine Schneekugel mit einer kleinen Eule darin, die sie sich aber gleich selbst kauft. »Wag es ja nicht«, meint sie lachend, als ich einen Schlüsselanhänger mit ihrem Namen finde.
Als sie mich kurz alleine lässt, um ihrerseits einen Stand genauer anzusehen, nutze ich die Gelegenheit und kaufe ihr eine grüne Mütze, die meiner Meinung nach perfekt zu ihren roten Haaren und ihrer Augenfarbe passt.
Natürlich sind das nicht die richtigen Geschenke, die habe ich schon vor einigen Wochen besorgt. Ich würde mich niemals darauf verlassen, drei Tage vor Weihnachten noch etwas zu finden - nicht bei meinem Glück.
Gerade noch rechtzeitig stecke ich die Mütze ein, denn einige Sekunden später ist Lena schon wieder bei mir. Sie nimmt meinen Arm und zieht mich in Richtung einer Gruppe Menschen, die sich um irgendetwas versammelt haben. Natürlich, die Weihnachtskrippe. Ich hätte wissen müssen, dass sie dafür eine Schwäche hat. Auch wenn sogar ich zugeben muss, dass es mir gefällt, wie wir bei all den anderen Leuten stehen, die Punsch trinken und sich unterhalten, die Wangen von der Kälte gerötet, und auf die Krippe schauen, während im Hintergrund leise Musik spielt. Als dann auch noch die ersten Schneeflocken vom inzwischen schon düsteren Himmel fallen, muss ich lächeln.
Das hier ist Weihnachten.
Und ich liebe es.
© daylight_queen
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