9. Dezember
Einen heißen Punsch in der einen Hand und Julians in der anderen, schlendre ich nun über den Weihnachtsmarkt unserer klein Stadt.
,,Komm!" reißt Julian mich aus der Glückstrance, die der Moment in mir ausgelöst hat. All die Geräusche, Gerüche, bekannten Gesichter und Eindrücke verursachen Jahr für Jahr die selben Gefühle in mir. Und jetzt läuft auch noch Julian neben mir, und hält meine Hand fest in seiner, als hätte er Angst ich könnte ihm verloren gehen. Warum sollte ich mich anders fühlen? Ich will, dass dieser Moment nie verloren geht. Also drücke ich Julian meinen Punsch in die freie Hand, den er gerne hält, denn seiner ist schon leer, fische ich mit einer schnellen Bewegung mein Handy aus meiner Jackentasche und halte die Atmosphäre und Momente kurz in einigen Bildern fest.
Nachdem ich meinen Punsch, um wieder an mich genommen habe, um zu verhindern, dass er gleich ganz ausgetrunken ist, setzen wir unseren Weg fort.
Zielstrebig läuft er auf einen kleinen unscheinbaren Stand zu.
Kurz bevor ich wirklich erkennen kann, was er verkauft, bleibt Julian stehen und zwingt mich dazu ebenfalls zu stoppen. ,,Du" er lässt meine Hand los ,,wartest hier!" Ohne auf eine Antwort zu warten lässt er mich einfach stehen. fassungslos schaue ich ihm hinterher und lausche angestrengt, ob ich verstehen kann, worum es bei seinem kurzen Gespräch mit dem Budenbesitzer geht. Keine Chance...
Nach nur wenigen Worten, die gewechselt wurden, kommt Julian strahlend auf mich zu.
Ohne irgendein Wort darüber zu verlieren, was das gerade war, nimmt er grinsend meine Hand und steuert als nächsten Stop mal wieder den Glühweinstand an. Gut, dass er heute nicht mehr fahren muss, denke ich im stillen, sage es jedoch nicht laut, denn ich weiß, dass er sowas nicht gerne von mir hört.
Ich bin echt neugierig, was er eben gemach hat, jedoch bin ich zu eingeschüchtert von seinem Schweigen um zu fragen.
In die andere Richtung setzen wir unseren Spaziergang fort. Schauen mal hier, schauen mal dort. An einer Bude für Dekoration bleibe ich hängen. Hier gibt es eine Riesen Auswahl an allem was man je 'gebrauchen' könnte. Besonders die Bilderrahmen interessieren mich und ich kann mich einfach nicht entscheiden, welchen ich jetzt für Mama kaufen soll... Auch Greta hat sich Deko für ihr Zimmer gewünscht, doch Julian zwingt mich zur Eile. Irgendwann frage ich ihn leicht angenervt: ,,Hast du heute noch einen Termin oder was?" Seine einzige Rückmeldung dazu ist ein Blick auf sein Hand und ein ungeduldiges fußtippeln.
Um zu verhindern, dass seine und so dann auch meine Stimmung in Keller sinkt, reiße ich mich von den wunderschönen Gegenständen los und verlasse den Stand, ohne etwas gekauft zu haben.
Jetzt ist es ganz dunkel, und nur wegen der vielen Lichterketten, die den ganzen Weihnachtsmarkt in ein angenehmes Licht tauchen, erkenne ich, als ich Julian mal wieder von der Seite aus betrachte, dass seine Wangen und Nase von der Kälte und vermutlich auch dem Punsch gerötet sind.
Mir kriecht auch langsam die Kälte in die Knochen.
Gerade will ich mal nach horchen, was Julian als nächstes vorhat, da dreht er sich zu mir und kommt ein paar Schritte näher.
,,Ist dir kalt?" Ich nicke zitternd. Schmunzelt zieht er mich in eine wärmende Umarmung. Eng beieinander stehend, wie Pinguine, stehen wir mitten im Weihnachtsrauschen und ignorieren für einen ganz kurzen Moment die dröhende, und immer zu hektische Welt.
Viel zu schnell lösen wir uns wieder von einander, und der magische Moment ist vorbei. Zusammen mit der Kälte strömt nun auch wieder alles auf mich ein. Mir fällt auf, wie laut es doch im Verhältnis zu eben ist. Julian hat auf mich einen besonderen Einfluss. Er kann mich alles vergessen und ausblenden lassen und im gleichen Moment schärft er meine Sinne.
Verträumt schaue ich hoch zu ihm.
Ganz vorsichtig beugt er sich vor zu mir, und ich habe so im Gefühl, dass gleich etwas wunderschönes passieren wird. Vielleicht habe ich endlich das Glück, von ihm einen Kuss zu bekommen. Auf dem Weihnachtsmarkt. Romantischer geht es ja kaum, für einen ersten Kuss, oder...
Doch statt seine Lippen endlich auf meine zu legen, berühren seine Lippen fast meine Ohr, und kaum hörbar raunt er :,,Ich muss dir etwas zeigen!"
Enttäuscht bin ich schon, aber er tut so geheimnisvoll, dass mal wieder an diesem Tag die Neuger über alle anderen Emotionen siegt. Naja, fast alle. Die Liebe nicht, aber sonst wirklich alle!
Er legt seinen Arm um meine Schulter und führt mich durch die immer voller werdenden Gänge des Marktes zu dem kleinen Stand, mit dessen Besitzer er eben noch gesprochen hatte.
Zwei Meter vor dem Stand im Gedränge bringt er mich zum Stehen. Ich betrachte ihn genau, seine Augen scheinen noch mehr zu strahlen als sonst, und die Haut um seine Augen herum wirft feine Lachfalten. Auf seinen geröteten Wagen bilden sich kleine Grübchen und lässt ihn noch besser aussehen, was eigentlich garnicht gehen sollte.
Er blickt zu dem Inhaber, der ihm kaum merklich zu nickt, und wendet sich dann mir zu. Abwartend schaue ich ihn an, und statt was zu sagen, stellt er sich hinter mich und hält mir die Augen mit einer seiner großen Hände zu. Seine Handschuhe muss er ausgezogen haben, denn seine warme Haut entfacht ein Feuerwerk bei mir.
Ganz darauf bedacht, dass mir nichts passiert führt er mich durch die Menschen. Seine andere Hand an meinem Rücken gibt mir halt und muss mich mehrmals Stützen, denn die Leute um uns herum nehmen keine Rücksicht. Nach 10 Schritten frage ich mich, wohin er mich wohl führt, denn die Bude von eben, hätten wir schon längst erreicht.
,,Was soll das, Julian?" Keine Antwort. nur die Schritte auf dem Schotterweg und seine Hände an meinem Körper sind Beweis dafür, dass er immer noch bei mir ist.
Es wird leiser, ruhiger, weniger hektisch um uns herum. Immer weniger Stimmen, Schritte und Gelächter höre ich, bis am nun nur noch unsere Schritte und Atem zu höre sind.
Endlich bleibt mein 'Entführer' stehen, doch lässt mich immer noch nicht nachschauen wo wir sind.
,,Ich habe eine kleine Überraschung für dich." erklingt seine Stimme leise, und rau von dem Schweigen eben, hinter mir. Dann lässt er die Hand sinken, und ich sehe wo wir sind.
Wir haben den Weihnachtsmarkt, wie vermutet, verlassen und stehen nun vor der kleinen Bank am Parkeingang. Die kleine Tanne neben der Sitzgelegenheit wurde mit einer Lichterkette geschmückt und auf der Bank liegt verlassen ein kleines wunderschön verpacktes Geschenk auf einer roten Decke.
,,Wow!" Ich drehe mich Julian zu. ,,Danke!" Ein stolzes Grinsen schmückt sein Gesicht. ,,Womit habe ich das verdient?" frage ich fassungslos vor Rührung. ,,Weil du einfach fantastisch bist, Cora!" antwortet er sanft. ,,Willst du nicht schauen, was sich unter dem Geschenkpapier dort versteckt?" ,,Ja, will ich! Du kennst mich mittlerweile einfach zu gut!" grinse ich zurück.
Ich gehe zur Bank, streife meine Handschuhe aus und heb das kleine Packet vorsichtig hoch. Julian folgt mir und breitet die Decke über die Bank aus. Das muss wohl alles geplant sein. Leicht schüttle ich das Geschenk. Der Inhalt rutscht hin und her, aber ich kann das Geräusch nicht zuordnen. ,,Komm doch zu mir" sagt Julian, und ich kann ihm seinen Wunsch nicht abschlagen. Die Decke liegt über der Bank ausgebreitet und verhindert so ansatzweise unser vorzeitiges Erfrieren, doch wahrscheinlich nicht lang...
Ich will mich gerade hinsetzen, da zieht Julian mich auf seinen Schoß. Damit hätte ich zwar nicht gerechnet, aber stören tut es mich ganz und garnicht.
Jetzt sitzen wir hier, er auf der Bank und ausgebreiteten Decke, den rechten Arm um meine Taille, die linke Hand auf meinem rechten Oberschenkel abgelegt, ich auf seinem Schoß, sein Päckchen in der Hand.
Wie ein kleines Kind fühle ich mich, als ich voller Vorfreude und Ungeduld die Schleife abmache, und es kaum erwarten kann, zu sehen was Julian für mich ausgesucht hat.
Unter dem weißen, mir Schneeflocken geschmückten Geschenkpapier kommt eine kleine Schmuck Kiste zum Vorschein.
Sie ist schwarz und hat ein kleines, goldenes Ornament in der rechten oberen Ecke.
Vorsichtig offen ich die Schatulle, und erblicke eine feine, wunderschöne Kette. Sie ist aus silbernem Material, besteht aus tausenden feine ineinander greifende Ringe, aber der Hauptblickfang ist der Anhänger. Ein wunderschönes verarbeitetes Herz. Es ist nur die 'Silhouette' von einem Herzen. Nur ein Rahmen, aber so wunderhübsch. Um ihn, den Rahmen, windet sich eine Art schwarze Liane. Das Schwarz auf dem Silber bildet einen ästhetischen Kontrast, der das Schmuckstück schlicht und zu gleich auffällig edel aussehen lässt.
,,Danke!" flüstert ich völlig gefangen. Zögernd lass ich meine Fingerspitzen über die einzelnen Glieder des Geschenks gleiten.
,,Willst du sie anziehen?" fragt Julian behutsam, und ich nicke. Er nimmt beide Arme von mir, und ich merke, wie sehr er mich gewärmt hat. Mit der rechten streicht er mir die Haare aus dem Gesicht, fasst sie rechts zusammen, zieht mir dann den Schal aus. Seine linke berührt sanft meine Hand, während er bedacht die Kette hochhebt.
,,Hälst du die Haare weg, damit ich dir nicht weh tue?" seine Stimme klingt fürsorglich und liebevoll. Ohne zu zögern tu ich, was er sagt, dabei streifen unsere Hände sich, und ich genieße die kleinen Berührungen.
Mit gekonnten Bewegungen öffnet er ohne Probleme den Verschluss und legt sie mir behutsam um den Hals. Dabei streifen seine Hände schon wieder meine Hand und entfachen ein Lauffeuer, dass durch meine Adern pulsiert.
Ich öffne meine Jacke ein Stückchen und die Kette fällt kalt auf mein Dekolleté. Sofort schließt sich meine Hand drum und augenblicklich wird mein Grinsen noch größer. Ich weiß jetzt schon, dass ich die Kette immer tragen werde.
Glücklich schaue ich Julian ins Gesicht und mein Grinsen wird noch größer, was eigentlich garnecht möglich sein sollte.
Um ehrlich zu sein, ich weiß nicht worüber ich mich mehr freue. Julian oder die Kette. Beide sind einfach wunderschön und fantastisch.
,,Danke!" wiederhole ich mich. ,,Gerne!" er grinst zurück und fasst nach meiner Hand, die immer noch mit der Kette spielt. ,,Komm!" Er steht auf, jedoch darauf bedacht, dass ich nicht von seinen Beinen in auf den Boden falle.
Auf ihn wartend stehe ich neben dem Weihnachtsbaum, und betrachte Julian von hinten aufmerksam, wie er die Decke gewissenhaft zusammen faltet und sie sich dann unter den linken Arm klemmt. Womit habe ich diesen Jungen nur verdient?
Er kommt auf mich zu und streckt mir schon automatisch seine, wieder in Handschuhe eingepackte, rechte Hand hin. Glücklich nehme ich sie.
So schlendern wir zurück Richtung Weihnachtsmarkt. Ich weiß nicht, wie es besser sein könnte. Es ist einfach alles perfekt.
Da bleibt Julian stehen. Verwirrt schaue ich ihn an. Doch das sieht er garnicht, denn er hält laut lachend, jauchzend sein Gesicht Richtung Himmel. Verwundert über sein verhalten tue ich es ihm nach.
Und sehe tausende von kleinen weißen Punkten aus dem Himmel auf uns zukommen. Schon spüre ich das kalte nass des ersten Schnees in diesem Jahr.
,,Es schneit." rufe ich erfüllt in die Still des Winters. Klar, deutlich und aus vollem Herzen erklingt Julians schallendes Lachen. Laut stimme ich mit ein.
Glücklich springe ich im Schneegestöber hin und her, versuche Schneeflocken mit dem Mund zu fangen, und fühle mich in diesem Moment wie damals als Kind.
Julians Lachen verstummt und ich fange mich langsam wieder, suche seinen Blick. Er schaut... ich kann es nicht beschreiben... verträumt? ...erfüllt? ....glücklich? ...verliebt? Der Gedanke Julian könnte in mich verliebt sein, fasziniert mich immer noch zu tiefst. ,,Was ist los, Juli?" rufe ich ihm lachend zu.
Langsam kommt er durch den frisch gefallenden Schnee auf mich zu. Sofort setze ich mich auch in Bewegung. Wir treffen uns in der Mitte, stehen uns ganz nah gegenüber. Behutsam streicht er mir eine von der Feuchtigkeit lockig gewordene Strähne aus dem Gesicht und entfernt die Schneeflocken aus ihr. Dann wendet er sich endlich mir zu und sagt ganz ernst: ,,Du bist! Das reicht zum Staunen!"
Bevor ich die Wörter richtig realisieren kann, kommt er mir immer näher und seine warmen Lippen treffen auf meine und entfachen ein riesiges Feuerwerk in meinem Inneren. Mein Bauch besteht aus zehntausend Schmetterlingen und eine unbeschreibliche Wärme erfüllt mich.
Hingebungsvoll erwidere ich den Kuss. Unsere Lippen bewegen sich in dem selben Rhythmus, passen zu einander und ich wünsche mir, dass dieser Moment nie vorbei geht.
Langsam lösen wir uns von einander und schauen uns einfach nur stumm an. Die Zeit scheint stehen geblieben zu sein. Alles verlangsamt sich. Nur wir beide existieren noch und das immer heftiger werden Schneetreiben um uns herum verstärkt diese Atmosphäre nur noch mehr.
,,Ich liebe dich, Cora!" flüstert er in die Stille. Ich bin fasziniert von der Magie des Momentes. Ich will irgendwas erwidern, aber bevor ich überhaupt weiß, was ich sagen will, liegen unsere Lippen wieder aufeinander. Der Kuss ist fordernder, stärker, energischer. Perfekt.
Jetzt ist der Tag perfekt, denke ich kurz, bis die Intensität des Kusses wieder alle Gedanken aus meinem Kopf fegt. Perfekt.
Und jetzt kann auch Weihnachten kommen.
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