Zwölf Stunden.
Sobald die Durchsage endete und wir auch endlich nicht länger dieser schadenfrohen Lache zuhören mussten, war die Furcht und Enttäuschung in jedem unserer Gesichter groß. Weder war noch das Feuer vom Anfang da, mit allen Mitteln zu versuchen, sich hier rauszukämpfen, noch bestand der Drang, sich erneut über das Arschloch, was das alles hier zu verschulden hatte, aufzuregen.
Stattdessen setzten wir uns einfach in das nächstgelegene Möbelgeschäft. Wir schnappten uns Sofas und Sessel, machten es uns mit Kissen und Decken gemütlich. Allein schon dieser kopflose Schachzug unsererseits wurde moralisch von uns allen verurteilt, aber was sollten wir schon großartig dagegen machen? Jetzt dort raus rennen und weitermachen? Wie denn? Wir hatten keine Waffen und lagen auch nicht in der Überzahl. Wir waren Gefangene in diesem Spiel, also nahmen wir uns jetzt einfach die Zeit, die Ruhe, nach der unser Verstand die letzten Stunden sehnsüchtig gebrüllt hatte.
Also saßen wir dann hier, zu siebt, vergraben unter Decken und Kissen, starrten allesamt ins Leere. Jisoos Leiche hat Namjoon im hinteren Bereich des Ladens, auf das einzige Himmelbett im ganzen Geschäft gebettet. Die feinen Verzierungen und die teure Bettwäsche schienen wie eine improvisierte Bestattung für das junge Mädchen zu sein. Eine andere Art und Weise an Sarg, wenn auch nur vorübergehend.
Niemand von uns dachte daran, wie es weitergehen würde, dass konnte man an den Gesichtern erkennen. Langsam aber sicher bürgerte sich der Gedanke ein, hier im Kaufhaus zu sterben und das auch ziemlich bald. Denn seien wir mal ehrlich; so abwegig ist das nicht. Die Wahrscheinlichkeit stieg mit jeder Stunde an. Wir wussten ja nicht einmal wie die Leute außrhalb des Kaufhauses vorankamen, ob sie es überhaupt taten. Vielleicht dachten sie auch gar nicht daran, Personen oder wohlmögliche Überlebende zu retten. Wir konnten jetzt nur spekulieren, hoffen und beten. Doch zu wem oder was? War da überhaupt jemand der unsere Gebete erhören würde? Wartete dort jemand auf uns, der uns verstand und uns helfen wollen würde? Würde un wer vermissen, vermisste uns wer?
Eigentlich ist das ja ein schöner Gedanke; nach dem Tod mit Personen wiedervereingt zu werden die man zuvor verloren musste. So manchen nimmt dieser Gedanke die Angst vor dem Tod. Macht diese Tatsache erträglicher, ein wenig bunter und wärmer.
Doch in meinem Falle war ich mir nicht einmal mehr sicher, ob ich Sie überhaupt wiedersehen wollte. Ob sie mich wiedersehen wollte? Ihr in die Augen sehen können, würde ich nie wieder. Dabei hat sich ihr Blick, dieses kleine Funkeln was mich immer zum Schmunzeln gebracht hat, sich fest in meine Erinnerungen eingebrannt. Ob ich die Augen also öffnete oder schloss, dieses Funkeln war immer da, um mich daran zu erinnern, was für ein Bastard ich doch bin. Genau deswegen weiß ich auch nicht, ob der Tod so eine tolle Möglichkeit wäre. Denn dieses Funkeln nochmal in Wirklichkeit zu sehen, würde mich wahrscheinlich noch mehr zerreißen, als es mich so bereits tut.
Ich seufzte schweren Herzens und fuhr mir durchs Gesicht, versuchte den Kopf wieder etwas freier zu bekommen. Wenn ich so in die Runde schaute, fiel mir auf, dass niemand schlief. Auch wenn es nun die Chance gab, sich etwas erholen und mit dem Schlaf der haren Realität zu entfliehen- sie alle schienen über etwas nachzudenken. Wahrscheinlich über etws, dass ihnen viel bedeutete.
Yoongi zum Beispiel; seine verletzte Hand lag auf der Lehne des Sofas, sein Kiefer war angespannt, sein anderer freier Arm presste eines der Kissen feste an seinen Bauch. Ich konnte mir gut vorstellen, dass er mit dem Kopf bei seiner kleinen Tochter war. So auch Namjoon, der seinen Kopf in den Händen gestüzt hatte, eine Decke um seinen Schultern liegen hatte. Ich glaubte er weinte, während er sich wahrscheinlich seine schwangere Frau an seine Seite wünschte.
Jin denkt vielleicht an die Kochshow, an die Promis bei seiner Arbeit, oder .. seinen Bruder? In dem pinken Schopf existieren viele verschiedene Szenarien, die sich abspielen konnten. Jimin, dessen Kopf auf seinen Knien gebettet war, dachte vermutlich an seine Klasse, seine Schüler. Vielleicht auch Familie. Er war in jedem Punkte der Typ Mensch, der sich um Kontakte bemühte.
Bei Hoseok und Taehyung war es mir allerdings ein Rätsel, was in deren Köpfen wohl vorgehen mag. Aber was erwartete ich denn auch? Wir waren keine Freunde, Kumpels, keine Clique oder gar Arbeitskollegen. Wir konnten uns vereinzelt ja nicht mal besonders leiden. Und dennoch sind es wir Sieben, die als die ehrenhaften Spieler von Nathaniel auserkoren worden sind. Oder eher vom Schicksal, vom Zufall oder wie man es sonst nennen wollte.
Ich tendierte eher zu Schicksal, denn ich meine wir kannten uns alle zwar nicht, aber schienen in weiten Entfernungen was miteinander gemein zu haben; wir alle sind nicht ganz die Musterknaben, mit weißen Westen. Manche haben mehr, manche weniger Blut an den Fingern kleben. Aber jeder machte sich selbst damit fertig.
,,Leute? Kann ich euch was fragen?", räusperte sich Taehyung leise und richtete sich ein wenig auf. Die Aufmerksamkeit lag auf ihm, weshalb er erneut Luft holte und kurz seufzte.
,,Haben wir das alles hier.. verdient?"
Ich hob leicht die Augenbrauen, die anderen schienen ebenso überrascht. Aber niemand verneinte. Weil jeder wusste mindestens eine Sache, die so gravierend hat sein müssen, eine Sünde die auf diese Art und Weise gesündigt werden konnte.
Der junge Student fuhr sich durch das Haar und schluchzte leise auf.
,,Damals.. als es um die Abschlussprüfungen der Mittelschule ging, da wusste ich, dass ich verkacken würde. Ich habe weder gelernt, noch im Unterricht aufgepasst. ich kam mit Müh und not durch die Zwischenprüfungen, aber habe mich immer lieber mit Freunden und dem Partyleben beschäftigt. Ich war ein richtiges Arschgesicht. Und dann gab es da meinen besten Freund; Vorzeigesohn und Klassenbester, überall Einsen. Und ich wusste, dass der schulische Erfolg auch auf den Druck von seinen Eltern zurückzuführen war. Er wurde verprügelt, wenn er nicht 100 Punkte hatte. Und das trieb ihn sogar in die Depressionen."
Jimin sog scharf die Luft ein und wir alle sahen leicht betreten zu dem aufgelösten Dunkelhaarigen, der sich immer wieder wimmernd über die Augen wischte.
,,Und ich wusste das. Trotzdem.. trotzdem habe ich nicht gezögert und beim Abgeben der Arbeiten.. meinen und seinen Namen getauscht. So als hätte er für mich und ich für ihn geschrieben. das Ergebnis war dann, dass ich zur Überraschung Aller einen perfekten Abschluss machte.. während mein bester Freund sich noch am selben Abend.. von der Brücke in den Tod stürzte."
Ich schluckte feste und Jimin schlug sich vor Schreck die Hand vor den Mund, während Taehyung den Kopf schüttelte und seine Arme schluchzend um seinen Oberkörper schlang.
,,Ich will nicht mehr.. es tut mir leid.. ich möchte es wieder gut machen.. ich will meinen besten Freund zurück..-"
,,Es ist zu spät", meinte Jin und bevor Hoseok etwas Harsches sagen konnte, sprach der Koch einfach weiter. Er erzählte den anderen das, was bisher nur ich wusste:
,,Ich hab mit meinem Bruder und ein paar Anderen mal einen Juwelier überfallen. Dabei sollte mein bruder Wache halten. Im Gebäude dann trafen wir auf einen der Wachmänner, und in unserer Panik, dass wir alle auffliegen würden, brachten wir ihn versehentlich um. Er sollte nur.. sollte nur bewusstlos werden.. aber er wachte nie wieder auf. Und als es dann um die Aussagen ging, meinte ich, ich würde Wache gehalten haben, würde sie alle gebeten haben es nicht zu tun und dann die Polizei gerufen haben. Dabei hat das alles mein kleiner Bruder gemacht. Und ich habe mich selbst durch eine Lüge quasi freigesprochen."
Hoseok war verstummt und sagte nicts mehr. Er schien zu bereuen, solch fiese Dinge dem Koch an den Kopf geworfen zu haben.
,,Also kann ich dich verstehen.. irgendwie. Auch ich würde alles anders machen wenn ich könnte", hauchte Jin und es kehrte wieder Stille ein.
,,Dann ist das also wirklich die Bestrafung für uns? Weil wir alle was verbrochen haben..?", fragte Jimin leise.
Bevor ihm die Frage jedoch beantwortet werden konnte, schalteten sich die Lautsprecher wieder an:
,,Zwölf Stunden sind vorbei. Es ist Halbzeit ihr Süßen. Und zu diesem besoderen Anlass, wollen wir das Ganze hier noch etwas spannender machen, nicht?"
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