Kapitel 99
Kapitel 99
~ Mays Sicht ~
„Man unsere Kinder sind echte Schlafmützen", bemerkte Marco, als er am nächsten Morgen in der Küche saß. Norman und Diane waren bereits zu den Pferden vorgegangen, ich schlüpfte gerade in die Gummistiefel von Diane und blickte zu meinem Mann, der vom Kakao trank.
„Du kannst die ja gleich wach machen und zu den Pferden schicken. Mina und ich können ja vielleicht ausreiten. Vielleicht finde ich ja am See eine geeignete Stelle."
„Hm", nickte er und blickte nachdenklich in die Tasse.
„Was hast du denn?", wollte ich wissen und zog mir meine Jacke an.
„Ich kann unsere Kinder nicht anlügen. Ich blicke jeden Tag in ihr Gesicht, May. Jeden Tag. Vielleicht hat Solin Recht und wir sollten es ihnen sagen. Wenigstens Mina und Kane."
„Dann müssen sie mit dem Geheimnis herumlaufen und das wollen wir auch nicht."
„Wir müssen es ihnen sagen. Was ist, wenn sie das herausfinden und was ist dann?"
„Das ist eine verdammte Zwickmühle. Können wir später darüber reden? Sonst zerrt mich Norman noch an den Ohren hier raus."
„Okay", nickte mein Mann. „Krieg ich vorher noch einen Kuss?"
„Da musst du mich nicht zwei mal fragen", sagte ich und ging in die Küche. Ich drückte meinen Mann einen Kuss auf den Mund und er erwiderte den Kuss.
***
„Ihr habt das Pferd ehrlich Cruella getauft?", fragte ich, als ich das Schimmel am striegeln war. Cruella wieherte und ließ die Striegel-Einheiten weiter über sich ergehen. „Nur weil sie gepunktet ist und weil Cruella De Ville die Böse in 101 Dalmatiner ist?"
„Ja, dann haben wir noch Sausage", er zeigte auf ein braunes Pferd. „Dann noch Cheesecake." Das war der Name eines beigen Pferdes. „Und dann haben wir da noch Charlie Sheen."
„Charlie Sheen?"
Ich blickte auf das braune Pferd, welches sich zu mir drehte. Als ich unter seinen Nasenlöchern einen weißen Strich sah war es mir auch klar wieso. Charlie Sheen hat gerne einen durchgezogen und weiter musste ich das auch nicht erklären.
„Ihr seid verrückt. Was ist mit dem Pony? Heißt es Daryl Dixon, wegen der Langhaarfrisur?"
„Nein, dass ist Gemma Teller. Wenn du genau hinsiehst, hat das Pony ein paar helle Strähnen drinnen."
Diane lachte leise. „Ich hab hier die Namen nicht verteilt. Ich durfte mir die Pferde und das Pony immer aussuchen."
***
„Wow, Mom. Das ist ja schön hier", bemerkte Mina. Wir beide waren ausgeritten und zwar zu der Stelle, wo Marcel und ich uns als Kinder immer aufgehalten hatten. Es war eine kleine Stelle am See, mit einem kleinen Wasserfall und einer kleinen Insel in dem See.
„Ja, ich weiß", nickte ich und setzte mich auf einen großen gefällten Baumstamm. Mina wollte sich neben mich setzen und hielt inne.
„Da steht ja was", sagte sie und kletterte rüber, dann blickte sie auf den Baumstamm. „May und Marcel. Beste Freunde für immer. 1995. 1997. 1999. 2003. 2010. 2013. 2018. 2022. 2030. Wow, Onkel Marcel muss das hier wohl dieses Jahr irgendwann eingeritzt haben..."
Ich fuhr mit dem Finger, über die frisch eingeritzte Stelle rüber und nickte nur. „Er hat uns gar nicht erzählt, dass er hier war."
„Vermutlich war er vor ein paar Wochen hier. Vielleicht war das ein Ziel seiner Weltreise. Aber dann hätten doch Norman und Diane etwas gesagt. Es sei denn, er war heimlich hier."
„Ich denke eher nicht."
Mina blickte mich fragend an. „Hä?"
„Ich muss dir was sagen."
„Was ist denn, Mama?", fragte Mina und setzte sich neben mich auf den Holzstamm, nachdem ich sie zu mir bat.
***
~ Marcos Sicht ~
Kane und ich waren vor dem Haus und spielten ein wenig Fußball, während Diane und Norman einkaufen waren. Neben die Ausfahrt, behielt ich auch immer Aleyna im Kinderwagen im Auge, die uns zuschaute und am brabbeln war.
„Alles gut, Papa?", fragte er mich und hielt den Ball an seinem Fuß.
„Jaja, alles okay."
„Vermisst du mich etwa?", grinste er.
„Ja, das auch."
„Du musst dir keine Sorgen machen. Mina und Mama kommen noch zurück. Es sei denn, sie müssen die Pferde einsammeln."
Ich musste ebenfalls lachen. „Ja, dass könnte sein. Aber ich denke mal, dass die unterwürfig werden, wenn deine Mutter nach ihnen ruft."
„Stimmt auch wieder", nickte Kane. „Themenwechsel, wie läuft es beim BVB für dich?"
„Nicht so prickelnd. Mir wurde von Sebastian und dem Vorstand eine Abmahnung in den Arsch geschoben. Wenn wir uns nicht bessern, fliege ich."
„Die sollen sich nicht einscheißen. Ihr seid in der Mitte der Tabelle und nicht auf dem Relegationsplatz gelandet. Die können es auch wieder mal übertreiben."
„Die Übertreiben in letzter Zeit nur. Und wie läuft es bei dir in Madrid?", wollte ich wissen.
Kane dachte nach. „Ich hab dir ja erzählt, dass die Idioten sich auf Mini-Bürki eingeschossen haben. Seitdem ich mich für Joshua eingesetzt habe, lässt mich Junior es immer wieder wissen, dass ich das nicht hätte tun sollen."
„Einfach machen lassen. Du hast mittlerweile eine dicke Schale angesammelt, da macht so etwas dir doch nichts aus, oder?"
„Eigentlich nicht. Seit Jason bin ich gegen so etwas immun. Aber das finde ich trotzdem noch zum kotzen, wenn es andere trifft", sagte er und nahm den Ball entgegen, als ich den wieder zu ihm schoss. „Senior hatte seinen Sohn zwei Mal Trainingsverbot verpasst und er musste ein Entschuldigungsschreiben an Joshua verfassen, aber trotzdem stichelt er noch weiter."
„Stell ihm doch eine Falle", schlug ich vor.
„Eine Falle und wie?"
„Sprachaufnahmen, wenn er Joshua wieder beleidigt und fertig macht. Joshua muss nur das Opfer spielen, dem so was ziemlich nah geht. Und dann nicht den Cristiano geben, sondern den Zidane. Der ist da der Vorstand und hat mehr das sagen."
„Toll und dann hetze ich meinen Trainer auf mich, oder was?"
„Wegen so etwas, ist das bei uns verboten Vater als Trainer, Sohn als Spieler. Die sollten sich langsam auch mal daran halten. Lächerlich."
„Ist es auch. Aber was kann ich dagegen machen? Nur den einen Weg. Aber ich weiß nicht, was das bringen soll."
„Oder einfach abwarten. Irgendwann verpetzt sich Junior schon vor seinem Vater und dem Vorstand."
„Na hoffentlich", nickte er und schoss den Ball zu mir. Ich hielt ihn mit meinem Fuß auf und blickte zu Aleyna, die hektisch am brabbeln war. „Was hat sie?"
„Mina! Jetzt warte doch mal!", rief May. Mina sprang vom Pferd und lief direkt an uns vorbei ins Haus. Was war denn nun los?
„Lasst mich doch alle in Ruhe!", kreischte Mina.
May sprang ebenfalls vom Pferd, blieb aber stehen. Kane und ich blickten zu ihr.
„Was war denn los?", fragte ich. May antwortete nicht darauf und packte die beiden Pferde an den Zügeln, ehe sie in Richtung Pferdestall ging.
„Du Mom und ich Mina?", fragte mein Sohn mich.
„Lass Mina erst Mal und pass mal kurz auf Aleyna auf", sagte ich im Sprint. Hinter den Pferden hielt ich inne, bevor die mir vor Schreck in die Eier kickten. Sicher war da eben sicher.
„Kannst du mir mal verraten, was unsere Tochter hat?", fragte ich. May drehte sich zu mir und Tränen schossen ihr in die Augen.
„Ich konnte das nicht mehr, Marco. Ich hab's Mina gesagt."
„Was hast du ihr gesagt."
„Dass Marcel tot ist."
„Oh, May, nein", sagte ich.
„Ich konnte das nicht mehr", sie ließ die Zügel los und brach völlig in Tränen aus. Ich fuhr mir durchs Gesicht und nahm meine Frau in den Arm.
„Was genau hast du gesagt?"
„Marcel ist nicht auf Weltreise. Er ist tot und..."
„Du hast nicht gesagt, dass Alysha ihn getötet hat, oder?"
„Doch", sie schniefte. „Und sie weiß, dass ich in Notwehr Alysha getötet habe. Wir können das unseren Kindern nicht an tun, Marco. Es geht nicht. Es macht uns schon fertig genug, dann können wir auch ehrlich sein."
„Ja, natürlich. Ist ja nicht schon schlimm genug, dass ihr Onkel tot ist, nein, jetzt wissen die auch noch, dass du Alysha umgelegt hast. Das ihre Mutter eine Mörderin ist."
May schubste mich sauer zurück. „Das war Notwehr, sonst wäre ich wie Marcel in der Badewanne ausgeblutet, wie ein widerwärtiges Mastschwein!", schrie sie mich an.
„Wir sollten es den beiden noch mal in Ruhe erklären. Vielleicht renkt sich das wieder ein und wir können gemeinsam Abschied von Marcel nehmen", sagte ich ruhig. Wir befreiten die Pferde von dem Sattel und den Zügeln und stellten diese in die Boxen. Wir brauchten keine zehn Minuten, dann waren wir wieder im Haus verschwunden.
Kane saß mit Aleyna auf der Couch im Wohnzimmer. Als er uns sah, legte er die Kleine weg und stellte sich hin. May versteckte sich hinter mich.
„Könnt ihr mir jetzt mal verraten, was los ist? Hier stimmt doch was nicht."
„Wollen wir beide mal unter vier Augen sprechen?", fragte ich meinen Sohn. Ich wollte nicht, dass meine Frau auch noch unseren Sohn diese Nachricht überbrachte, also wollte ich das alleine in die Hand nehmen.
Ich wollte sie gerade zurück nach Mina schicken, als meine Tochter die Treppen herunterkam. Ich hätte damit gerechnet, dass sie ihre Mutter ignorierte, doch sie ging zu ihr und umarmte sie- fing dann auch wieder an zu weinen.
„Das ist doch ein Scherz, oder?", fragte Kane uns, nachdem ich ihn das erzählt hatte, was meine Frau schon Mina erzählt hatte. Er blickte uns mit weitaufgerissenen Augen an. „Das ist doch ein widerlicher Scherz, oder?"
Ihm schossen Tränen in die Augen. Mina klammerte sich an ihre Mutter heran.
„Sagt mir, dass es ein Scherz ist. Bitte."
Ich schüttelte nur meinen Kopf. „Ich fürchte, dass es kein Scherz ist, Großer."
„Wieso hast du nichts gemacht, Mama? Wieso?"
„Es war schon zu spät, als ich da war", sagte May leise. „Ich konnte ihm nicht mehr helfen."
„Und es war wirklich nur Notwehr?", fragte Mina ihre Mutter.
„Ja, Alysha kam wieder und hat gesehen, dass ich da war. Sie wollte, dass keine Zeugen zurückbleiben. Sie hat eine Waffe auf mich gerichtet und hat mich daraufhin angegriffen. Ich habe mich nur gewehrt."
„Okay. Und ihr wolltet uns das niemals sagen, oder wie?"
„Wir wussten nicht wie", warf ich ein, bevor May etwas sagen konnte. „Mama und ich hatten Angst, dass ihr eure Mutter dafür hasst."
„Wieso habt ihr nicht die Polizei angerufen?", fragte Kane weiter nach.
„Deine Mutter hat doch schon Probleme, wegen des illegalen Waffenbesitzes. Wir wollen nicht, dass noch mehr passiert."
„Und jetzt dürfen wir auch lügen?"
„Ich weiß, dass sollte man nicht von seinen Kindern erwarten. Aber..."
„Bevor Mama ins Gefängnis geht, dann lügen wir lieber", sagte Mina und setzte sich gerade hin. „Okay, Kane?"
„Hm", nickte er.
„Es tut uns so leid, ihr beiden", sagte May. „Dass wir euch mit so etwas belasten. Aber wir konnten das nicht mehr zurückhalten."
„Genau und wir wollen, dass wir gemeinsam Abschied von Marcel nehmen. Wir werden seine Asche am See verstreuen. Heute noch, bevor Kane wieder zurück muss. Onkel Norman und Diane sagen wir, dass wir wandern gehen."
„Ja, ich zeige euch die Stelle, wo Marcel und ich in unserer Kindheit immer abgehangen haben."
„Zu Hause haben wir eine Gedenkbox von Marcel erstellt. Mama und ich haben schon Briefe an ihm geschrieben. Ihr könnt auch welche schreiben und dann in die Box legen."
„Eine Frage, wie seid ihr an die Asche von Marcel herangekommen?", fragte Kane.
„Robins Cousin."
„Na toll. Dann haben wir ja zwei Gedenkboxen zu Hause. Onkel Robin und Onkel Marcel."
„Da kann man mal sehen, wie Scheiße das Leben sein kann", nickte Kane.
„Ja, es kann nicht immer fair sein", nickte May.
„Marcel hat noch seine Playlist auf meinem Handy gespeichert", sagte Kane. „Wir können ja die Lieder abspielen?"
"Jetzt muss ich erstmal kurz für mich alleine sein, wenn das genehmigt ist?", fragte Kane uns und stand auf.
"Ja, nur zu", nickte May.
Kane ging aus dem Zimmer und wenig später hörte ich eine Tür zuknallen. Ich blickte zu May und legte meinen Arm um sie herum.
"Ihr dürft uns so etwas nie wieder verheimlichen", sagte Mina und blickte zu mir und dann zu May.
"Das werden wir nie wieder machen, versprochen", sagte ich und drückte Mina einen Kuss auf die Stirn. May schlang einen Arm um ihre Tochter und drückte diese an sich.
"Werdet ihr das Maria und Tanner erzählen?", fragte Mina.
"Das würde nur noch mehr Chaos anrichten, Kleines. Ich denke, wir belassen es so wie es gerade ist."
"Ja, mehr Chaos können wir echt nicht gebrauchen", stimmte ich zu.
"Okay, ja, hm, ich glaube Aleyna braucht eine frische Windel", sagte Mina und rümpfte die Nase. "Ich gehe mal die Wickelsachen holen."
"Danke dir", sagte May. Mina stand auf und verließ das Wohnzimmer. May blickte zu mir. "Es war doch nicht so heftig wie ich gedacht habe."
"Wie hätte es deiner Meinung nach ausgehen sollen?"
"Das sie mir an den Kopf werfen, dass sie mich hassen, weil ich jemanden umgebracht habe."
"Das würden unsere Kinder niemals machen. Niemals."
Ich drückte ihr einen Kuss auf die Stirn und gab ihr Aleyna rüber. "Japp. Die duftet wieder nach Ozeanbriese - nicht."
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