Kapitel 91

Kapitel 91

~ Marco's Sicht ~

***

„Und wie sehe ich aus?", fragte Marcel mich, nachdem er aus der Umkleidekabine kam und mir die Klamotten präsentierte, die er sich vorher rausgesucht hatte.

„Es gibt Schöneres", bemängelte ich und starrte wieder auf mein Handy. Es waren drei Wochen nach dem Urlaub vergangen und ich hatte nichts mehr von May gehört. Super. War ich nur der Typ für ein paar schnelle Nummern, oder was.

„Glaubst du, dass sie dich anruft, wenn du auf dein Handy starrst?", fragte er mich und zog die Brauen hoch.

„Du bist doch ihr bester Freund. Du weißt doch sicherlich was, oder?", hakte ich weiter nach.

„Vielleicht warst du nur einfach schlecht im Bett", lachte Robin, der in der anderen Kabine war. Das erkannte man daran, dass es polterte und er immer wieder am Meckern war, da er sich den Kopf an der Wand stieß.

„Meint ihr?", fragte ich und kaute unsicher auf der Unterlippe herum.

„Woher", sagte Robin und blickte mit dem Kopf zwischen den Umhängen raus. „Schätzeken, woher sollen wir wissen, ob du gut im Bett bist?"

„Quetsch dich in deine Umstandsmode du Fettsack und halt mal für ein paar Minuten den Ball flach", warf Marcel ein und blickte wieder zu mir. „Nein, mir hat sie nichts gesagt. Wir schreiben zwar jeden Tag, aber über belanglose Dinge."

„Du lügst!", kam es gleichzeitig von Robin und von mir.

Ich schlug mir die Hand vor meine Stirn, als ich zu Robin blickte, der in verdammten Dessous vor uns stand.

„Alter!", sagte Marcel empört und wich zurück. „Bist du geistig behindert?"

„Das fragst du auch noch?", warf ich mit rein. „Ich denke mal, dass es heute nichts mehr mit dem Reden zwischen Kumpels wird, oder was?"

Ich stand von dem Sessel auf und zog mir meine Jacke an, da es sowieso viel zu kalt war.

„Ich komm nachher vorbei, wenn ich den wieder im Haus für Geistig Behinderte Fabelwesen abgesetzt habe."

„Ja, kannst du ruhig machen."

„Robin zieh dich um und wir fahren nach Hause."

„Nein!"

„Robin!"

„Fang mich doch, du Eierloch."

„Aaaaaah!", quietschte Marcel sauer und packte Robin an den Haaren, zog ihn in Richtung Kabinen und schubste ihn in irgendeine rein. Eine Frau schrie erschrocken auf, weshalb alle Anwesenden herum ebenfalls schreien mussten.

„May?", hörte ich Robin begeistert rufen. „Ey, dass ist May. Maaaaaaaaaarcooooo."

„Er ist immer noch im Umkreis von fünf Metern, du vollbusiges Weib", hörte ich May sagen. Sie schubste Robin aus der Kabine und schlug wie wild auf den Umhängen ein, die sich an ihrer Schulter „festhingen".

„Hi?", fragte ich verdutzt.

„Hallöle."

„Hast du uns belauscht?", fragte Robin.

May musterte ihn von oben bis unten und schnitt nur eine Grimasse. „Mensch, dass ist ja schon mal ein beachtliches A-Körbchen."

„Danke, ich weiß", grinste Robin. Marcel verdrehte nur die Augen und schubste Robin dieses Mal in die richtige Kabine. Dann zog er diese zu, nachdem er Robin darinnen verfrachtet hatte und ging dann in die daneben.

„Hast du uns belauscht?", wollte ich jetzt wissen und musterte May von oben bis unten.

„Nööö", sagte sie voller Ironie und schnitt dann, nachdem sie selbst die Ironie gehört hatte, eine Grimasse. „Joah. Irgendwie schon."

„Wieso sagst du nicht, dass du in Dortmund bist? Aaaah, stimmt ja, du hast dich ja seit dem Urlaub nicht mehr bei mir gemeldet."

„Hm-mm. Können wir das wo besprechen, wo nicht die ganzen Fan-Girls am geiern sind?", fragte sie mich.

„Klar, du kannst ja nachher mal vorbei kommen. Marcel schmeißt dich sicherlich bei mir raus."

„Oder du nimmst sie jetzt mit!", hörte ich Marcel husten.

„Oooooder ich nehme dich jetzt mit."

„Das wäre auch mal ein Plan", nickte May und fuhr sich durchs braune und offene Haar. „Wir müssen eh mal ein paar Takte miteinander reden."

„Oh Gott. Was habe ich falsch gemacht?"

„Du gar nicht. Irgendwie. Okay, irgendwie schon", sagte sie.

„Sag es doch einfach", seufzte ich, als wir im Fahrstuhl standen. „Hey, Marco. Du bist echt ein super Typ, ich hatte Spaß mit dir und im Urlaub fühlt man ja eh immer anders, als wie zu Hause. Ich denke und das tut mir leid, dass es nichts mit uns wird."

„Nee, das wollte ich nicht sagen", meinte May und kratzte sich an der Stirn.

„Dann drück den Korb anders aus. Ist egal wie hart der ist. Mir war es eh klar, dass es so kommen wird", seufzte ich.

„Ich lasse dich nicht abblitzen, Marco", sagte May ungeduldig. „Und wehe, du denkst das noch mal."

„Also magst du mich."

„Nein, weißte, ich tu nur so. Natürlich mag ich dich- sehr sogar."

***

~ May's Sicht ~

„Soll ich dich wieder alleine lassen?", fragte Paul mich, nachdem er ein wenig auf mich eingeredet hatte.

„Ja, ich komme gleich wieder rein", nickte ich und putzte mir wieder die Nase.

„Was sage ich, wenn ich gefragt werde."

„Ich denke, dass die das schon verstehen und nicht nachfragen brauchen."

„Ich weiß wie du dich fühlst. Es ist nicht gerade leicht, wenn du jemanden trauern siehst, den du liebst. Wie diese Person verletzt ist und so hilflos wie ein Neugeborenes."

„Mein Mann ist meine bessere Hälfte. Da nimmt es einem schon mit, wenn man ihn so sieht."

„Kenn ich", nickte Paul und war nach drinnen verschwunden.

Ich blickte in den Außenspiegel und schruppte die leichten Überreste vom Mascara aus meinem Gesicht, ehe ich das Tuch in meine Hosentasche stopfte und nach drinnen ging.

Marco saß schon auf seinem Platz- jetzt stand Robin da und verabschiedete sich von Marcel. Ich setzte mich neben meinem Mann und atmete tief durch.

„Hey, du", sagte ich und stupste ihn leicht mit dem Ellenbogen ein.

„Hi", seufzte Marco niedergeschlagen und knibbelte an seinen Fingernägeln herum.

„Nicht knibbeln, Schatz", sagte ich mahnend. „Sonst sind deine Finger wieder so blutig und dann meckerst du, wieso das wie die Hölle brennt, wenn du dagegen kommst."

„Bin ja nur ich."

„Sag doch so etwas nicht", grummelte ich. „Ich mag das nicht, wenn du so von dir redest. Das weißt du, nech?"

„Ja, weiß ich. Kommst du kurz mit an die frische Luft?"

„Ich war gerade schon draußen gewesen und es sieht so aus, als würde Julian anfangen wollen."

Ich zeigte auf Julian, der sich vor dem Sarg hingestellt hatte und sich räusperte. „Wir müssen uns ein bisschen beeilen. Ich hab gleich noch eine Trauerfeier und das muss auch noch vorbereitet werden. Möchte wer etwas über Marcel sagen?"

„Ich hab bereits alles gesagt, was ich sagen wollte", warf Marco ein.

„Dem stimme ich zu", nickte Robin.

„Was ist mit dir, May?", fragte Julian mich.

„Nein", sagte ich kopfschüttelnd. „Ich kann nicht."

„Du könntest schon, wenn du anfangen würdest über Marcel zu erzählen", drängte Julian mich.

„Ich möchte aber nicht. Danke", winkte ich wieder ab.

„Ach komm schon, du kannst doch gut reden halten, oder nicht?"

„Legst du es heute noch drauf an, dass ich dir einen reinhaue?", platzte es sauer aus Marco heraus. Ich zog meinen Mann zurück auf den Stuhl und seufzte nur.

„Ich will echt nicht, Julian."

„Das war's? Niemand will was über Marcel sagen? Ich rede hier von seinen drei besten Freunden und keiner traut sich hier nach vorne und will was sagen?"

„Wir haben es Marcel persönlich gesagt, dass wir ihn vermissen, dann müssen wir das hier nicht vor leeren Stühlen machen. Ohne seine Patenkinder, seinen Eltern und seinen Kollegen."

„Komm doch runter, Marco."

„Ich soll runter kommen? Es ist immer noch mein bester Freund, der da vorne im Sarg verrottet und mir nie wieder auf die Nerven gehen wird. Mein bester Freund und nicht deiner. Du weißt es anscheinend nicht, wenn deine besten Freunde sich aus deinem Leben verpissen."

„Was ist mit meinem Cousin?"

Marco schnaubte nur. „Anstatt sich mit seinen Problemen an mich zu wenden, hat er sich für einen anderen Ausweg entschieden. Da soll er noch mein bester Freund sein?" Kopfschüttelnd kramte Marco die Autoschlüssel aus seiner Hosentasche und so schnell ich gar nicht gucken konnte, war er nach draußen verschwunden.

Paul klopfte Robin aufmunternd auf die Schulter.

„Er meint es sicherlich nicht so", sagte ich zu Robin.

„Das glaubst du doch wohl selber nicht!", konnte ich mir von Robin, Julian und Janu anhören.

„Ach", brummte ich und stand ebenfalls auf. „Ruf mich an, wenn die Asche abholbereit ist."

Damit war ich ebenfalls nach draußen verschwunden. Jedoch kam ich zu spät und Marco war weg.

„Jetzt darf ich auch noch zu Fuß nach Hause gehen", murmelte ich vor mich hin und das auch noch in Highheels.


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