Kapitel 86

Kapitel 86

~ May's Sicht ~

Marco und ich waren gerade im Wellnessbereich und ließen es uns nach einer langen Fahrt und nach einem erholsamen Schlaf mit einer Pärchenmassage gut gehen. Ich hatte meinen Kopf in seine Richtung gedreht, weil ich eine Ahnung hatte, dass er seine Tränen zurückhielt. Doch als ich ihn anblickte, fing er an zu weinen. Ich seufzte nur und streckte meinen Arm aus, damit er nach meiner Hand greifen konnte. Schiefend nahm er das Angebot an. Als sich unsere Finger ineiander verschränkten, schloss er seine Augen und ließ die Massage gemütlich über sich ergehen.

     "Was wollen wir jetzt machen? Uns wieder aufs Hotelzimmer verkriechen und schlafen? Das können wir in letzter Zeit saugut", bemerkte er, als wir zurück aufs Zimmer gingen. Ich schnappte mir seine Hand und dachte kurz nach.

"Eigentlich, wollte ich mit dir ein bisschen durch Paris schlendern, aber irgendwie habe ich darauf auch keine Lust. Lass uns doch einfach auf dem Zimmer bleiben und Französisches Fernsehen gucken, um zu erahnen, um was es geht."

"Ganz wie früher, wie mit dem russichen Fernsehen", nickte Marco zustimmend. Seitdem er von dem Tod von Marcel wusste, hatte ich ihn bisher nicht mal Schmunzeln sehen. Mina hatte auch schon gefragt, was mit ihrem Vater los ist und ich musste mir wieder eine Antwort aus den Fingern saugen. Marco ging es nicht gut, da er momentan ein bisschen Stress mit der Mannschaft hat- was auch irgendwie wahr ist. Durch den ganzen Stress, dass sie in die Mitte der Tabelle gerutscht sind, ist bei Marco und dem Vorstand die Kacke am Dampfen.

   Und da lagen wir also, im Bett und schauten irgendwelche französischen Seifenopern. Als ich irgendwann das Scharchen von ein dutzend V8-Motoren neben mir hörte, war mir klar, dass mein Mann eingeschlafen war. Er hatte sich an mich herangekuschelt und hielt verkrampft mein T-Shirt fest. Immer wieder zuckte er im Schlaf zusammen. Das eine Mal war es so schlimm, dass ich mich zur Seite drehte und einen Arm um ihn herumschlang- und dann war er wieder ruhig. Wir würden Morgen eh wieder nach Hause fahren und auf dem Rückweg meinen Sohn und seine Freundin mitnehmen und dann ging es wieder in unserem Alttag rüber. Bis wir uns auch noch von unserem Sohn verabschieden müssen. Was ein Scheiß.
Ich wäre ja bereit, meinen Sohn gehen zu lassen, aber ich hatte meinen besten Freund verloren und das würde dem Abschied definitiv nicht leicht machen. Ich dachte schon, dass mein Jahr gut verlaufen würde, aber so war es irgendwie doch nicht. Nach einer halben Stunde, hatte sich Marco von mir weggedreht und schlief seelenruhig weiter. Ich schnappte mir mein Handy vom Nachtschrank und ging auf den Balkon, um mit meiner Schwester zu telefonieren. Wenn sie denn rangehen würde.

"Reus", hörte ich meine Tochter sagen.

"Hi, Prinzessin", sagte ich erfreut.

"Oh Gott. War schon wieder ein Anschlag in Paris?", fragte Mina und brach in Panik aus.

"Nein, sieht alles in Ordnung aus und Paris ist in den letzten Jahren nicht das einzige Ziel hier geworden. Wollte nur mal hören, wie es euch geht?"

"Uns geht es gut. Aleyna furzt wie am Spieß, Janu und ich sind viel mit der Kleinen unterwegs. Wir sind sogar um den Phoenixsee gejoggt und was passiert da? Richtig. Curtys und Auba kommen uns entgegen und jetzt rate mal, was dann passiert ist?"

"Nee, ich hab keine Lust zu raten. Du weißt, ich bin auf einem entspannten Trip mit meinem Mann in Paris. Raten macht mich aggressiv."

"Auba stellt Curtys ein Bein und wer fliegt auf die Fresse. Richtig. Auba. Direkt mit seinem Gesicht in einem Haufen von Pferdeäpfeln."

"Soll doch der nächste Schönheitstrend aus Amerika sein."

"Ja, dass hatte Janu auch gesagt. Wir haben gelegen vor Lachen. Selbst Aleyna hat gegrinst und gefurzt."

"Ja, sag Janu, dass der Kinderwagen nicht gerade zum Joggen geeignet ist."

"Ja, dass weiß sie auch. Aber der hält das wirklich aus."

"Na, wenn ihr ihn getestet habt, kann ich nichts einwerfen. Was macht ihr jetzt gerade?"

"Wir sind zu Hause. Janu kocht und ich kuschel gerade mit Aleyna. Und ihr beiden?"

"Dein Vater schläft und ich stehe auf dem Balkon, schaue direkt auf den Eifelturm, die Aussicht ist atemberaubend."

"Mutter!", meinte Mina empört. "Sag mir nicht, dass der Eifelturm ein Synonym für Papas Geschlechtsteil ist?"

"Nein, ich meine wirklich den Eifelturm. Ich schicke dir gleich ein Foto davon. Von dem Metallding und nicht von dem Fleischding. Wieso rede ich mit dir da überhaupt?"

"Ich weiß es auch nicht", meinte Mina. "Aber irgendwie verstört es mich gar nicht mehr so schlimm, wie früher. Liegt vielleicht daran, dass ich älter werde, oder so."

"Ja, kann daran liegen."

"Ja, deine Babys werden erwachsen. Nur noch zwei Wochen und Kane lebt in Madrid, ich komme nach den Sommerferien in die achte Klasse, Aleyna's Fürze werden schlimmer."

"Ach, dass wird ja immer schlimmer. Nein, nein, zwei Zicken und die größte Zicke ist in Spanien."

"Wir sind keine Zicken. Wir sind Diven. Zicken sind die Diven der Unterschicht und Arm sind wir nicht gerade."

"Fang nicht wie die Kinder der Weidenfeller an."

"Nee, die sind ja auf einem Gymnasium und kiffen sich die Birne weg. Du kannst stolz auf uns sein. Kannst du Kane nicht einfach da lassen? Ich würde an deiner Stelle Solin adoptieren."

"Ich bring deinen Bruder leider mit. Und heul nicht rum. In zwei Wochen kannst du die Herrschaft der Geschwister erobern."

"Jaaaaa", meinte Mina in einem komischen Unterton. "Das werde ich tuuuuun."

Ich blickte über meine Schulter zum Bett und sah, dass Marco wach wurde und sich nach mir umschaute. Als er mich sah, blickte er mich fragend an.

"Okay, Mina, sieht so aus, dass der Papa wach wird."

"Grüßt du ihm von mir? Aber ganz lieb."

"Mach ich. Wenn was ist melden."

"Hab euch lieb."

"Ich euch auch", sagte ich und legte wieder auf. "Ich soll dich ganz lieb von deiner Tochter grüßen."

"Wenn die schon so anfängt, muss sie wieder was kaputt gemacht haben", sagte Marco und ließ sich wieder in den Sessel zurückfallen. 

"Willst du noch weiterschlafen?", fragte ich ihn und legte mein Handy auf dem Nachtschrank ab. Marco zog mich zu sich und ich legte mich neben ihn. 

"Nein, jetzt gucken wir mal, was uns das französische Fernsehen zu bieten hat", er schnappte sich die Fernbedienung und schaltete um. "Hey, toller Film." Oh ja. 'Ziemlich beste Freunde', war ein guter Film. Ein wundervoller Film. Auch wenn er auf Französisch war. Aber das war uns egal.

"Ich hab Hunger, wollen wir was bestellen?", fragte Marco mich.

"Ja, ich gebe dir die Karte. Kannst ja zuerst gucken", sagte ich und schnappte nach der Karte aus der Schublade, dann drückte ich diese meinem Mann in die Hand. "Hau rein. Ich hab auch ziemlichen Hunger."

"Bevor du mich auffrisst, dann lese ich halt schneller." Er drückte mir einen Kuss auf die Stirn und schaute wieder in die Karte. "Wie wäre es in mit Schnecken."

"Bah, nein. Ich will Spaghetti, aber viele Spaghetti mit Tomatensauce."

"Und Schnecken?"

"Marco, nein."

Er schmunzelte leicht. Ja! Er schmunzelte. Das war doch mal ein Anfang. "Wieso nicht?"

"Nein. Wenn du so geil auf Schnecken bist, dann bestell du dir doch welche."

"Nee", sagte er und schnitt eine Grimasse. "Hab meine Schnecke schon neben mir."

"Ich wusste, dass das kommt."

"Du kennst mich ja und eintauschen darfst du mich auch nicht mehr."

"Ich werde dich ganz sicherlich nicht eintauschen", bemerkte ich ernst und klatschte in die Hände. "Los, such! Jetzt!"

"Ja!"

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