Kapitel 72
Kapitel 72
~ May's Sicht ~
Während Kane und Marco einen Vater-Sohn-Tag machten, bat ich meine Schwester, dass sie auf meine Töchter und ihre Nichten aufpassen soll. Ich hatte extra Milch abgepumpt und in den Kühlschrank gestellt. Der Typ vom Schrottplatz hatte sich immer noch nicht gemeldet und das machte mich stutzig, weshalb ich dort hinfahren wollte. Janu konnte ich das nicht abkaufen, dass ich zum Friseur wollte.
"Hä, laber nicht. Ich will wirklich zum Friseur", bemerkte ich, nachdem ich an der Haustüre stand.
"Hm, irgendein Kerl hat angerufen, ein Typ vom Schrottplatz das die Blondine mit einem jungen Mann da war."
"Und?", fragte ich gespielt unbeeindruckt.
"May, was ist los? Hier läuft doch irgendwas? Was? Erzähl's mir."
"Ich erzähle es dir nachher", antwortete ich. "Wann hat er angerufen?"
"Vor einer Stunde", bemerkte sie, nachdem sie auf die Armbanduhr geschaut hatte.
"Okay. Vielleicht ist sie noch da." Ich stürmte aus dem Haus in Richtung Auto.
"Wehe du sagst mir nachher nicht, was los ist! Viel Spaß beim Friseur!", rief Janu mir hinter her.
Ich stieg in den AMG und machte mich mit blubbernden Motor auf dem Weg zum Schrottplatz. Mir kam irgendein schwarzer Geländewagen entgegen- getönte Scheiben, aber ich ließ den erstmal links liegen. Ich hielt auf dem Hof, direkt vor dem Büro und stieg aus.
"Alysha!", rief ich, als sie gerade aus dem Büro kam.
Erschrocken schaute sie mich an und so schnell ich gar nicht gucken konnte, nahm sie Reißaus.
"Boah, nö", motzte ich herum und lief hinter her. Ich lief ihr den ganzen Hof, zwischen kaputten Autowracks hinter her, bis sie irgendwann rechts zwischen Autos lief. Ich nahm die Kurve gerade noch so und blickte fragend gerade aus. Wo war die? Wie konnte die den Weg so schnell durchgelaufen sein, der war sicherlich fünfzig Meter lang. Ich lief weiter durch den Autostapel, schaute immer wieder in Lücken, ob sie sich da versteckte, aber nichts. Selbst als ich am Ende des Weges war, war nichts von ihr zu sehen. Ich hörte irgendwas hinter mir Knacken. Sofort drehte ich mich um und konnte gerade noch wegspringen, bevor mich die Autotür erwischte, die von einem hohen Stapel herunterkrachte. Alysha sprang gerade runter und schnappte sich irgendein längliches Metallstück, ehe sie auf mich zu kam. Und da lag ich jetzt im Kiesel, rutschte immer weiter von Alysha weg, die mir vermutlich mit dem Metallding eine verpassen wollte.
"Mädel, können wir nicht normal reden, oder ist das zu viel verlangt?", fragte ich sie und rappelte mich dann doch noch auf. Alysha blickte mich sauer an und meinte immer wieder, dass ich ihr ihren Sohn nicht wegnehmen sollte.
"Pack das Ding weg und rede einfach mit mir", sagte ich und deutete auf die Metallstange in ihrer Hand. Sie blickte dort drauf und schmiss das dann weg. "Kannst du mir mal erzählen, was passiert ist?"
"Was soll passiert sein? Ich hab wieder Scheiße gemacht", sagte sie. "Ich hab richtig Scheiße gemacht. Aber richtig. Da plane ich mal was, denke ich habe Leute die mich dabei unterstützen, dass ich meinen Sohn wiederbekomme und dann geht das so nach hinten los."
"Was hast du wieder gemacht?", fragte ich sauer.
"Ich wollte doch nur meinen Sohn haben. Mein Mann hat den Jungen viel zu lange gehabt. Ich wollte Curtys nur haben. Ich hab einen Job und bin langsam wieder klar im Kopf..."
"Mag sein, dass du einen Job hast. Aber klar im Kopf bist du nicht", sagte ich. "Was ist dann passiert?"
"Wir haben seit ein paar Wochen geschrieben und es schien alles gut zu sein. Dann haben wir ein Treffen ausgemacht. Ich wollte mit ihm in Mexiko ein neues Leben aufbauen. Gott, aber ich bin so schlecht. Ich wollte das nicht. Ich dachte die Leute helfen mir dabei. Es lief auch gut. Aber er wollte nicht mit mir mit. Dann bin ich ausgerastet. Ich hab meinen Sohn geschlagen und so schnell ich gar nicht schauen konnte, waren die beiden da und wollten mir helfen. Sie haben gesagt, dass sie ihn jetzt nach Mexiko bringen werden. Aber ich bin doch nicht doof. Ich habe ein Gespräch von denen mitbekommen. Die hauen mit ihm nach Bulgarien ab. Bulgarien."
"Alysha, was hast du gemacht verdammt. Du bist doch nicht mehr ganz Dicht. Wieso ausgerechnet diesen Weg?"
"Ich weiß es nicht", sagte sie schulterzuckend.
"Und was war das für ein Gespräch?", wollte ich wissen.
"Die bringen ihn nach Bulgarien. Die beiden haben da ihre Kinderorganisation."
"Verkaufen die Kinder an andere Eltern?"
"Die jungen Kinder ja. Aber ab zwölf Jahren werden die Kinder zum Straßenstrich geschickt. Du musst mir helfen, May. Du musst mir bitte helfen, und Curtys mit mir da raushohlen."
"Ich muss Auba anrufen, damit er sieht, was du für eine hinterfotzige Person bist, die ihren Sohn-"
"Nein, du rufst meinen Ex nicht an. Nein, du musst mir helfen, May. Bitte. Wenn wir Curtys haben, dann werde ich mich auch der Polizei entgültig stellen. Ich weiß, ich habe den größten Fehler der Geschichte gemacht und den kann man nicht mehr gut machen. Aber es geht hier um meinen Sohn, der verschleppt wurde. Was ist, wenn ich ihn nie wieder sehe und er irgendwann tot in Bulgarien liegt, wenn ein Freier ihn getötet hat? Was soll ich machen? Du musst mir helfen! Bitte!"
"Du bist doch geisteskrank! Was soll ich da machen, hm? Das ist deine Scheiße, die du verbrockt hast."
"Es geht um Curtys. Es geht um deinen "Neffen". Also hilf mir."
"Ich mach es nicht für dich, sondern für Curtys und Auba."
Alysha nickte nur. "Wann kannst du mich nicht einfach mal in Ruhe lassen? Immer wieder ziehst du mich in deine Scheiße rein. Immer und immer wieder. Langsam wird es echt lächerlich. Ich hoffe du sitzt irgendwann ein und dann habe ich meine Ruhe."
"Die sind vor nicht einmal zehn Minuten gefahren. Wir müssen uns eigentlich nur in Richtung Osten halten", sagte Alysha und folgte mir durch den ganzen Schrott.
"Ein schwarzer Geländewagen mit getönten Scheiben?"
"Ja. Die haben Curt gerade abgeholt."
"Ich könnte dich umbringen, oder einfach nur die Polizei rufen."
"Umbringen kannst du mich später. Aber ich bitte dich, dass du nicht die Polizei rufst."
"Ich komm darauf zurück."
Schweigend bretterte ich die A2 in Richtung Osten ab. Als wir wenig später bei Hannover fahren, meldete sich mein Auto zu Wort, dass ich tanken musste.
"Ich muss tanken. Willst du was Essen? Ein Kaffee?", fragte ich und fuhr auf den nächsten Rasthof ab.
"Du bist trotzdem noch so nett zu mir?", fragte sie mich und blickte mich an.
"Umbringen darf ich dich ja jetzt noch nicht. Außerdem habe ich gerade meinen Kopf woanders. Warte hier im Auto", sagte ich und schnappte mir meine Brieftasche und sicherheitshalber die Autoschlüssel.
Eine halbe Stunde später fuhren wir weiter. "Dein Mann macht sich sicherlich auch Sorgen, oder nicht?"
"Wenn er zu Hause ist ja. Ich denke eher, dass ist gerade meine Schwester die am Durchdrehen ist. Ich rede davon, dass sie eine Ahnung hat, dass etwas nicht stimmt."
"Es tut mir so leid, dass ich dich wieder wo mit reinziehe. Aber du bist eine Person, auf der ich immer vertrauen kann. Ich meine, auch wenn du mich am liebsten umbringen willst, hilfst du mir trotzdem, wenn auch nur wegen Curtys."
"Genau. Einem unschuldigen achtzehn Jahre alten Jungen, der mit dem ganzen Scheiß den du dir immer wieder einbrockst, eigentlich gar nichts zu tun haben soll. Wie kannst du nur so rücksichtslos sein? Wie geht sowas? Ich fühle mich schon beschissen, dass ich meine Schwester mit meinen Kindern alleine lasse und alles. Wie soll ich das meinen Mann erklären? Der flippt völlig aus und ruft die Polizei. Und-" Ich horchte auf, als mein Handy am klingeln war.
"Da, meine Schwester ruft mich gerade an", ich zeigte auf den kleinen Bildschirm im Armaturenbrett. Alysha zippte an ihrem Kaffee und sagte gar nichts weiter- die nahm das Gespräch einfach an.
"May, wo bist du!", fragte Janu sofort.
"Bist du alleine?", fragte ich nur. "Ja, dein Mann und Kane sind immer noch nicht da. Mina beschäftigt sich gerade mit Aleyna und ich sitze hier in der Küche und mache mir gerade voll die Sorgen um meine große Schwester. Was ist los? Hast du Zeit mich aufzuklären?"
Ich blickte kurz zu Alysha und dann wieder nach vorne auf die Straße. "Ja, kann man so sagen."
Janu schwieg nachdem ich ihr alles erklärt hatte. "Ich muss es Marco sagen, ok. Ich muss ihn anrufen. Er soll sich um die Kinder kommen und ich mache mich sofort auf den Weg."
"Nein, du bleibst da, Janu. Wenn wir nicht weiter wissen, rufen wir die Polizei und dann klärt sich das alles."
"Glaubst du doch wohl selber nicht."
Tut, tut, tut, tut...
"Janu?", fragte ich. Sie hat aufgelegt. Ich schlug gegen das Lenkrad und seufzte. "Toll."
"Was heißt das jetzt?", fragte Alysha mich.
"Das wir damit rechnen können, dass meine Schwester hinterher kommt."
"Genau das wollte ich vermeiden. Wieso kannst du nicht einfach die Klappe halten!", fuhr sie mich an.
"Das ist jetzt alles meine Schuld? Ja! Genau! Du hast uns doch in diese Scheiße geritten. Du! Du bist alleine daran Schuld! Wärst du nicht wieder auf solch eine lächerliche Idee gekommen, dann wären wir nicht in dieser beschissenen Situation."
"Mehr als entschuldigen kann ich mich auch nicht", bemerkte sie.
Ich schnaubte nur und konzentrierte mich weiter auf die Straße vor mir. Irgendwann fuhr ich nach Magdeburg die A2 auf die A14 runter. Es waren einige Stunden vergangen. Ich hatte mein Handy auf Flugmodus gesetzt, da Marco mich immer wieder am anrufen war. Selbst Auba. Weshalb Alysha völlig ausflippt ist, wobei mir nichts anderes übrig blieb, als ihren Kopf einfach mal kurz aufs Armaturenbrett zu hauen. Jetzt war sie wenigstens ruhig.
Erschrocken riss ich die Augen auf, als ich vor mich einen schwarzen Geländewagen, derselben Automarke und mit den getönten Scheiben vor mich hatte, der mir beim Schrotthändler entgegen kam. Ich schlug Alysha, eher unsanft auf den Oberschenkel. "Wach auf, du Miststück und verhalte dich unauffällig."
Alysha zuckte zusammen und das erste was sie machte, war rummeckern, wieso ich ihren Kopf auf das Armaturenbrett geschlagen hatte. Nachdem sie das kapierte, forderte sie mich auf, schneller zu fahren, anstatt Abstand zu halten.
"Fällt ja gar nicht auf, wenn ein AMG hinter denen die ganze Zeit ist und das auch noch mit Dortmunder Kennzeichen."
"Oh."
"Ja, oh", sagte ich und war froh, dass ein alter Opa in seiner Sardinenbüchse von Fiat Punto vor mir fuhr.
Irgendwann fuhr der SUV auf einen weiteren Rasthof mit Hotel. Der SUV hielt bei den LKWS und ein Mann und eine Frau, weitaus älter als Alysha und ich stiegen aus. Dann machte er hinten die Tür auf und wer war da Curtys. Ich hielt direkt vor dem Hotel und hielt weiter Sicherheitsabstand. Ein Wunder, dass Alysha im Wagen blieb. Sie wühlte irgendwo in ihrer Handtasche herum.
"Was machst du?", fragte ich sie.
"Die kennen mich nur mit blonden Haaren. Ich hab immer die Perücke getragen. Auch wenn wir weiter weg sind, geht Sicherheit vor." Ein paar Handgriffe und die Echthaarperücke in Braun hing auf ihrem Kopf und von den blonden Haaren war nichts mehr zu sehen.
"Ändert nichts daran, dass du trotzdem geisteskrank bist", murmelte ich und blickte zum Hotel. Die Frau geht in Richtung Hotel. Ich denke, die nehmen sich ein Zimmer. Der Mann und Curtys gingen hinter her. Der Arme, der schien völlig verstört zu sein und ich rümpfte die Nase, als ich das blaue Auge und die aufgeplatzte Lippe sah.
"Das Hotel kommt mir bekannt vor", bemerkte Alysha und lehnte sich nach vorne.
"Inwiefern?", wollte ich wissen.
"Stimmt. Das Hotel gehört ihnen. Ich hab das auf einem Foto gesehen. Das ist ein Zwischenstopp und, oh Gott, nein, dass könnte sein, dass es ebenfalls als Puff benutzt wird. Da sind schon einige leicht bekleidete Damen."
"Ich hoffe einfach nur, dass sie deinen Sohn nichts antun", bemerkte ich und ließ den Motor wieder aufheulen.
"Was! Nein! Nicht fahren!", sagte Alysha panisch und schlug mir auf den Arm.
"Au! Ich will nur dahinten parken. Du, bleibst im Auto und ich werde mich da als Gast einschleusen. Irgendwie muss ich Curtys doch da rausbekommen." Nachdem ich Abseits geparkt hatte, hielt ich doch inne. "Nee, ich lasse dich nicht alleine. Sonst kommst du auf eine richtig behinderte Idee. Wir pennen hier und behalten das im Auge."
"Kannst du dich nicht trotzdem einschleusen? Vielleicht haben die auch Männer da."
"Du bist krank. Einfach krank", sagte ich kopfschüttelnd.
"So kommen wir aber an Curtys ran. Also bitte."
"Haust du ab, oder machst was, was Falsch ist, gibt es Ärger. Hier."
Ich schnappte mir meine Handtasche und ging in Richtung Hotel. Den Schlüssel ließ ich stecken und ließ Alysha mit einem unguten Gefühl alleine. Und als ich das Hotel betrat, wusste ich, dass ich hier in der Anstalt der Irren gelandet bin.
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