Kapitel 58

KAPITEL 58

~ May's Sicht ~

"Also hat sich dein Freund von dir getrennt?", fragte Marco meine Schwester gerade aus, als wir im Auto auf dem Rückweg nach Hause waren. Ich saß hinten mit meiner Schwester, während Mina sich vorne auf dem Beifahrersitz bequem machte. Marco fuhr sein heißgeliebtes Auto. Ich sollte nicht fahren. Erstens, da ich schwanger war und zweitens, wegen meinen Hormonen. Ich regte mich noch schlimmer auf, wenn mir irgendwelche Fahrer zu blöde kamen, als jemals zuvor.

"Du hast es ihm gesagt?", fragte Janu mich und blickte mich sauer an.

"Was? Woher sollte ich wissen, dass ich darüber kein Wort verlieren sollte?", stellte ich die Gegenfrage. "Papa hat deswegen nichts gesagt. Ehrlich nicht."

"Ich habe es Papa gesagt, dass er dir nichts sagen soll. Ich wäre angeblich zum Urlaub machen da, da ich meine Schwester und ihre Familie besuchen will."

"Ah und dann bist du eigentlich nur hier, um May's Alkoholvorstand wegzusaufen und versuchen über deinen Ex-Verlobten hinweg zu kommen?", fragte Marco.

"Könntest du deinen Ehemann sagen, dass er gerade mal die Fresse halten soll?", Janu blickte wieder zu mir.

"Schatz, fahr bitte an der nächsten Tanke ran."

"Wieso, musst du schon wieder Mama?", fragte Mina mich belustigt.

"Nein, ich will nur mit deiner Tante die Plätze tauschen, bevor sie deinen Vater von hinten stranguliert", antwortete ich wahrheitsgemäß.

Janu warf mir wieder einen gereizten Blick zu, während Marco das Lenkrad fest umfasste.

"Ja, hab lieber Angst, Schwager", sagte Janu, die Marcos Angst und leichte Panik ebenfalls bemerkt hatte. Ich hielt mir die Hand vor dem Mund und versuchte nicht zu lachen. Das kann ja noch was zwischen den beiden werden. Aber wie.

"Und Kane wartet zu Hause?", fragte meine Schwester mich und versuchte wieder eine normale Unterhaltung, ohne irgendwelche Seitenhiebe zu führen.

"Der ist bei seinen Kumpels", antwortete ich. "Erzählt ihn sicherlich stolz davon, dass er ab Sommer für Real Madrid spielt."

"Ich dachte, er muss bei Borussia Dortmund spielen, wenn er alt genug ist. Lässt Marco ihn doch so einfach gehen, ja?"

"Pahl, einfach ist das ja wohl gar nicht, wenn dein ältester Sohn nach Madrid ziehen wird. Was glaubst du denn? Ach ja, du hast ja keine Kinder. Mensch, da war ja was."

"Ach, Mensch, da war ja was. Ich habe keine Kinder, weil ich gerade mal zwanzig Jahre halt bin, falls du es vergessen hast. Ach, wie komme ich darauf. Du bist alt. Du vergisst sowieso immer was."

"Ja, und das wird im Alter nicht besser", stimmte Mina zu.

"Das merke ich mir. Und wie ich mir das alles merken werde."

"Jetzt dürfen wir ihn noch nicht mal ärgern."

"Lass ihn, Tante Janu. Er ist in Unterzahl und einfach nur überfordert", Mina bekam sich gar nicht mehr ein. Meine Schwester stimmte ebenfalls mit ein und ich versuchte mich mit der Kugel von Schwangerschaftsbauch nach vorne zu lehnen, um meinen Mann zur Aufmunterung auf die Schulter zu klopfen. Marco seufze nur und konzentrierte sich weiter auf die Straße.

"Ah", sagte Mina nach zehn Minuten. "Kane ist gar nicht bei seinen Jungs. Er treibt sich mit Solin herum."

"Woher weißt du das? Stalkst du deinen eigenen Bruder?", lachte Janu. "Und wer soll Solin sein?"

"Kane ist in ein Mädchen verliebt und das heißt Solin. Laut meinen Berechnungen und Recherchen empfindet Solin das Gleiche für meinen behinderten Bruder. Es ist also nur eine Frage der Zeit, bis einer mal auf die Idee kommt, den ersten Schritt zu machen."

"Wow, mein Neffe wird sexuell aktiv. Wurde auch mal langsam Zeit. Ich meine, er wird dieses Jahr noch achtzehn", sagte Janu und schnitt eine Grimasse. "Und was ist mit dir Mina? Wie sieht es bei dir aus?"

"Pah, ich finde Jungs nicht gerade interessant."

"Mina!", sagten Marco und ich gleichzeitig.

"Ja, gut. Ich war mal in einem Jungen verknallt. Der hieß Joe. Aber er ist einfach nur ein Idiot. Naja, jetzt warte ich erstmal. Schule ist für mich wichtiger."

"Man, das habe ich damals auch gedacht. Aber dann triffst du den Typen in dem du dich unsterblich verliebst und dann ist der Rest - außer ihm - einfach nur noch eine Nebensache in deiner rosaroten Welt. Und so schnell du gucken kannst, bist du Verlobt und dann eine Woche später erwischst du deinen Verlobten in Aktion mit einer anderen Frau. Da will man doch nur noch alleine sterben und von seinen etlichen Katzen aufgefressen werden. Ganz ehrlich. Bevor dir dein Herz gebrochen wird, suche dir deine Liebe in was anderem. In Singen oder Tanzen."

"Ja, Singen und Tanzen. Das ist meine Leidenschaft", sagte Mina begeistert und drehte sich im Sitz zu ihrer Tante. "Ich habe bald eine Aufführung in der Schule. Vaiana, ist ein Disneyfilm aus dem Jahr 2016 gewesen. Ich spiele sogar Vaiana."

"Für eine blasse rotbraunhaarige schon ein wenig behindert, oder?", fragte ich Janu. Sie warf mir mal wieder einen Blick zu, in dem meine Knochen brannten.

"Ist doch schön, dass du dich dafür interessierst. Ich habe in der Highschool auch gesungen und getanzt."

"Sag ganz einfach, dass du im Glee-Club warst. Da gab es zwar Kerle, aber die waren alle schwul."

"Ja und?", fragte Janu mich. "Und wenn es so ist. Mit denen konnte man Pferde stehlen. Schwule Typen sind nicht so hinterfotzig, wie die Weiber heutzutage. Ich hab mich eh nur mit Jungs abgegeben. Den Stress um die ganzen Weiber konnte ich zum Tode nicht ausstehen."

"Ja, so geht es mir auch", sagte Mina. "Also das mit den Weibern aushalten, wegen ihren scheiß Diva-Leben und desgleichen. Okay, ich hänge jetzt auch nicht mit Jungs ab. Irgendwie hänge ich mit niemanden ab. Hab kaum Freunde."

"Kaum?", fragte Janu.

"Okay, keine."

"Och man, wieso nicht? Du bist ein liebes und hübsches Mädchen."

"Ja, genau deshalb. Ich bin bei den ganzen Lehrern beliebt und hübsch ohne Make Up. Darauf kommen die anderen aus meiner Klasse einfach nicht klar."

"Du bist dreizehn und du brauchst dich nicht mit Schminke vollhauen, Kleines. Das mit der natürlichen Schönheit hast du nämlich von der schottischen Seite."

"Danke", brummte Marco.

"Da stimme ich dir zu", sagte ich zu Janu.

"Hey!", motzte mein Ehemann weiter herum.

"Ich meinte von der schottischen Seite nicht dich, Schwesterherz, sondern Grandma. Man die war heiß wie ein Feger und es musste ausgerechnet auf Mina und mich abfärben."

"Du hast Mom vergessen!", sagte Mina.

"Nee, habe ich nicht."

"Komm mir nicht damit. Sag nicht ich habe die Schönheit von meiner Mutter, dann springe ich bei voller Fahrt aus dem Auto."

"Nein, doch nicht von deiner Mutter. Tante Hildgarth."

"Nein, nicht die fette Kampflesbe. Die hat mehr Bart, als ein Türke und rollt von A nach B."

"Du hast ihre Nase."

"Du doch auch! Schon mal in den Spiegel geguckt, wie ähnlich wir uns sehen?"

"Ja, hätte May keine Falten und Ansätze von grauen Haaren, dann könntet ihr als Zwillinge durchgehen!", rief Marco.

"Danke!", brummte ich. "Ich würde mir ja gerne die Haare färben. Aber, ich bin schwanger. Das ist mir zu riskant."

"Komm, Papa hatte es damals schlimmer getroffen. Er hat schon mit 33 graue Haare bekommen."

"Stimmt auch wieder."

"Und so schlimm ist das nicht. Ist doch nur ein bisschen hinterm Ohr."

"Genau", bemerkte ich und nickte. "So ist das. Scheiß drauf, dass ich alt werde. Ich werde halt nicht jünger."

"Dein Wort in Gottes Gehörgang", lachte Janu und seufzte. "Habt ihr mit mir etwas besonderes vor?"

"Nee, aber ich hoffe du hast nichts dagegen, wenn ein Kumpel von Marco auf der Couch schläft. Ich meine, er hat hier sonst keinen."

"Ein Kumpel von Marco? Welcher denn?"

"Der Papa von Noah und der Ex von Emely."

"Der Penis-Piercer?", lachte Janu begeistert.

"Woher weiß deine Schwester das?"

"Na hömma, sie ist meine Schwester und sie wollte damals, sämtliche Schoten hören, die wir und unsere Freunde gerissen haben. Das konnte ich, beim besten Willen, doch nicht verbergen."

"Man jetzt habe ich die Chance den Typen Gesicht vor Gesicht zu stehen, damit ich seine absolute Dummheit scannen kann."

"Ja, aber tut mir einen Gefallen und hakt nicht weiter auf den herum. Er hat's gerade schwer."

"Wieso, was ist los?", wollte Mina wissen.

"Lisa, seine zukünftige Ex-Frau hat ihn betrogen."

"Woher weiß er das? Ich dachte die sind gerade erst Eltern geworden?"

"Ja, das ist das Problem. Das Kind ist nicht von ihm."

"Wieso kam es nicht mit einem gepiercten Penis auf die Welt, oder was?", lachte Janu.

"Nee, das Kind war schwarz."

"Ach du liebes Lieschen."

"Das kannst du laut sagen."

     Als wir eine halbe Stunde später zu Hause waren, rief Marco Moritz an, damit er wieder rum kommen kann. Ich war mit Janu im Gästezimmer verschwunden, wo sie gerade ihren riesigen Koffer ausräumte.

"Man, wie lange willst du hier bleiben?", fragte ich sie.

"Vielleicht ein oder zwei."

"Ein oder zwei was? Äpfel? Birnen? Geld? Tage? Wochen?"

"Vielleicht auch drei."

"Mo-nate?"

"Ja, wenn du nichts dagegen hast. Mensch, ich will meine Nichte oder meinen Neffen mal länger sehen. Dann vergehen wieder Jahre und das einzige wo ich die sehe, wenn die mal zu Hause sind, ist über Skype an Silvester und Weihnachten. Jeder hat seine eigene Familie und feiert dort. Anstatt wir nicht alle mal zusammen kommen und zusammen feiern. Familie Reus und Flanagan. Aber nein. Jeder feiert für sich. Ich will auch mal die andere Seite der Familie Reus kennenlernen. Seine Schwestern, seine Eltern, die Kinder seiner Schwestern. Ich weiß es eh, dass wir alle zusammen kommen werden, wenn Marco oder du das zeitliche gesegnet habt."

"Stimmt doch gar nicht", bemerkte ich. "Meinetwegen kann ich ja ein Essen veranstalten und da Marcos Eltern und Schwestern samt Anhang einladen. Aber du musst mir helfen. Ich kann nicht lange stehen und sitzen."

"Aber liegen geht, oder?", fragte sie mich belustigt.

"Liegen geht nur, wenn ich mich danach auch noch runterrollen kann. Sonst komme ich nicht hoch."

"May die Schildkröte. Ja, gut. Wie sieht's aus. Du zeigst mir das Kinderzimmer, vom baldigen neuen Erdenbürger und dann trinken wir eine Kleinigkeit, ehe ich mich ins Bett schmeiße. Ich hatte den mittigen Platz und jetzt rate mal, wer links und rechts neben mir sitzen musste?"

Ich zuckte mit den Schultern.

"Genau. Mr. Wambo und Mrs. Wambo. Eingequetscht wie sonst was."

"Jetzt hast du ja ein Kind Size Bett für dich alleine", sagte ich aufmunternd. "Na komm. Ich zeig dir das Zimmer vom Böhnchen und dann trinken wir was."

"Kein Alkohol für dich."

"Ich bin doch nicht geistig behindert", sagte ich und ging als erste aus dem Zimmer raus. Janu folgte mir. Als wir das Zimmer betraten staunte sie nicht schlecht.

"Gelb, ehrlich?", fragte sie mich und runzelte die Stirn.

"Hey, solange wir nicht wissen, was für ein Geschlecht das Baby hat, bleibt es neutral. Es wird noch geändert. Hoffentlich."

"Hoffentlich wird es ein süßes, kleines Mädchen."

"Ja, die die Schönheit von Grandma, Tante Janu und Schwesterchen Mina hat."

Janu lachte wieder. "Das wird schon", bemerkte sie. "Das ist ein schönes Zimmer. Echt. Sauschön. Da will ich auch am liebsten ein Kind werfen."

"Nee, warte noch ein paar Jahre, bis du wirklich Mr. Right triffst. Mach bitte keinen Fehler wie Tante Elizabeth."

"Als ob ich zehn mal den falschen Typ heiraten würde. Ich bitte dich."

"Wie gesagt, mach bloß nicht den Fehler."

"So, wo ist mein Neffe. Mein kleiner, ich klatsche meinen nackten Hintern an die Glasscheibe."

"Wie gesagt. Er ist noch nicht da. Er ist da!", rief ich und stürmte in Kanes Zimmer.

"Eh, Mom?", fragte er mich irritiert und drehte sich in seinem Schreibtischstuhl herum. 

"Bist du auf der Disneyland Paris Seite?", fragte ich ihn und blickte auf den Bildschirm. Die Seite würde ich unter tausenden Seiten erkennen, auch wenn sie immer wieder ihr Design änderte.

"Ja, wieso?"

"Willst du deine Familie überraschen?"

"Nein", sagte Kane. "Du Mom, ich hoffe ihr habt nichts dagegen, wenn ich eine Woche mit Solin dort hinfahre. Ich meine, bevor ich nach Madrid abhaue."

"Könnt ihr nicht wo anders hinfahren?"

"Mom, sie wollte da schon immer mal hin und ich will sie damit überraschen. Ich mag sie voll und naja..." Er wurde augenblicklich rot. "Mögen ist untertrieben. Und außerdem kann es irgendwie sein, dass wir jetzt ein Paar sind?"

"Ein Paar?", fragte ich. "Wie?"

"Ja, wir sind jetzt zusammen."

"Aber, du gehst nach Madrid?"

"Nein, doch, ich gehe nach Madrid. Aber wir versuchen eine Fernbeziehung. Sobald ich frei habe, bin ich hier in Dortmund und wenn sie frei hat, bezahle ich ihr den Flug zu mir. Außerdem gibt es Skype und den Scheiß. Sie macht zwar ihre Ausbildung und wenn es zwischen uns so gut klappt, dass sagt sie, wird sie nachkommen."

"Ich hoffe es", sagte ich. "Boah, du wirst erwachsen, Schatz."

"So ist das Leben", nickte Kane.

"Komm her, Kleiner. Herzlichen Glückwunsch." Ich streckte meine Arme aus und wartete nur darauf, dass mein Sohn zu mir kommt.

Grinsend kam er auf mich zu gelaufen und schlang seine Arme um meinem Rücken. "Danke, Mom."

"Komm, erzähl das deinen Vater, deiner Schwester, den Moritz und Tante Janu?"

"Moritz und Janu sind hier?"

"Ja."

"Boah, sind wir eine Asylunterkunft?", lachte Kane.

"Das frage ich mich auch", meinte ich und seufzte. "Komm buche die Reise und dann komm nach unten, okay?"

"Okay, danke Mama", sagte er und verschwand in Richtung Schreibtisch. Ich verließ das Zimmer und ging wieder nach unten. Janu saß mit meinem Ehemann und meiner Tochter am Tisch in der Küche und sie unterhielten sich über Gott und die Welt.

"Dein Neffe ist übrigens auch schon da und hat sicherlich gleich etwas zu erzählen", sagte ich und setze mich neben meiner Tochter an den Tisch.

"Kakao, Schatz?", fragte Marco mich.

"Ich bitte dich darum", nickte ich dankbar.


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Ein kleines Kapitel an diesem regnerischen Donnerstag. Ich freue mich wieder über reichlich Feedback :)

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