Kapitel 32

KAPITEL 32

~ Kane's Sicht ~

"Okay, ich würde doch nichts ins Wasser gehen. Ist doch ziemlich kalt", sagte Papa, als er wieder zu mir zurück kam. Er hatte nur seine Zehenspitze ins Wasser gehalten und war sofort zurück zu mir gelaufen. Ich saß auf dem Strandhandtuch und schaute auf die tosenden Wellen der Nordsee. Papa schmiss sich neben mich auf das riesige Handtuch.

"Du stellst dich vermutlich auch nur an", meinte ich und blickte gespielt provokant zu meinem Vater. Dieser runzelte nur die Stirn und die Falten auf dieser wurden tiefer.

"Ich stell' mich vermutlich auch nur an?"

"Pardon. Hab mich falsch ausgedrückt. Vermutlich war das falsche Wort. Ich meinte, natürlich immer."

"Sohn!", knurrte Dad gespielt.

"Papa!", entgegnete ich und konnte mir kein Schmunzeln verkneifen, welches mir jedoch verging, als ich aus der Ferne, den Namen Jason hörte. Ich rümpfte die Nase und blickte auf meine Füße, die ich im Sand verbuddelt hatte.

"Alles ok?", fragte Papa mich und musterte mich neugierig. So, als ob er Gedankenlesen könnte. So, als ob er versuchte irgendwas aus meinem Kopf zu saugen, um schlauer zu werden, was denn nun mit mir los wäre.

"Ja, alles gut", antwortete ich und nickte. Das traurige war, ich konnte mir gerade noch nicht mal selber glauben. 

"Okay", entgegnete Papa und stand wieder auf. Dabei hörte ich gefühlt, zehntausend Knochen knacken. "Boah, Scheiße. Ich werde alt."

"Das ist dir aber früh aufgefallen."

Papa blickte mich mit zusammengekniffenen Augen an und rümpfte daraufhin die Nase. "Stimmt, da war ja was. Aber du bewegst jetzt deinen reuserischen Hintern und sammelst mit mir ein paar Muscheln. Du kennst Mina, sie will sicherlich wieder welche haben."

"Stimmt, wir wollen ja nicht, dass die reuserische Bastelkönigin, uns nicht mit ihren Blicken versucht zu töten." Ich stand ebenfalls auf und ging mit meinem Vater in Richtung Strand, um dort eben ein paar Muscheln zu sammeln. Während Papa am Strand entlang ging, fand ich einen zusammengeschobenen Haufen von Muscheln. "Super", murmelte ich und kniete mich auf dem Boden, während ich in dem Haufen nach schönen und nicht kaputten Muscheln suchte. Ich fand sogar irgendwelche Muscheln, die einen oder mehrere lilafarbene Streifen hatten.

"Na, dass ist ja eine Superidee. Ich bin in zig tote Quallen gelaufen, aber habe keine Muschel gefunden, die heile war. Die hatten immer wieder kleine Löcher drinnen", Papa kniete sich neben mir in den Sand und wühlte in den Haufen Muscheln herum.

"Ja, guck mal. Hier. Passend für die Küche. Muscheln im braunen Ton."

"Mama würde jetzt sagen, dass ist Cappuccino Nummer sieben", ahmte mein Vater meine Mutter nach. Ich lachte nur. 

"Hier, eine Muschel mit Korallenblau Nummer zwei", sagte ich Papa und warf ihn eine blaugestreifte Muschel hin.

"Das ist Korallenblau Nummer drei!", meinte Papa empört. "Hör' auf mit diesen Betrügereien."

Wir beide lachten, bis Papa irgendwann seinen ernsten Gesichtsausdruck aufzog und mir schlagartig, dass Lachen verging. Er wollte irgendwas sagen, irgendwas lag ihm doch auf der Zunge und im Herzen. Irgendwas wollte er los werden. Ich hoffte nur, dass es nichts mit der letzten Jason-Sache zu tun hat. Ich hoffe mal nicht, dass er irgendwas davon gehört hat. Ich hoffe mal nicht, dass er das Video gesehen hat. Hoffentlich nicht.

"Können wir mal kurz miteinander reden?", fragte Papa mich und wurde von Sekunde zu Sekunde immer Ernster. Ja, er wusste es. Mit hoher Wahrscheinlichkeit, wusste das auch Mama und Mina und die anderen, die bestimmt schon das Video gesehen haben. Vermutlich war die ganze Schule schon darüber am sprechen und lachten mich aus, weil ich mich nicht gewehrt habe und einfach abgehauen bin. Wenn Papa es weiß, brachte es nichts, dass ich dem Gespräch aus dem Weg ging. Ich musste mit ihm darüber reden.

"Du hast das Video gesehen?", fragte ich und ließ die Muscheln alle auf den Boden rieseln.

"Mina, Mama, ich aber nicht. Ich denke auch nicht, dass ich mir das Video ansehen werde", gab Papa zu und kratzte sich nachdenklich an der Stirn. "Hast du daher die Gehirnerschütterung?"

Ich nickte nur. 

"Mama war damit beim Direktor gewesen. Der meinte, wieso solle ich da was machen? War ja auf dem Nachhauseweg und nicht während des Unterrichts oder der Pausen."

"Typisch, der Eichelsack."

"Ja, was willst du auch anderes dabei erwarten. Letztlich hat der Direx. den Dummkopf von Jason, für eine Woche von der Schule verwiesen. Danach wird erst alles weitere abgeklärt."

"Ich hoffe, der fliegt dann von der Schule. Endgültig. Sonst gehst du mit Mina auf eine Privatschule."

"Das bringt bei mir nichts mehr. Ich hab mein letztes Jahr, Papa."

"Den hättest du schon vor ein oder zwei Jahren gehabt."

Hätte ich, wäre ich nicht in der siebten sitzengeblieben und wäre nach der neunten abgegangen, wie es manch anderer gemacht hat. Aber ich wollte einfach nur meinem Realschulabschluss, den erweiterten natürlich. Auch, wenn ich dort mein Abi machen könnte. Aber dann müsste ich je nach Realschulabschluss ein oder zwei Jahre reinhängen. Aber zurück zum eigentlichen Thema.

"Ja, ich weiß. Ich ziehe die letzten Monate durch. Mit oder ohne Jason."

"Ok, gut", nickte Papa. "Aber wieso bist du nicht gleich zu uns gekommen? Wie oft müssen wir dir eigentlich noch sagen, dass du immer zu uns kommen kannst, wenn Etwas gegen dich läuft? Ich weiß, du hast deine Freunde, mit denen du vermutlich über alles redest. Wir können, dir das nur anbieten. Wir sind deine Eltern und möchten auch gerne immer etwas wissen. Egal, wenn dich was bedrückt, oder du was auf den Herzen hast. Du bist doch früher auch immer sofort zu uns gekommen, wenn irgendwas war. Wieso jetzt nicht mehr?"

"Weil ich erwachsen werde, Papa. Ich muss erwachsen werden und mich mit meinem Leben selber auseinandersetzen. Das ist der Kreislauf des Erwachsen werden. Ich kann ja nicht ein Leben lang unter eurer Fuchtel stehen. Ich bin nicht auf Ewig, der kleine Kane, der nackt durch das Haus läuft und seinen nackten Hintern, gegen die Glasscheibe drückt. Irgendwann, werde ich auch ausziehen, mein eigenes Geld haben. Irgendwann werde ich mich selbst versorgen, hoffentlich keine Schulden machen- auf mich alleine gestellt sein. Irgendwann eine gute Freundin, oder Frau haben, ein paar bekloppte Kinder. Ich werde schon keine Glasscheiben in Kinderhöhe in der Wohnung oder im Haus haben."

Papa schluckte und wischte sich mit dem Handballen über die Augen. "Stimmt hast recht", murmelte er vor sich hin. Ich glaube, dass war gerade der Moment, wo Papa schweren Herzens klar wurde, dass ich nicht immer sein kleiner Sohn sein kann. Jetzt wurde ihm vermutlich klar, dass ich auf dem Weg zum großen Sohn bin, der irgendwann sicher sein eigenes Leben hat.

"Ey, nicht traurig sein, Papa. Schließlich bleibe ich immer noch dein Sohn. Da wird sich nichts dran ändern." Aufmunternd schlug ich meinem Dad leicht auf dem Oberarm, damit er mit er seinen traurigen Gesichtsausdruck ablegen konnte. "Und ihr habt doch bald wieder einen Nachzügler. Ich hoffe, dass es ein kleiner bekloppter Junge wird."

"Trotzdem bist du mein erstes Kind, Kane. Das ist nicht gerade einfach."

"Denk nicht weiter drüber nach, Papa", sagte ich und stand auf. "Noch ist es ja nicht soweit. Solange, müssen wir uns wohl ertragen." Grinsend hielt ich meinem Vater die Hand hin. Er blickte auf diese und schlug ein. Dann half ich ihn wieder auf die Beine. "Okay, erzähl' Mama davon nichts. Ihr habt mir damals die Windeln gewechselt, und gefüttert und wenn es soweit sein sollte, werde ich das auch bei euch machen."

"Du und Windeln wechseln?", fragte Papa skeptisch und klopfte sich die Hose vom Sand ab.

"Man sagt ja, in den frühsten Monaten nach der Geburt oder vor dem Tod, ist die Scheiße geruchlos und flüssig. Für Mina sicherlich kein Problem."

"Wer sagt das?"

"Hat Robin mal gesagt", murmelte ich. Papa wurde für einen Moment merkwürdig und nervös, eher sich wieder einkriegte und mich putzmunter fragte, ob wir ein bisschen den Ball hin und her schießen wollen.

"Klar. Ich bin Erster", rief ich und stürmte zurück zu unserem Platz.

"Ey!", brüllte Papa und lief hinterher. 

"Wie war das?", fragte Papa mich, als wir an unserem Strandhandtuch ankamen. Er schnappte sich den Ball und blickte mich feixend an.

"Ich hab dich gewinnen lassen. Für dein knackiges Alter, hab ich echt Mitleid."

"Knackiges Alter, kannst du wortwörtlich nehmen, wenn du es auf meine Knochen beziehst."

"Wie auch immer. Los jetzt. Ausreden zählen nicht, du Pfeife." Ich klaute ihm den Ball aus der Hand und schoss den einfach Weg. Er knallte ungefähr 100 Meter weiter im Sand auf und rollte den Berg runter. Zu meinem Pech, zwischen die Beine einer alten schrumpeligen, pummeligen Frau, die in Bauchlage dort lag.

"Du holst den!", sagten Papa und ich gleichzeitig. 

"Du gehst", knurrte ich.

"Nein, du."

"DU!"

"DUUUU!"

"Ching-Chang-Chong?"

"Ja gut."


~ May's Sicht ~


"Das ist gut, dass mit dem kleinen Wurm, alles okay ist", sagte Emely, als wir wenig später in ihrer Wohnung saßen und einen Kakao tranken.

"Ob Würmin oder Wurm, dass wissen wir noch nicht. Noch ist es nicht so weit, dass man das sehen kann", ich trank einen Schluck vom Kakao und seufzte. "Bitte sag mir, dass du Sa-", ich konnte nicht mal zu Ende sprechen, da hatte Emy mir eine Sprühdose Sahne auf dem Tisch gestellt. 

"Du bist eine Heldin", seufzte ich und schnappte mir die Sprühdose. Jeder normaler Mensch, hätte sich jetzt schön die Sahne auf dem Kakao geklatscht. Aber so normal bin ich jetzt nicht gerade, da die Sahne direkt in meinem Mund landete. 

"Sicher, dass du May heißt und nicht Daniela?"

"Haha", brummte ich mit vollem Mund. Emely und ich blickten gleichzeitig verwirrt, als es an der Wohnungstür schellte. Ich schluckte die Sahne herunter und schaute Emely hinter her, die aus der Küche in den Wohnungsflur ging. "Erwartest du noch jemanden?"

"Nee, eigentlich nicht", hörte ich Emely sagen, während ich mir wieder einen Haufen Sahne in den Mund sprühte. "Hi, Mina."

"Hi, Tante Emy."

"Mifa?", fragte ich verwundert und spuckte ein bisschen Sahne durch die Gegend. Ich schluckte die Sahne runter, was kurz im Hals weh tat und blickte zu meiner Tochter, die an der Küchentür schaute. "Schulschluss?"

"Ja, habe aber mein Schlüssel vergessen. Es war mir irgendwie schon klar, dass du hier bist."

Emy ging an meiner Tochter vorbei. "Auch einen Kakao, Mina?"

"Klar", nickte Mina und stellte ihre Schultasche auf dem Boden ab. Dann kam sie zu mir und setzte sich auf meinem Schoß.

"Wie war noch die Schule?"

"Wieder ziemlich viele Hausaufgaben auf. Montag schreibe ich wieder eine Arbeit. Hast du eigentlich schon diese Anwältin angerufen?"

"Nein, danke, dass du mich daran erinnerst."

"Mach das mal. Du weißt ja, wie Papa sonst am herum stressen ist."

"Wie ein Weib auf ihrer Periode, wenn ihre Lieblingsschokolade im Supermarkt ausverkauft ist", lachte Emely und reichte meiner Tochter ihren Kakao. Mina bedankte sich und trank einen Schluck. Wieder klingelte es an der Tür.

"Boah, hier geht's ja ab wie am Flughafen", brummte Emely und ging zurück in den Wohnungsflur. Schnell kam sie zurück und hielt sich den Zeigefinger vor dem Mund. Ich wollte schon fragen wieso, bis mir klar wurde, dass wir alle die Fresse halten sollen. "Mina, geh mal zur Tür. Das ist meine blöde Nachbarin. Die nervt mich andauernd. Sag, ich bin gerade unter der Dusche."

"Okay", flüsterte Mina ebenfalls und stellte ihren Kakao auf dem Tisch ab, dann verließ sie die Küche.

"Hallo?", hörte ich eine Frau fragen.

"Hallo", sagte Mina höflich.

"Ist Emely da?"

"Sie ist gerade unter der Dusche. Soll ich ihr was ausrichten?"

"Ich wollte ihr eigentlich nur Milch vorbeibringen. Sie trinkt ja immer Vollmilch. Leider habe ich Fettarme."

"Das sehe ich", hörte ich Mina sagen.

"Wie bitte?", fragte die Frau verwirrt.

"Das sie Fettarme haben, dass sehe ich. Mit denen halten sie den Liter Milch."

Emy und ich blickten uns an und mussten uns wirklich unterdrücken nicht zu lachen.

"Das ist ja wohl eine Unverschämtheit!"

"Ist ja wohl eher, eine Unverschämtheit, dass sie kein Schild an ihrem Hintern haben, wo der Hinweis steht: 'Vorsicht, schwenkt aus!'. Danke für die Milch."

Die Tür fiel zu. Das Signal, wo Emy und ich uns nicht mehr zurückhalten konnten. Mina kam mit einem Liter Milch in die Küche und stellte diese in den Kühlschrank. "Gern geschehen", sagte Mina und setzte sich wieder auf meinem Schoß.

"Danke", grunzte Emely und wischte sich eine Träne des Vergnügens aus dem Augenwinkel, während ich mir wieder Sahne in den Mund sprühte.




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