Kapitel 22

KAPITEL 22

~ Kane's Sicht ~

"Kane, ich brauche deine Hilfe", sagte Solin und setzte sich neben mich.

"Was denn?", fragte ich.

Solin klatschte ihren Block auf den Tisch und blickte mich an.

"Ich habe die Mathehausaufgabe. vergessen. Und außerdem ist mein Taschenrechner kaputt. Also ich kann das. Aber bräuchte nur einen Taschenrechner", antwortete sie aufgeregt.

"Solin, beruhige dich", sagte ich belustigt und schnappte mir meine Tasche. "Du kannst die auch abschreiben, aber die sind alle falsch."

"Du, ich hab hier immer Einsen drinnen. Kannst dich gleich auch verbessern", meinte sie.

Ich fasste in meine Tasche und runzelte die Stirn, als ich ein Fetzen Stoff zwischen die Finger bekam.

"Hä", bemerkte ich und zog das weiße zusammen geknuddelte Etwas aus meiner Tasche.

"Was ist das?", wollte Pia wissen und kam zu mir.

Ich knüddelte das weiße Stück Stoff auf und drehte es, bis ich die Schrift entziffern konnte.

Dann fing ich an zu lachen.

Herzlichen Glückwunsch, Kane.
Ab Juni 2030 darfst du als großer Bruder Windeln wechseln 😏🙈🙊🙉

"Wie?", fragte Solin und riss mir den Babystrampler aus der Hand. "Nein!"

"Hehehe, doch", sagte ich. Ich schmiss meine Tasche auf den Boden und ließ meinen Kopf auf die Tischplatte knallen. "Ich hoffe das ist ein Scherz meiner Eltern. Die sind alt! Was wollen die noch mit einem Baby?"

"Heul doch nicht rum", sagte Pia. "Du wirst großer Bruder. Weißt du, was das für ein Segen ist."

"Segen und Fluch zu gleich. Babys die schreien - sind nervig", grummelte ich.

"Mensch, freust du dich, wieder großer Bruder zu werden", bemerkte Solin ironisch und verpasste mir einen Klaps auf den Hinterkopf. "Mensch, freu dich, verdammt nich mal. Du wirst großer Bruder. Wenn das Kind so ansatzweise niedlich wie deine Schwester und deine Wenigkeit wird-"

Ich hob meinen Kopf an und blickte zu Solin. "Ich bin niedlich? Niedlich!?"

"Hässlich biste nicht gerade", sagte Solin und legte mir den Strampler auf die Schulter. Dann hatte sie in Windeseile ihre Sachen zusammen gepackt und ging letztlich zu Alina, um da einen Taschenrechner zu schnorren.

Pia und ich tauschten einen Blick aus und ich zuckte nur mit den Schultern. Gleichzeitig schnappte sich Pia mit einem breiten Grinsen, den Strampler und hielt ihn hoch.

"Ladies und Gentlemen. Kane Reus, wird wieder mal großer Bruder!", rief sie durch die Klasse.

"Pia!", zischte ich und riss ihr den Strampler aus der Hand. Diesen ließ ich schnell in meiner Tasche verschwinden.

"Was? Noch einen nervigen Cousin?", fragte Nico und kam in die Klasse.

"Was willst du denn hier?"

"Diese Begeisterung meines Cousins. Einzigartig", sagte er und stellte sich vor mich, nachdem er sich an Pia vorbei gequetscht hatte.

"Immer", grinste ich zuckersüß. Dann blickte ich wieder ernst. "Was?"

"Erstens? Ist Marco wieder schwanger?"

"Ist das dein fucking ernst?"

"War ein Scherz. Ist May wieder schwanger?"

Ich nickte. "Ja, meine Mom ist schwanger."

"Zweitens, wie geht's ihr?"

"Gut."

"Sie wurde angeschossen?"

"Psst, nicht so laut, vielleicht?"

"Die wissen es eh alle, dass deine Mutter von einem Unbekannten Mann angeschossen wurde. Oder Frau. Oder was auch immer", warf Pia ein.

"Hm", meinte ich und Pia ließ uns alleine, da Solin nach ihr rief.

"Wenn die nur wüssten", meinte Nico.

"Wenn die nur gar nichts wüssten. Absolut rein gar nichts. Und das bleibt auch so."

"Ist ja gut, big brother."

"Wieder ein nerviges kleines Etwas."

"Ja, die Hoffnung liegt eben bei May und Marco, dass Oma und Opa mit Babys gefüttert werden", sagte Nico. "Die Gebärmutter von meiner Mom ist wie Alcatraz geschützt."

"Nico?"

"Hm?"

"Du sagst es niemanden. Nicht Yvonne. Nicht deinem Papa. Niemanden. So wie ich Papsch kenne, macht er wieder ein großes Ding draus."

"Er ist'n Reus. Was willste erwarten", meinte Nico grinsend.

"Haben wir noch so einen Reus in der Klasse?", hörte ich die Tegtmeyer abfällig sagen.

"Binner. Ich heiße Binner mit Nachnamen!", stellte Nico klar und ging zur Tür. Dabei schaute er die Tegtmeyer gereizt an und knallte dann die Tür zu.

"Kommen wir gleich zu den Hausaufgaben", sagte die Olle und knallte ihrer Tasche auf den Lehrertisch.

Jesus. Das können ja wieder zwei Stunden Vergnügen mit Zahlen und Formen und Warzen werden. Ich hatte jetzt schon Lust und kotzte natürlich wieder im Strahl.

    In der großen Pause rief ich erstmal meinen Vater an. Hoffentlich ging er auch ran, wenn er sah, dass ich ihn anrief. Vor allen Dingen, da wir seit dem Streit im Krankenhaus nicht viel mit einander geredet haben. Das nötigste eben.

"Moin", sagte ich.
"Hi", entgegnete Papsch. "Was willst du auf deinem Schulbrot?"
"Salami und Gurke."
"Gut."
"Hm."

Das war's dann gewesen. Mina hatte er dann wieder zur Schule gefahren. Ich musste mit dem Bus fahren. Okay. Ehrlich. Ich hatte keine Lust, dass es so mit meinem Vater weiter geht. Immer diese bescheuerten Zickerrein zwischen uns beide, die dazu manchmal absolut keinen Sinn ergeben. Wir mussten dran arbeiten. Aber wie wir dran arbeiten mussten. Vielleicht mach ich ja auch den ersten Schritt.

Ein Vater Sohn Tripp am Wochenende wäre doch mal ganz gut.

Aber wann?

Papsch war Trainer beim BVB, er hatte am Wochenende immer Spiele, täglich Training. Das ist auch schon wieder so ein Mist. Wir hatten es noch warm draußen, ziemlich warm, ein Campingausflug wäre cool. Das hatte ich noch nie mit Papsch gemacht.

Natürlich ging mein Vater mal wieder nicht an sein Handy, was mich auch gar nicht verwunderte. Das war nichts Neues.
Entweder hat er das Ding zu Hause liegen lassen, oder auf lautlos, oder er hat echt gesehen, dass ich angerufen habe. Jesus.

Mama ging auch nicht ran, weshalb ich Mina aufsuchte. Diese saß auf ihrem Platz - auf dieser einen Bank - und war wieder ganz alleine. Sie spielte an ihrem Handy herum und hatte wieder die Kopfhörer in den Ohren, damit sie ja keiner ansprach. Erschrocken blickte Mina auf, als ich mich neben sie auf die Bank schmiss.

Ich zog ihr mit einem Ruck die Kopfhörer aus den Ohren und meinte: "Das war ein Scherz?"

"Was?", stellte sie die Gegenfrage und blinzelte verwirrt.

"Der Strampler?"

"Nee, das ist kein Scherz", sagte Mina und wollte sich wieder die Kopfhörer in die Ohren stecken, aber ich drückte ihre Hand runter. Mina blickte zu mir. "Das ist echt kein Scherz, Kane. Mama ist schwanger. Ich hab das Foto von dem Böhnchen gesehen."

"Ach du liebes Lieschen", sagte ich und ließ meinem Kopf hängen. "Weißt du was das heißt?"

"Das du so pubertär bist, dass du dich selbst darüber nicht freust? Wie kannst du nur? Wir haben uns doch noch immer ein Geschwisterchen gewünscht und nun ist es auf den Weg."

"Früher, Minchen, früher", sagte ich grummelnd. "Mama und Papa sind alt."

"Mama und Papa werden beide 40 sein, wenn das Baby kommt. Das ist nicht alt. Guck dir die anderen Eltern an, die Kinder haben. Die sind entweder zu jung oder 50, oder 60. Du bist ein Idiot, dass du dich darüber nicht freuen tust", motzte Mina herum und schnappte sich ihre Sachen. "Idiot!"

Verdutzt blieb ich zurück und musste erst mal darauf klar kommen, dass Mina einen kleinen Ausraster hatte. Das war neu. Da hoffe ich mal, dass Mina nicht schon jetzt in die Pubertät kommt. Wieso ich mir deswegen Sorgen machte?

Ich war ja schon schlimm drauf. Wie würde dann Mina erst werden? Schlimmer? Extrem schlimmer? Hyposaurusrexpropellerschwanz-Schlimmer?

"Was? Dein Vadder hat dein Muddah Baby gegeben?", fragte Cun mich - Cun Gündogan, meine Freunde. Richtig Ilkays Sohnemann. Zehn Jahre alt und macht schon einen auf Ali, dass es mir irgendwie weh tat. Keine Ahnung wieso. Ich bekam immer ein schmerzliches ziehen in meiner geballten Faust.

"Kannst du dich nicht artikuliert aussprechen?", fragte ich und verdrehte die Augen.

"Wat? Wat is das? Kann man das Essen? Ist das was deutsches zum Essen?"

"Gott. Cun!"

"Allah, Kane, was ist nun", meinte er. "Ist deine Mam schwanger?"

"Woher weißt du das?"

"Nico. Der erzählt es über all herum", meinte Cun und fuhr sich durchs schwarze Haar.

Ich atmete tief durch. "Ach, joah."

"Joah, was? Ist dein Mutter jetzt schwanger?"

"Nein, mein Vater."

"Hä, wie geht das?"

"Geh wieder rüber zur Grundschule und pass' mal zur Abwechslung im Unterricht auf."

"Ich bin gut", meinte Cun nur.

"Aber natürlich bist du das. Aber natürlich."

~ May's Sicht ~

Nachdem ich die Küche aufgeräumt hatte und Marco währenddessen mit einem Anwalt oder einer Anwältin telefonierte, saß ich angezogen im Wohnzimmer und zappte durch die Fernsehkanäle. Nichts interessantes.
Oh Hey. Die 13 Staffel Navy CIS und es war die letzte Folge. Und die letzte Folge der 13. Staffel bedeutete, dass Tony DiNozzo, gespielt von Michael Weatherly ausstieg. Jesus.

Das war Mai 2016 gewesen, als die letzte Folge mit ihm über den Fernseher geflimmert war. Ich kam darauf immer noch nicht klar. Es war Tony gewesen. Tony. Und wegen Tony habe ich die Serie erst geguckt. Ich will hier nicht Spoilern, wie er die Serie verlässt. So eine bin ich nicht. Manchmal schon.

Auf jeden Fall, war Navy CIS ohne Tony nichts mehr. Das hatte ich mir schon bei dem Abgang von Ziva gedacht. Ich wollte die Serie nicht mehr weiter gucken, hab es dann trotzdem.

Wie auch immer, irgendwann kam dann auch mein Ehemann wieder, der fertig mit dem Gespräch war.

"Rosen versucht hier heute noch aufzutauchen", bemerkte Marco und schmiss sich neben mich auf die Couch. Er blickte zum Bildschirm und seufzte. "Tooony", meinte er.

"Ja, ich vermisse den auch", sagte ich und schaltete den Fernseher aus. "Was hat Rosen gesagt?"

"Das sie heute Nachmittag hier aufschlägt und wir alles weitere besprechen wollen."

"Rosen ist eine Anwältin? Eine sie?"

"Die ist lesbisch. Frag Auba. Sie hat ihn immer wieder abblitzen lassen."

"Na gut", sagte ich trotzig. "Ich hab immer noch Hunger."

"Ich denke, eher wieder Hunger, nachdem du alles ausgekotzt hast", verbesserte Marco mich. "Nimmst du die Tabletten gegen die Übelkeit denn nicht?", fragte er besorgt nach und schon bildeten sich wieder die Sorgenfalten auf seiner Stirn.

"Das bringt doch nichts. Die helfen eh nicht", sagte ich und kuschelte mich an meinem Ehemann heran.

"Nur noch drei Monate", seufzte Marco.

"Was ist da?"

"Unsere Kreuzfahrt?"

"Ach stimmt ja. Wie die Alten. Oma und Opa."

"Wir erreichen die vierzig, ich hab die schon erreicht. Wir müssen uns schon darauf vorbeireiten."

"Nee, eben nicht. Wir können noch reinhauen, solange wir nicht an Inkontinenz leiden."

"Das Kreuzfahrtschiff, landet doch an ein paar Stellen, da können wir Sachen machen, die man halt macht, wenn man vierzig ist. Und nicht siebzig."

"Ich hoffe die drehen uns keine Rheumadecken an."

"Wir sind auf keiner Kaffeefahrt, May. Da sind mit Sicherheit auch noch andere junge Paare, Familien. Wir haben übrigens die Präsidenten Suite."

"Eine einfache Kajüte hätte auch gereicht."

"Wenn du da mit dem Bauch durch die Tür passt. Bitte, ich buche um."

"Vergiss es", lachte ich und zog Marco zurück auf die Couch. Er lachte ebenfalls. "Was machen wir, wenn es für unseren Sohn nach hinten los geht? Die Verhandlung? Und er dann eingebuchtet wird?"

"Gehen wir mal nicht vom schlimmsten aus. Aber wenn er doch in den Jugendarrest muss-"

"Haben meine Eltern nur ein Kind, auf das sie aufpassen- aua!"

Wieder ein Klaps in die Magengrube. "Pass auf was du sagst. Ich hoffe, dass Rosen Kane da raus boxt. Ich verstehe es nicht. Nico, Curtys und Solida-"

"Solin."

"BH wie Unterhose", meinte ich. "Ich dachte die waren bei dem Eichelsack-" Marco grunzte vor Lachen. "Vergiss es!", sagte ich und stand auf. "Das du nicht mal ernst bleiben kannst. Es geht hier um die Zukunft unseres Sohnes. Ich will nicht, dass er eingebuchtet wird!"

"May!", rief mir Marco hinter her, als ich das Wohnzimmer verließ. Ich wollte mir die Schlüssel meines Camaros schnappen, aber da war ja was. Scheiße.

Ich schmiss meine Handtasche zurück auf die Treppe und hielt mir den Oberschenkel.

"Zu hastige Bewegungen sollst du vermeiden. Außerdem sollst du dein Bein hoch gelegen. Und da gehst du jetzt auch hin, ins Bett", sagte Marco und kam in den Flur. Noch bevor ich irgendwie reagieren konnte, hatte er mich über die Schulter geworfen und nach oben getragen. Im Schlafzimmer schmiss er mich auf das Bett und zog mir meine Nikes aus. Dann schmiss er die Decke über mich.

"Liegen bleiben. Ausruhen", motzte er herum. "Die nehme ich mit", sagte er und schnappte sich die Krücken.

"Wie soll ich aufs Klo?"

"Du rufst mich", sagte er und knallte die Tür hinter sich zu.

"Hmpf", machte ich nur und kuschelte mich im Bett ein. Wenn er meint, dass er mich hin und her schleppen will. Dann bitte. Dann kann er das haben. Dann fang ich mal mit dem May-Terror an.

         "Hi, Mom", sagte Mina und kam ins Schlafzimmer gestürmt. Sie wollte auf das Bett springen und somit auf meine Beine, aber sie hielt inne.

"Was bist du denn jetzt erst da?", wollte ich wissen und blickte auf die Uhr. Es war sechzehn Uhr. Um eins hatte Mina Feierabend.

"Ich war noch in der Stadt", sagte Mina und drückte mir einen Kuss auf die Wange.

"Was hast du da gemacht?", wollte ich wissen.

"Ich hab mir ein Buch gekauft. Oder zwei."

"Oder zwei?"

"Na gut. Drei", sagte Mina und zog mir die Decke weg. Verblüfft schaute ich Mina an, die mein T-Shirt hochzog und auf meinem Bauch starrte.

"Versuchst du, das Böhnchen jetzt schon zu manipulieren, damit es nach deiner Nase pfeift und nicht nach Kane's?"

Mina blickte zu mir. "Nein", meinte sie. "Man kann ja schon was sehen! Du hast einen Bauch!"

"Mama war heute nicht auf den Klo gewesen und hat das gegessene ausgeschieden", sagte ich trocken.

"Boah. Mama!", rief Mina empört.

"Ist dein Bruder schon da?", wollte ich wissen.

"Ja", meinte Mina und sprang vom Bett. "Ich muss dir die Bücher zeigen, die ich mir gekauft habe. Warte hier."

"Als ob ich aufstehen kann!", sagte ich. "Marco!", brüllte ich.

"Was!?", brüllte er von unten zurück. "Was willst du Nervensäge jetzt schon wieder?"

"Mach mir Schokoflammeri!!"

"Ein bitte was!?"

"Schokoflammeri!"

"Ach! Was ist das!?"

"Etwas um meinen Hunger zu stillen!"

"Was! Ist! Das!"

"Google es!"

"Ich muss adoptiert sein!", hörte ich Kane brüllen. "Andere Erklärungen gibt es nicht!"

"Freundchen!", brüllten Marco und ich gleichzeitig.

"Hier Mama!", kreischte Mina und kam mit einer Tüte von Thalia ins Zimmer gestürmt. Sie blieb vor dem Bett stehen und wühlte in der Tüte rum.

"Für uns", sagte sie und reichte mir ein rosa und himmelblaues Buch.

Ich las mir den Titel durch. "Babynamen- Mädchen und Jungen", grinsend blickte ich zu Mina.

"Für Kane", sagte Mina und reichte mir ein weiteres Buch. Es war ein gelbes Buch.

Wieder lachte ich auf. "Großer Bruder sein für Dummies!"

"Hab mir auch eins geholt", sagte Mina und griff wieder in die Tüte.

"Lass mich raten. Große Schwester sein für Dummies?"

"Nee", sagte sie und gab mir das Buch.

Wieder einmal lachte ich laut auf. "Große Schwester sein für Nerds."

"Ist halt nur so wie es ist", grinste Mina zuckersüß. Dann blickte sie wieder ernst. "Mama, Kane hat sich gar nicht wirklich gefreut."

Autsch. Okay. Es war mir auch nicht anders klar. Ich hatte schon eine Ahnung, dass Kane das nicht gerade gut fand. Aber was soll's. Damit muss er jetzt leben. Er wird eh nächstes Jahr 18, dann kann er sich gekonnt verpieseln. Der sollte nicht auf ewig bei Marco und mir leben. 20 ist dann wirklich die Schmerzgrenze.

"Lass ihn", sagte ich und verzog keine Miene. "Er wird dich bestimmt noch freuen. Irgendwann wird das Böhnchen sein Herz erobern. So wie es das bei mir gemacht hat."

"Bei mir auch!", rief Mina. "Papa auch, ne?"

"Klar, er hat das Böhnchen zu 50 Prozent hergestellt."

Mina horchte auf. "Du. Ich glaube es hat geklingelt."

"May!", rief Marco nach mir. "Rosen ist da!"

"Hast du eine Ahnung wo meine Krücken sind?", fragte ich Mina.

"Unten. Ich hole sie", sagte Mina.

"Nee, lass das mal den Papa machen," sagte Marco und kam ins Zimmer geflitzt. Er fing an zu lachen, als er die Bücher in die Finger bekam. "Die Bücher für die Namen brauchen wir gar nicht. Ich habe schon welche parat."

"Das klären wir später", sagte ich, während Mina alle Bücher in die Tüte steckte. Marco hob mich mit einem Ruck hoch.

"Da gibt es rein gar nichts zu klären. Meine Entscheidung jetzt. Bei Kane und Mina durfte ich kein bisschen entscheiden. Nur die Mama", motzte Marco herum.

"Du wolltest Kane eigentlich Luke nennen und wieso?", stieg ich in die Diskussion mit ein.

Marco machte wieder einen auf Darth Vader: "Luke ich bin dein Vater."

Mina lachte leise, während Marco mich die Treppen runter trug. "Weißt du wie er dich nennen wollte?"

"Nee."

"Ariel. Ariel! Nur wegen so einer bescheuerten Wette mit Moritz. Und Noah hätte fast Cro als Namen abbekommen. Dann will ich beim besten Willen gar nicht wissen, womit dein Vater jetzt wieder ankommt!"

"Du motzt echt viel herum, seit du schwanger bist", meinte Mina nur.

Marco lachte gewinnerisch. "Oh, Mina. Wir sind erst am Anfang der Schwangerschaft."

"Mama, nicht wir."

"Du, ist Mama schwanger bin ich auch schwanger", sagte Marco. "Ich habe in der Schwangerschaft wo May mit dir schwanger war 6 Kilo Fett zugelegt. Fett. Keine Muskeln- Fett. Ich habe mehr gegessen als Mama. Die hat es ja wieder ausgekotzt. Ich nicht. Und Stimmungsschwankungen habe ich gehabt. Das glaubst du gar nicht."

"Auch schlimmer als Mama."

"Du, geh auf YouTube und gib Marco Reus 'Heulkrampf' ein. Der hat beim Derby auf Schalke in der 69 Minute einfach angefangen zu weinen. Thomas musste den raus nehmen. Dann hat dein Vater die ganze Kabine zusammen geflennt und die neue Praktikantin angemacht, sie solle einen Laster Schokolade holen. Einen Laster. Damit nicht genug."

Da Marco mich ja um die Schulter geworfen hatte, kniff er mir in den Hintern. Mich ließ das trocken.

"Was noch?", fragte Mina neugierig nach.

"Als die Praktikantin nur mit zwei Snikers-Riegeln, den kleinen wohlgemerkt, wieder kam, ist dein Vater zur Furie geworden und hat sie mit allem beworfen, was er in die Finger bekam. Duschgel, Handys, Klamotten, sogar seine Schuhe, hat er der Frau durchs Gesicht gezogen-"

"Übertreib!", rief Marco. Dann sprach er ruhig weiter. "Die Stollen haben ihre Schläfe touchiert. Das war nichts."

"Ihr lügt!"

"Nee. War wirklich so", redete Marco weiter. "Ich habe mir sogar mein Trikot von Leib gerissen und es ihr ins Gesicht geklatscht."

Ich fing an zu lachen.

"Riech an meinem Schweiß. Riech an meinem Schweiß!", brüllte Marco.

"Zur Hölle. Nein", meinte Mina.

"Weißt du wieso dein Papa so ausgerastet ist?"

"Nee."

"Höwedes, wollte bei Mats im Getränk irgendwelches Zeug mischen. Aber ich hab es abbekommen und davon getrunken. Deshalb."

"Ach du scheiße. Deshalb saß er im Knast?", rief Mina.

"Nur ein Jahr wegen Körperverletzung. Was ein Scherz alles erreichen kann, wenn es nach hinten los geht. Er dachte, dass sei Traubenzucker. War es aber nicht."

"Kane aus dem Zimmer", meinte Marco, als wir im ersten Stockwerk ankamen. Hatte das wirklich so lange gedauert. Ja. Hatte es. Da wir zig mal stehen geblieben waren.

Kane trottete aus dem Zimmer und blickte uns an.

"Ja."

"Eine Anwältin ist unten. Hab ich dir ja bereits erklärt wieso", meinte Marco nur.

Kane nickte und blickte zu mir. "Wieso trägt Papa dich."

"Trizeps und Bizeps!", rief Marco nur.

Ich lachte leicht. "Liegt nicht an der Schusswunde an meinem Bein", sagte ich ironisch. "Komm nach unten. Rosen wartet nicht die ganze Zeit."

Unten im Wohnzimmer saß bereits die Anwältin.

Heilige Mutter Gottes. Und die soll lesbisch sein? Die sah mir vollkommen Herero aus. Es gab hübschere Frauen. Aber sie war hübsch. Vermutlich würde sie zu den noch hübscheren Frauen gehören, wenn sie ihr Gesicht nicht so mit Schminke vollgleistern würde.

"May Reus, Ehefrau von dem da", sagte ich und hatte plötzlich das Verlangen mein Revier zu verteidigen. Vor allen Dingen meinem Mann. Ich hielt ihr die Hand hin und sie nahm meine entgegen.

"Ricarda Rosen, Anwältin von dem da", sagte sie, zeigte auf Marco und schüttelte kurz meine Hand. Mein Mann umarmte die Rosen zur Begrüßung.

Argwöhnisch beobachtete ich die Blondine und setzte mich ihr gegenüber. Marco neben mir. Mina schmiss sich zu Kane auf die Couch.

"Kane, setzt du dich bitte mit an dem Tisch", bat ich, während Marco wieder dabei war, Kane mit seinem Ignoranten und grimmigen Blick zu strafen. Meine Jungs waren solche Dramaqueens, Herrgott, nochmal.

"Muss ich?", wollte Kane wissen.

Marco schlug mit der Faust auf den Tisch. "Ja, zum Teufel, du musst. Es geht hier schließlich um deine Zukunft!"

Ich legte eine Hand auf Marco's Oberschenkel, damit er sich beruhigte. Dieser atmete tief durch und starrte nur noch den Tisch an.

"Kane", grummelte ich streng.

Kane machte die Tastensperre in seinem Handy rein und stand von der Couch auf. Genervt setzte er sich an die Spitze des Tisches. Zwischen Rosen und mir.

"Ja, was soll ich jetzt hier?", wollte mein Sohn genervt wissen.

"Reiß. Dich. Zusammen", zischte Marco in Kane's Richtung.

"Erstmal, will ich den Brief sehen", meinte Rosen. "Dann stell ich dir ein paar Fragen, Kane."

"Whatevs", murrte Kane nur.

Marco neben mir spannte sich total an und ich griff nach seiner Hand, auf der Hoffnung er würde sich beruhigen. Doch nichts da. Er starrte Kane weiter sauer an und verkrampfte sich noch mehr.

"Mina magst du nicht Frau Rosen Fragen, ob Sie was zum trinken möchte?"

"Möchten Sie was trinken?", fragte Mina und sprang von der Couch. Wenigstens ein Kind das auf einem hörte.

"Einen Kaffee. Schwarz."

"Mach ich", sagte Mina und flitzte in die Küche.

"Ich hole den Brief von der Staatsanwaltschaft", sagte ich und ließ Marco's Hand los.

Er blickte mich kurz an, als ich das Wohnzimmer verließ. Dann starte er wieder auf den Tisch vor sich.

"Hier", ich reichte Rosen den Brief und sie nahm den dankend entgegen.

"Okay. Die Verhandlung ist in zwei Monaten. Dann würde ich gerne mal deine Version hören", sagte Rosen zu Kane.

Knurrend riss ich ihm das Handy aus der Hand und schmiss es auf die Couch.

"Ich muss mich für dieses pubertäre Verhältnis meines Sohnes entschuldigen."

"Marco hat mich bereits vorgewarnt, dass es mit Kane nicht gerade einfach wird."

Wenn doch nur ein Wunder geschehen würde.

Gleichzeitig mit dem Gedanken die mir wegen dem Wunder durch meinen Kopf schwirrten, klingelte es an der Tür.

Marco und ich tauschten einen Blick aus.

"Erwartest du jemanden?", fragten wir uns gleichzeitig.

"Nee", meinte er dann.

"Ich auch nicht."

"Ich geh schon!", rief Mina und lief zur Tür, bevor ich mich auf den Weg machen konnte.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top