Szene VI
Grinsend rutsche ich an meinen Bruder näher heran. Konzentriert stellt er jede Legofigur, die er hat, nebeneinander – und das sind nicht gerade wenige. Nachdem ich den passenden Winkel gefunden habe, schieße ich mit meiner digitalen Spiegelreflexkamera ein Foto. Bevor ich das nächste aufnehme, blicke ich auf das Display hinab. Selbst die kleinsten Locken auf Jimmys Kopf kann man deutlich erkennen.
Obwohl ich die Canon EOS 6D schon fast zwei Jahre besitze, nehme ich das schwarze Gehäuse immer noch voller Stolz in die Hand. Beinahe drei Monatsgehälter sind für sie draufgegangen. Dafür ist sie aber mit ihren 20,2 Megapixeln für Portraits perfekt geeignet. Es beruhigt mich Bilder von anderen Personen zu schießen. Zu wissen, dass der Moment der Freude, der Anspannung oder der Gelassenheit auf einer kleinen Speicherkarte festgehalten wurde, hilft mir dabei, den Augenblick vorüberziehen zu lassen.
"Lu, kannst du meine Ninjas fotografieren?", hält mir der kleine Junge eine Legofigur entgegen. "Nichts lieber als das", hebe ich lächelnd die Kamera vor mein Gesicht. Sein Umriss ist verschwommen, während ich das Spielzeug fokussiere. Doch nachdem ich davon einige Bilder geschossen habe, lege ich den Fokus auf das breite Lächeln meines Bruders. Ich weiß nicht, wie Jimmy es anstellt, aber sobald ich ihn ansehe, bin ich mit meinem Leben unglaublich zufrieden.
"Du spielst Nya, okay?", drückt mir der Braunhaarige eine weibliche Figur in einem schwarzen Samurai-Anzug in die Hand. "Klar", schmunzle ich, da Nya die jüngere Schwester von Kai verkörpert und Kai sein liebster Charakter ist. Als Jimmy einmal so müde war, dass er so viel wirres Zeug, wie ein Betrunkener, geredet hat, verriet er mir, dass er gerne ein großer Bruder wäre. Doch ich musste ihm Wohl oder Übel die Illusion, dass dieser Wunsch in Erfüllung geht, nehmen.
"Aber du musst jetzt kommen und das Team retten", betont mein Bruder das Wort 'jetzt' deutlich, nachdem ich Nya fahrlässiger Weise ausschlafen lassen habe. Frustriert wirft er seinen Kopf in den Nacken. Es ist erstaunlich, wie schnell man den Winzling aus der Fassung bringen kann. "Ja, Moment", nicke ich ihm beruhigend zu, "sie ist doch schon unterwegs." Ein Gähnen nachmachend nehme ich die kleine Legofigur aus dem selbstgebauten Bett und stelle sie neben die anderen Ninjas.
"Nein", seufzt Jimmy, "Nya kann nicht einfach nur auf die Feinde zugehen. Sie ist wie ein Wirbelsturm. Schwing ihr Schwert und lass sie sich im Kreis drehen." Mit schiefgelegtem Kopf betrachte ich den Braunhaarigen und überlege, ob er das gerade wirklich ernst gemeint hat. "Na los", fordert mich mein Bruder auf, während er mich mit großen Augen ansieht. Um keinen Streit anzuzetteln, lasse ich Nya zu einem Wirbelsturm werden.
"Es war mir eine Freude euch zu helfen?", wiederholt der Junge neben mir meinen Satz. Ungläubig schüttelt er seinen Kopf. "So etwas würde sie nie im Leben sagen!", brüllt mir Jimmy schon regelrecht entgegen. "Jimmy", versuche ich ihn zu beruhigen. "Nein", wirft mein Bruder seine Legofiguren um, "du bist einfach zu blöd, um Ninjago nachzuspielen." Auch wenn ich weiß, dass er diese Aussage nur getätigt hat, weil er wütend ist, habe ich keine Lust auf diesen Mist.
"Du hast mich gefragt, ob ich mit dir spiele. Ich wollte dir nur einen Gefallen tun, indem ich hier bleibe. Aber wenn du glaubst, dass du Nya besser spielen kannst, dann kannst du jetzt alleine weitermachen. Wenn du dich beruhigt hast, kannst du gerne wieder mit mir reden. Doch bis dahin ist mein Zimmer tabu für dich", greife ich nach meiner Kamera und stehe von dem Spielzeugteppich auf. Ich weiß nicht, ob es das Richtige ist, aber nach solchen Ausbrüchen lasse ich ihn meistens alleine weiterspielen.
Obwohl ich vorhatte, in mein Zimmer zu gehen, schlage ich den Weg in Richtung Küche ein. Der Geruch von Tomatensoße zieht mir in die Nase und erinnert mich daran, dass ich schon etwas länger Hunger habe. "Mimi, was ist los?", legt meine Mutter sofort ihren Kopf schief, als ich mich auf einen der Küchenstühle fallen lasse. Ehrlich gesagt habe ich keine Ahnung, wie sie damals auf diesen Spitznamen gekommen ist. Aber wenn wir alleine sind, nennt sie mich eigentlich immer so.
"Nichts", behaupte ich zuerst. "Jimmy ist schon wieder ausgerastet", seufze ich schließlich, während ich an der Ecke des grauen Tischläufers herumspiele. "Er meint es nicht so", dreht sich meine Mutter mit einem Messer, mit dem sie die Hähnchenbrust klein schneidet, zu mir um. Es wirkt durchaus bedrohlich. "Aber Mom", setze ich an ihr zu widersprechen, "gerade wenn er es nicht so meint, sollte er nicht so ausrasten. Ich habe meine Spielsachen früher schließlich auch nicht durch mein Zimmer geworfen."
"Oh, du warst damals eine richtige Ziege", lacht meine Mutter auf, "an Tagen, an denen du schlecht gelaunt warst, hatten es deine Grundschulfreundinnen auch nicht gerade leicht. Ein Wunder, dass Milena immer noch mit dir gespielt hat, nachdem du ihrer Puppe die Haare ausgerissen hast." Während ich mich an diesen Tag zurückerinnere, stehe ich auf und hole schon einmal das Besteck aus der Schublade. Milena war wirklich eine gute Freundin. Doch als ich auf die Senior High School gewechselt bin, ist sie mit ihrer Familie nach Nordamerika umgezogen.
"Dein Dad hat sich danach drei Tage lang vor dir versteckt", führt meine Mutter ihre Erzählung weiter aus. "Jetzt übertreibst du aber", sehe ich sie meine Augen verdrehend an. Ordentlich verteile ich das Besteck auf die vier Plätze, auf denen wir immer unsere Mahlzeiten einnehmen. "Tue ich nicht", ruft die braunhaarige Frau über den Lärm der Dunstabzugshaube, die sie soeben angeschaltet hat, hinweg, "gut, vielleicht war es nur ein Tag. Aber dein Dad hat sich trotzdem versteckt."
Lachend schüttle ich meinen Kopf. Vielleicht war ich als Kind doch nicht so unschuldig, wie ich es mir immer einbilde. Nachdem ich auch noch die Teller und Gläser auf den Tisch gestellt habe, setze ich mich wieder auf meinen Stuhl. "Lu?", ertönt leise die Stimme meines Bruders. Als ich mich umdrehe, erblicke ich Jimmy, der mit einer betrübten Miene am Türrahmen steht. "Komm her", lächle ich ihn leicht an, während ich ihn zu mir winke.
"Du bist ein großartiger Ninja", schielt der kleine Junge mit gesenktem Kopf zu mir hinauf. "Das weiß ich", behaupte ich schmunzelnd, bevor ich meinen Bruder auf meinen Schoß hebe. Sanft streiche ich ihm einige Locken aus seiner Stirn. Zwar entschuldigt sich Jimmy nicht direkt für seinen Ausbruch, aber dass er sich an mich kuschelt, reicht mir vollkommen aus. "Oliver!", ruft meine Mutter nach meinem Dad, damit er aus seinem Arbeitszimmer zum Essen kommt.
Nachdem sie uns Zwei einen Augenblick lächelnd betrachtet hat, stellt sie die große Pfanne, in der die Hähnchenstreifen mit der Tomatensoße und den Nudeln vermengt sind, in die Mitte des Tisches. "Jimmy, setz dich für das Essen aber bitte auf deinen Stuhl", scheucht meine Mutter den Braunhaarigen von meinem Schoß. Als er neben mir Platz genommen und mein Vater den Raum betreten hat, fangen wir gemeinsam mit dem Abendessen an.
#####
Gibt es eigentlich irgendetwas, das ihr über mich in Erfahrung bringen wollt oder reicht es euch aus, zu wissen, dass ich die Komische bin, die 'Meant To Be' geschrieben hat?😂 (Eventuell fürchte ich, dass ich mich in den kommenden Stunden langweilen werde.)
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top