Szene V

„Du stehst auf diesen Typen, nicht wahr?", setzt sich der Junge unerwartet einige Plätze näher an mich heran. „Auf wen soll ich stehen?", erkundige ich mich wirklich überrumpelt. „Na, auf Hugh Grant. Es ist schon der zweite Film, in dem er mitspielt, in diesem Monat", legt der Unbekannte seine Füße auf einen Sitz in der Reihe vor uns, während er seine Qualitäten als Stalker offenbart.

"Ach, du meinst Kansas City Little Big Mickey Blue Eyes", spiele ich auf den Film, der vor einigen Minuten noch auf der Leinwand lief, an. "Ja genau, aber nicht den Originalen", steigt der Junge überraschenderweise in das Spiel mit ein. Grinsend versuche ich herauszufinden, ob sich ebenfalls ein Lächeln auf seinen Lippen gebildet hat. Doch die Dunkelheit ist dabei nicht gerade behilflich.

"Also stehst du auf ihn?", hakt mein Gesprächspartner nach. Einen Moment halte ich inne, bevor ich zu einer Antwort ansetze. Heute erscheint mir der Typ ein wenig merkwürdig. "Nein", schüttle ich schließlich meinen Kopf, "ich stehe eher auf Jungen in meinem Alter." Es wäre doch recht komisch, wenn ich einem siebenundfünfzig Jährigen hinterherschmachten würde.

„Und wie alt bist du?", stellt er direkt die nächste Frage. „Einundzwanzig", atme ich tief durch, bevor ich ihm wirklich knapp antworte. „Am Arsch", verstehe ich nur die Hälfte seines Satzes. "Was?", kneife ich meine Augen zusammen. Eine dämliche Geste, da ich dadurch auch nicht besser hören kann.

„Welche Haarfarbe hast du?", fragt der Junge anstatt mir zu antworten. Verwirrt sehe ich in die Dunkelheit. „Ist es nicht üblicher nach meinem Namen zu fragen?", schmunzle ich leicht. „Welche Haarfarbe hast du?", wiederholt er, während er seinen Kopf schüttelt. „Grün", behaupte ich, da mir seine Fragen auf die Nerven gehen.

"Deine Haare sind nie im Leben grün", widerspricht er mir sofort. "Woher willst du das wissen?", strecke ich mein Kinn in die Höhe. "Weil man das Haarfärbemittel riechen würde", klingt seine Aussage mehr nach einer Frage. "Erzähl doch keinen Mist", werfe ich meine Arme in die Luft - drauf und dran aus dem Kinosaal zu verschwinden.

"Tut mir leid", meldet sich der Junge etwas kleinlaut zu Wort. "Okay, du verrätst mir deine Haarfarbe und ich dir meinen Namen", schlägt er dann vor. "Ich denke, das klingt nach einem fairen Deal", überlege ich, während ich meine Beine erst auf den Sitz und dann an meine Brust ziehe. "Sie sind orange. Zufrieden?", seufze ich schließlich. "Schon", nickt der Unbekannte.

Kritisch sehe ich ihn an und warte ab, ob noch etwas aus seinem Mund kommt. Oder, ob er meine Haare lediglich als 'schön' bezeichnet - wenn man die merkwürdige Betonung nicht beachtet. "Und wie heißt du?", fragt der Junge, nachdem es lange Zeit still war. "Willst du mich verarschen?", werfe ich erneut meine Hände in die Luft, " du hast mir nicht einmal deinen verraten."

"Natürlich habe ich das", wird er nun auch lauter. "Hast du nicht", widerspreche ich, wie ein kleines Kind. "Dann bist du wahrscheinlich taub", schüttelt er seinen Kopf, "ich habe schließlich eben gesagt, dass ich Shaun heiße." Peinlich berührt schlage ich mir eine Hand auf den Mund. Das Wort eben hieß weder 'schon', noch 'schön'. Es war sein Name.

"Shaun mit 'u'?", vergewissere ich mich, da mir diese Schreibweise am geläufigsten ist. "Ne, mit 'w'", klingt seine Stimme ein wenig pampig. "Okay, cool", versuche ich die Situation nicht eskalieren zu lassen. "Also Shawn mit 'w', freut mich dich kennenzulernen. Ich bin Luana", stelle ich mich dann vor.

Einundzwanzig Jahre Erziehung meiner Mutter können schließlich nicht umsonst gewesen sein. "Freut mich ebenfalls", brummt Shawn. Da er scheinbar selber merkt, dass er nicht gerade überzeugend klingt, beginnt der Junge zu lachen. Und ohne einen bestimmten Grund, stimme ich mit ein.

"Wie hast du das Kino gefunden?", erkundige ich mich, nachdem wir Beide einfach nur in die Dunkelheit gestarrt haben. "Durch einen Zufall", überlegt Shawn, "ich bin ausversehen in eine Vorstellung hineingeraten, als ich mich verstecken musste." Mit einer hochgezogenen Augenbraue sehe ich ihn von der Seite an. "Verstecken? Vor wem?"

"Vor Fa...", verschluckt er die letzten Buchstaben, bevor er weiterspricht. "Vor Freunden", nickt er schließlich. "Na, das müssen tolle Freunde sein, wenn du vor ihnen wegrennst", lache ich kurz auf. Dann verstumme ich, während ich seine rechte Gesichtshälfte mustere. Ich erkenne nicht wirklich viel. Doch ich glaube, dass er wirklich kantige Kieferknochen besitzt.

"Welche Farbe haben deine Haare?", murmle ich, da mein Kinn auf meinen Knien liegt und ich meinen Mund nicht ganz öffne. "Das ist einfach zu beantworten. Meine Haare sind braun", bekomme ich eine eigenartig Antwort. "Wieso sollte es auch schwierig sein?", runzle ich verwirrt meine Stirn. Ich frage mich, wieso sich der Junge vor mir so seltsam verhält.

"Naja, wenn du mich nach meiner Augenfarbe gefragt hättest, hätte ich sagen müssen, dass sie eigentlich braun sind, aber manchmal einfach grün werden", redet Shawn drauflos und vermittelt auf einmal überhaupt nicht mehr den Eindruck, dass er nicht viel von sich preisgeben möchte. "Das ist", suche ich nach einem passenden Wort. "Interessant", mache ich schließlich mit meinen Lippen ein Plopp-Geräusch.

"Weißt du zufällig, wie viel Uhr es ist?", erkundige ich mich, da ich mir nicht sicher bin, wie lange ich bereits mit dem Jungen über unwichtige Sachen diskutiere. Einen summenden Ton von sich gebend zieht er sein Handy aus der Hosentasche. "Zwanzig Uhr vierzehn", gibt er schließlich - meiner Meinung nach ein wenig erschrocken - von sich. Eigentlich will ich ihm danken, aber dazu komme ich nicht.

"Genug Fragen für heute", behauptet Shawn nämlich plötzlich, bevor er sich von seinem Stuhl erhebt. Mit offenem Mund blicke ich seine Silhouette an. Er war doch definitiv derjenige, der mich ausgefragt hat. Nach einer passenden Erwiderung suchend schließe und öffne ich meine Lippen ein paar Mal. "Du bist echt verrückt!", rufe ich ihm schließlich kopfschüttelnd hinterher. Doch darauf erhalte ich keine Antwort, da der Junge einfach durch die Tür verschwindet.

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Karten auf den Tisch: Wer versteht auch automatisch "Shawn", wenn die Eltern, Freunde oder irgendwelche Fremden das Wort 'schon' benutzen?😅

Ich hoffe übrigens, dass ich mich nun wieder auf dieses Buch konzentrieren kann, nachdem ich heute meine mündliche Prüfung hinter mich gebracht habe. Wann immer ihr einen Fremdsprachenkorrespondenten braucht, könnt ihr euch bei mir melden hahaha

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