Szene III
Da wir freitags erst um neun Uhr anfangen zu arbeiten, ist es schon relativ spät, als ich aus dem riesigen Gebäude, dessen Fassade zum größten Teil aus Glas besteht, trete. Gemächlich schiebe ich mein Fahrrad neben mir her, während ich darauf warte, dass Mascha ihre Gedanken sortiert bekommt. "Ah, jetzt habe ich es", tippt sich die Braunhaarige an ihre Stirn, "Samuel richtet morgen eine kleine Feier aus und du bist eingeladen."
"Da freut sich meine Tante sicherlich", lache ich laut. Durch einen Zufall sind sich Mascha und mein Cousin vor einigen Monaten über den Weg gelaufen, als er mich von der Arbeit abgeholt hat. Aus einem freundlichen ‚Hallo' wurde ein Date. Und aus einem Date wurde ein Zweites. Nun sind sie schon seit sageumwobenen acht Wochen zusammen. Ich finde es immer noch merkwürdig. Aber wenn die Beiden zufrieden sind, dann bin ich es auch.
"Wenn du mich abholst, dann komme ich mit", stelle ich die Bedingung, die ich eigentlich ständig verwende, auf. Obwohl ich schon seit zwei Jahren richtig arbeite, kann ich mir immer noch kein Auto leisten. Denn ich habe leider die Angewohnheit, das Geld, welches ich verdiene, ziemlich direkt wieder auszugeben. "Das war sowas von klar", schnippst mir Mascha gegen meine Schulter, "aber ein Platz in meinem Auto ist dir sicher."
"Vielen Dank", schmunzle ich, während wir vor einem kleinen Haus anhalten. "Die Verabredung war echt schön. Danke, dass du mich nach Hause gebracht hast", albert die Braunhaarige herum. Denn die jetzige Situation könnte den ein oder anderen an das Ende eines Dates erinnern. "Laber keinen Mist, sondern verkriech dich einfach in deinem Haus", lasse ich ein lautes Lachen verlauten.
"Luana!", stößt Mascha ein wenig empört aus, "kein Wunder, dass kein Junge es lange bei dir aushält." Jetzt bin ich diejenige, die empört aufschnauft. "So machst du dir auch keine Freunde", behaupte ich. Dabei weiß ich ganz genau, dass mein Leben mittlerweile ganz schön langweilig wäre, wenn ich Mascha nicht hätte.
"Wir sehen uns morgen", grinst das Mädchen kopfschüttelnd. "Bis morgen", umarme ich sie kurz. "Ach, und viel Spaß in dem komischen Kino", dreht sich meine Freundin noch einmal zurück, um mich aufzuziehen. "Werde ich haben", strecke ich ihr meinen Mittelfinger entgegen, damit sie merkt, dass mich ihre Meinung über dieses Kino nicht im Geringsten interessiert.
Der kühle Abendwind weht meine langen Haare direkt ins Gesicht, während ich durch die Seitenstraßen Torontos fahre. Auch wenn es anstrengend werden kann – je nachdem welche Strecke man fährt – genieße ich, dass ich meine Zielorte mit dem Fahrrad erreichen muss. Nachdem ich das rote Damenfahrrad an einen dünnen Baum angebunden habe, betrete ich das Kino.
Sofort schlagen mir die Wärme und der Duft nach frischem Popcorn entgegen. Lächelnd stütze ich mich auf dem Tresen, hinter dem der Kassierer steht, auf. "Guten Abend, Luana", begrüßt mich ein grauhaariger Mann. Ohne dass ich etwas sagen muss, schiebt er mir ein Ticket hinüber. Im gleichen Moment reiche ich ihm die drei Dollar, die er für das Programmkino haben möchte. "Danke, George", schlendere ich einige Meter weiter.
Dann halte ich vor einem Regal aus Plastik, dessen Schubladen über und über mit Gummibärchen gefüllt sind. Wenn ich mir bei jedem Besuch eine Tüte Popcorn kaufen würde, wäre es auf Dauer langweilig. Also variiere ich möglichst oft die Süßigkeiten. Die gefüllte Plastiktüte bezahle ich ebenfalls bei George, bevor ich sie zuknote. Denn ich will die Gummibärchen nicht schon vor Beginn des Films aufessen.
Ein wenig enttäuscht lasse ich mich auf meinem Stammplatz nieder. Ich hatte gehofft, dass der Junge von letzter Woche wieder auftaucht. Wahrscheinlich hatte er sich jedoch nur ausversehen hierher verirrt. Frustriert stopfe ich mir bereits während der Werbung einige Süßigkeiten in den Mund. Dabei weiß ich nicht einmal, weshalb genau ich so schlecht gelaunt bin.
Vollkommen selbstständig schweift mein Blick immer wieder nach links, um nachzusehen, ob sich noch jemand in meine Reihe gesetzt hat. Doch alles, was ich sehe, ist ein älteres Ehepaar in der vordersten Reihe. In dem Moment, in dem der orangene Schriftzug von 'Zurück in die Zukunft' erscheint, drehe ich mein Kopf ein letztes Mal nach links.
Seufzend will ich mich auf den Film konzentrieren, als ein Schatten in Reihe Fünf huscht. Selbst in der Dunkelheit kann ich die unfassbar langen Beine wiedererkennen. Als würde er mein Starren bemerken, wendet der Junge seinen Kopf in meine Richtung. Zwar kann ich es nicht mit Sicherheit sagen, aber ich meine, dass er mir zunickt.
Grinsend sehe ich erst ihn, dann die dreckigen Nike Schuhe von Marty McFly an. Durch die Kameraführung wird hinausgezögert, dass sein Gesicht gezeigt wird. Vielmehr liegt der Fokus auf seinen filigranen Fingern und der Wohnugseinrichtung vom Doc. Nachdem er eine Vielzahl an Knöpfen und Reglern angeschaltet hat, streicht er lediglich einmal über die Erlewine Chiquita Reisegitarre.
Lachend sehe ich dabei zu, wie Marty McFly im hohen Bogen durch das Zimmer fliegt, als der Verstärker explodiert. Zum ersten Mal wird das Gesicht des Schauspielers in Frontalaufnahme gefilmt. Michael J. Fox. Ein großartiger Schauspieler, der mittlerweile bereits älter als meine Eltern ist.
Um nicht zu spät in die Schule zu kommen hängt er sich auf seinem Skateboard an ein Auto, das ihn über die Straße zieht. Währenddessen ertönt das Lied 'Power Of Love' von Huey Lewis & the News, das im Verlauf des Filmes noch weitere Male gespielt werden wird. Grinsend fasse ich mir an meine Nase, als mir der Gedanke kommt, dass das Lied schon steinalt ist. Es wurde 1985 geschrieben. Im gleichen Jahr, in dem 'Zurück in die Zukunft' gedreht wurde.
Obwohl der Film seit einigen Minuten vorbei ist, bleibe ich noch sitzen. Aus dem Augenwinkel kann ich beobachten, wie sich der Junge aufrichtet. Scheinbar ist er während des Films immer tiefer in den Sitz gesunken. "Würdest du wissen wollen, wie deine Zukunft aussieht?", durchbricht er plötzlich die Stille. Überrascht wende ich direkt meinen ganzen Körper in seine Richtung.
"Ich weiß es nicht", überlege ich, "möglicherweise wäre es hilfreich in die Zukunft sehen zu können. Und vielleicht werde ich später einmal bereuen, dass solch eine Möglichkeit nicht existiert." Nervös streiche ich meine glatten Haare hinter meine Ohren. "Wieso denkst du, dass du es bereuen wirst?", räuspert sich der Unbekannte.
"Weil ich dann vielleicht merke, dass ich mehr aus meiner Zukunft hätte machen können", zucke ich mit meinen Schultern, während ich an Kindheitsträume, die definitiv nicht in Erfüllung gegangen sind, zurückdenke. "Und wenn deine Zukunft gar nicht so schlecht aussieht? Vielleicht wäre es dann nicht nützlich es vorher zu wissen."
"Wieso das?", runzle ich meine Stirn. "Na, vielleicht hast du hart gearbeitet, um deine spätere Zukunft zu erreichen. Und wenn du dich vorher darauf verlässt, dass genau diese Zukunft auch eintreten wird, lehnst du dich vielleicht viel zu früh zurück", erklärt der Junge. Einen Moment denke ich über seine Worte nach.
"Interessant", murmele ich, "so habe ich das noch nie gesehen. Also glaubst du, dass wir mit jeder Entscheidung unsere Zukunft verändern können und es keine Vorbestimmung gibt?" Ein leises Lachen ertönt einige Sitze von mir entfernt. "Wir können ganz alleine entscheiden für was wir bestimmt sind." Es fühlt sich an, als würde dieser Satz ewig in der Luft hängen. Und ehrlich gesagt, weiß ich nicht, was ich darauf antworten soll.
"Ich muss jetzt los", verabschiedet sich der Junge, nachdem er auf sein Handy gesehen hat, "an meiner Zukunft arbeiten." Lachend beobachte ich ihn dabei, wie er sich erhebt. "Ich hoffe du erreichst Großartiges", wünsche ich ihm viel Erfolg – für was auch immer. Wenige Minuten später mache ich mich dann auch auf den Weg nach Hause.
#####
Wir sind doch alle froh, dass sich Shawn Mendes nicht zu früh zurückgelehnt hat😉
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top