2. Kapitel - Ich Frag Mich Immer Wieder
Nachdem wir uns wieder aufgerafft hatten und den Koffer vollständig ausgeräumt hatten, beschlossen wir noch irgendwas zu unternehmen. Somit steigen wir nun wieder in mein Auto und fahren los. Für einen Mittwochmittag in den Sommerferien waren die Straßen ziemlich leer und somit ging ich anfangs noch etwas mehr aufs Gas als sonst. Um Jara zu beeindrucken? Nein! Okay vielleicht ein bisschen.
Wir fahren die ganze Zeit durch gefühlt ganz Berlin. Immer wieder schweift mein Blick von der Straße zu Jara. Ihre Augen ziehen mich Magisch an, sodass ich immer öfters zu ihr schaue und den Fuß vom Gas nehme.
Mit jedem Blick zu ihr kommen mir die Worte von Nils, meinem Kumpel, in den Sinn. Nils ist momentan für unseren Freerunning-Club in Tschechien und wir können uns nur telefonisch erreichen.
Er weiß, wie ich über Jara denke und was ich für sie fühle. Um genau zu sein wusste er das, bevor ich es wusste. Ich konnte dieses Gefühl, welches ich bei Jara spürte nicht zuordnen. Ich war vorher noch nie verliebt gewesen. Nils wusste genau, was ich da fühlte und half mir aus meinem Gefühlschaos.
Bei unserem letzten Telefonat, redete ich dauerhaft über Jara, sodass er auf die Lösung kam, dass ihr endlich sagen soll, was ich für sie fühle, doch in diesen Dingen war ich ziemlich zurückhaltend. Niemals würde ich es mir verzeihen, wenn ich Jara als gute Freundin verlieren würde, dass hielt und hält mich zurück Jara alles zu erzählen.
‚Irgendwann wirst du es bereuen, dass du deinen Mund nicht aufgemacht hast. Sag ihr es endlich eure Freundschaft wird dadurch nicht zerstört!' hallen mir seine Worte im Kopf nach. Besonders ‚eure Freundschaft wird dadurch nicht zerstört!' bleibt lange in meinen Gedanken.
„Hey! Alles gut bei dir Liam?", Jara ist es anscheinend aufgefallen, dass ich total in meinen Gedanken versunken war. Ein wenig überrumpelt bringe ich hervor: „Äh... klar. Alles gut! ... Wieso fragst du?". Jetzt blickt Jara mich nur noch verwirrter an. „Naja, du starrst verträumt auf die Straße, wirst immer langsamer und reagierst nicht auf meine Frage...", erklärt sie mir kurzerhand.
Oh Mist. Natürlich erkennt sie, dass ich gerade total in meinen Gedanken war. Es war ja nicht so, dass wir mitten auf der Straße fast stehen bleiben. Warte sie hatte eine Frage gestellt?
„Was hast du mich denn gefragt?", frage ich sie gebe wieder ein wenig mehr Gas. Jara lacht leicht. „Ich habe dich nur gefragt, was du jetzt die letzte Zeit so gemacht hast und wohin wir eigentlich fahren.", wiederholt sie ihre Frage.
„Ich habe nicht wirklich viel gemacht. War die ganze Zeit hier in Berlin und habe halt das übliche gemacht. Ein bisschen Parkour, ein bisschen was mit meiner Familie und dann habe ich noch einen neuen Song geschrieben.", erkläre ich alles in der Kurzfassung. „Wow du warst ja richtig produktiv in den letzten fünf Wochen, in denen ich nicht da war!", lacht sie nun noch mehr.
Nun muss auch ich lachen. Noch beim Lachen fällt mir auf, dass im Radio eins meiner Lieblingslieder von früher lief und schon schalte ich das Radio um einiges lauter. Auch Jara erkennt das Lied sofort. Erst jetzt fallt mir auf, was für einen Schwachsinn ich früher bei dem Lied gesungen habe.
Ich hatte immer gedacht, dass das Lied das fröhlichste Lied auf der Welt war, doch jetzt, wo ich den Text verstehe weiß ich, dass es das kitschigste Liebeslied war, was es gefühlt gibt.
Voll und ganz in das Lied versunken, ist es im Auto plötzlich ganz still. Man hört nur noch das Lied und den Motor. Auch Jara genießt das Lied, lehnt sich nach hinten und schließt ihre Augen.
Nun versinke auch ich wieder in Gedanken. Wann würde ich es wohl schaffen Jara meine Gefühle zu erklären? Heute? Bestimmt nicht! Wir hatten uns erst heute wieder getroffen und in meinen Gedanken blieb immer noch hängen, dass unser Wiedersehen, durch mein Geständnis schlecht enden könnte.
Aber wann sollte ich ihr es sonst sagen? Wenn nicht heute, dann würde ich es immer weiterschieben, bis dass am Ende mehrere Monate vergangen wären und das möchte ich auch nicht. Ich fühlte mich wie auf einem niemals endenden Weg, welcher zwar immer in das ungewisse führt, aber niemals endet. Es ist genauso, wie diese Autofahrt gerade, voller Gedanken, aber kein Ende ist in Sicht.
Der letzte Ton des Liedes verstummte und somit wachte ich wieder aus meinen Gedanken auf. Auch Jara, welche während dem Lied die Augen geschlossen hatte, öffnete diese wieder und schien wieder im hier und jetzt zu sein.
Im Augenwinkel sehe ich, wie Jara anfängt zu lächeln. „Das Lied ist so schön! Es weckt schöne Erinnerungen, findest du nicht?", fragt sie mich. „Ja ich weiß noch, wie wir das Lied früher zum ersten Mal gehört haben." - „Wir haben es auf dem Rückweg von deiner Geburtstagfeier gehört und sofort angefangen zu singen.", lachte Jara und führte die Geschichte weiter. „Ich bin mir echt nicht ganz sicher, ob in den Cocktails vielleicht doch Alkohol drinnen war, so wie wir die ganze Zeit nach dem Bowling drauf waren.", lachte nun auch ich, „Ich meine wir haben uns aus den Autofenstern gelehnt und jedem anderem Auto, beziehungsweise den Menschen in den Autos, zugewunken."
„Oh man, das würde ich mich jetzt im Leben nicht mehr trauen!", lachte Jara und hielt sich beschämt die Hände vor die Augen. „Das sich unsere Eltern nicht für uns geschämt haben.", lachte ich. „Aber es war es wert sich so verhalten, als hätte man zu viel getrunken. Diese Kindheitserinnerungen bleiben immer in unseren Köpfen!", erklärte Jara.
Da hatte Jara komplett Recht! Wieso dachten so viele Jugendliche darüber nach, wie viel sie später verdienen würden und wie viel Geld sie später haben möchten? Das Sprichwort „Geld macht nicht glücklich" hörte sich für mich plötzlich so anders an, als sonst. Ich sah es ganz anders als früher. Zeit ist Geld. Das machte mir dieser Augenblick deutlich.
Ein Handyklingeln weckte mich wieder einmal aus meinen Gedanken und machte mir deutlich, wie oft ich heute eigentlich schon in meinen Gedanken versunken bin. „Ist deins. Soll ich rangehen und auf laut machen?", fragte Jara knapp. „Wer ist es denn?", fragte ich, damit ich entscheiden konnte, ob ich rangehen soll.
Jara blickte auf den Bildschirm und sagte kurz darauf: „Deine Mutter." Mit einem Stöhnen machte ich Jara sofort deutlich, dass ich keine Lust hatte mit meiner Mutter zu telefonieren. „Jetzt mal im Ernst ich bin 20 mache momentan eine Lehre und lebe in einer WG mit meinen besten Freunden. Diese Kontrollanrufe nerven!", erkläre ich und wurde zugleich auch ein wenig wütend.
„Kann ich verstehen. Selbst meine Eltern haben mich nicht immer wieder angerufen, als ich mit Sinja, für drei Wochen in Zermatt war, während sie in Finnland waren.", meint Jara verständnisvoll. Nach nur einer Minute ruhe klingelte mein Handy erneut. „Im Ernst? Ich habe gerade keine Zeit!" Wieder drückte Jara den Anruf weg.
Nachdem meine Mutter noch zweimal und mein Vater noch dreimal in den nächsten zehn Minuten angerufen hatten und mein Handy Sturm geklingelt hat, bat ich Jara darum mein Handy stumm zu schalten, da ich sonst noch ausrasten würde und das während des Autofahrens wohl nicht so gut wäre.
„Irgendwie kann ich deine Eltern aber auch verstehen. Ich meine, sie möchten, doch nur, dass es dir gut geht. Immerhin bist du ihr Sohn und momentan allein in Berlin. Außerdem hat Nils auch nicht gerade die besten Hobbies.", sagt Jara. „Willst du damit sagen, dass Freerunning kein vernünftiger Sport ist?", frage ich ziemlich erstaunt, da Jara eigentlich genau weiß, wie sehr Nils und ich diesen Sport lieben und auch weiß, dass wir uns auch Geld mit all unseren Tricks verdienen.
„Nein das meine ich nicht. Ich meine sein anderes ‚Hobby'. Eltern sehen es nicht so gerne, wenn deren Kinder in Casinos gehen und Pokern, was das Zeug hält. Ich mein ja nur, es gab mal eine Zeit, in der Nils durch das Pokern pleite war und kurz davor stand auf der Straße leben zu müssen.", erklärt Jara. „Das war vor zwei Jahren! Er hat daraus gelernt und weiß genau, bis wann er Pokern darf und wann es zu knapp wird. Außerdem Poker ich ja nicht und das wissen meine Eltern auch."
„Klar du warst noch nie mit Nils im Casino und hast auch noch nie mitgepokert!", sagt Jara ziemlich sarkastisch. „Liam, ich war dabei! Unzwar nicht nur das eine Mal. Mit 18 warst du jedes zweite Mal mit Nils unterwegs, was heißt du warst jeden zweiten Tag im Casino.", lacht Jara. „Okay, okay... aber ich habe nie so sehr gepokert wie er und wusste auch immer, wann Schluss ist. Außerdem machen wir das jetzt auch nicht mehr.", gebe ich mich geschlagen.
Wir fuhren noch ewig weiter. Mehrere Stunden vergingen, in denen Jara und ich über Feldwege und durch die Stadt fuhren. Die Zeit verging so schnell, als wären wir gerade in einem Zeitraffer und könnten uns daraus nicht befreien.
Jedes Lied brachte mich immer wieder zum Nachdenken, sodass ich mich immer wieder fragte, wann ich endlich ankommen würde. Und damit dachte ich nicht an diese Autofahrt, welche kein Ziel hatte, sondern an Jara und mich. Wann würden wir endlich über die Freundschaftsschiene hinwegkommen und mehr werden?
Lied für Lied, Ampel für Ampel und Gespräch für Gespräch verblasste diese Frage an mich selber jedoch. Wieso sollte ich mir über etwas Gedanken machen und mich verrückt durch eine einzige kleine Frage machen, wenn ich einfach das Leben auf mich zulassen kommen konnte.
Das Leben machte doch sowieso, was es wollte. Irgendwann würde der richtige Zeitpunkt kommen um Jara von meinen Gefühlen zu erzählen. Egal ob dieser morgen, in einer Woche oder in einem Monat sein würde. Wir fahren immer in das Ungewisse, egal welche Pläne wir uns machen, das Leben wird uns führen, wieso sollte ich mir also so viele Gedanken machen?
Die Sonne neigte sich immer und immer weiter dem Horizont entgegen. Der Nachmittag wurde immer später und somit beschlossen wir wieder nach Hause zu fahren. Bei der nächsten Kreuzung bog ich also in die Richtung von Jaras Wohnung ab, denn nach Hause bringen wollte ich sie natürlich noch.
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~Blume
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