Roots, TNG und Queen

Ich weiss gar nicht, wie oft ich bereits seit Einführung des Mediums DVD die Box zur TV-Serie “Roots” in der Hand hatte. Und jedesmal zierte ich mich davor, die Serie zuzulegen. Doch nun mit der Reife des Alters wollte ich eine der großen Sternstunden der Fernsehgeschichte nachholen und erlebte eine Überraschung…

Die Geschichte beginnt im Jahre 1750 im westafrikanischen Gambia, genauergesagt im Dorf Juffure. Die kleine Gemeinde vereint den Glauben an den Islam mit heidnischen Ritualen. Unter großen Qualen bringt Binta Kinte, die Ehefrau von Omoro Kinte, einen kleinen Jungen zur Welt, den sie Kunta Kinte nennen. Kunta wächst zu einem stattlichen Burschen heran, der im Alter von 17 Jahren seiner Initiation bevorsteht, dem Schritt ins Erwachsenenleben, symbolisiert durch die Traditionelle Beschneidung. Doch kurz nach der Mann-Werdung kommen amerikanische Sklavenhändler in den Busch und entführen sowohl Kunta, als auch einige Bekannte von ihm. Der junge Mann wird unter unmenschlichen Bedingungen im Bauch einer Brigg mit rund 70 anderen Sklaven in der Waagerechten angekettet und verschifft. Keiner der verschifften Sklaven hat für mehrere Monate Überfahrt kein Recht auf Körperhygiene und Toilette.

Kunta wird in den Staaten als sogenannter “Nigga” auf die Plantage von John Reynold nach Virginia verkauft. Der Sprache nicht mächtig freundet er sich mit dem gebürtigen älteren Sklaven Fiddler an, der genug Geduld mitbringt, Kunta unter seine Fittiche zu nehmen und in die Sklaven-Kultur einzuweisen. Kunta jedoch findet sich nicht mit seinem Schicksal ab, flieht von der Plantage um (logischerweise) wieder eingefangen und öffentlich ausgepeitscht zu werden. Dabei wird er gezwungen den Namen “Toby” anzunehmen und wird zunächst innerlich gebrochen. Einige Jahre später jedoch ergreift der unbändige Wille nach Freiheit erneut Besitz von Kunta, worauf er einen zweiten Fluchtversuch unternimmt. Doch dieses Mal kommt er nicht einfach nur mit der Peitsche davon, sondern wird von Sklavenjägern mit einer Axt brutal am Fuß verstümmelt. Als er das darauf folgende Wundfieber überstanden hat, kommt er in unbekannter Umgebung wieder. Kunta wurde zusammen mit Fiddler aufgrund von wirtschaftlichen Problemen von John Reynolds an dessen Bruder, den Arzt Wiliam übergeben. Auf dieser etwas humaner geführten Plantage lernt Kunta die Sklavin Bell kennen, die ihn während seines Wundfiebers gepflegt und zum Weiterleben motiviert hat.

Beide feiern alsbald ihre heidnische Hochzeit, die traditionell damit besiegelt wird, dass beide über einen Besen springen. Einige Zeit später bekommen beide ein Töchterchen, das sie Kizzy nennen. Die Geschichte macht einen Sprung von 17 Jahren und der Zuschauer lernt Kizzy als lebensfrohes Sklavenmädchen kennen, die sich gut mit der Tochter von John Reynolds anfreundet. Doch als Kizzy einem Sklaven zur Flucht verhilft, wird sie an den grausamen Säufer Tom Moore verkauft, der seinen Lebensunterhalt mit dem Züchten von Kampfhähnen verdient. Dieser vergeht sich umgehend an dem jungen Mädchen, worauf Kizzy schwanger wird und 9 Monate später ihren Sohn George zur Welt bringt.

George wächst auf, ohne zu wissen, dass sein “Massa” eigentlich sein Vater ist. Er beginnt dessen Faszination für Kampfhähne zu teilen und mausert sich beruflich zum Trainer der Tiere. Er wird in dieser Passion so gut, dass er alsbald den Spitznamen “Chicken George” erhält. George lernt in seiner Karriere, dass es bereits für einige “Nigga” möglich gewesen ist, mit der entsprechenden Summe Geld sich freizukaufen. Er spart was das Zeug hält, bedenkt allerdings nicht, dass seine Ehefrau Tilly und deren Söhne Tom und Lewis separat losgekauft werden müssten. Als Tom Moore eine Kampfhahn-Wette verliert, bei der er seinen Chicken George als Wetteinsatz verliert, hat George die Gelegenheit, nach England zu ziehen und für mehrere Jahre von der Bildfläche zu verschwinden.

Als Chicken George nach 8 Jahren als gemachter und zudem freier Mann zurückkehrt, sind seine Söhne bereits erwachsen. Der Sezessionskrieg zwischen Nord- und Südstaaten bahnt sich an und George stellt sich für seine Familie auf die Seite der Nordstaaten um für die Freiheit der Sklaven zu kämpfen. Man müsste meinen, dass nach dem Sieg der Nordstaaten sich die Situation für die Familie verändern würde, aber weit gefehlt. In den Köpfen der Südstaatler ist die Niederlange keinesfalls Grund, um die ehemaligen Sklaven als freie Menschen zu akzeptieren und so ist das Wort “Nigga” weiterhin in aller Munde. Als Georges Sohn Tom die Plantage seines Massas übernimmt wächst die Wut der Weissen zu einer perversen Idee heran. Der Ku Klux Klan wird allerorts geboren, eine Gruppe von maskierten Fanatikern, die Angriffe auf ehemalige Sklaven unternehmen.

Mit Hilfe des zurückgekehrten Chicken George schafft die Familie letztendlich die Auswanderung in die Freiheit, nach Henning in Tennessee. Die Serie macht einen weiteren Zeitsprung ins Jahr 1882. Tom hat mittlerweile eine eigene Familie und mehrere Kinder, von denen die beiden Töchter Cynthia und Elisabeth nun im Fokus stehen. Zudem nimmt die Serie nun zunehmend Bezug auf politische Entwicklungen, denn Tom ist bei den Republikanern aktiv. Aber auch gesellschaftliche Entwicklungen kommen nicht zu kurz. So erfährt man in einem Seitenstrang von der Familie Warner, deren jüngerer Sohn sich in eine schwarze Lehrerin verliebt hat und diese nun heiraten möchte. Ein Schritt, den die Familie mit Verstossung tadelt. Aber auch Elizabeth verliebt sich in einen jungen Mulatten, dessen Hautfarbe für Tom allerdings zu weiss ist und er somit nicht einverstanden ist, dass seine Tochter den Bund der Ehe eingeht. Hätte er geahnt, dass sie dadurch als alte Jungfer endet, hätte er vielleicht nochmal drüber nachgedacht. Cynthia hingegen heiratet ein paar Jahre später den Holz-Industriellen Will Palmer, einen der ersten wohlhabenden Schwarzen des Ortes.

Als der Holzhandel zu florieren beginnt, ist das Paar sogar so vermögend, dass sie ihre Tochter Bertha auf ein College schicken können. Dort lernt Bertha den Farmersohn Simon Haley kennen, dessen Herkunft weniger vermögend ist und der sich sein kommendes Semester als Schaffner zu verdienen versucht. Eine Zerreissprobe für das junge Paar, vor allem auch, als Simon nach Abschluss des College direkt in den ersten Weltkrieg zieht und für sein Vaterland in Frankreich kämpft. Obwohl er nach Kriegsende in Frankreich lebende Schwarze kennenlernt, deren gesellschaftliche Verhältnisse frei von jedweder Ächtung zu sein scheinen, entschliesst er sich dennoch zu seiner Bertha in die Staaten zurückzukehren und zu heiraten. Die beiden bekommen mehrere Söhne, unter anderem Alex Haley, der die tragendste Rolle der Familie inne bekommt. Stets in gutem Kontakt mit seinen älteren Verwandten stehend erfährt er recht viel von seiner Herkunft und seinen Vorfahren, angefangen beim “alten Afrikaner” Kunta Kinte. Als Alex darauf verzichtet zu studieren (sehr zum Missfallen seines Vaters), wird er von diesem genötigt in den Militärdienst zu gehen. Dieser verlängert sich schliesslich durch den Ausbruch des zweiten Weltkriegs.

Im Krieg tritt ein besonderes schreiberisches Talent bei Alex zu Tage, das er nach dem Krieg dazu nutzt, Reporter zu werden. Er tut sich durch zwei Interviews im “Playboy” hervor, die er mit zwei der kontroversesten Persönlichkeiten seiner Zeit führt. Dem Führer der amerikanischen Nazi Partei George Lincoln Rockwell (hervorragend gespielt von Marlon Brando) und dem islamischen  Freiheitskämpfer Malcolm X, der seinen Nachnamen “Little” verleugnet, weil er weiss, dass dies der Name eines ehemaligen Sklavenbesitzers gewesen sein muss. Als Alex schliesslich sogar die Autobiografie von Malcom X verfasst und über diesen charismatischen Mann mit seiner Großtante spricht, führt er ein erneutes Gespräch über seine Abstammung zu Kunta Kinte. Ein Gedanke und Wunsch reift in Alex heran, die Geschichte seiner eigenen Familie bis zu Kunta Kinte zurückzuverfolgen und niederzuschreiben. Ein Vorhaben, dass mit der literarischen Vorlage zur Serie “Roots” realisiert wurde und zu einem beeindruckenden Serienfinale führt….

Als ich mit “Roots” begonnen habe, hatte ich nicht allzu viel erwartet. Ja, ich wusste, dass sie als eine der wegweisendsten Serien ihrer Zeit gilt. Ich erwartete Auspeitschungen, Folter, Trauer und Schmerz. Und natürlich bietet “Roots” all das und schönt nichts. In erster Linie ist und bleibt “Roots” aber eine große Familiensaga, die umso beeindruckender ist, weil sie erst in siebter Generation zurückverfolgt und verfasst worden ist. Den Sklaven war nämlich das Erlernen des Lesen und Schreibens lange Zeit verboten und so wurde die Familiengeschichte stets mündlich überliefert. Das Buch habe ich nie gelesen, aber diese Serie hat mich ab der ersten Folge trotz leichter Zweifel direkt gepackt. Die Serie wurde von 1977 bis 1979 in zwei Staffeln produziert und umfasst 15 erzählerisch komplexe aufeinander aufbauende Folgen mit jeweils 90 Minuten Länge. Die Serie umfasst einen Zeitraum von 250 Jahren, was wirklich eindrucksvoll umgesetzt wurde. Schauspielerisch lässt “Roots” keinerlei Wünsche offen. Alles was seinerzeit Rang und Namen hat, hat sich in “Roots” ein Denkmal gesetzt. Vor allem die Darsteller der Weissen sind zu bewundern, weil sie allesamt aus Strahlemann-Rollen bekannt sind. Lorne “Bonanza-Vater” Greene oder der “Waltons-Vater” Ralph Waite treten hier entgegen ihrer Sympathie-Träger-Images in absoluten Antipathie-Rollen auf.

Wer nach dem beeindruckenden tränenreichen Ende von “Roots” nicht genug bekommen kann, dem empfehle ich unbedingt den 1993 entstandenen dreiteiligen Nachschlag “Queen”, ebenfalls basierend auf einem Roman von Alex Haley. Während Roots die Familiengeschichte von Haleys Mutter Bertha erzählt, wird in Queen die ebenfalls dramatische Lebensgeschichte der Mulattin Queen dem Zuschauer (hervorragend gespielt von einer noch sehr jungen Halle Berry) näher gebracht. Dabei ist Queen keine Unbekannte für den aufmerksamen Zuschauer von “Roots”, denn dort tauchte sie bereits als geistig umnachtete Mutter von Simon Haley auf, ist somit die Großmutter väterlicherseits von Haley. Was gibt es sonst noch zum Phänomen “Roots” zu sagen. Die Serie ist natürlich stellenweise aus heutigen Gesichtspunkten politisch unkorrekt, weil das böse N-Wort locker 100 Mal fällt. Ich gebe zu, dieses Wort hat in mir hin und wieder den Impuls erweckt, nen blöden Witz über das Thema zu reissen. Aber tatsächlich wird diesem Impuls praktisch umgehend im Keim erstickt, wenn man mitbekommt und mitfühlt, was die Familie Kinte für schreckliche Eskapaden durchleben muss.

“Roots” ist eine Serie die ich absolut jedem ans Herz legen möchte. Sie ist dramatisch, romantisch, ergreifend, abenteuerlich und schockierend. Es ist eine Serie, die gleichermaßen Männern und Frauen gefallen wird. Und vor allem ist die Serie verdammt ehrlich und aufrichtig. Gerade mit den späteren Generationen ist in jeder Faser spürbar, dass hier eine wahre Geschichte erzählt wird, die ungeschönt Höhen und Tiefen im Leben einer Familie erzählt. Sehr beeindruckend auch Alex Haley, der in der letzten Folge hervorragend vom großen James Earl Jones verkörpert wurde. Eine Ehe und eine spätere Beziehung setzt er als Alex Haley aufs Spiel um seinen großen Traum zu verfolgen: Die titelgebenden “Wurzeln” von Kunta Kinte zurückzuverfolgen. Und als er dieses Ziel letztendlich im Dorf Juffure erreicht, merkt man dass der Mann seinen Lebenstraum erfüllt hat, den er so lange rastlos gesucht hat. Also wer da nüchtern mit den Schultern zuckt, dem ist nicht mehr zu helfen.

War es wirklich nötig, dass ich heute die Serie so umfangreich zusammengefasst habe und jede Generation besprochen habe. Die klare Antwort ist “Ja”. Denn selbst mit der hier präsentierten Kenntnis des Inhalts ist “Roots” ein Erlebnis, das jeder selbst nochmal für sich erfahren sollte. Beim Abschluss der Serie konnte ich mit Genugtuung für mich feststellen, dass es eine der 10 besten Fernsehserien ist, die ich bisher in meinem Leben gesehen habe. Sie hat mein Bewusstsein für Rassentrennung, Unterdrückung und Sklaverei allumfassend erweitert und mich immer wieder dazu gebracht, zwischen den Folgen über einzelne Ereignisse, Gruppierungen oder Persönlichkeiten im Detail nachzulesen. Es gibt somit auch so viel zu lernen mit “Roots”, wie mit kaum einer anderen Serie. Hiermit spreche ich meine klare Empfehlung für Eure kommenden Abende aus! Ihr werdets nicht bereuen!

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