Meine Liebe zu Karl May - Eindrücke zu Winnetou 2016

„Guilty Pleasure“ nennt man etwas, das man  liebt und wofür man sich gleichermaßen schämt. Bei mir als recht speziellem Medien-Narren müsste das sicherlich auf mehrere Inhalte zutreffen. Tatsächlich eröffne ich hiermit eine langjährige Liebe, die ich auf diesem Blog noch nicht kund getan habe, nämlich die Leidenschaft für Karl Mays literarisches Schaffen. Warum ich mich dafür schäme? Weil viele Deutsche es insbesondere mit Bad Segeberg und natürlich den Filmen aus den 60ern in Verbindung bringen. Ich jedoch mag weder das eine noch das andere, sondern bin seit meinem 19ten Lebensjahr Purist der literarischen Vorlage. Macht das einen Unterschied? Einen gigantischen! Warum oute ich mich heute? Sicherlich spielt die Neuverfilmung von „Winnetou“ eine nicht unwesentliche Rollte…

1999 war ich 19 Jahre alt und was Bücher anging noch total auf Fantasy fixiert. Ich wollte mir selbst einen Streich spielen, als ich in der Buchhandlung „Schmorl und von Seefeld“ vor einem ganzen Regal von grünen Buchbänden stand. Eine Zugreise von Hannover nach Frankfurt am Main stand bevor und ich hatte nichts zu lesen. Nun hatte ich die Wahl zwischen einem weiteren Buch von Michael Moorcock….oder vielleicht doch nicht? Ich weiss nicht, was mich dazu trieb, aber ich griff zu „Durch die Wüste“ von Karl May, dem ersten Band der Reiseerzählungen. Auf meiner Zugfahrt sah ich mich nun damit konfrontiert, etwas alternativlos lesen zu müssen, von dem ich nie erwartete, dass es mir gefallen würde….aber es gefiel mir sehr. In den kommenden Jahren sollte ich ein Fan werden von Karl May, seiner christlich-humanistischen Ideologie, seinem Humor und all den schrulligen Charakteren, die er mir anbot. Edelmenschen wie Winnetou und Marah Durimeh, aber natürlich und vor allem Hadschi Halef Omar, Kapitän Frick Turnerstick, Sir David Lindsay, Tante Droll, Hobble Frank, Sam Hawkens…ich kenne und liebe sie alle.

Aber die Verfilmungen der Abenteuer meiner Lieblingshelden bislang? Denn damit werden sie untrennbar verbunden, wenn man Karl May irgendwo erwähnt. Horst Wendlands Interpretationen „nach Motiven von Karl May“ haben definitiv eine Duftmarke gesetzt. Das größte Problem dieser Verfilmungen jedoch ist, dass sie obwohl aus deutscher Hand vollkommen amerikanisiert sind und dem Vergleich mit den Büchern nicht standhalten. Und obwohl Karl May vor 110 Jahren mit seinen Abenteuern in schriftlicher Form Jung und Alt gleichermaßen fesselte, waren es 50 bis 60 Jahre später ein ganz anderes Publikum und eine ganz andere Lobby, die Spass mit den Wendland-Verfilmungen hatten. Hollywood hatte klare Formeln vorgelebt, wie ein Western zu funktionieren hat. Aber Fakt ist, dass Karl May, als er seine Abenteuer niederschrieb, weder einen Filmwestern vor Augen hatte, geschweige denn dieses Genre aus den Angeln heben wollte. Nein, seine Geschichten spielten nicht einmal größtenteils im wilden Westen, sondern boten auch Schauplätze im Orient, China, Indien, Deutschland, Südamerika…. Aber jene Wendland-Filme hatten umso mehr mit Hollywood-Western gemein (auch die Verfilmungen der Orient-Abenteuer), und desto weniger aber mit den Erlebnissen und dem Erzählstil der Bücher Mays zu tun. „Nach Motiven“ ist jedenfalls kein Attribut, dass für eine adäquate Literaturverfilmung spricht.

Da ich diese Filme zum ersten Mal Ende der 90er bewusst mit den Büchern in der Hand ansah, fiel meine Meinung deutlich kritischer aus, als das bis dahin entstandene Fandom je zugeben würde. Die hatten mittlerweile Karl May-Festspiele seit vielen Jahren am laufen und die waren jedenfalls an den Filmen aus den 60ern und nicht an den großartigen Romanen Mays orientiert. Also eine Entfremdung der Entfremdung im doppelten Sinne. Um einen Schritt zurück zu machen, war der größte Witz für mich die Stammbesetzung der Filme aus den 60ern. Lex Barker als allumspannende Inkarnation Karl Mays Alter Ego ist aus meiner Sicht ein einziger Witz. Den amerikanischen Sonnyboy würde ich eher als Zweitbesetzung von William Shatner in „Raumschiff Enterprise“ verorten, aber doch nicht als meinen Old Shatterhand respektive Kara Ben Nemsi. Barker spielt dabei nicht nur beiden zuvor genannten Helden, nein, er verkörpert sogar Doktor Sternau auf Schloss Rodriganda, obwohl auch ein Roman Mays keine Inkarnation selbigen. Überhaupt sind die Besetzung vieler Figuren aus meiner Sicht nicht den Charakteren der Bücher entsprechend. Über Pierre Brice als Winnetou mal hinweggesehen, finde ich weitere Doppelbesetzungen wie Ralf Wolter sowohl als Sam Hawkens als auch Hadschi Halef Omar mehr als fragwürdig. Auch ein Stewart Granger als schießwütiger Old Surehand ist die wahrscheinlich größte Fehlbesetzung aller Zeiten. Nicht nur, dass der gleichnamige Film NICHTS mit dem großartigen Zweiteiler zu tun hat, war Old Surehand ein Halbblut und keine lieblose Kopie des Cartwright-Vaters. Ich verletze hier wahrscheinlich ein Sakrileg, aber mir persönlich gefielen diese Filme einfach nicht. Einziger Wermutstropfen für mich bei den älteren Verfilmungen des Mayschen Werks ist sicherlich der sehr liebevolle letzte Stop Motion-Film der Defa unter dem Titel „Die Spur führt zum Silbersee“. Obwohl mit einfachen Mitteln gedreht bietet der Film immerhin alles, was die Buchvorlage „Der Schatz im Silbersee“ inhaltlich ausmacht.

Verfilmungen der Werke Karl Mays gab es ergo einige, auch ein paar heute unbekanntere fürs TV aus West- und Ostdeutschland. Aber nach dem Konsum einiger Filme war für mich persönlich eines klar: Diese Filme entsprachen in keinster Weise dem, was ich mir beim Lesen vorstellte und wie ich mir Charaktere vorstellte. Als Mitte 2016 von Seitens des Privatsenders RTL angekündigt wurde, einen Weihnachts-Dreiteiler zu produzieren, war ich zugegeben sehr skeptisch. Als ich die ersten Screenshots von der Besetzung der Charaktere sah, schlug mein Herz jedoch höher, denn tatsächlich kamen sie meiner Vorstellung weit näher, als das was ich zuvor gesehen und abgeschrieben habe. Aber es blieb bis zum ersten Weihnachtstag abzuwarten, ob meine Erwartungen erfüllt werden könnten. Mit dem Vorsatz meiner sicherlich bekannten 20-Minuten-Regel im Anschlag nahm ich mir fest vor, dieser Verfilmung jedenfalls eine Chance zu geben und einzuschalten….ohne viel zu erwarten, schliesslich handelt es sich um eine rein deutsche Fernsehproduktion und derer gibt es zu wenige, die mich anzusprechen wissen.

Doch nach nur 5 Minuten war für mich nicht mehr an meine 20-Minuten-Regel zu denken. Ich spürte direkt, dass für mein Empfinden TV-Geschichte geschrieben wurde. Plötzlich war ein Gefühl da, wie ich es schon lange nicht mehr gespürt habe. Ich denke, es ist vergleichbar mit den großen TV-Vierteilern oder den Weihnachtsserien von Einst. Die erste große positive Überraschung war, dass die Hauptfigur als Karl May betitelt wurde. Obwohl er in seinen Büchern ein wenig verhalten im Dialog damit umgeht, dass er beim Namen genannt wird, so wird hier keinerlei Geheimnis darum gemacht, wer der zukünftig sagenumwobene Old Shatterhand eigentlich ist, nämlich das Alter Ego Karl Mays, dass er einst in einen fiktiven Wilden Westen fabuliert hat, ohne jemals dort gewesen zu sein. Aber davon brauchte ja keiner seiner Leser etwas zu wissen. Auch die Besetzung Mays mit Wotan Wilke Möhring (den ich natürlich nicht kannte und der wahrscheinlich sonst irgendwelche trockenen Krimi-Kommissare spielt) empfinde ich als Glücksgriff. Teilweise ist er Karl May wie aus dem Gesicht geschnitten.

Den ganzen Film unter dem Titel „Winnetou – Eine neue Welt“ über spielt Möhring einen rein menschlichen realistischen Karl May. Bis auf ein paar Boxing-Skills bringt er nichts weiter an Vorerfahrungen in den Westen mit. Er ist weder der geleckte Supermann, den Lex Barker verkörperte, noch ist er ein Naturtalent wie in den Büchern, in denen er Dinge ausprobiert und sofort ein glückliches Händchen beweist. Nein, der hier dargestellte May entspricht eher der geschichtlichen Figur Karl Mays, ohne dessen christlichen Background, der in den Büchern so oft zum Tragen kommt. Auf die Frage von Winnetous Schwester Nscho-Tschi, an welche Götter er glaubt, erwidert er, er glaube an den Verstand. Im Grunde ist es so, aber dieser Aspekt war ganz leicht als „out of character“ einzustufen. Die Handlung folgt dem Buch sehr lose und auch hier kann man von „Nach Motiven von Karl May“ sprechen. Um eine 1:1-Literaturverfilmung handelt es sich nicht, das wird schon nach kurzer Zeit klar. Ist auch gar nicht möglich, zumal die Laufzeit wesentlich umfangreicher sein müsste. Auf dem Niveau der britischen Literaturverfilmungen der BBC ist man in Deutschland noch lange nicht.

May kommt als Deutscher in den Wilden Westen, um die Bancroft Company beim Bau einer Eisenbahnstrecke zu unterstützen. Wie sich jedoch herausstellt, führt diese direkt durch das Territorium der dort ansässigen Apachen, die natürlich alles andere mit diesem Vorhaben einverstanden sind. Als Karl bei der Erkundung des Gebiets an der Seite des finsteren Rattler und dessen Schergen Ugly Joe eine Grabstätte entdeckt, eskaliert die Situation und die Gruppe wird von den edlen Ureinwohnern angegriffen und besiegt. Tödlich verwundet wird May in das Dorf mitgenommen, aufgepeppelt und von der Schwester seines Angreifers durch das Dort geführt. In tiefem Mitgefühl zu der Gesellschaft der unberührten Apachen beschliesst May, die Dorfgemeinschaft zu unterstützen und mit der Bancroft-Company auszuhandeln, den Schienenverkehr um das Hocheitsgebiet herumzuleiten. Als Intschu-Tschuna, der Häuptling gemeinsam mit seinem Sohn in die Siedlung der Bleichgesichter einreitet, um sich auf den Deal einzulassen, kommt es zu einem Zwischenfall bei dem der ehrwürdige Häuptling von Rattler erschossen wird. Darauf schwört Winnetou Rache und kann sich zunehmend der Freundschaft Karl Mays, der den Titel „Old Shatterhand“ verliehen bekommt, gewiss sein…

Alles richtig gemacht, RTL. Wirklich ALLES! Danke für diese bislang großartige Neuinterpretation des Mayschen Stoffs. Natürlich nimmt sich die Verfilmung ein paar Abweichungen heraus und dichtet hier und da Charaktere wie Ugly Joe oder Ereignisse zwischen Karl May und Prostituierten dazu. Alles verschmerzbar aus einem für mich zu 100% erfüllten Anspruch. Was mir wie gesagt nie an bisherigen Verfilmungen gefiel, war das die Bücher Karl Mays auf ihr Setting des Wilden Westens runtergebrochen wurden. Und mir gefiel nie, dass sie filmisch wie Hollywood-Western aufbereitet wurden. Aber in dieser Verfilmung gefiel mir, dass sie sich eben nicht wie ein klassischer Western anfühlte, sondern in seinen Momenten des Culture Clashings Paralellen zu „Der mit dem Wolf tanzt“ aufwies. Die  Erzählperspektive mit dem Fokus auf Karl May wies einen soliden Abenteuerfilm auf und als etwas anderes habe ich mir das Werk Karl Mays nie beim Lesen vorgestellt. Je nachdem wie mein abschliessendes Urteil in 3 Tagen ausfallen wird, würde ich mich über gleichbleibende Qualität, eine gute Quote und weitere Nachfrage freuen. Denn in der Bibliographie Karl Mays befinden sich noch einige bisher unverfilmte Höhepunkte, die ich in dieser Form gerne interpretiert sehen würde. Das große Orient-Abenteuer „Giölgeda Padischanün“ wäre für mich der konsequente Aufhänger für eine Fortsetzung und wenn man mal weiterspinnen würde, würden mich adäquate Umsetzungen von Old Surehand I&II sowie Satan und Ischariot I-III sehr erfreuen. Es bleibt abzuwarten.

Zu guter Letzt möchte ich natürlich auch noch den Darsteller des Winnetou Nik Xhelilaj lobend erwähnen. Auch wenn er weder wie eine realistische Darstellung eines Apachen aus der Zeit daherkommt, geschweige denn Pierre Brice in irgendeiner Form ähnlich sieht, muss man dem Casting zugute halten, dass vielleicht mit bisschen weniger nacktem Oberkörper ganz dem Winnetou entspricht, wie ich ihn mir immer vorgestellt habe. Zumindest Karl Mays wörtliche Hochstilisierung zum Edelmenschen, dessen Aura unantastbar ist, wurde ebenso gut eingefangen. Auch die leicht hineininterpretierbare homosexuelle Worship-Komponente der beiden „Brüder“ wurde direkt den Büchern entnommen und konnte ich auch hier im Ansatz der Darstellung wiederfinden. Wie dem auch sei freue ich mich schon auf morgen, wenn Old Shatterhand und Winnetou nach dem Schatz im Silbersee suchen. Hierbei hat sich übrigens ein Anachronismus eingeschlichen über den ich überrascht bin. Tatsächlich zählt „Der Schatz im Silbersee“ weder zu Mays Reiseerzählungen, sondern zu seinen Jugendromanen. Ob ich diesen gar inhaltlich zwischen Winnetou I und II verorten würde, kann ich auch nicht mit 100%iger Sicherheit sagen. Aber ich lasse mich überraschen und hoffe auf selbes Rezept, Mixtur und Quote wie gestern Abend.

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