Ein lästiger Mann erkundet "Anderland"

Stell Dir vor, Du sitzt als einziger in einem Bus. Der Bus hält mitten in einer kargen von Bergen umsäumten Landschaft an. Man bittet Dich auszusteigen, Du wirst erwartet; An einer Tankstelle ist ein Banner mit der Aufschrift "Herzlich Willkommen" angebracht. Der Bus fährt ab und ein Auto holt Dich ab, dass Dich in eine Stadt bringt, deren Namen Du nicht kennst. Du bekommst eine Wohnung und einen Job als Buchhalter zugewiesen. "Warum? Wieso? Was jetzt?", das fragt sich auch Andreas in dem norwegischen Film "Anderland". Denn wie der Titel des Films schon verspricht: So ziemlich alles ist anders in "Anderland". Andreas bekommt einen totlangweiligen Job, findet keinen Anschluß in der pastell-farbenen Stadt und wundert sich über über die scheinbare Gleichgültigkeit seiner Mitmenschen. Alle unterhalten sich über völlig uninteressante Dinge, wie Inneneinrichtungen und Autos und niemandem ausser Andreas fällt auf, dass es in der Stadt keine Kinder gibt, Alkohol keine Wirkung zeigt, Wunden im Nu verheilen, jede Nahrung frei von Geschmack ist und Sexualität und emotionaler Austausch auf einer obligatorischen und mechanischen Ebene stattfindet. EInmal lediglich hört Andreas jemanden auf einer Club-Toilette über diese Zustände jammern, der jedoch kurz darauf von einem anderen Toiletten-Besucher zum Schweigen gebracht wird.

Andreas versucht sich in das System zu fügen und sucht sich eine feste Freundin, mit der er zusammenzieht. Doch seine und ihre mangelnden Gefühle beim Geschlechtsverkehr und ihre emotionale Gleichgültigkeit lassen ihn eine Affäre mit seiner Arbeitskollegin Ingeborg beginnen, in der er etwas verlorenes wiedergefunden zu haben glaubt. Doch selbst als er seine Partnerin für sie verlässt, stellt sich heraus, dass Andreas für Ingeborg lediglich einer von vielen Männern war, da sie das Praktizieren von Affären einer festen Beziehung bevorzugt.

Andreas fasst einen krassen Entschluß. Er wirft sich vor die Gleise einer einfahrenden U-Bahn... doch auch als er mehrfach in alle Richtungen zerfahren wird und stark verwundet, aber zunehmend verheilend überlebt, beginnt er nach dem Mann zu suchen, den er kurz nach seiner Ankunft auf der Club-Toilette kennenlernte. Und er findet in dessen Keller etwas Unvorstellbares...

"Anderland" ist anders, Andreas ist anders, "Anderland" ist krass! So einen Film habe ich schon lange nicht mehr gesehen. Der Sog der Bilder spricht für sich. Dialoge sind in dem Film eher eine Seltenheit und niemals führt Andreas ein Gespräch darüber, woher er kommt und wie er dort hingelangt ist. Schlichtweg alles bleibt der Interpretation des Zuschauers in Jens Liens eindrucksvollem Film vorbehalten. Der Film wartet mit keiner überraschenden Auflösung oder etwas ähnlichem auf.

Einfach alles scheint als Parabel oder Metapher gemeint zu sein. Der Film kritisiert einerseits die Oberflächlichkeit unserer Zufriedenheits-Gesellschaft, andererseits hat man bis etwas zur Mitte das Gefühl, Andreas würde sich im Jenseits befinden. Meine persönliche Theorie jedoch (und ich erhebe keinerlei Anspruch auf Richtigkeit) jedoch ist, dass der Film eine Versinnbildlichung einer Befruchtung darstellt und Andreas die Verkörperung des schnellsten Spermiums darstellt.

Der Film ist nicht zu stark überfrachtet mit Symbolik und gibt gerade zwischen den teils sehr absurden Dialogen dem Zuschauer Zeit, über das Gesehene und den Sinn des Ganzen nachzudenken. Es scheint keine universelle Interpretation zu geben.

Die klassische Musik unterstreicht die Stimmung des Films sehr gut, der Film macht nachdenklich, hat aber auch ein paar wenige extrem witzig inszenierte Momente.Es ist aber kein Film für jedermann. Ich wiederhole: Der Film heisst "Anderland", ist rundum anders und richtet sich an Leute, die keine Auflösung vorgekaut bekommen möchte, sich möglicherweise fremd in unserer Gesellschaft fühlen und die vor allem Spass daran haben, surreale Filme zu interpretieren. Wer sich dadurch angesprochen fühlt, wird sich im "Anderland" gut aufgehoben fühlen!

Eines sei noch gesagt: Der Film ist keine lockerleichte Kost, sondern weist durchaus auch ein paar blutig-fiese Momente auf, ohne sich jedoch auf das plumpe Niveau eines klischeehaften Horrorfilms herabzulassen. Arthaus-Freunde können jedoch bedenkenlos zugreifen!

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