Die einzigartige Handschrift der Regie

Graphologie bezeichnet eine Form der Handschriftenanalyse. Jede Handschrift ist individuell und weiss den Leser künstlerisch anzusprechen, abzustoßen oder aber zur Analyse zu bewegen. Was in schriftlicher Form nicht für jeden Leser von Handschriften zugänglich ist, weiss Filmkenner bezogen auf die Handschrift der Regie zu überzeugen. Regisseure, vor allem die unkonventionellen weisen mit ihrem Erzählstil oder ihrer Visualisierung etwas auf, das man ebenfalls als eine Handschrift bezeichnen könnte. Heute möchte ich Euch 10 einzigartige Regisseure im Hinblick auf ihre filmische Handschrift vorstellen!

1 ) Jim Jarmusch

Jim Jarmusch ist ein absolutes Genie wenn es um das Konstruieren von Begegnungen geht. Das große Thema all seiner Filme ist eben jene; die Begegnung zwischen verschiedenen Menschen oder Kulturen an bestimmten Orten. Seien es ein Deutscher in einem Taxi in New York, ein Indianer namens Nobody und ein sterbender Buchhalter, Zwei Japaner in einem Hotel auf den Spuren von Elvis Presley, Drei Ungarn die durch die Staaten pilgern, Gespräche bei Kaffee und Zigaretten, ein Italiener sowie ein DJ und ein Zuhälter bei einem Gefängnisausbruch…all das sind Situationen, Themen, Menschen und deren Culture Clashing, die Jim Jarmusch, nicht selten im ästhetischen Schwarz-Weiss auf die Leinwand zu zaubern weiss. Im Grunde funktioneren seine Filme komplett entgegengesetzt zu erzählerischen Trends. Er setzt seinen Fokus auf Gespräche von Menschen an Orten, wo man sie nicht erwarten würde. Das Spiel mit der unerwarteten schicksalshaften Begegnung die jederzeit an jedem Ort der Welt passieren kann definiert die Handschrift dieses wunderbaren Regisseurs.

2) Tom DiCillo

Artverwandt und doch ganz anders sind die Werke von Tom DiCillo. Ursprünglich als Kameramann für zuvorgenannten Jim Jarmusch tätig, ist dessen Einfluss im Werk von DiCillo unverkennbar. Doch DiCillo weiss mehr als nur ein bloßes Abziehbild seines Mentors zu sein. Mit wiederkehrendem Ensemble schafft Tom DiCillo mit bislang nur sieben Filmen sein Publikum mit sich dekonstruierenden Situationen zu konfrontieren. In „Living in Oblivion“ beispielsweise thematisiert er die Dreharbeiten an einem Independent-Film, dessen Vollendung an Text-Hängern, Einwürfen der Schauspieler und dem privaten Kontakt des Film-Teams untereinander krankt. In „Box of Moonlight“ lässt er einen arbeitslos gewordenen Loser eine Woche lang einem sozialen Aussteiger folgen und viel von ihm lernen.  Und in „Echt blond“ serviert er eine bitterböse Satire an die Machenschaften Hollywoods, wohingegen er in „Double Whammy“ unter anderem zwei Drehbuchautoren und einen Polizisten mit Rückenschmerzen in einem Wohnhaus verschrobene Situationen erleben lässt. Keiner der Filme DiCillos nimmt sich zu 100% Ernst und dennoch weiss er einen emotionalen Nachhall zu erschaffen, der dazu führt, dass seine Filme lange im Gedächtnis bleiben.

3) John Dahl

Deutlich konventionellere Beiträge inszenierte John Dahl, dessen große Schaffensperiode sich in den 1990er Jahren abspielte. Fasziniert vom klassischen Film Noir, insbesondere den Filmen der schwarzen Serie, definierte Dahl das Genre des Neo Noir-Films maßgeblich. Dahl lässt gescheiterte, gebrochene und häufig auch nichtsnutzige Figuren in seinen Filmen auftreten, die in seltsame Abenteuer voller Verbrechen, Gewalt und schönen Frauen geraten. Seien es zwei Bengels auf der Flucht vor dem verrückten Trucker Rostiger Nagel in „Joyride“, Ben Kingsley als polnischer Mafiosi in „You kill me“, Matt Damon als Profi-Pockerspieler oder Nicholas Cage als arbeitssuchender Hobo. Alle Charaktere John Dahls sind soziale Versager, denen der große Erfolg oder oft auch das große Geld winkt. Basis ist dabei das klassische Kino der Nachkriegszeit, in dem erstmals Anti-Helden in das Bewusstsein der Zuschauer drangen. John Dahl weisst eine beeindruckende Filmografie dieser Charakter-Thematik auf; schade ist lediglich, dass er seit 10 Jahren keinen Kinofilm mehr produziert hat, sondern seinen Fokus auf einzelne Folgen von TV-Serien legt, die der einzigartigen Handschrift seiner eigenen Filme entbehrt.

4) Roman Polanski

Man kann und sollte über Roman Polanski als Mensch denken, was man möchte. Dennoch kann kein Film-Liebhaber dem Mann mit der turbulenten Biografie absprechen, eine ganz charakteristische Handschrift aufzuweisen. Unabhängig davon, ob man seine Filme nun mag oder nicht, ist Roman Polanskis Regie-Handwerk als die konsequente Weiterentwicklung eines Alfred Hitchcock anzuerkennen. Mit Ausnahme vielleicht von „Tanz der Vampire“ sind alle Filme Polanskis düster, bedrohlich und voller diffuser und unbeqemer Situationen angereichert. Schaut man die Filme chronologisch fällt auf, wie konsequent Polanski es schafft, immer noch einen Kernthema, der Unbequemlichkeit zurückzukehren. Immer wieder lässt Polanski uns auch mit der Frage lange im Dunkeln tappen, ob seine Hauptfiguren möglichweise von Irrtümern oder Wahnvorstellungen geplagt werden. Nur um uns am Ende des Films oft mit einem „In your Face“-Moment völlig vor den Kopf zu stoßen und eine Nase zu drehen. Wenn das keine Handschrift ist, dann weiss ich auch nicht.

5) Quentin Dupieux

Ende der 1990er Jahre machte DJ Mr.Oizo mit einer gelben Handpuppe und dem sehr schrägen Techno-Tune „Flat Beat“ von sich reden. Wer hätte damals gedacht, dass jenes One-Hit-Wonder eines Tages als Regisseur von sich Reden machen würde, noch dazu einem, den ich zu den Top Ten der Regisseure zähle, die durch eine eigene Handschrift brillieren? Sicherlich niemand. Doch was Quentin Dupieux in seinen bisher 5 Filmen schaffte, ist die perfekte filmische Interpretation von Traum-Logik zu visualisieren. Eine Gruselgeschichte mit einem durchgedrehten Autoreifen, ein Mann der mittels Telepathie nach seinem Hund sucht, Polizisten die alles andere tun als die Bevölkerung zu schützen und ein Mädchen, das im Bauch eines Wildschweins eine Videokassette findet sind die Aufhänger zu den wahrscheinlich schrägsten Filmen der letzten Jahre. Filme von Quentin Dupieux. Alle Filme des Regisseurs nehmen sich extrem ernst, obwohl die Geschichte die sie erzählen völlig absurd und traumwandlerisch ist. Mit Hilfe eines Film-übergreifenden Ensembles in teilweise sich wiederholenden Rollen spielen alle Filme in einem gemeinsamen Kosmos. Jeder Film ist inhaltlich ein Unikat, alle jedoch erzählerisch ähnlich absurd und vor allem dadurch verdammt komisch. Das soll dem Dupieux mal einer nachmachen, denn Vergleichbares wird man vergebens suchen, wodurch er mit vollem Recht in dieser Auflistung Erwähnung findet.

6) David Lynch

Einer der wichtigsten Regisseure mit eigener Handschrift bleibt unbestreitbar David Lynch. Leser dieses Blogs wissen, dass ich ein großer Freund seiner Fernsehserie „Twin Peaks“ und dem dazugehörigen Kinofilm bin und auch schon seit langer Zeit der dritten Staffel entgegenfiebere. Und es ist auch kein Geheimnis, dass ich das Gesamtwerk David Lynchs kenne und liebe. Während zuvor genannter Quentin Dupieux eher absurd-lustige Träume nacherzählt, taucht Lynch wesentlich tiefer in die Symbolik der Psyche ein. Dies begann bereits mit seinem Erstlingswerk „Eraserhead“, das alle Grundpfeiler in sich vereinte, die spätere Werke des Regisseurs so unverwechselbar definieren sollten. David Lynch präsentiert dem Zuschauer stets die Wahrnehmung des Unterbewusstseins….oftmals bezogen auf die Ungreifbarkeit des Bösen. Und er zeigt seinem Publikum, dass Schrecken und Witz manchmal auf morbide Art und Weise Hand in Hand gehen. Besonders für Lynchs Werk ist, dass er als Regisseur sein Werk nicht kommentiert und nicht erklärt, sondern die Interpretation seit jeher seinen Zuschauern überlässt. Daher lassen alle Filme Lynchs verschiedenerlei Interpretationen zu. Allegorien auf griechische Sagen bis hin zu freudschen Metaphern. Lynch ist unbestreitbar einer der wichtigsten Regisseure unserer Zeit und einer, dessen Werk in seiner Bedeutung zukünftig die Jahrhunderte überdauern wird.

7) Stanley Kubrick

Auch wenn mir schon zu gewissen Gelegenheiten widersprochen worden ist, hat Stanley Kubrick ausschliesslich definierende Filme gedreht. Perfektionist, der er war und die Darsteller seiner Filme unter diesem Anspruch leiden liess, spiegelt sich diese Ambition in jedem seiner Filme wider. Peter Sellers, der drei Rollen in „Dr. Seltsam“ spielen musste. Malcolm McDowell, der fast in „Uhrwerk Orange“ ertränkt worden wäre oder Tom Cruise und Nicole Kidmans Beziehung, die Gerüchten zufolge durch die Dreharbeiten zu „Eyes wide Shut“ zerstört wurde. All das spricht für den Anspruch, den Kubrick an seine Darsteller hatte. Mit ihm zu arbeiten war alles andere als Kinkerlitzchen. Ohne Mätzchen musste jeder 220% geben um den Visionen von Stanley Kubrick gerecht zu werden. Seine Filme bieten bis heute durch ihre verschwungenen Symbole eine Basis für jahrzehntelange Interpretationen, bei dem einem der Kopf schwirrt. Seien es verborgene Botschaften in „The Shining“ über Indianer-Mythen und die erste Mondlandung oder die Zerlegung sämtlicher Einzelframes des legendären Jupiter-Anflugs in „2001 – Odyssee im Weltraum“. Kaum eine Regie-Handschrift hat die Filmwissenschaften derart oft gefordert, wie Stanley Kubricks, weshalb ich stolz bin, ihn hier zurecht nennen zu dürfen.

8) Quentin Tarantino

Unbestreitbar gehört Quentin Tarantino in die Auflistung der wichtigsten Regie-Handschriften. Alle seine Filme haben viele Gemeinsamkeiten, allen voran die Dialog-Lastigkeit. Es wird gequatscht, gebrabbelt, geblubbert und gelabert, was das Zeug hält. Neben dem coolen Gerede, Tarantinos Fußfetisch und einem Hang zum Verbrechen ist das Hauptaugenmerk auf die ikonischen Knalltüten zu richten, die Tarantinos Filme antreiben. Was wäre ein „Reservoir Dogs“ ohne Mister Pink oder ein „Pulp Fiction“ ohne Vincent Vega oder ein „Kill Bill“ ohne die „Braut“? Die Filme wären nicht das, was sie sind. Meisterwerke, die man sich nicht oft genug anschauen kann. Filme die bei wiederholtem Konsum nicht langweiliger sondern immer besser werden. Filme, die nicht älter, sondern reifer werden. Schade nur, dass Tarantino oft genug betont hat, nur 10 Filme machen zu wollen, bevor er sich zur Ruhe setzt. Er hätte mehr gedurft. Doch dann würde er sich selbst nicht so treu bleiben, wie er dem Inhalt seiner Filme und seiner Handschrift bleibt.

9) Wes Anderson

Wes Anderson bietet inhaltlich solide Kost. Keiner seiner Filme weist inhaltlich sonderliche Tiefe auf und doch wohnt allen von ihnen ein unverkennbarer Zauber inne. Inhaltlich geht es oft um verschrobene Exzentriker auf der Suche nach dem Sinn des Lebens in Welten, die der Hand eines Ostblock-Animationsregisseurs entspringen könnten. Selbstfindung ist oftmals inhaltliches Thema seiner Filme. Zentrierung der Totale und der Halbtotale ist sein vor allem visuelles Handwerk. Kein anderer mir bekannter Regisseur zelebriert die Ästhetik der Symmetrie dermaßen wie es Wes Anderson tut. Jeder seiner Filme hat einen Wiedererkennungswert, der selbst ungeübte Zuschauer nach Sekunden erkennen lässt: „Ach! Der Film muss wohl von Wes Anderson sein!“. Besonders überrascht war ich von Andersons Verfilmung von Roald Dahls „Der fantastische Mister Fox“ einem Animationsfilm, in dem er bewies, dass er nicht mal Darsteller braucht um seinen unverwechselbaren Stil zu fröhnen.

10) Joel und Ethan Coen

Die sogenannten Coen-Brüder können wirklich alles. Seien es Thriller wie „No Country for old Men“ oder „Fargo“, seien es Komödien wie „Burn after Reading“ oder „Raising Arizona“, seien es Charakter-Dramen wie „Barton Fink“ oder „The Man who wasnt there“ oder gar ein Mafia-Epos wie „Millers Crossing“. Was muss man bitte mehr können? Den ultimativen Kultfilm? Haben sie mit „The Big Lebowski“ zweifelsohne geschaffen. Mit viel jüdischem Humor, manchmal auch gänzlich ohne wissen die Coen-Brüder den Zuschauer in jedem weiteren Film abzuholen und zu unterhalten. Ob nun der Erfinder des Hulla Hoop-Reifens, ein Regisseur mit Schreibblockade, unscheinbarer Friseur, sympathischer Baby-napper oder hochschwangere Polizistin….die Coen-Brüder wissen praktisch jeden Charaktertypus für den Zuschauer interessant in Szene zu setzen und in dessen Rolle hineinzuversetzen. Fast jeder der Filme wartet mit einer bitteren Pointe auf, jeder der Filme hat eine surreale Note und jeder der Filme verbleibt unvergesslich im Gedächtnis.

11) Alle Regisseure, die ich vergessen habe zu nennen

Es gibt sicherlich unzählige Regisseure, die ich noch hätte nennen können. Lars von Trier, Tim Burton, Steven Spielberg, Michael Bay, Luis Bunuel, Pedro Almodovar….und wie sie alle heissen. Im Grunde genommen müsste man eine Top 100 vornehmen, um ihnen wirklich allen gerecht zu werden.Runtergebrochen auf zehn expemplarische Regisseure wollte ich allerdings jene zehn erwähnen, die mich mit ihren Werken in den letzten Jahren verzaubert haben. Subjektiv gesehen könnten aber auch vollkommen andere Filmschaffende genannt werden, als die heute von mir vorgestellten. Ich hoffe aber, Ihr hattet beim Lesen genausoviel Freude, wie ich beim Schreiben.

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