Cloud Atlas - Ein großer Haufen Film

Ein verregneter Sonntag. Genau der richtige Tag für einen Film wie "Cloud Atlas". Im Kino habe ich ihn verpasst, aber da hätte ich mich bei einer Dauer von fast 3 Stunden Länge sicherlich wundgesessen. Heute nicht. Ich kann pausieren und zwischendurch Tee kochen oder zur Toilette gehen, wann es mir passt. Und das habe ich auch gemacht! Somit hat sich der der Sehgenuss des Films von nahezu 3 Stunden auf 4 Stunden gestreckt. Aber das macht ja nichts. Es regnet ja eh! Und wie ich mich vor, während und nach dem Schauen dieses epochalen Werks fühlte, könnte Ihr nun erfahren...

Ich erwartete von dem Film eine Ansammlung von Kurzgeschichten verbunden durch einen roten Faden. Chronologisch von Anfang bis Ende erzählt. Doch schon in den ersten Minuten des Films verpufft diese Erwartung, da er seine 6 Handlungsstränge in Häppchen erzählt. Ein Film wie eine Achterbahnfahrt. Rauf, runter, zur Seite, nach vorne und wieder zurück. Da kann dem Zuschauer schon mal schwindelig werden. Ok, ich merkte, dass der Film von mir äusserste Konzentration erwartete. Abwechselnd bekam ich die Handlungen einer klassischen Abenteuergeschichte im Pazifik, einem Homosexuellen-Drama der 30er Jahre und einem funky Krimi der 70er zu spüren. Die weiteren Handlungsstränge umfassten eine Tragikomödie über einen Taugenichts von Verleger im Jahr 2012 und sprangen in zukünftige Ereignisse um eine Klon-Fabrik in Neo-Seoul. Zu guter Letzt wurde ein postapokalyptisches Szenario serviert, in dem die letzten verbliebenen Menschen sich in drei Lager aufgespalten haben und sprachlich, ethisch und technologisch auf unterschiedlichen Ebenenen exisitieren. - Ok, Break! Ich bin erfahren mit dem Hollywood-Kino. Der Film läuft doch garantiert auf einen Plotpoint oder ein Element hinaus, das alle diese sechs Szenarien miteinander verbindet. Wahrscheinlich ein Film, den man nur einmal gucken braucht, da er, wenn ich den Kern kenne witzlos sein wird.

Diese Vermutung hielt sich noch ungefähr bis zur Mitte des Films, bis ich sie verwerfen konnte. Ich könnte jetzt hier den Inhalt der einzelnen Episoden erörtern, aber die Verbindung der einzelnen Episoden ist subtil, lose und nicht auf der Handlungsebene sondern vielmehr auf moralischem oder spirituellen Weg begreifbar. Sie nur vordergründig auf die Handlung zu reduzieren, würde dem Film nicht gerecht werden.

Ich würde sogar fast soweit gehen zu behaupten, dass sich Zuschauern mit kleiner oder gar keiner spirituellen, humanistischen oder religiösenWeltanschauung oder dem Wissen darüber, dieser Film nicht erschliessen wird. Zu Anfang meinte ich noch, dass der titelgebende Wolkenatlas möglicherweise die Verbindung zwischen all jenen Epochen ist, aber dem ist mitnichten so.

Die Charaktere und ihre jeweiligen Inkarnationen pro Zeitperiode sind jedoch der Schlüssel. Dabei sind die Schauspieler nicht gebunden an ihre Hautfarbe oder ihr Geschlecht. Und was ihre Gesinnung betrifft ist vor allem an Tom Hanks der buddhistische Glaube an Wiedergeburt und Karma stark sichtbar. In seiner ersten Inkarnation noch ein sadistischer Mörder wandelt sich seine Existenz zum Bestraften bis hin zum auserkorenen Weltenretter.

Als weiteres Leitmotiv ist Gefangennahme spürbar. Jede Hauptperson der Geschichten wird im Verlauf früher oder später einer körperlichen oder seelischen Gefangennahme unterworfen. Die einen entkommen, die anderen verzweifeln daran und geben deswegen sogar ihr Leben.

Auch universelle, zeitübergreifende, mal erfüllte oder unerfüllte Liebe und Aufopferung begegnet dem Zuschauer immer wieder. Sie ist der Schlüssel zum Seelenfrieden jeder einzelnen Figur, ob erreicht oder unerreicht.

Und wie ich eingangs erwähnte, haben wir noch die humanistische Botschaft. Sei es die Abkehr vom Sklavenhandel, die Selbstbehauptung als Homosexueller, der Ausbruch aus der Zweiklassengesellschaft, der Dystopie bis hin zur Entwicklung einer Religion basierend auf einem beispiellosen Genozid; der Kern ist der selbe - Der Wunsch und die Bestrebung nach Selbsterfüllung und geistiger und körperlicher Freiheit und Selbstbestimmung.

Ist dieses filmische Experiment nun etwas neues und nie dagewesenes? Zum Teil möchte ich sagen. Seitens Hollywood und der prominenten Besetzung jedenfalls. Wobei gesagt werden muss, dass der Film relativ unabhängig von Hollywood zu großen Teilen in den Filmstudios Babelsberg entstand, sowie in Singapur und Hong Kong. Kein Wunder also, dass der Film zwar eine Oscar-Nominierung bekommen, aber die meisten Preise aus Deutschland eingeheimst hat.

Und nichtsdestotrotz. Es handelt sich um eine Romanverfilmung der Briten David Mitchell. Mitchell hat 6 Jahre lang in Japan gelebt. Dort wird er mit Sicherheit über das Werk Osamu Tezukas gestolpert sein, das mit dem 11-bändigen Comic-Zyklus "Phoenix" eine praktisch identische Erzählstruktur der russischen Matrjoshka mit jenen menschlichen Fragen und Karma und Reinkarnationen aufweist, wie sein Roman "Cloud Atlas". Zwar ist das Leitmotiv ein anderes, aber die Geschichte ist in ihrem Kern die selbe und als klare Inspirationsquelle erkennbar. Da Tezuka im westlichen Manga- und Anime-Markt eine Nische für Kenner darstellt, wohingegen er in Japan als "Manga no Kamisama" (Gott der Comics) gilt, ist nicht jedem westlichen Zuschauer dieser Bezug ersichtlich. Und dennoch hat Mitchell seine Arbeit gut gemacht und den Weg für eine neue Art von Erzählstruktur geebnet.

Nicht zu vergessen ist noch, dass der Film praktisch einen Querschnitt durch sämtliche Filmgenres, vom Abenteuerfilm über Komödien bis hin zu Science Fiction und Endzeitfilm zeichnet. Der Film ist angefüllt mit Filmzitaten und Erzählstrukturen, die ineinander übergreifen. Handwerklich ist der Film solide umgesetzt, auch wenn die Masken teilweise stümperhaft und absurd wirken, gerade wenn Darsteller alt geschminkt werden. Die Darstellerriege ist gut gewählt und der selbstverliebte Tom Hanks wird von der Bildgewalt des Films überschattet, was ihm auch mal ganz gut steht. Lediglich mit der Altersfreigabe ab 12 Jahren bin ich nicht einverstanden. Der Film geht nicht gerade zimperlich mit Gewaltdarstellung um.

"Cloud Atlas" ist als Endprodukt kein Film für jeden. Der Film wird ein großes Publikum erreicht haben, von denen wahrscheinlich über 50% ratlos zurückgeblieben sind. Ich fand seinen Ansatz interessant und bin mir sicher, dass er in der zukünftigen Filmlandschaft seine Spuren hinterlassen wird.

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