Vier

Wir saßen eine ganze Weile auf dem Dach und schauten zu, wie die Sonne allmählich ganz hinter dem Horizont verschwand. Bryan hatte Bier mitgebracht und so saßen wir dann auf dem Dach. Lachend, trinkend , quatschend und mit einem gigantischen Ausblick auf die Sonne, die allmählich hinter dem rot orange leuchtenden Himmel verschwand.

Die Lichter der Stadt leuchteten wie tausend kleine Sterne und der Himmel war so schwarz wie Tinte, als wir uns irgendwann nachts wieder auf den Rückweg machten.

Ich saß neben Phlipp im Auto und kramte in meiner Hosentasche. Schließlich zog ich einen schon etwas zerknitterten Zettel heraus. Grinsend griff ich nach einem Kugelschreiber, der hinter der Bremse von Lewis' Auto in einem kleinen Fach zwischen Taschentüchern und Kaugummi lag, und hakte glücklich Punkt 34 ab, den wir soeben erledigt hatten.

Ich wurde von einem grausamen Geräusch geweckt. Das hohe Piepen vom Wecker meiner Mutter.

„Arrrgh!", schrie ich zwischen zusammen gebissenen Zähnen in meine Kissen und schloss die Augen wieder.

Wieso musste man auch an Wochenenden noch mitten in der Nacht aufstehen, obwohl man nicht zur arbeit musste?

Ich war gerade wieder dabei einzuschlafen, als meine Zimmertür aufgerissen wurde.

„Aufstehen!", rief eine Stimme in meine Richtung.

Es war Colin.

Als ich keine Anstalt machte aufzustehen oder mich gar zu bewegen, rief er nochmals, nun sichtlich genervt, dass ich aufstehen solle. Offenbar hatte Mom ihn dazu beauftragt. Doch darauf hob ich nur meine Hand und streckte meinen Mittelfinger in die Richtung, in der ich ihn vermutete. Ich hätte zu gern seinen Gesichtsausdruck gesehen, als er wütend wieder aus meinem Zimmer verschwand und die Tür zuknallte. Diese Vollidioten sollten von mir aus am Wochenende um sechs Uhr aufstehen, aber nicht ich! Nicht mit mir!

Ich versuchte die nervtötenden Stimmen meiner Familie, die unten wahrscheinlich über mich lästerten, zu ignorieren und versuchte wieder einzuschlafen.

Kaltes Wasser klatschte mir ins Gesicht und ich war sofort hell wach. Mit einem Ruck setzte ich mich auf und versuchte erst einmal zu realisieren, was geschehen war. Mein Gesicht, meine Haare, mein Oberkörper und mein Bett waren klatsch nass. Grinsend stand Colin mit einer roten Schüsseln neben meinem Bett.

„Aufstehen!", säuselte er grinsend. „Die liebe Sonne lacht!"

Wutentbrannt sprang ich aus dem Bett und rannte auf Colin zu. Er schaute mich verdutzt an, offenbar hatte er damit nicht gerechnet, und stolperte ein paar Schritte zurück.

„Ich bring dich um!", schrie ich und rannte hinter ihm aus dem Zimmer.

Er stolperte die Treppe hinunter und ich rannte hinterher. Dieser Wichser konnte was erleben.

Ich hatte ihn fast, als meine Mutter aus ihrem Zimmer sprang und mich an den Schultern fest hielt.

„Bist du nun völlig übergeschnappt?", fragte meine Mutter empört.

Sie war wie immer top gestylt. Ihr Haar war wieder zu einem strengen Knoten gedreht und sie trug eine weise Bluse und dazu eine feine Stoffhose. Ihre Lippen waren mit einem leuchtend roten Lippenstift geschminkt und ihre Augen auch mit irgendeiner Pampe vollgekleistert. Ich dagegen sah grauenvoll aus. Ich trug ein schwarzes, enges Top, welches klatsch nass war und dazu kurze, dunkelblaue Shorts. Ich kam eben nicht wie ein Engel morgens aus dem Bett gesprungen. Das lag aber nicht nur an mir.

„Er hat mir -...", setzte ich an, wurde aber von meiner Mutter unterbrochen.

„Es ist mir egal was er gemacht hat. Du hast es sicher verdient."

Am liebsten hätte ich ihr eine gescheuert, doch glücklicherweise konnte ich mich zurückhalten.

„Mach dich jetzt fertig, du hast gleich ein Vorstellungsgespräch! Ich hab dir die Sachen über den Stuhl gelegt.", sagte sie und schob mich wieder in die Richtung meines Zimmers.

Ohne dass ich sie noch etwas hätte fragen können verschwand sie wieder in ihrem Zimmer und ließ mich auf dem Flur zurück. Ich schaute ihr einen Moment hinterher und entdeckte die hässliche Marmorstatue, die vor ihrem Zimmer stand. Sie grinste mich an. Wütend trat ich gegen ihren Rumpf, lief anschließend in mein Zimmer und schlug die Tür hinter mir zu.

Vorstellungsgespräch? Meine Mutter hatte mir irgendein Vorstellungsgespräch besorgt? Wollte sie mich etwa wieder loswerden? Ich hatte kein Bock auf irgendeinen behinderten Nebenjob, der mir all meine Freizeit raubte. All meine Zeit um mit den Jungs abzuhängen. All meine Zeit um die Dinge auf meiner Liste zu erfüllen.

Ich lief zu meinem Schreibtisch und zog die Klamotten vom Stuhl, die mir meine Mutter hingelegt hatte. Wahrscheinlich würde ich, wenn ich das anziehen würde, aussehen wie Effie Trinket.

„Wo fahren wir hin?", fragte ich ohne sie anzuschauen.

„Zu deinem Vorstellungsgespräch.", sagte Mom abwesend und bog in die nächste Straße ein.

Ich verdrehte die Augen. Als ob mir das nicht bewusst wäre.

Wir fuhren in die Stadt und irgendwann hielt Mom plötzlich das Auto an. Ich stieg aus und schaute mich um.

„Wo soll-‚'' fragte ich verwirrt und drehte mich wieder zum Auto um, doch meine Mutter hatte bereits den Motor gestartet und war um die nächste Ecke gekurvt.

„Was soll der Scheiß!?", rief ich hinter ihr her und hob wütend die Hände.

Sie dachte sie könne alles mit mir machen? Mich einfach hier rausschmeißen und loswerden?

Wieder schaute ich mich um. Nur wenige waren bis jetzt auf den Straßen unterwegs. Wer auch? Kein normaler Mensch war schon um sieben wach und keines Wegs draußen! Gegenüber von mir befanden sich einige Klamottenläden und nicht weit weg erkannte ich das kleine Freibad.

Ich hatte doch nicht etwa ein Vorstellungsgespräch als Bademeisterin!? Ich würde sie umbringen...

Doch meine Befürchtungen lösten sich glücklicherweise in Luft auf, als ich mich umdrehte und direkt hinter mir eine Pub entdeckte, an dessen Tür eine riesige Stellenanzeige hing.

Ich würde ganz sicher nicht in einem Pub arbeiten! Das konnte sie vergessen! Ich überlegte schon, einfach hier zu warten, bis sie mich wieder abholte und ihr dann einfach zu sagen, ich hätte den Job nicht bekommen, doch dann drehte ich mich noch einmal danach um.

Hatte ich mir das gerade nur eingebildet oder bekam man da wirklich fünfzehn Euro die Stunde? Nein. Das hatte ich mir nicht eingebildet. Man verdiente wirklich so viel. Wenn ich dort lange genug arbeiten würde, könnte ich mir vielleicht ein Auto leisten!

Ich dachte einen Moment nach, trat dann aber doch ein. Diese Chance konnte ich mir nicht entgehen lassen.


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